Das Parlament
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Das Parlament
Nr. 46 / 14.11.2005
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Sönke Giard-Weiss

Hoffnung für Kindersoldaten

Neue Welle der Gewalt in Uganda - der Krieg geht trotzdem zu Ende

Eine neue Welle der Gewalt schwappt derzeit über Uganda. Mit großer Besorgnis verfolgt die internationale Gemeinschaft Angriffe auf Ausländer, die im Norden des Landes und im benachbarten Sudan tätig sind. Die jüngsten Beispiele: Vor drei Wochen erschossen Rebellen der so genannten Widerstandsarmee des Herrn (LRA) zwei Minenräumer eines Schweizer Hilfswerkes. Am 7. November starb der Amerikaner Collin Lee (67), der für ein US-Hilfswerk vor Ort war.

Rebellen stoppten seinen Jeep, entführten Lee und seine Frau. Zwar konnten sie zuvor noch über Funk Hilfe rufen. Während der Verfolgungsjagd schossen die Täter jedoch ihre Opfer nieder. Lee erlag seinen Wunden, seine Frau wurde schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht", sagte der Sprecher der ugandischen Armee, Paddy Ankunda, auf Anfrage von "Das Parlament". Rechne er mit weiteren Anschlägen? Dies sei, hinsichtlich der momentanen Lage, nicht auszuschließen, sagte Ankunda.

Wie ist nun die momentane Lage im Norden Ugandas nach fast 20 Jahren Bürgerkrieg? Nach Einschätzung von internationalen Beobachtern geht der Krieg dem Ende zu. Gegen die Generäle der LRA sowie dessen Anführer Joseph Kony, schätzungsweise Anfang 40, hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) jüngst Haftbefehle erlassen.

Bei der Festnahme der LRA-Spitze setze das ICC, so lautet es aus den Niederlanden, auf die Zusammenarbeit der Regierungen von Uganda, Kongo und dem Sudan. Ohne eine solche Zusammenarbeit könne sich eine Festnahme als fast unmöglich herausstellen, heißt es aus Regierungskreisen in Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Und UN-Vermittler Lars Erik Skaansar, der vom nördlichen Gulu aus die Lage betrachtet, meint: "Wenn diese Männer festgenommen worden sind, zerfällt auch die Struktur ihrer Armee. Anfang 2006 sind Wahlen in Uganda. Präsident Yoweri Museveni will, dass bis dahin der Spuk vorbei ist."

Michael Oruni leitet das World Vision-Rehabilitationszentrum für ehemalige Kindersoldaten in Gulu. Er sieht zwar endlich Hoffnung für hunderte von Kindersoldaten, die zum Teil bereits vor Jahren von der LRA in den Busch verschleppt wurden, ist aber über die derzeitige Situation beunruhigt. Mit Recht, wie die jüngsten Vorfälle gegenüber Orunis Kollegen zeigen. "Auch wir hoffen, dass der Krieg bald vorbei ist, aber im Moment lassen die ICC-Haftbefehle uns und viele andere Hilfswerke im Unklaren, wie die Rebellen zukünftig darauf reagieren. Wird es noch mehr tote Kollegen geben? Ist unser Leben noch mehr gefährdet als vorher?", fragt er sich.

Die Schweizer Minenräumer haben ihre Arbeit bereits eingestellt. Die UN warnte die internationalen Hilfswerke, sich nicht aus Gulu herauszubewegen. An Blauhelme denkt in New York keiner. Der Konflikt in Nord-Uganda ist nach Angaben der UN-Polizei eine innenpolitische Auseinandersetzung. Darüber hinaus wünscht die Regierung in Kampala keine Einmischung von außen.

Trotz der möglichen Lebensgefahr stellen Michael Oruni und sein Team ihre Arbeit nicht ein. Die neue Herausforderung lautet: die ehemaligen Kindersoldaten nachhaltig in die Gesellschaft zu integrieren. Mit finanzieller Unterstützung des Amtes der Humanitären Hilfe der Europäischen Union, kurz ECHO, hat World Vision beispielsweise ein neues Kinderschutzprogramm aufgebaut, dass mit 600.000 Euro innerhalb von neun Monaten über 23.000 Kindern und Heranswachsenden zugute kommen soll. Dazu gehören unter anderem Bildungsmaßnahmen für Betreuer, Häuser für ehemalige Kindersoldatinnen und ihre Kinder. Außerdem gibt es Ausbildungsprogramme in Hauswirtschaft und handwerklichen Berufen wie Zimmermann und Maurer. Die Nachfrage ist groß.

