Das Parlament
Mit der Beilage aus Politik und Zeitgeschehen

Das Parlament
Nr. 38 / 18.09.2006
Tobias Asmuth

Der Zauber der Zahlen

Die neue Ölpipeline verändert Aserbaidschan - nicht immer zum Besten
Das Geschäft mit dem Öl spült Milliarden von Dollar nach Aserbaidschan. Die Hauptstadt Baku erlebt einen Aufschwung, doch das Geld zementiert auch die Macht des autoritären Präsidenten Ilham Alijew und gefährdet den Waffenstillstand mit Armenien im Streit um Nagorny Karabach.

Aserbaidschan, im Sommer. Auf der großen Uferpromenade von Baku spazieren Verliebte Hand in Hand. Familien genießen ein paar unbeschwerte Stunden. Die Mütter kaufen ihren Kindern ein Eis, setzen die Kleinen in Karussells, die sich träge in der Hitze drehen, während die Väter in den Pavillons Tee trinken und auf das nächste Schiff zu den Ölfeldern im Kaspischen Meer warten. Die Offshore-Anlagen an der Küste sind der Höhepunkt eines jeden Ausflugs und der ganze Stolz des Landes. Neben der ersten Ölplattform der Welt, die 1947 in der Nähe von Baku gebaut wurde, haben westliche Konzerne in den vergangenen Jahren zahlreiche moderne Anlagen eröffnet. Die Bohrinseln pumpen die Zukunft Aserbaidschans aus der Erde. Unter dem Grund des Kaspischen Meeres werden rund 100 Milliarden Barrel Öl vermutet. Nimmt man auch nur einen Preis von 45 Dollar für ein Barrel Öl an (aktuell pendelt er sogar um die 70 Dollar), würde Aserbaidschan bis 2030 rund 160 Milliarden Dollar verdienen. Eine gigantische Summe für ein Land, in dem noch immer 40 Prozent der knapp acht Millionen Einwohner von weniger als 40 Dollar im Monat leben. Rund 100 Milliarden Barrel und 160 Milliarden Dollar. Zahlen sind das wichtigste politische Werkzeug des Präsidenten Ilham Alijew - mit ihnen werden Freunde betört und Feinde bedroht. Schon jetzt verändert das Öl das Gesicht Bakus. Auf den Straßen mischen sich unter die alten Ladas und Wolgas immer mehr Mercedes und BMWs, in der Altstadt werden die protzigen Paläste aus der Zeit des ersten Ölbooms um 1900 aufwendig renoviert. An der zentralen Neftchilar Avenue reihen sich die Läden von Armani, Boss, Zegna aneinander und residieren Banken und Finanzunternehmen wie die Global Union Energy Ventures Ltd., die mit dem Satz wirbt: "Sailing from West to East to bridge opppurtunities and capital." Am Rand der Stadt wachsen zwischen niedrigen Hütten überall die Betonskelette neuer Wohntürme aus dem Boden, Baku verschlingt sein Umland. Immer mehr Menschen lockt der Ölboom, schon vier Millionen, die Hälfte der Bevölkerung Aserbaidschans, wohnen in der Stadt. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ist rund 1.760 Kilometer lang und wurde im Mai 2005 nach zwölf Jahren Bauzeit eröffnet: die Pipeline von Baku über Georgien zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Am 4. Juni dieses Jahres rauschten die ersten 100.000 Barrel auf den Tanker British Hawthorn, Treibstoff für die Wirtschaft Europas und der USA. Fast 4 Milliarden Dollar hat ein von BP geführtes Konsortium investiert, um jährlich 50 Millionen Tonnen Öl zu verschiffen. Das Öl aus Baku soll den Westen unabhängiger von den Ölförderländern der OPEC machen, der Aserbaidschan genauso wie das ölreiche Kasachstan nicht angehören. Am anderen Ende der Pipeline sichert das Geld aus dem Westen Präsident Alijew die Macht. Die Geschichte des modernen Aserbaidschans ist die der Geiselnahme des Landes durch die Familie Alijew. Der ehemalige KGB-Offizier Hejdar Alijew wurde bereits 1969 Erster Sekretär