Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 42 / 17.10.2005
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Georg Seeßlen

Der Wettbewerb um den größten Tabubruch

Anmerkungen zur filmischen Abbildbarkeit Hitlers und seiner Gefolgschaft

Das Bild des "Führers" setzt sich in unserer populären Kultur aus Briefmarken, Geschichtsbüchern, Flohmarkt-Antiquitäten, Karikaturen und Filmparodien zusammen. Wenn wir an Hitler denken, denken wir allzu schnell auch an Kitsch und Klamauk; der Führer sieht aus wie Donald Duck mit Schnurrbart ("Der Fuehrer's Face"), wie Charlie Chaplin ("Der große Diktator"), wie Adriano Celentano ("Addio, Zio Adi"). Er wird immer nur imitiert, in Lubitschs und in Brooks "To Be or Not to Be" oder in "Springtime for Hitler"; Jerry Lewis sprengt ihn beinahe in die Luft ("Which Way to the Front?"), Hitler glotzt lüstern auf die Orgien der "Girls of the Third Reich" in Loretta Sterlings Pornofilm. Wenn man alle diese Bilder zusammensetzen würde, so käme das eines komischen Monsters heraus, dem man alles zutrauen könnte, nur nicht das: Wirklich und in der Geschichte gewesen zu sein.

Es gibt "Abbildungsverbote" in einer Kultur und sie haben sehr unterschiedliche Funktionen und Geschichte. Da ist das Abbildungsverbot, das sich herrschende Institutionen zunutze machen. Der Fürst darf nicht nackt gezeigt werden. Das Abbildungsverbot sichert die Herrschaft, und es gehört zu den traditionellen Aufgaben der Kultur demokratischer Opposition, solche Tabugrenzen zu überschreiten. Dann gibt es Abbildungsverbote, die aus Traditionen und Sitten entstehen, aus religiösen und mythologischen ebenso wie aus pragmatisch-moralischen Gründen, und von gesellschaftlichen Gruppen verteidigt werden, oft gegen den Zeitgeist.

Janet Jacksons mediale Entblößungsattacke oder der Streit um ein Kopftuch im Schuldienst: All das führt zu Grundfragen gesellschaftlicher Organisation: Was darf ich zeigen? Was muss ich sehen? Schließlich aber gibt es auch Abbildungsge- und verbote, die sich eine Gesellschaft in gemeinsamen demokratischen und aufklärerischen Prozessen auferlegt. Wir wollen keine öffentliche Hinrichtung sehen, zum Beispiel, und wir wissen, dass wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln kein angemessenes Bild von den nationalsozialistischen Verbrechen machen können.

Alle drei Formen des Abbildungsverbotes haben zwar ähnliche Auswirkungen, aber höchst unterschiedliche Bedingungen. Es ist also unfair, sie zu behandeln, als wären sie gleich, und sich prinzipiell über jeden "Tabuverstoß" zu freuen. Aber alle drei Abbildungsverbote haben auch gemeinsam, dass sie Veränderungen unterliegen, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft beständig neu verhandelt werden müssen, dass es Bedingungen gibt, unter denen die Überschreitung notwendig und gerechtfertigt ist, und andere, unter denen sie nichts als Kalkül bedeutet.

Ein sehr offenes, vages und leider auch unbearbeitetes Feld der Abbildungsverbote hat seit dem Kriegsende die Repräsentanten und die Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft im Allgemeinen und die des "Führers" im Besonderen betroffen. Was einzig und allein klar war: Verboten um jeden Preis war eine Abbildung, die im Geist und in der Ästhetik den deutschen Faschismus selber fortsetzte oder auch nur in den Verdacht dazu kommen konnte. Verboten waren Rechtfertigungs- und Verharmlosungsbilder. Und erlaubt musste jede kritische, historische und "distanzierte" Darstellung sein.

So wenig man wirklich die Schrecken eines Konzentrationslagers in ein visuelles Fiktionsgeschehen übersetzen kann, so wenig gibt es ein "angemessenes" Bild des "Führers" und seiner Entourage. Denn Bilder behaupten nicht nur eine "Ganzheit", sondern auch eine Nähe, Gegenwart und Abgeschlossenheit zugleich. Mit einer radikalen These könnte man behaupten, dass es Dinge gibt, die man in der Sprache des Films nicht oder wenigstens nicht in direkter Weise darstellen kann, ohne sich einer Blasphemie oder einer Fälschung schuldig zu machen. Die entgegengesetzte These: Es muss immer wieder versucht werden, auch in diesem Medium, nicht-triviale Bilder von Anklage, Erkenntnis und Erinnerung zu finden.

