Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 36 / 05.09.2005
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Tobias Asmuth

Gewinnen kann nur einer

Die Linkspartei.PDS will mit vereinten Kräften den Einzug in den Bundestag schaffen

Die Linkspartei.PDS begreift die Bundestagswahl 2005 als historische Chance. Ihr Ziel: sich als stabile Kraft links von der SPD in ganz Deutschland zu etablieren. Ihr künftiger Erfolg hängt dabei allein von der Strahlkraft zweier Männer ab: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Einst politische Gegner stehen die beiden Männer jetzt gemeinsam auf der politischen Bühne. Gemeinsam rufen sie zum Kampf gegen Lohndumping und Sozialabbau auf. Langfristig gewinnen kann aber nur einer.

Der gemeinsame Aufbruch gerät ins Stocken, auf dem Wahlparteitag der neuen Linkspartei haben jetzt die Bürokraten das Wort: Erst eine Wortmeldung zum Änderungsantrag zur Sozialpolitik, dann noch eine zum Mindestlohn, eine kleine Anmerkung einer Arbeitsgemeinschaft zur Wirtschaftspolitik, der Bericht der Mandatsprüfungskommission, eine Note zur Friedensarbeit aus Brandenburg, ein neuer Antrag aus Sachsen. Es ist warm im Veranstaltungssaal des Berliner Estrel-Hotels, warm und stickig wie in einem Amt.

In einem Amt wird nach Vorschriften gearbeitet, ist kein Platz für ein inszeniertes Politspektakel, für eine Show mit Hymnen oder bunten Luftballons. Die Delegierte einer Umweltgruppe aus Thüringen nuschelt etwas vom Werterhalt der Natur für künftige Generationen ins Mikrofon, der nächste Redner will den Wahlkampf als geschichtswissenschaftliche Aufklärungsveranstaltung führen. Müde Blicke, matter Applaus. Im Foyer wächst die Schlange vor den Tischen des Catering-Service, die Wiener Würstchen werden knapp, der Kartoffelsalat ist schon aus.

Bleierne Schwere liegt über den knapp 500 Zuhörern, als die unerbittliche Parteitagsregie die Rede des Genossen Gregor Gysi ankündigt. Aufatmen im Saal, endlich ein Höhepunkt, endlich Emotionen. Mit schnellen Schritten drängt Gysi zum Rednerpult, federnd springt er auf das kleine Podest, genug gewartet, es muss endlich losgehen, soll das sagen. Und Gregor Gysi hat gleich einmal eine Bitte, er wünscht sich mehr Lebendigkeit im Saal, schließlich geht es um viel, um ein Projekt, einen Traum - eine starke sozialistische Linke von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. "Das ist doch was, wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht?" Die Menschen klatschen, lange, es tut so gut endlich aus sich herausgehen zu können.

Der Spitzenkandidat flüstert und schreit, rudert mit den Armen, wippt in den Knien, er plaudert und predigt, der Saal gehört ganz dem kleinen Mann aus Berlin. Er mahnt man dürfe jetzt nicht nachlassen, er kritisiert Disziplinlosigkeiten, wie die Kritik des Europaabgeordneten der PDS André Brie, der Oskar Lafontaine einen Luxuslinken genannt hatte, und er ruft immer wieder zum gemeinsamen Kampf auf. "Wir sind bundesweit wählbar, wir werden bundesweit gewinnen - im Osten und im Westen."

Gysi ist der emotionale Anker seiner Partei, die durch Agenda 2010 und Schröders Neuwahl-Coup unerwartet auf die große politische Bühne gespült worden ist. Sicher: Das Zusammengehen der einstigen PDS mit der WASG hat in den vergangenen Monaten der kühle Stratege Bodo Ramelow organisiert, er hat die Wahllisten juristisch abgedichtet, kümmert sich um den Wahlkampf, um Termine des Spitzenpersonals, den Programmablauf auf den Marktplätzen. Und natürlich hat der Vorsitzende Lothar Bisky als verständnisvoller Großvater die Partei in die wilde Ehe mit den linken Abweichlern aus dem Westen geführt. Aber keiner streichelt die Seele der Partei wie Gregor Gysi. Mit ihm verbinden die Kader aus der ehemaligen DDR die Erfolge der alten PDS, und die neuen Linken aus den alten Bundesländern das Versprechen auf eine dauerhafte Zukunft. Für viele Zeitungen und Magazine ist er der Pop-Star einer Talkshowpartei, für seine Partei schlicht der heimliche Chef, der sagt, wo es langgeht, seinen Versprechungen von einer neuen sozialen Wirklichkeit möchten sie glauben. Deshalb fordert die Linke einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.400 Euro einzuführen, sie will ein milliardenschweres "Zukunftsinvestitionsprogramm für Bildung und Forschung", um die Defizite des Marktes auszugleichen, sie fordert eine gemeinsame Bürgerversicherung, eine Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro, gebührenfreie Kitaplätze, eine Schule für alle und einen Verzicht auf Studiengebühren. Finanziert werden soll die neue Wirklichkeit in Deutschland mit der Besteuerung von Kapitalgewinnen.

