Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 34 - 35 / 22.08.2005
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Kulturinstitutionen müssen sich für die Konkurrenz wappnen

Im Gespräch: Norbert Sievers, Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft

Der dritte Kulturpolitische Bundeskongress der Kulturpolitischen Gesellschaft und der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Friedrich-Ebert Stiftung in Berlin traf mit dem Thema "Kulturpublikum" den Nerv der Zeit. Die Kulturpolitik muss mehr darauf achten, was nachgefragt wird, will sie in Zukunft erfolgreich Publikum anlocken. Ines Gollnick sprach mit Nobert Sievers, Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft, über die schwierige Partnerschaft mit Zuhörern, Zuschauern und Besuchern.

Das Parlament: Herr Sievers, warum brauchen wir zukünftig eher eine nachfrageorientierte und keine angebotsorientierte Kulturpolitik?

Norbert Sievers: Es gibt in weiten Teilen genügend Angebote im Kulturbereich. Die bisherige Kulturpolitik, die so genannte "Neue Kulturpolitik" hat seit den 70er-Jahren eine Fülle an neuen Einrichtungen und Programmen im öffentlichen Bereich geschaffen. Das Angebot, so eine Schätzung, soll sich in den vergangenen 30 Jahren verzehnfacht haben. Hinzugekommen ist, dass auch im privat-kommerziellen Bereich das Angebot im Freizeit- und Kulturbereich enorm gestiegen ist. Denken Sie nur an die Musicals und die Konzertveranstalter, die dazu gekommen sind - ganz abgesehen von den Medienangeboten. Das hat zu einer Vielfalt von kulturellen Teilhabemöglichkeiten geführt, die eine gewisse Sättigung auf dem "Markt" bewirkt haben und heute zu der Einsicht führen, dass kulturelle Beteiligung im Sinne der Inanspruchnahme von Angeboten eine begrenzte Ressource ist. Die Entwicklung war dadurch begünstigt, dass es ein Mehr an Freizeit, Geld und an Bildung gab. Das sind die drei wesentlichen Voraussetzungen für die kulturelle Beteiligung. Nun gibt es seit einigen Jahren auch dort Einbrüche, zumindest was die Faktoren Geld und Zeit angeht. Deshalb muss man heute wieder stärker auf das Publikum schauen, also auf die Nachfrage. Die wesentliche Frage lautet: Steht den neuen Angeboten, die jetzt geschaffen werden, heute und in Zukunft noch eine genügende Nachfrage gegenüber beziehungsweise wie kann kulturelles Interesse, das sich als Nachfrage artikuliert, geschaffen werden? Der Kongress "publikum.macht.kultur" sollte den Anstoß geben, zukünftig in der Kulturpolitik von diesem Ansatz her zu denken. Früher hat man im öffentlichen Bereich nie oder nur selten nach dem Bedarf gefragt, wenn beispielsweise ein neues Museum gebaut wurde. Das wird sich ändern müssen.

Das Parlament: Wird dem "Diktat der Quote" damit nicht Tür und Tor geöffnet und zu sehr auf den Publikumsgeschmack gezielt?

Norbert Sievers: Das ist eine reale Gefahr, und es war immer schon eine. Ich glaube, man kommt nicht daran vorbei, auch in Kategorien des Bedarfs und der Nachfrage zu denken, um die Häuser zu füllen. Das ist immer eine Gratwanderung. Den Intendanten und Direktoren an den Theatern und Museen gelingt diese auch einigermaßen - jedenfalls den guten. Sie achten auf Qualität und bekommen die Häuser voll. Sofern dies gelingt, hat Kulturpolitik kein Problem. Bricht eine Bedingung weg, werden kritische Fragen gestellt, weil Kulturpolitik sich als öffentliche Aufgabe legitimieren muss und deshalb nicht nur ein Unterhaltungsangebot offerieren darf, das private Anbieter auch zur Verfügung stellen könnten. Die Frage, ob Kultur eigentlich eine öffentlich zu finanzierende oder eine privat zu organisierende Aufgabe ist, steht immer stärker im Raum zum Beispiel vor dem Hintergrund der EU-Dienstleistungsrichtlinie. Hiermit sollen ja immer weitere Bereiche, die öffentlich organisiert und finanziert worden sind, in den Markt abgedrängt werden. Davon ist die Kultur natürlich auch betroffen und muss sich hier wappnen.

