Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 37 / 12.09.2005
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Manfred Funke

Wohlstand für die Volksgenossen

Eine Konsumgeschichte der NS-Diktatur

Weniger den Bürgern als vielmehr den "Volksgenossen" in der "Volksgemeinschaft" sollten die Verbesserung der Lebensverhältnisse und die organisierte Schaffensfreude während der NS-Diktatur zugute kommen. So sollten vom staatlichen Wohnungsbau vor allem junge, "biologisch wertvolle Leute" profitieren. Blieb allerdings der erhoffte Kindersegen aus, waren diese "bevölkerungspolitischen Blindgänger" (Robert Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront, DAF) aus den Wohnungen wieder zu entfernen.

Über eine Fülle solcher ideologischen Zweckbezüge zwischen politischer Animation, sozialer Bestechung, Verführung und Gewalt, zwischen Friedens- und Kriegswirtschaft im Bann von Angst, Belohnung, Zucht und Ordnung informiert Wolfgang König, Professor für Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin, in seinem neuen Buch. Er rekonstruiert Wahn und Wirklichkeit der Propaganda-Mythen um die "Volksprodukte" Radio ("Volksempfänger"), Fernsehen, Volkswohnungen, Volkskühlschränke und Volkstourismus.

So konnten jährlich mehr als 100.000 Deutsche eine staatlich subventionierte Schiffsreise mit der Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) machen. Auf Rügen (Prora) wollte Hitler das größte Seebad der Erde errichten. Beim Stapellauf der KdF-Schiffe "Wilhelm Gustloff" und "Robert Ley" versprach er, dass der Nationalsozialismus "unseren Volksgenossen alles das zugänglich" machen werde, "was früher Vorrecht einer begrenzten Lebens- und Volksschicht war".

Wie weit dies gelang oder misslang, hat König aus 22 Konzern-, Firmen- und Staatsarchiven erschlossen. Königs Nachweis der zusätzlich verwendeten Spezialliteratur zur Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte umfasst 34 Seiten. Die genaue Darstellung der Wohlstandssymbole, ihrer Herstellung, Verteilung und Akzeptanz im Volk bewährt sich als Auskunftei bis hin zu Angaben über Betriebskosten und Ratenzahlungen beim Erwerb eines "Volksempfängers" (79,20 Reichsmark). Indoktrination per Unterhaltung hieß der Auftrag des Rundfunks. Über ihn waren die Massen jederzeit für Hitler und seine Paladine erreichbar.

Bei aller Hochachtung vor Königs Erforschung der deutschen Konsumgesellschaft auf rassischer Grundlage verwundern zuweilen die Urteilssicherheit des Autors und manche seiner Schlussfolgerungen. Zum Beispiel, wenn er das "Volk" auf die Arbeiterschaft reduziert und dem "Mittelstand" zuspricht, vornehmlich die sozialen Errungenschaften abgeschöpft zu haben. Wozu zählte aber etwa die Arbeiteraristokratie bei Krupp? Wozu gehörten die Facharbeiter bei Siemens, Bosch, bei I.G. Farben? Die Monteure in Flugzeughallen und die Spezialdreher in Waffenschmieden? Zumal die alten Schranken von Bildung und Besitz im Modernisierungsgefüge einer neuen "völkischen Leistungselite" durchlässiger wurden.

"Die Volksprodukte entsprachen den Konsumwünschen der Bevölkerung", konstatiert König. Doch habe es zur "sozialen Segregation" geführt, "dass sich die Menschen keinen Volksempfänger leisten und keinen Volkswagen ansparen konnten". Aber: Einen "Volksempfänger" gab es fast in jedem Haus. Und da für viele das Auto ohnehin Vision blieb, in der sich aber auch die gemeinsame Hoffnung auf ein Fahrzeug erhielt, war Segregation schwerlich die Folge konsumptiver Unzufriedenheit. Eher wohl die Reaktion auf skandalöse Korruption der neureichen Partei-Bonzen ("Wenn das der Führer wüsste!").

Überhaupt stand die Bevölkerung in den ersten sechs Jahren der Diktatur noch viel zu sehr unter dem Erfahrungsdruck des Massenelends am Ende der Weimarer Republik. Nur wer "Versailles" und "Weimar" als zeitgenössisches Trauma überschlägt, kann sich heute über subjektiv selektierte Erinnerungen an die so genannten "guten Seiten" des NS-Regimes empören. Wie es sich für einen jüngeren Wissenschaftler gehört, findet auch König (Jahrgang 1949) solcherlei "Stammtische" degoutant. Aber das Volk war eben kein Inbegriff demokratischer Gesittung, sondern ein Kollektiv aus Einzelinteressen ("Was ist mir das wert? Was habe ich davon?") in der Diktatur explodierender Geschäftigkeit und diabolischer Propaganda. Diese vermochte lange das Scheitern der Improvisationsstrategien auf dem zivilen Sektor zu überblenden. Erst der Krieg machte die exzessive Überdehnung der deutschen Kräfte und den Mangel an Rohstoffen evident.

Am Schluss gerät König ins Spekulative: "Die nationalsozialistischen Visionen und die bundesrepublikanische Realität bezogen sich teilweise auf die gleichen Konsumphänomene, wenn auch in gänzlich unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten." Gibt es Verbindungslinien, fragt König, zwischen der Motor-Hitlerjugend, den Erfahrungen des motorisierten Krieges und der Automobilisierung sowie dem Tourismus in der Bundesrepublik?

Natürlich gibt es diese - aber ideologisch gänzlich indifferent. In jedem Herrschaftssystem wollen die Menschen besser leben und mehr vom Leben haben. So suchte seit 1917 der Sozialismus seine Überlegenheit den Massen durch Versprechungen von Volksdemokratie und Wohlstand zu beweisen. Beim Wettkampf der Systeme verhieß Nikita Chruschtschow die baldige Überholung des westlichen Lebensstandards. In der DDR geriet das ewige Versprechen verbesserten Konsums zum Streckmittel der Agonie.

Insgesamt hat Wolfgang König methodisch diszipliniert wohlgefüllte Materialdepots angelegt. Sie sollen nach Wunsch des Autors Ausgang für weitere Forschungen zur deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sein. Dafür gibt er ein hohes Niveau vor.


Wolfgang König

Volkswagen, Volksempfänger, Volksgemeinschaft. "Volksprodukte" im Dritten Reich. Vom Scheitern einer nationalsozialistischen Konsumgesellschaft.

Verlag F. Schöningh, Paderborn 2004; 310 S., 36,- Euro


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