Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 37 / 12.09.2005
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Daniela Weingärtner

Wie viel Sicherheit muss sein?

Terrorbekämpfung kontra Bürgerrechte

Die vergangene Woche stand in Straßburg, in Brüssel und beim Innenminister-Treffen in Newcastle im Zeichen der Terrorbekämpfung. Doch die problematischen Fragen bleiben ungeklärt auf dem Tisch: Was wiegt schwerer: das Sicherheitsbedürfnis der Menschen oder die Bewahrung der Bürgerrechte? Sollen die Regierungen im Eilverfahren Tatkraft zeigen oder soll der langwierige demokratische Weg durch die Institutionen - Kommission, Rat und Parlament - eingehalten werden? Nach einer Debatte im Europäischen Parlament berieten vergangene Woche die EU-Innen- und Justizminister in Newcastle.

Das Parkgelände der berühmten Pferderennbahn von Newcastle lieferte den Fernsehjournalisten vergangene Woche beim EU-Ministertreffen traumhafte Bilder: Flatternde Europafahnen vor grün bewaldeten Rasenflächen. Doch direkt daneben konnten die Kameras auch Szenen einfangen, die eher einem Alptraum zu entstammen schienen.

Wo sonst stolze Pferdebesitzer ihre Prachtexemplare vorführen, patroullierte berittene Polizei. Scharfschützen mit Maschinengewehren waren auf den Dächern postiert, alle Zugänge waren mit schweren Eisenpollern gesichert, die im Ernstfall einem mit Sprengstoff gefüllten Lastwagen standhalten würden. Eine martialische Aufrüstung, die man eher im Gazastreifen oder in Bagdad erwarten würde als in einer nordenglischen Kleinstadt. Niemandem blieb die Leibesvisitation erspart - egal ob angemeldeter Journalist oder Politiker.

Die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) war geschockt über die Sicherheitsvorkehrungen. Das habe sie noch bei keinem Ministertreffen erlebt. Auch inhaltlich gab es bei der Veranstaltung einige Dissonanzen. Dem Gastgeber, der britischen Regierung, gelang es offenbar nicht, die gegensätzlichen Positionen bei den anstehenden Streitpunkten in Newcastle einem Kompromiss näher zu bringen. Vorrangiges Ziel der Briten ist es, noch unter ihrer Präsidentschaft bis zum Ende des Jahres eine EU-Vereinbarung zur so genannten Vorratsdaten-Speicherung zu erreichen, nach der Telefon- und Internetdaten künftig EU-weit länger gespeichert werden. Vor allem die nordischen Länder haben grundsätzliche Bedenken, dass damit zu sehr in die Privatsphäre der Bürger eingegriffen werden könne. Unklar ist aber auch, ob und inwieweit EU-Parlament und Kommission an einem derartigen Gesetzgebungsverfahren beteiligt würden oder ob der Rat eine Rahmenvereinbarung anstrebt.

Die Briten hätten ursprünglich am liebsten einen Rahmenbeschluss der Regierungen ohne Parlamentsbeteiligung erwirkt. Auch die deutsche Seite sieht die Zuständigkeit auf der intergouvernementalen Ebene, aber es gibt auch inhaltliche Vorbehalte gegen die britischen Pläne.

Der französische liberale Europaparlamentarier Jean-Marie Cavada, Vorsitzender des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im EU-Parlament, nahm teilweise an den Ratsberatungen in Newcastle teil. Er signalisierte, dass nach den Anschlägen in Madrid und London im EU-Parlament mehr Verständnis herrsche, dass Daten für Ermittlungen bei terroristischen Straftaten länger aufbewahrt werden müssten. Allerdings sei es unerlässlich, dass das EU-Parlament dazu nicht nur angehört werde, sondern mitentscheide.