Tabuverletzungen gehören sowohl zur Kunst als auch zu dem Bereich der populären Kultur, der man liebevoll und abschätzig die Bezeichnung "Trash" gegeben hat. Eine Ästhetik in Analogie zu Abfall, Müll und Schmutz auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber in Analogie zum Weggeworfenen, Verdrängten, Übersehenen. Kunst und Trash haben daher, nicht nur was den Film anbelangt, eine heftige Beziehung zueinander, und sie verhalten sich beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, als Opposition zum anderen Teil der Kultur, die wir uns als "Mainstream" zu bezeichnen angewöhnt haben.

Tabuverstöße gibt es also wohl in beiden Bereichen. Eine wirkliche Änderung dagegen gibt es erst, wenn ein Tabuverstoß im Mainstream zur Kenntnis genommen und angewandt wird. Bis in die 80er-Jahre hinein könnte man die Filmgeschichte beschreiben als einen vergleichsweise konstanten Konsens im Mainstream und heftige Eruptionen in der Kunst - man denke an die psychoanalytisch beeinflussten Faschismus-Filme der 70er-Jahre in den Filmen von Wertmüller, Taviani, Bertolucci oder Pasolini - und im Trash-Bereich (Nazi-Porn, Agententhriller etc.). Mochten solche Filme, wie etwa auch Christoph Schlingensiefs verzweifelte Groteske aus dem Führerbunker oder Herbert Achternbuschs "Heilt Hitler", auch noch Skandale verursachen, die visuelle Verabredung "in der Mitte" wurde dadurch nicht aufgehoben.

Es gibt nun aber offenbar eine Erwartung dahingehend, dass das Abbildungsverbot auch für den Mainstream zumindest gelockert wird. Als ein "undemagogischer Anti-Nazi-Film" wird etwa Dennis Gansels "Napola - Elite für den Führer (2004)" in der Rezension der Zeitschrift "Film" gelobt, und insbesondere bei Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" wurde der "Mut zum Tabubruch" gefeiert.

Wir leben in einer Geschichte der Abbildungen, des Abbildungsverbotes und der Tabubrüche und mit dem Beginn des neuen Jahrtausends scheint es so etwas wie eine heftige Umwandlung der Codes im kulturellen Mainstream zu geben. Dort gab es einerseits die Möglichkeit einer Persiflage, in verschiedenen Ableitungen der Klassiker von Chaplin und Lubitsch: Filme, in denen das Bild des Führers schon von vornherein als "Fälschung" auftritt.

Die zweite Darstellungsform ist die mehr oder minder psychologische Einfühlung: Hitler als Mensch. Schon "Hitler -The Last Ten Days" (Hitler - die letzten zehn Tage (1973) - Regie: Ennio de Concini) spielt im "Führerbunker" ein absurdes Endspiel durch. Hitler (Alec Guiness) schwadroniert nach wie vor von seinen Erfolgen. Er habe, so heißt es unter anderem, "die österreichische Frage sehr zufrieden stellend gelöst", nachdem er den Kettenraucher Schuschnigg zur Abstinenz brachte. Schließlich beschließt Hitler, dass das deutsche Volk seine Daseinsberechtigung verloren habe - der Film hält sich dabei so weit als möglich ans schriftlich Überlieferte und Guiness hat die Physiognomie und Gestik des "Führers" anhand von Fotos und Wochenschau-Material genau studiert. "Der Untergang", in dem Bruno Ganz die Rolle des Führers übernommen hat und ähnlich ernsthaft zwischen Einfühlung und Entlarvung gestaltete, folgt diesem Modell. Aber er setzt an die Stelle der Groteske, die ganz und gar etwa das Hitler-Bild von Alexander Sokurows "Der Moloch" bestimmt, die Intimität der "glaubwürdigen Details".