Das Parlament: Welche Gefahr liegt darin, dass offenbar ein Publikum unterwegs ist, das hungrig nach Unterhaltung und Erlebnis ist und den Bildungsanspruch völlig hinten anstellt - Stichwort Kulturflaneure?

Norbert Sievers: Die Tatsache, dass sich die Menschen immer spontaner entscheiden, was sie abends oder während der Woche machen wollen, hat Konsequenzen. Die Abonnentenzahlen gehen enorm zurück. Eine langfristige Planung im Kulturbereich fällt schwer. Und ich vermute, diese kurzfristigen Entscheidungen sind sehr viel stärker vom Erlebnis- und Unterhaltungsanspruch geprägt, als das möglicherweise früher der Fall war. Die Anbieter stehen schon vor dem Problem, inwieweit sie diesem Bedürfnis nachgeben. Das Bildungsinteresse war für die Kulturteilhabe schon immer nur ein Motiv unten anderen. Je mehr es im Mix der Motive an Bedeutung verliert, umso mehr bekommt die Kulturpolitik ein Problem.

Das Parlament: Was müssen Institutionen, die öffentlich gefördert werden, lernen, um selbst mehr Geld zu erwirtschaften?

Norbert Sievers: Auf jeden Fall ist die Qualität der Arbeit wichtig. Es müssen gute "Produkte" geliefert werden, die beim Publikum Interesse wecken. Jetzt nicht nur in dem Sinne, dass sie leicht konsumierbar sind, sondern dass sie auch hohen Ansprüchen genügen. Auf der anderen Seite müssen sich die Kulturinstitutionen noch mehr, als sie es bisher getan haben, als Marktteilnehmer begreifen. Die Institutionen sind nicht mehr nur Kunstproduzenten, die sich auf einer Insel befinden und so tun könnten, als sei die Inanspruchnahme der öffentlichen Angebote und Einrichtungen und damit natürlich auch deren gesellschaftliche Wirkungen nur eine Frage des Publikums. Sie sind Marktteilnehmer, konkurrieren mit anderen Einrichtungen und müssen ihr Management darauf ausrichten.

Das Parlament: Brauchen wir überhaupt noch die klassischen Repräsentationsorte der kulturellen Öffentlichkeit - sprich des Publikums - wo ja sowieso nur ein geringer Teil der Bevölkerung ankommt?

Norbert Sievers: Ich denke schon, dass die Gesellschaft diese Orte des öffentlichen Räsonnements braucht, auch wenn sie nur eine Minderheit in der Bevölkerung erreichen. Trotzdem stehen sie stellvertretend für das Prinzip, dass man Orte und Bühnen des Erinnerns, des Nachdenkens und des Diskurses benötigt - und zwar als ein öffentliches Geschehen. Das ist für die offene, demokratische Gesellschaft ganz, ganz wichtig. Nur darf die Kulturpolitik nicht so tun, als sei sie die einzige Instanz, die das in der Gesellschaft macht. Menschen denken an ganz verschiedenen Orten nach, nicht nur im Theater und in den Museen. Da muss die Kulturpolitik ein wenig von ihrem hohen Ross herunterkommen. Die Theater sind nicht mehr der Ort, wo sich das Bürgertum wieder findet, wenn sie es denn je waren. Das gibt es in dieser Form gar nicht mehr. Die Gesellschaft hat sich ausdifferenziert, ist nicht nur älter, sondern auch bunter und vielgestaltiger geworden. Es gibt heute viele kulturelle Öffentlichkeiten und Orte, wo sich diese bilden können.

Das Parlament: Sie sagen, nachfrageorientierte Kulturpolitik ist vor allem kulturelle Bildungspolitik. Hat Kulturpolitik darauf schon ausreichend reagiert, wenn diese Annahme stimmt?