Laut Unicef hat der Bürgerkrieg im Norden Ugandas zur Entführung von über 25.000 Kindern geführt. Mehr als 1,8 Millionen Menschen sind von ihrem Land vertrieben worden, befinden sich auf der Flucht. Das sind 90 Prozent der Bevölkerung, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. "Der Krieg hat die Gesellschaft zerrüttet. Kindersoldaten werden nicht als Opfer, sondern als Täter angesehen. Bei den Grausamkeiten, zu denen sie gezwungen wurden, ist dies kaum verwunderlich", erklärt David Achana, Vorsitzender der Acholi-Volksgruppe, der Ethnie, der die Kindersoldaten zum größten Teil angehören.

"Auch wenn der Krieg bald vorbei sein sollte, geht der Kampf um Gleichberechtigung und Integration weiter. Wir leben seit 20 Jahren mit Terror und Gewalt. Man kann nur ahnen, was das aus den Menschen hier hat werden lassen."

Christine ist das typische Beispiel einer ehemaligen Kindersoldatin. Sie ist heute 20 Jahre alt und hat zwei Jahre in der LRA überlebt. Oft wurde sie in Kämpfe geschickt und zum Töten gezwungen. "Mein Leben war die Hölle. Wir mussten Dörfer überfallen, die Hütten in Brand stecken und alle umbringen, die über 30 waren. Es war so grausam. Wenn ich mich aber geweigert hätte, hätte man mich auf der Stelle erschossen", erinnert sie sich.

Während eines Überfalls sah Christine, dass sie ganz in der Nähe ihres Dorfes war. Sie nutzte die Gelegenheit zur Flucht, die ihr glückte. Mit Therapeuten sprach sie ausführlich über ihre Erlebnisse, erhielt Zuspruch, Aufmunterung und Orientierung. Kommendes Jahr wird Christine ihr Abitur machen. Anschließend möchte sie Ärztin werden. Viele andere Kinder warten noch immer auf so ein Happy End.

Vor allem die Pendlerkinder. Wenn sich die Sonne senkt, tauchen sie auf aus dem hohen Gras der Felder und bevölkern die Straßen, die in die Stadt führen. Zunächst sind es nur kleine Gruppen von Jungen und Mädchen, doch schnell werden es mehr. Als ob unsichtbare Schleusen geöffnet würden, überfluten sie die Städte im Norden Ugandas. Nacht für Nacht kommen noch immer hunderte Kinder aus den umliegenden Dörfern, um den Häschern der LRA zu entgehen. Denn meist greift die LRA in der Dämmerung an.

"Während meiner Arbeit bei Unicef habe ich viele schreckliche Dinge gesehen", sagte Unicef-Direktorin Carol Bellamy. Doch selten habe sie etwas so schockiert wie der Anblick dieser Kinder, die aus Sorge vor den nächtlichen Überfällen Abend für Abend von ihren Eltern fortgeschickt werden. Bellamy: "Mehr als jeder andere ist dieser Krieg ein Krieg gegen die Kinder."

Für diese Pendlerkinder, die aus Angst vor Verschleppung in der Nacht Schutz suchen, wurden in Gulu Lern- und Schlafzelte aufgebaut. "Kindersoldaten bringt man bei, dass ein Menschenleben nichts wert ist. Die Pendlerkinder, die jeden Abend von zu Hause weggeschickt werden, verzweifeln daran, dass ihre Eltern sie nicht schützen können", sagt Hubertus Adam, Kinderpsychiater an der Uni-Klinik Hamburg und fügt hinzu: "Die Internationale Gemeinschaft ist dazu verpflichtet, diesen Kindern das Vertrauen in die Menschlichkeit zurückzugeben, um den Teufelskreis von Trauma und Gewalt zu durchbrechen."

"Alleine schaffen wir es nicht, den Kindern eine friedliche Zukunft zu ermöglichen", sagt Acholi-Chef Achana. Er appelliert an die Hilfswerke, ihre Arbeit fortzusetzen und sich nicht von den Rebellen einschüchtern zu lassen. Von der Weltöffentlichkeit fordert er, endlich nicht mehr die Augen vor dem Krieg in Uganda zu schließen. Achana: "Unsere Kinder verdienen mehr Respekt."

Seit 1986 hält der Krieg im Norden Ugandas an. Rebellenführer Kony sah sich zunächst als eine Art Robin Hood für die vom Süden benachteiligten Acholi im Norden. Doch schnell verloren die ihren Glauben an Kony, besonders als dieser behauptete, er sei die Wiedergeburt der Jungfrau Maria und er wolle ein Regime der zehn Gebote errichten. Als er keine Erwachsenen mehr für seinen Kampf mobilisieren konnte, zwang er tausende von Kindern mit äußerster Brutalität zum Kriegsdienst und zu entsetzlichen Gräueltaten. Die entführten Kinder sind zwischen drei und 16 Jahren alt. Die psychologischen Folgen dieser Gewalt prägen mittlerweile zwei Generationen. Weltweit gibt es nach UN-Auskunft rund 300.000 Kinder, die als bewaffnete Soldaten im Einsatz sind.


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.