Ein dritter Versuch, dem Abbildungsverbot zu entkommen, sind jene Traum-Essays, in denen das Gespenstische selber Teil der Aussage ist. Hans Jürgen Syberbergs "Hitler - Ein Film aus Deutschland" ist dafür ein berühmtes, gewiss nicht unumstrittenes Beispiel, während Filme wie "Adolf und Marlene" (1976), eine fiktive Liebesgeschichte zwischen dem "Führer" und Marlene Dietrich, nicht mehr als eine kabarettistische Übung in Geschmacksverletzung bietet. Auf eine fast schon kränkende Weise ist Armin Mueller-Stahls Film "Gespräch mit dem Biest" (1996) von der deutschen Kritik und vom Publikum abgelehnt worden. Er zeigt einen 103 Jahre alten Ex-Diktator, der in einem Kellergewölbe mitten in Berlin haust. Niemand will glauben, dass dies der "echte" Adolf Hitler sein soll, und auch der amerikanische Historiker Dr. Arnold Webster ist alles andere als überzeugt. Wirklich geklärt wird die Frage nach der Identität in diesem mal grotesken, mal surrealen Spiel nicht.

Das deutsche Fernsehen hat im Dokumentarspiel eine eigene Form entwickelt, mit dem Widerspruch zwischen Fiktion und Geschichte zu spielen. Fast schon "verständnisvoll" zeichnete Axel Corti in "Ein junger Mann aus dem Innviertel" (1980) die frühen Jahre von Hitler. Er entwirft ein kleinbürgerlich borniertes Klima in Braunau und der Schulstadt Linz, das Psychogramm einer gefährdeten Person, des jungen Hitlers (Franz Trager), die Bindung an die Mutter (Eva Petrus) und den Konflikt mit dem auftrumpfenden Vater (Jaromir Borek). Schließlich die große Enttäuschung der Zurückweisung von der Kunstschule, die Begegnung mit den rassistischen Gedanken und Taten im Männerheim, mit denen der Film schließt.

Zu einem veritablen Skandal wurde auch der Film "Max" (Regie: Menno Meyles): Die bizarre Geschichte des jungen Kunststudenten Hitler in München und die des jüdischen Kunsthändlers Max Rothman (John Cusack), der versucht gleichsam seine Seele zu retten und ihn von seinem Wahn abzubringen. Es ist ein Film, der versucht, das Werden und das "Machen" eines menschlichen Monsters zu erklären.

Heinrich Breloers "Speer und Er" (2005) über eine "fatale Männerfreundschaft" zwischen dem Führer und seinem Architekten macht aus beiden (Tobias Moretti als Hitler und Sebastian Koch als Speer) menschliche Charaktere, die uns in der "Halbnah"-Einstellung des Genres auf merkwürdige Weise vertraut erscheinen. Hans-Christoph Blumenberg schildert in seiner Fernsehproduktion "Die letzte Schlacht" (2005) als "Dokudrama" die letzten Tage von Berlin. Das war einerseits Fernsehen im Gegensatz zur Kino-Attitüde von Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" und es war andererseits eine Darstellung der Bevölkerung, während Hitler selber als eher groteske Figur im Hintergrund bleibt. "Mein Hitler sollte von Anfang an ein zittriges Phantom bleiben, ein kraftloser Schatten, der durch den Führerbunker geistert, mehr nicht."

Die Form des Dokudramas konstruiert auch hier ein Subjekt einer "alltäglichen" Erfahrung, so dass im Gegensatz zu dem eigentlichen Projekt der Gattung gerade das analytische und perspektivische Denken auf der Strecke bleibt. Viel mehr funktionieren Gefühle und Empfindungen, das Ganze nähert sich bedenklich - und durchaus auch gegen ursprüngliche Intentionen - der Soap Opera an. Vervielfältigung statt Genauigkeit ist in der Regel das Prinzip und das prismatische Erzählen führt zu einem Prinzip der Ungenauigkeit.