Norbert Sievers: Nein, das denke ich nicht. Nun ist es nicht nur eine Frage der Kulturpolitik. Alles, was an den Schulen passiert, auch im vorschulischen Bereich, sind Fragen der Bildungspolitik, aber auch der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik. Insofern hat die Kulturpolitik da nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Gesellschaftspolitisch gesehen muss man sagen, dass man dort noch mehr machen müsste. Denn Bildung ist in der Tat der entscheidende Schlüssel für kulturelle Partizipation, neben der Tatsache, dass man dafür auch Geld und Zeit braucht. Mein Eindruck ist, dass diese Ressourcen knapper werden. Das ist auch eine Herausforderung für die Kultureinrichtungen. Es ist ja in vielen Fällen so, dass das, was geboten wird, kaum noch verstanden wird von jüngeren Leuten, weil die Bildungsvoraussetzungen nicht mehr da sind, und weil man für viele Angebote eigene Übersetzer braucht, um überhaupt dahinter zu kommen, was da vermittelt werden soll. Das bedeutet nicht, dass man das alles parterre organisieren muss. Man muss aber auf die Vermittlungsformen acht geben, wie es in vielen Museen ja auch gemacht wird.

Das Parlament: Wird es Ihrer Einschätzung - sagen wir 2020 - noch Theater, Museen und Opernhäuser geben, so wie wir sie heute kennen?

Norbert Sievers: Ich denke schon, dass es sie dann noch gibt, aber möglicherweise nicht mehr in dieser Anzahl. Es kann sein, dass diese Institutionen in kleineren Gemeinden nicht mehr finanziert werden können, dass man sich dort überlegt, Mischfinanzierungsmodelle hinzubekommen, dass private Sponsoren noch stärker einsteigen. In diesem ganzen Prozess, der schon zehn Jahre läuft, wird wahrscheinlich am Schluss herauskommen, dass es nicht mehr oder weniger Kultur gibt, sondern andere Angebote geben wird. Ich bin nicht pessimistisch, dass es im Kulturbereich nicht auch noch vorangeht. Wir sind auf keiner Rutschbahn abwärts. Das Bedürfnis nach Kultur ist nach wie vor da und es wird weiter wachsen. Das ist jedoch keine Garantie für bestehende Einrichtungen, die sich nicht bewegen.

Das Parlament: Welche Chance liegt für Kulturinstitutionen darin, dass Fragen nach Sinn und persönlicher Orientierung wieder an Bedeutung gewinnen werden?

Norbert Sievers: Das scheint generell ein Trend zu sein. Ich glaube auch, dass Theater, Museen und andere Kultureinrichtungen geeignet wären, diese Sinnfragen und diese Sinnsuche der Menschen mit zu begleiten und dafür Angebote zu entwickeln. Sie müssen sich allerdings dann ein bisschen darauf einstellen. In Ostwestfalen gibt es ein Angebot "Wege durch das Land" des dortigen Literaturbüros, das auf großes Interesse stößt. Dahinter stecken Lesungen in Kombination mit Konzerten an industriegeschichtlich und historisch interessanten Orten. Das bedient dieses Bedürfnis nach Sinn und Orientierung schon in gewisser Weise, aber nur für ein ganz kleines Segment. Das sind "Angebote de luxe" für eine ganz kleine Schicht. Trotzdem bleiben es gute Angebote. Aber es muss darüber nachgedacht werden, wie man damit auch andere erreicht. Das ist nach wie vor die große Frage und Verantwortung der Kulturpolitik in der demokratischen Gesellschaft. Sie darf nicht immer nur auf die schielen, die kulturell schon aufgeschlossen sind und solche edlen Angebote nutzen können. Aber natürlich ist es viel schwieriger, die zu erreichen, die nicht so leicht ansprechbar sind. Dafür müsste mehr Geld, Engagement und Fantasie eingesetzt werden. Insofern gibt es noch viel zu tun.


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