Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 47 / 21.11.2005
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Dokumentation

Auszüge aus der Abschiedsrede von Bundeskanzler Gerhard Schröder

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"(...) Das haben die Wähler und Wählerinnen am 18. September ganz unmissverständlich gesagt: Wir wollen, dass die SPD regieren soll. Diese Partei ist die Partei der praktischen Vernunft. Und weil das so ist, sorgt sie dafür, dass die notwendigen Veränderungen in unserer Gesellschaft gemacht werden, ohne dass der soziale Zusammenhalt dieser Gesellschaft verloren geht. (...) Gesellschaftlicher Fortschritt, so viel ist gewiss, ist ohne soziale Gerechtigkeit nicht denkbar, sondern zum Scheitern verurteilt. (...) Und genau in diesem Sinne hat die soziale Gerechtigkeit in Deutschland nur wirklich eine Heimat: Bei uns, den deutschen Sozialdemokraten.

(...) Wenn etwas gut ist für die politische Kultur in Deutschland, dann ist es das, dass sich in diesem Land niemand vorschreiben lässt, wen er zu wählen hat. Gelegentlich geht das gegen uns aus, wir haben das schmerzhaft gespürt. Ganz offensichtlich ist vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen geworden, dass die Deutschen eine Zusammenarbeit weit über die bisherigen Lagergrenzen erwarten, ja gewählt haben, im wahrsten Sinne des Wortes. (...) Nur die Große Koalition vermag vor dem Hintergrund dieses Wahlergebnisses eine stabile, eine handlungsfähige und eine durchsetzungsstarke Regierung zu bilden. (...)

(...) Die Große Koalition, liebe Freundinnen und Freunde, kann Mechanismen und Fehlentwicklungen in unseren Institutionen korrigieren, sie kann sie außer Kraft setzen, das außer Kraft setzen, was Entscheidungen verzögert und gelegentlich verwässert hat, Entscheidungen, die unser Land gelegentlich blockiert und als Folge dessen auch gelähmt haben.

(...) Die politische Logik war, der Vergleich mit dem Fußball sei mir gestattet, auf permanentes Unentschieden gestellt. Das ist auch nicht so schlecht, weil man auch nie ganz verliert, aber man gewinnt doch zu wenig für unser Land. Die Große Koalition, wenn sie nur will, kann diese parteitaktischen Blockaden, diese Verhinderungsmätzchen, das Schwarze-Peter-Spiel, oder auch wie man es genannt hat, die Mikado-Mentalität in der deutschen Politik, überwinden. (...) Das wäre dann das eigentliche Signal, das davon ausgeht, das wäre ein wirklicher Ruck, einer, der die Bezeichnung tatsächlich verdient.

(...) Ich kann aus eigener Erfahrung nur davor warnen: Jetzt mit Synopsen und saldierten Abschlüssen daherzukommen, ganz nach dem Motto: Wer musste mehr, vor allem, wer musste größere Kröten schlucken. Ich nenne eine solche Haltung unpolitisch, ja gefährlich. Die Menschen erwarten von der Großen Koalition Handlungsfähigkeit und Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme, und das setzt eben Kompromissfähigkeit voraus. Ich bin sicher, wer in einer solchen Koalition nicht bereit ist, sich zu bewegen, wer nicht in der Lage ist, über die eigenen Beschlüsse und Programme hi-naus zu denken, den werden die Wähler bei der nächsten Gelegenheit nicht belohnen, und das ist sehr zurückhaltend formuliert. (...) Denn diese Koalition - und das ist nicht zuletzt das Verdienst von Franz Müntefering - trägt ganz unverkennbar, allemal auch, vielleicht sogar in erster Linie, sozialdemokratische Handschrift. Das ist kein Grund zur Euphorie, aber es ist ein Ausweis von Vernunft.

(...) In einer solchen Situation kann die Große Koalition Kräfte freisetzen, die bislang dadurch gebunden waren, dass - geben wir es zu - beide Seiten gelegentlich zu sehr auf den eigenen Vorteil bedacht waren. Die Reform des Föderalismus, nach vielen vergeblichen Anläufen und Legionen von folgenlosen Reden zum Thema, ist ein Beispiel dafür, was Volksparteien, wenn sie es wollen, gemeinsam schaffen können.

(...) Für die große Mehrheit in unserem Volk ist ein handlungsfähiger und ein starker Staat unentbehrlich, um Gesellschaft zu gestalten, um Sicherheit nach innen wie nach außen zu garantieren. Ein Staat eben, der schlank sein darf ,aber doch nicht krank, der Verantwortung übernimmt für kollektive Lebensrisiken wie Alter, Arbeitslosigkeit oder Krankheit (...), der dafür sorgt, dass die Stärke des Rechts sich gegen das Recht des Stärkeren allemal durchsetzen kann. (...)"


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2005.