Seit dem Vereinigungsparteitag am 17. Juli und der Umbennung in Linkspartei.PDS sind die Umfragewerte von 13 auf zwischen acht und neun Prozent abgerutscht. Doch es gibt kaum Unruhe in der Partei, die Delegierten auf dem Parteitag sind zuversichtlich mit einem guten Ergebnis in den neuen Bundestag einzuziehen, das "historische Projekt einer neuen linken Kraft in Deutschland auf eine breite Basis" zu stellen - diese Worte Gregor Gysis hört man immer wieder im Saal, an den Stehtischen im Foyer, am Verkaufsstand des Neuen Deutschland.

Die große Unbekannte in dieser Rechnung ist Gysis Co-Spitzenmann Oskar Lafontaine. Wie wird sich der Egomane aus dem fernen Saarland in der neuen Partei zurechtfinden? Wird die Basis den begnadeten Selbstdarsteller akzeptieren lernen? Den meisten Genossen ist seine Welt mit großer Villa und luxuriösen Urlaubsressorts, gut dotierten Honorarverträgen und bunten Fernsehauftritten fremd. Doch macht Oskar Lafontaine in seiner ersten Rede entschlossen Schritte auf die Partei zu. "Das ist ein historisches Datum", beginnt er, "ich sehe meinen Auftritt im Rahmen der Geschichte der Arbeiterbewegung." Denn es sei das erste Mal, dass ein ehemaliger SPD-Vorsitzender auf einem PDS-Parteitag spricht, er sei stolz darauf, bei der freiwilligen Vereinigung der deutschen Linken mitwirken zu können. Dann verbeugt er sich tief vor der weishaarigen Ikone der Partei, dem letzten SED-Ministerpräsidenten der DDR und Ehrenvorsitzenden Hans Modrow. Der "liebe Hans" habe die Verleumdungen nach der Wende nicht verdient, er sei für ihn vielmehr so etwas wie der deutsche Gorbatschow. Die Zuhörer staunen, dann klatschen sie laut.

Oskar Lafontaine zeigt sich nach dem gefühligen Teil in seiner Rede kämpferisch. Er verteufelt den neoliberalen Zeitgeist ("Kapitalisten sind Täuscher"), warnt vor dem Afghanistan-Einsatz ("Ein Krieg, um die Macht von Warlords zu sichern"), lästert über die Irrwege der rot-grünen Koalition ("Die SPD hat ihr soziales Gewissen verkauft."). Der Mann macht klar: Jetzt gilt es! Die Linke wird in den Bundestag einziehen und er will, dass sie so stark wie möglich wird. Bis zum 18. September schickt ihn die PDS-Wahlkampfzentrale kreuz und quer durch die alten Bundesländer: von Mannheim geht es nach Gelsenkirchen, von dort nach Frankfurt am Main und Nürnberg, nach Essen, Hamburg, Hannover. Die neue Linkspartei im Westen, das ist Oskar Lafontaine, im Osten erhält Gregor Gysi Unterstützung durch die Prominenz seiner Partei, doch auch er tourt ohne Pause von Schwerin bis Dresden.

Die Doppelspitze will es noch einmal wissen, für beide wäre es eine endgültige Rückkehr ins Rampenlicht, sie wollen den neuen Bundestag zur Plattform ihrer Ziele machen. Gysi will eine neue Partei etablieren, links und modern soll sie sein, keine Partei mehr der übrig gebliebenen DDR-Senioren. Gysi glaubt daran, dass der Wind sich dreht, der Zeitgeist in den kommenden Jahren links sein wird. Oskar Lafontaine dagegen sucht zuerst wohl die Abrechnung mit seiner alten Partei. Vielleicht wird da aber irgendwann auch noch mehr sein: Am Ende des Parteitages stehen die 16 Spitzenkandidaten aus den Ländern auf der leuchtend roten Bühne. Oskar Lafontaine winkt ins Publikum, für einen historischen Tag wirkt er erstaunlich gelöst.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.