Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
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Barbara Schweizerhof

Sex, Drogen und Zensoren in Hollywood-Babylon

Zwischen "political correctness" und Markt

Gemeinhin hält man das Kino für ziemlich simpel gestrickt: Es gibt "good guys" und "bad guys". Die Guten sind nicht nur gut, sondern sehen auch so aus, und gewinnen am Ende. Die Bösen zeigen oft Charakterschwächen, haben verzerrte Züge und keiner trauert um ihre Niederlage. Die auf der richtigen Seite werden von Stars wie John Wayne, Cary Grant oder Gary Cooper gespielt; die auf der falschen bleiben als Schauspieler meist anonym und bringen es allenfalls unter eingefleischten Fans zu gewissem Ruhm.

In Filmen wie "Casablanca" etwa kann man sie an der Art des Rauchens erkennen: Wo der Gute entspannt und cool die Zigarette hält, zieht der Böse süchtig und leicht unappetitlich an ihr. Heute ist das Rauchen an sich im amerikanischen Mainstreamfilm schon ein sicherer Hinweis auf einen Bösewicht.

Wie man an dieser absichtlich holzschnittartig gehaltenen Beschreibung merkt, ist das Kino ein Medium, das mit Stereotypen arbeitet. Deutlich zeigt sich daran seine Herkunft aus der Populärkultur der Schaubuden und Marktplätze. Wie einst in den "Moritaten" findet in Filmen immer auch eine Art Unterweisung statt, eine Einführung in die herrschende Moral. Filme stehen beispielhaft für die Realität, ihren stereotypen Darstellungsformen ist eine Politik eingeschrieben, die wiederum unsere Wahrnehmung der Welt prägt: Wir erleben die Dinge im Film auf eine Weise als strukturiert und übersichtlich, in der die Realität das verweigert.

Obwohl also das Allgemeinwissen uns sagt, dass zumindest im Mainstreamfilm den guten Schönen immer vor den bösen Hässlichen der Vorzug gegeben wird, stand das Kino von Anbeginn an unter dem Verdacht, die "Moral" zu verderben. Denn bei näherem Hinschauen zeigt sich, dass das mit dem Sieg der Guten oft gar nicht so einfach ist. Der Lieblingsheld des amerikanischen Kinos nämlich ist der Antiheld. Und dessen "Moral" oder "Politik" ist schon schwieriger zu beschreiben. Nehmen wir etwa Humphrey Bogart als Rick in bereits erwähntem "Casablanca": ein Mann, der von sich behauptet keine Prinzipien zu haben und nur nach eigenem Interesse zu handeln. Erst gegen Ende schließt er sich bekanntlich, mürrisch und mit einer gehörigen Portion Zynismus, dem Kampf der Guten an - ohne ihn gänzlich zu seinem eigenen zu machen.

Wie die Gegenüberstellung von Rick und seinem filmischen Antipoden, dem aufrechten Antifaschisten Viktor Laszlo, kaum besser zeigen könnte, sind Antihelden die Jungs mit den schlechten Manieren, aber der größeren erotischen Ausstrahlung. Die Aura der Rebellion umgibt sie. Und es zeigt sich, dass das Kino das ideale Medium darstellt, um unangepasstes Verhalten zu glorifizieren, um Laster wie Sex, Drogen und Kriminalität glamourös zu inszenieren.

Um die amerikanische Öffentlichkeit vor eben diesem verderblichen Einfluss zu schützen, wurde Anfang der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der "Hays Code" in Hollywood wirksam. Er war die Antwort weniger auf die inhaltliche Ausrichtung der frühen Filmproduktion als vielmehr auf die Sex- und Drogenskandale, die "Hollywood-Babylon" damals umgaben.

Die Studios übernahmen den Code als Selbstverpflichtung. Im Wesentlichen regelte er die Darstellung von Gewalt und Erotik. So durfte zum Beispiel kein schießender Colt gleichzeitig mit dem Beschossenen im Bild sein, Küsse eine bestimmte Länge nicht überschreiten und auch Alkoholkonsum nur "begründet" auftauchen; Homosexualität und romantische Beziehungen zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe waren ebenfalls ausgeschlossen.

Mit seinem dem puritanischen Geist entsprungenen Regelwerk war der "Hays Code" bis in die 60er-Jahre hinein wirksam. Dann schrieb sich die Generation des New Hollywood auf die Fahnen, die Tabus zu brechen, um dem Kino zu neuer Authentizität zu verhelfen. Dass Filme immer gewalttätiger und sexuell aufgeladener werden, ist seitdem eine verbreitete Klage. Tatsächlich hegen viele angesichts der heute so obligatorischen wie stereotypen "Bettszenen" eine gewisse Nostalgie für die alte Zeit, als Filmemacher noch gezwungen waren, Sex durch raffinierte Umschreibungen darzustellen. Wie Lubitsch etwa, der am Appetit der frühstückenden Verliebten zeigte, was für eine Nacht sie miteinander verbracht haben.