"Das Goebbels-Experiment" von Lutz Hachmeister montiert die Texte des Goebbels-Tagebuchs zu dokumentarischen und wenigen aktuellen Aufnahmen. Man versucht gleichsam das Subjekt von innen zu entlarven, in der Vertrautheit die Banalität des Bösen zu erkennen. Aber ist das Tagebuch in der Tat der Text eines in all seiner schockierenden Elendigkeit "verlässlichen" Erzählers? Die Aufgabe der Distanz verlangt einen hohen Preis. Man muss sich mit den Tätern, auf welche Weise auch immer, identifizieren, sich mit ihnen gemein machen. Die "Frivolität" dieser Annäherung war der Kritik schon bewusst: Mit der einschmeichelnden Stimme von Udo Samel oder der von Kenneth Branagh in der englischen Fassung wiederholte sich, was schon zu "Der Untergang" etwas unheimlich erscheinen musste: Das Verschwimmen des Star-Images und des Bildes des faschistischen Täters. Das doppelte Konkretisieren ergibt paradoxerweise eine Abstraktion: Der Schauspieler stellt "den" Diktator mit Zügen und Manierismen des realen Führers dar, aber, wie Imre Kertesz bemerkt: "Das könnte genau so gut Napoleon sein."

Die Vermischung der historischen Dokumente und des Vermarktungsgeschehens der Medien führt zu einer neuen Ikonografie: Eine Art Star-Wettbewerb um die Darstellung des Nicht-Darstellbaren und um den größten Tabubruch bei der Herstellung von Nähe. Denn genau darum scheint es zu gehen: In der Flut der Hitler-Filme der letzten Jahre wurden alle jene Filme, die sich mit einem Gespenst des Bösen auseinander setzten - wie "Gespräch mit der Bestie" oder "Der Moloch" -, furchtbare Misserfolge. Und alle Filme, die einen "Menschen" versprachen (neben "Der Untergang" oder "Speer und Er" auch alle DVD- und Fernseh-Dokumentationen, die "Das Privatleben des Führers" zu zeigen versprachen), fanden großen Zuspruch beim Publikum. Diese Intimisierung ist nicht einfach der Sehnsucht nach Verharmlosung geschuldet, sie entspricht vielmehr der medialisierten Wahrnehmung: Selbst "Der Untergang" enthält in erster Linie einen Hitler der halbnahen Fernsehwahrnehmung, der unverzeihlicherweise durch Kino-Effekte und "epische" Seiten-Einstellungen remythisiert wird.

Das genaue Gegenbild zur falschen Vertraulichkeit etwa von "Das Goebbels-Experiment" gelang Romuald Karmakar mit dem "Himmler-Projekt" (2000), in dem der Schauspieler Manfred Zapatka jene geheime Rede Himmlers verliest, die er am 4. Oktober 1943 vor SS-Generälen hielt. Der Film verzichtet auf die ikonografische Maskerade, auf jede Vertraulichkeit durch Schauspiel und Kolorit und belegt damit, ganz anders als in "Das Goebbels-Experiment", dass es einen diskursiven, erklärten Kern der faschistischen Barbarei gibt. Das furchtbare System offenbart sich in furchtbarer Rede.

Die deutsche TV-Produktion "Goebbels und Geduldig" steht eher in der Tradition der Verwechslungsgeschichten und Verkleidungsgeschichten wie "Der große Diktator" oder "To Be or Not to Be" und der Märchenton dieser Geschichte am Rande des Abgrunds hat einen durchaus menschlichen Klang. Wie Roberto Benignis "Das Leben ist schön" oder "Zug des Lebens" beweist auch diese Produktion, dass ein komödiantischer Ton und die Darstellung des Faschismus sich nicht prinzipiell widersprechen.