der Kommunistischen Partei Aserbaidschans und stieg 1982 sogar als erster Aserbaidschaner zum Mitglied des Politbüros der KPdSU in Moskau auf, aus dem er allerdings 1987 zurücktreten musste, als Michail Gorbatschow gegen die Korruption in der Sowjetrepublik Aserbaidschan vorging. Als nach der Unabhängigkeit des Landes 1991 in Baku ein Machtkampf tobte, entglitt dem aus der Exklave Nachitschewan (ein von Aserbaidschan isoliertes und von Armenien und dem Iran umgebenes Gebiet) stammenden Alijew-Clan für kurze Zeit die Macht. Doch das von der Massenarbeitslosigkeit und der Niederlage gegen Armenien im Krieg um Nagorny Karabach enttäuschte Volk bescherte Hejdar Alijew bei den Wahlen 1993 ein grandioses Comeback. Zügig besetzte er die wichtigsten Posten in Militär und Verwaltung mit Vertrauten und baute eine starke Polizeitruppe auf. Im Mai 1994 schloss der neue alte starke Mann des Landes einen Waffenstillstand mit dem siegreichen Armenien, im September des gleichen Jahres einen Vertrag mit einem britischen Konsortium über die Ausbeutung der Ölfelder und den Bau der Pipeline. Der loyale Sicherheitsapparat und das Geld aus dem Öl sind bis heute die Stützen des Regimes Alijew. Als Hejdar Alijew 2003 starb, übernahm sein Sohn Ilham Alijew das Amt des Präsidenten. Seitdem bastelt die Regierung am Gründungsmythos einer Familiendynastie. Überall im Land stehen neben Werbung für Kameras und Fernsehern große Plakatwände, auf denen Vater und Sohn Alijew im ernsten Gespräch über die Zukunft Aserbaidschans zu sehen sind. Die Botschaft: Der Gründer des neuen Aserbaidschans hat die Verantwortung an den treuen Sohn übergeben. Der Personenkult um die Alijews ist gute alte Sowjet-Propaganda - nur ohne roten Stern. Auch sonst greift die Staatsmacht gerne auf die alte Schule zurück: Oppositionelle werden abgehört, eingeschüchtert und verhaftet. Amnesty International beklagt die Gängelung der Justiz, in politischen Prozessen werden Gegner aufgrund von durchsichtigen Vorwürfen wie Landesverrat oder Spionage zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Wahlen zur Nationalversammlung, der Milli Madschlis, im November 2005 haben gezeigt, wie sicher sich Ilham Alijew der Macht sein kann. Von den 125 Sitzen gewann die Opposition nur elf, den Rest teilten sich seine Partei Yeni Aserbaidschan (Neues Aserbaidschan) und so genannte unabhängige, in Wahrheit dem Regime verbundene Abgeordnete. Die Proteste der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gegen gravierende Unregelmäßigkeiten hatten keine Folgen, das Volk blieb daheim, die Straßen waren für die offiziellen Jubelfeiern der Partei Yeni Aserbaidschan reserviert. "Die Demokratie ist kein Apfel, den man kaufen kann", dozierte Präsident Alijew. Eine Demokratie müsse wachsen, sie sei eine Generationenfrage, eine Erziehungssache. Es gibt kein Zweifel, dass sich Ilham Allijew zu dieser Aufgabe berufen fühlt. Er kann sich darauf verlassen, dass die Freunde aus dem Westen nicht zu viele unangenehme Fragen nach den Erziehungsmethoden stellen werden. Rund 100 Milliarden Barrel sind eine zu verlockende Zahl. Und das ist noch nicht alles. Ab September soll auch Gas aus dem Kaspischen Meer geliefert werden. Die Europäische Union plant schon den Bau einer Anschluss-Pipeline unter dem Namen Nabucco, die durch Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Wien führen könnte, um so die Abhängigkeit vom russischen Gas zu verringern. Ilham Alijew darf mit neuen Verträgen und noch mehr Dollars