Als Schutz der Öffentlichkeit vor den bösen Botschaften des Kinos wurde der "Hays Code" mittlerweile durch die Regelungen der Altersfreigabe ersetzt. Noch immer bilden dafür die Margen Sex und Gewalt die Hauptkriterien. Im vagen Drumherum aber hat die Macht der impliziten Regeln der "political correctness" zugenommen.

Immer wieder geht es um Eingrenzung dessen, was man als die gesellschaftliche Gefahr des Kinos ansieht: seine Anregung zur Nachahmung. Die häufig geführte Diskussion über Gewalt sei hier einmal ausgespart: Nicht nur was und wie man im Film mordet, trinkt und raucht, kann beim jugendlichen Publikum Schule machen, auch wie die Helden Frauen (und andere Männer) behandeln, wie sie mit dem eigenen Körper umgehen und welches Verhältnis sie zu ihrer Mutter haben, regt zur Imitation an. In dem, was Mainstreamfilme zeigen, steckt mithin eine Politik des Alltags, der Lebensweisen, die viel nachhaltiger wirkt als jede aufgesetzte Agenda, die für Entrechtete Stellung bezieht.

Gegenüber den heute lächerlich anmutenden Vorschriften des "Hays Code" hat die "politische Korrektheit" den Nachteil, dass sie sich schlechter kritisieren lässt, weil ihre Regeln diffuser sind. Sie gehen aus einem vagen gesellschaftlichen Klima hervor, das Ansichten und Forderungen verschiedenster Bevölkerungsteile berücksichtigt - und dementsprechend opportunistisch ist!

Einst feierte man den Oscar-Gewinn für Sidney Poitier als Erfolg gegen den gesellschaftlichen Rassismus. Heute ist Rassentrennung in den Filmhandlungen aus anderen Gründen wieder Gebot: So beklagte sich der schwarze Schauspieler Will Smith anlässlich des Starts seines Film "Hitch - Der Date-Doktor": "In Amerika ist Rassismus noch immer ein alltägliches Problem." So würde es das Publikum nicht akzeptieren, wenn er im Film eine weiße Frau küssen würde. "Da gehen die Filmstudios lieber auf Nummer sicher, und ich küsse keine weiße Frau."

Wie überhaupt die Ethnizität der Rollenfächer von komplexeren Erwägungen bestimmt ist, als man auf den ersten Blick annimmt: Wo vor dem 11. September das Schurkenfach gerne mit orientalischen Gesichtern besetzt wurde, müssen sich die entsprechenden Figuren heute politisch korrekt als die unrechtmäßig Verdächtigten erweisen. Ehemalige Sowjetgeneräle sind dagegen die neuen allgegenwärtigen Finsterlinge. Der Weltmarkt, der für große Hollywoodproduktionen immer wichtiger wird, fordert weitere Rücksichtnahmen, was die globale Verortung des "Reichs des Bösen" angeht. Wie man am letzten James Bond-Film ("Stirb an einem anderen Tag", 2002) sehen konnte, kommt gegenwärtig dafür nur noch Nordkorea in Frage.

Auch die Genderpolitik hat als Stereotyp Eingang gefunden in den Mainstreamfilm. Es gab eine Zeit, in der kaum eine romantische Komödie ohne den netten schwulen Freund oder Nachbarn auskam. Auch das wurde als Fortschritt an der gesellschaftlichen Toleranzfront begrüßt. Doch gleichzeitig zeigt sich daran das Dilemma aller politisch korrekten Regeln: Der obligatorische Schwule muss als solcher erkennbar sein, darf aber keinesfalls sexuell zu "explizit" werden. In dieser Reduktion aufs "Nette" steckt eine Diskriminierung, die in mancherlei Hinsicht problematischer als die völlige Ausblendung sein könnte.

So kommt es, dass das von "political correctness" und Marktrücksichten bestimmte Kino heute in der Masse nicht weniger verlogen erscheint als das vom "Hays Code" regulierte. Denn der andauernde Kampf des Kinos mit der inhärenten Attraktivität des schlechten Benehmens ist nicht durch bessere Manieren zu lösen. Im "Schlechten" werden nämlich Konflikte offenbar, die einen Film erst interessant machen. Denn die eigentliche Stärke des Kinos ist nicht das simple Schwarz gegen Weiß, sondern das Ausloten der Ambivalenzen, der gemischten Gefühle und Konfliktlagen, die erst das obligatorische Happy End auflösen darf.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.