Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 13 / 29.03.2005
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Dirk Klose

Der Schweiß der Edlen

Die Schiller-Nationalausgabe

Nun hat es doch nicht ganz geklappt! Das große Projekt der "Schiller-Nationalausgabe" sollte ursprünglich zum 200. Todestag des Dichters endgültig abgeschlossen sein. Aber dann ließen sich die Termine nicht halten, Bearbeitungen verzögerten sich, so dass aus heutiger Sicht mit dem Erscheinen des letzten, des 43. Bandes, um die Jahreswende 2006/07 zu rechnen ist. Jedenfalls kann die Wissenschaft zum 250. Geburtstag des Dichters in vier Jahren dann mit einer kompletten Ausgabe aufwarten.

Die Planungen für eine Nationalausgabe der Werke Friedrich Schillers sind erstaunlicherweise erst relativ spät realisiert worden. Für den anderen "Dichterfürsten" aus Weimar, Johann Wolfgang von Goethe, war die große "Sophien-Ausgabe" schon gegen Ende des Ersten Weltkrieges fertig. Das Schiller-Projekt begann kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, und durchaus in politischer Absicht. Es gelte, Schiller - so der Germanist und Initiator Julius Petersen - "als Künder der deutschen Selbstbesinnung auf den Platz zu stellen, der ihm gebühre".

Am 29. Februar 1940 kam es zur Gründung eines "Verwaltungsausschusses für die Nationalausgabe Friedrich Schiller", dem die einschlägigen Forschungsstätten in Weimar und Marbach, die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin und die Deutsche Akademie in München angehörten. Den Anstoß hatten das Reichswissenschaftsministerium und die verantwortlichen Ministerien von Thüringen und Württemberg gegeben. Erster Vorsitzender wurde - bis 1958 - der thüringische Ministerialrat Friedrich Stier; der Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger in Weimar übernahm Druck und Vertrieb. Die politische Zielsetzung des Vorhabens kam auch darin zum Ausdruck, dass die ursprüngliche Absicht die "deutsche" Frakturschrift zu verwenden, auf höchstes Geheiß geändert wurde; "um allen Völkern das Studium der deutschen Sprache und das Lesen deutscher Literatur zu ermöglichen", wurde die Antiqua-Schrift genommen.

Sofort wurden Aufträge für die 32 geplanten Bände vergeben; doch in der Tat erschien während der Kriegsjahre (1943) lediglich der erste Band mit den Gedichten Schillers bis zum Jahr 1798. Das Geleitwort hatte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, geschrieben ("Leben heißt für Schiller: Sterben können für eine Idee!"). Der Hauptherausgeber, der Germanist Gerhard Fricke (der damals gleichzeitig eine Hebbel-Nationalausgabe avisierte), hatte sich durch seine Sympathien für das NS-Regime derart kompromittiert, dass er 1946 zurücktreten musste. Dem großen Einsatz einiger in Weimar arbeitenden Wissenschaftler und Verleger ist es zu verdanken, dass die Ausgabe damals nicht sang- und klanglos einging.

Ost und West in einem Boot

Die Wende kam 1958. Die DDR-Behörden hatten sich nach einigem Zögern entschlossen, die Nationalausgabe zügig voranzubringen, auch unter Beibehaltung eines gesamtdeutschen Herausgebergremiums. Der heutige Hauptherausgeber, der Bonner Germanist Norbert Oellers, hat nach der Wende mehrfach die dramatischen Tage damals in Erinnerung gerufen. Nach schwierigen und "hektischen" Gesprächen kam es zu der Einigung, dass der Verwaltungsausschuss paritätisch 4 : 4 (Bundesrepublik und DDR) plus Verlags-Vertreter aus Weimar besetzt wurde, der Vorsitz wechselte seitdem jährlich zwischen Weimar und Marbach. Hauptherausgeber wurden Lieselotte Blumenthal (Ost) und Benno von Wiese (West). Oellers: "Die Gunst der Stunde rettete unsere Ausgabe."

Damit gehört die Schiller-Nationalausgabe zu den wenigen Kulturprojekten, bei denen die beiden deutschen Staaten bis zum Ende der Teilung zusammenblieben: Das wurden immer weniger, am Ende vor allem das Grimm'sche Wörterbuch, die Edition der Werke des Philosophen Leibniz, die Arbeit der Internationalen Bachgesellschaft Leipzig und die "internationalisierte" Goethe-Gesellschaft Weimar.

"Spielregel" bei allem war eine möglichst geräuschlose Arbeit; die Öffentlichkeit sollte so wenig wie möglich von dieser Gemeinsamkeit erfahren. Als Bundeskanzler Willy Brandt im Februar 1972 in guter Absicht vor dem Bundestag die Schiller-Ausgabe erwähnte, wäre sie fast geplatzt; den Hinweis hatte er übrigens nicht von seinen Bonner Ministerialen, sondern von Golo Mann erhalten.

In der Folgezeit wuchs die Ausgabe kontinuierlich. Nach und nach wurden die Dramen, die Gedichte, die ästhetischen und die politischen Schriften sowie Schillers Korrespondenz veröffentlicht. Die notwendigen Sitzungen fanden - da nur wenige DDR-Wissenschaftler auch "Reisekader" waren - meist in Weimar statt; Norbert Oellers, der 1965 in den Herausgeberkreis eintrat, mithin in diesem Jahr auf eine 40jährige Herausgeberschaft zurückblicken kann, schreibt, dass er sich noch heute nicht an die "Schikanen" und die entwürdigenden Prozeduren an der innerdeutschen Grenze gewöhnen könne.

Von westlicher Seite wurde die Edition finanziell durch die Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, ferner durch Personalmittel an fünf Stipendiaten durch das damalige Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. So kam es zu dem seltenen Fall, dass das DDR-Kulturministerium und das Bonner Ministerium, die sich ja völlig konträr gegenüberstanden, in Sachen Schiller jahrelang in einem Boot saßen.

Nach der Wende entkrampfte sich die Situation schnell. Heute sehen sich die zuständigen Ministerien von Baden-Württemberg und Thüringen in gemeinsamer Verantwortung für die von den beiden Gedenkstätten in Weimar und Marbach betreute Ausgabe. Das auf 43 Bände, darunter mehrere Doppelbände, angewachsene Werk wird in zwei Jahren mit einem Registerband abgeschlossen sein. Dann, so Oellers, müssen einige Ausgaben aus der Nachkriegszeit "dringend" überarbeitet werden. Oellers: "Mal sehen, was daraus wird".


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.