Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 25 - 26 / 20.06.2005
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Igal Avidan

Die Utopie des neuen Menschen

Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau "Die Neuen Hebräer - 100 Jahre Kunst in Israel"

Die israelische Kultur ist nicht mit der Judaica zu verwechseln und geht nicht nur aus der Religion hervor. Um den Deutschen dies zu erklären, kurierte Doreet LeVitte Harten in Berlin eine monumentale Ausstellung. Dies ist die größte Retrospektive israelischer Kunst weltweit mit 700 Exponaten, die in 15 Kapitel aufgeteilt werden - vom Entstehen des Zionismus durch die Utopie des neuen Menschen, dem Leben in der neuen Heimat, den Konflikten mit den Arabern und den friedlichen Alternativen für ein Zusammenleben mit den Palästinensern.

Eigentlich ist der Untertitel der Ausstellung irreführend, denn hier wird nicht die Entwicklung der israelischen Kunst dargestellt, sondern vor allem die Entwicklung der "Neuen Hebräer". Aus diesem Grund wurde die abstrakte israelische Kunst auch weitgehend ausgeklammert. Auch der Holocaust findet kaum Platz. Eher werden die Schatten der Judenvernichtung auf die Israelis dargestellt, zum Beispiel durch das Video "Trembling Time" von Yael Bartana, in dem man sieht, wie die Autos auf einer Hauptstraße anhalten, während am Holocaust-Gedenktag die Sirenen im ganzen Land heulen. Die emotionelle Begegnung zwischen "alten" und "neuen" Juden - zwischen denjenigen, die aus den KZs kamen, und denjenigen, die sie an der Küste Israels empfingen - wird durch ein Gedicht und ein Foto verdeutlicht. Das Bild zeigt eine junge Frau, die durch ein Tattoo auf ihrem Dekolleté gezeichnet ist: "Feld-Hure A125701". In einem Gedicht schreibt Yizchak Sade, der damalige Kommandant der zionistischen Eingreiftruppe in vorstaatlicher Zeit, über eine Frau, die gerade der Hölle in Europa entkommen war: "Du hast einen Platz auf dieser Welt, meine Schwester. Einen einzigen, ganz besonderen Platz, hier in diesem Land."

Eine zentrale Rolle bei der Schaffung der neuen Hebräer war die Wiederbelebung der biblischen Sprache - Hebräisch. Die meisten Zionisten sprachen jedoch noch in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts lieber Russisch, Polnisch oder Deutsch. Um sie zu ermuntern, Hebräisch zu erlernen, warb die "Legion zur Verteidigung der Sprache" auf Plakaten mit Sprüchen wie "Hebräer, sprich Hebräisch und werde gesund!", was auf Hebräisch durchaus poetisch klingt. Zu sehen ist auf diesem Plakat der Vater des modernen Hebräisch, Elieser Ben Yehuda. Mehr Lust auf die biblischen Buchstaben erweckt wohl Roee Rosen mit erotischen Variationen des Alphabets.

Harten ist es in Zusammenarbeit mit dem Israel-Museum in Jerusalem gelungen, die historische Bindung der neuen Hebräer zu ihren Wurzeln darzustellen, vor allem durch das kostbarste Exponat, ein Teil der 2.000 Jahre alten Tempelrolle auf Hebräisch, die zum ersten Mal außerhalb von Israel gezeigt wird. Zugleich handelt es sich nicht um eine nationale Leistungsschau Israels und mit (israelischer) Kritik an der gegenwärtigen Politik wird nicht gespart. Ein junger Israeli singt in einem Video, dass er desertieren muss. Eine Palästinenserin läuft entlang der neuen Mauer, die das Dorf Abu Dis von Jerusalem trennt. Auf dem grauen Beton prangt ein Graffiti: "Ghetto Abu Dis". Durch eine menschenleere Straße in Bethlehem patrouilliert ein israelischer Panzer. Gleichzeitig sehen wir Nir Hods Bild mit dem Titel "Lost Generation", das die Beerdigung eines israelischen Soldaten thematisiert. Eine Fotoreihe zeichnet die apathischen Gesichter von Israelis in der Zeit der Selbstmordanschläge, die auf einen Bus in Jerusalem warten. Wird dies meine letzte Fahrt - fragen ihre Augen.


Die Ausstellung ist noch bis zum 5. September in Berlin zu sehen. Sie ist von Mittwoch bis Montag jeweils von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Sie wird durch einen bemerkenswerten Katalog ergänzt, der im Nicolai Verlag erschienen ist.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.