Die Dokumente über die Täter-Familien und ihre Erinnerungs- und Verdrängungsarbeit leisten da einen ganz anderen Beitrag zu Erkenntnis: In einem Film wie "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß" wird erschreckend deutlich, wie wenig die Geschichte des deutschen Faschismus "vorbei" ist. Der Film von Malte Ludin zeigt, wie sich das Bild eines Täters in seiner Familie erhält und verändert. Und nirgends wird so deutlich wie in diesem Prozess der Selbstbefragung, dass es keine so einfachen Antworten wie die "großartige Leistung eines Schauspielers" auf die Frage nach den "richtigen" Bildern gibt. Die Frage nach dem "Erzählziel" ist nämlich keineswegs so leicht zu beantworten, wie es den Anschein hat. "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund oder "Edelweißpiraten" von Nico von Glasow, aber auch "Napola" sind unter anderem auch Coming-of-Age-Filme, Filme, die nicht nur nach der Jugend im Faschismus, sondern auch nach der im Jetzt fragen. Je personalisierter und intimer Filme über den Faschismus in Deutschland sind, desto mehr sind sie Teil einer Verknüpfung mit einem imaginären und einem tatsächlichen Familienroman. Aber erst in einem Film wie "Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß" wird dieser Zusammenhang schmerzlich bewusst und auch für die individuelle Bearbeitung zugänglich. Der Weg von einem abstrakten Wissen (ein Moloch, ein Biest, ein Gespenst, ein Dämon, das Böse schlechthin) über ein historisches Wissen (ein Wesen in der Geschichte der Klassen, der Nationen, der Interessen und der Ideen, ein Wesen in einer Lebensgeschichte, ein Wesen in einer Sozial- und in einer Krankheitsgeschichte) zu einem individuellen Wissen (Wesen in meiner Geschichte, Wesen, die furchtbarerweise Funktionen wie Onkel, Vater, Großvater haben) ist voller Verstörung und Verführung: Die "Lesbarkeit" des Filmbildes vermittelt eine trügerische Sicherheit im Umgang mit der Geschichte.

Die fernsehtaugliche Vermittlung von "Wirklichkeit" hat uns an neue Strategien der Repräsentation gewöhnt. Immer gibt es da die Fühler des Authentischen in die Fiktion: Das Tagebuch und die echte Traudl Junge, die Sekretärin Hitlers, die in "Der Untergang" auftritt, die Stimme von Jean Jülich, einem der letzten noch lebenden der "Edelweißpiraten", die aus dem Off in "Edelweißpiraten" zu hören ist, die Erzählung des Großvaters, die in den Plot von "Napola" einfließt. All das scheint uns schnell von der "Wahrheit" zu überzeugen, die wir mit dem Bild des Authentischen verwechseln. Wie "frivol" und wie genau, wie notwendig und wie fahrlässig dieser Umgang mit einer Authentifizierung des Fiktionalen ist, lässt sich jeweils nur am konkreten Beispiel diskutieren; als "Trend" freilich bleibt es etwas durchaus zweischneidiges. Wirkliche Zeugenschaft verschwindet immer mehr, aber statt sie, wie etwa in Filmen der Oral History, als kostbares Gut zu behandeln, werden sie in Filmen dieser Art eher als Rezeptur-Element verwendet, im schlimmsten Fall als Alibi. Denn diese Authentisierung ist eben immer nur als das Andere der Stilisierung und mehr noch als das Andere einer bewussten Verfälschung der Details zu haben. In vielen Filmen, die auf den Mainstream-Markt zielen, sind Elemente der "Entschuldung" angelegt, von denen man nicht zu sagen weiß, wie sehr sie den Produzenten bewusst sind oder wie sehr sie, umgekehrt, schon aus der kollektiven, inoffiziellen "Erzählung" des Faschismus in Deutschland stammen.

Das Spuren-Element des Authentischen, das Schwelgen in der Set-Design-Kunst und in den technischen und eben auch ästhetischen Codes der Hitlerzeit, die Intimisierung bis zur "Einfühlung" - all das erzeugt eine offenbar fast wohlige Atmosphäre gleichzeitiger Teilhabe und Distanzierung. Zu dieser trägt auch gewiss die Schauspieler-Konstellation bei. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die schauspielerische Leistung in "Der Untergang" oder in "Sophie Scholl" vor die Diskussion der künstlerischen Konzeption oder der Erkenntniswerte getreten.

Imre Kertesz hat das Geschehen nach den Generationen eingeteilt: "Die erste Generation hat den Holocaust verdrängt, die zweite Generation hat ihre Väter befragt, die dritte Generation identifiziert sich mit ihren Großvätern und die vierte wird sich entscheiden müssen, entweder zu vergessen oder wieder bei null anzufangen". Bei null anfangen heißt freilich nicht nur, sich von einem Konsens in der Mitte zu befreien, von einem Allerwelts-Hitler gleichermaßen, sondern auch in den eigenen neuen Formen zu denken und sich zu befreien.


Georg Seeßlen arbeitet als freier Autor unter anderem für "Die Zeit", "Frankfurter Rundschau", "taz", "epd-Film" und "Freitag". Außerdem hat er rund 20 Filmbücher geschrieben.


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