Diese Auffassung teilt EU-Kommissar Franco Frattini. Er kündigte für den Herbst zwei Gesetzesentwürfe an: Einen zur Datenspeicherung und einen zweiten, der den gesamten Datenschutz im zwischenstaatlichen Bereich regeln soll. Damit würde eine Lücke geschlossen, auf die Datenschützer und Bürgerrechts-Organisationen schon lange hinweisen. Denn der Datenschutz ist bislang unterschiedlich geregelt, je nachdem ob eine Institution wie zum Beispiel Europol zwischenstaatlich angesiedelt ist oder ob Gemeinschaftsrecht greift, wie bei der Weitergabe von Passagierdaten.

Am 7. September hatte der britische Innenminister Charles Clarke in Straßburg das Programm für die sechs Monate britischer Ratspräsidentschaft vorgestellt. Er hatte daran erinnert, dass es derzeit eine Vertrauenskrise zwischen der Union und ihren Bürgern gebe. "Ich glaube, dass ein tiefer Grund für diese Zweifel darin liegt, dass die Union sich nicht genügend um praktische Lösungen für die drängendsten Probleme kümmert. Dabei meine ich vor allem organisierte Kriminalität, einschließlich des Drogen- und Menschenhandels, illegale Einwanderung und Asylmissbrauch und den Kampf gegen den Terrorismus."

Der für Justiz und Inneres zuständige EU-Kommissar Franco Frattini hatte klargestellt, dass es entsprechende EU-Gesetze schon gebe - sie würden aber oft von den Mitgliedsstaaten nur zögernd umgesetzt. Er werde künftig alle sechs Monate auf einer Liste die Länder nennen, die hinterher hinken. Frattini hatte aber auch vor falschem Aktionismus gewarnt: "Wir brauchen eine Vision, die unsere Werte bewahrt, nicht Notstandsmaßnahmen. Der Führer der liberalen Fraktion, Graham Watson, hatte den britischen Innenminister kritisiert: "Ich stimme nicht mit Clarke überein, dass die Schutzrechte der Opfer schwerer wiegen als die Menschenrechte der Terroristen. Auch verdächtige Terroristen haben Rechte. Die Logik des Wilden Westens führt zu Fällen wie dem Tod des jungen Brasilianers in der Londoner U-Bahn."

Clarke hatte darauf hingewiesen, dass der Abschiebung von Einwanderern, die sich in der EU strafbar gemacht haben, Artikel 3 der Europäischen Konvention für Menschenrechte entgegen stehe. Beim Innenministerrat wiederholte er diese Kritik. Spätestens nach den Anschlägen vom Juli in London müssten die Richter zur Kenntnis nehmen, dass die Balance zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der europäischen Bürger und dem Schutzbedürfnis von Flüchtlingen vor Abschiebung nicht mehr gewährleistet sei. EU-Kommissar Frattini ergänzte: "Wir reden nicht darüber, Richter zu beeinflussen." Doch der Artikel 3 der Menschenrechtskonvention müsse künftig so interpretiert werden, dass Straftäter auch dann in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden könnten, wenn die Menschenrechtslage dort nicht europäischen Standards entspreche.

Der britische Innenminister warnte, dass sich in Großbritannien die Stimmen mehrten, die aus der Europäischen Konvention für Menschenrechte austreten wollten. Vertreter aller Parteien im Parlament hatten zuvor erklärt, die Verhältnismäßigkeit der Mittel müsse erhalten bleiben, damit sich Europa nicht zur Unkenntlichkeit verändere. Man dürfe sich nicht europäische Lebensart und europäische Werte durch ein paar Terroristen kaputt machen lassen. Der derzeitige Ausnahmezustand auf der britischen Insel steht zu solchen Beteuerungen in krassem Widerspruch. So soll der Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs im Oktober nicht, wie es der Routine entspräche, in Brüssel, sondern an einem bislang ungenannten Ort in England stattfinden. Ein trotziges "Business as usual", dessen psychologisch aufbauende Wirkung zumindest zweifelhaft erscheint.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.