rechnen. Ist Aserbaidschan also bald ein wohlhabendes Land? Eine Art Norwegen im Kaukasus? Die Aussichten stehen schlecht, denn es gibt eine einfache Regel, die Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg so beschreibt: "Werden in einem Land wertvolle Rohstoffe entdeckt, und das Land ist zu diesem Zeitpunkt schon eine Demokratie, dann sind die Chancen gut, dass das Land enorm profitiert." Beispiele sind Botswana (Diamanten) und Trinidad und Tobago (Öl). Andererseits wird durch den neuen Reichtum in einer Diktatur die Macht des Alleinherrschers größer. "Das Regime kontrolliert die Einnahmen, bedient die eigene Klientel und ist ansonsten an einer Umverteilung nicht interessiert." Öl kann also die Entwicklung eines Landes bremsen. Beispiel Nigeria. Ein Indikator für die Transparenz, mit der die Öleinnahmen verwaltet werden und dem Land zugutekommen, ist die Korruption. Aserbaidschan liegt nach Angaben der Organisation Transparency International von 2004 auf Platz 140 von 145. Nur noch Haiti, Bangladesch, der Tschad, Myanmar und Nigeria gelten als noch korrupter. Das Geld aus dem Öl fließt in viele Taschen, aber kaum in neue Fabriken, Schulen oder Universitäten. Ein weiteres Problem ist, dass schon heute Rohöl über 80 Prozent der Exporte Aserbaidschan ausmacht, der Manat, die aserbaidschanische Währung ist so stark gestiegen, dass Industrie und Landwirtschaft nicht mehr profitabel für den Weltmarkt produzieren können. Auf dem Land ist von einem Aufschwung nichts zu spüren. Bahnstrecken und Straßen sind in einem schlimmen Zustand, an den Rastplätzen verkaufen Menschen ein wenig Obst oder frisch geschlachtete Hühner. Es ist ihre einzige Einnahmequelle. In der Provinz liegt die Arbeitslosigkeit bei weit über 50 Prozent. Eine Wirklichkeit, die nicht zum neuen Selbstbewusstsein der Mächtigen passt. Denn das neue Aserbaidschan demonstriert Stärke, der Ölboom könnte den Konflikt um Nagorny Karabach neu aufflammen lassen. Jahrelang versuchte die sogenannte Minsk-Gruppe der OSZE unter dem Vorsitz Frankreichs und Russlands und mit Beteiligung der USA, Lösungen für den Konflikt zu finden. Vergeblich. Auch der Prag-Prozess, der zu Treffen der Außenminister Armeniens und Aserbaidschans führte, brachte am Ende keine Annäherung. Armenien will die Unabhängigkeit der Bergprovinz, Aserbaidschan besteht auf der territorialen Unversehrtheit des Landes. "Seit zwei Jahren wächst in Aserbaidschan die Ungeduld, und eine militärische Lösung wird immer mal wieder ins Gespräch gebracht", sagt Uwe Halbach, Kaukasus-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der aserbaidschanische Außenminister Elmar Mammadjarow formuliert es so: "Bei unserer derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung ist es für Nagorny Karabach besser, wenn wir Freunde sind." Rund 160 Milliarden Dollar Öleinnahmen können auch eine Drohung sein. "In den vergangenen Jahren hat Aserbaidschan seine Armee modernisiert", erklärt Halbach. "Der Westen sollte sich nicht zu sicher sein, dass der Konflikt eingefroren bleibt. Die Verhandlungen brauchen endlich Perspektiven." Baku hat in den vergangenen 13 Jahren keine Anstrengungen unternommen, dass Schicksal der knapp 700.000 Flüchtlinge aus Nagorny Karabach und aus den sieben von Armeniern als Pufferzone besetzten aserbaidschanischen Bezirken zu erleichtern. Noch immer hausen die Menschen in Zeltstädten oder abgestellten Güterwaggons. Es soll kein Zweifel aufkommen, dass sie einmal in die Berge zurückkehren werden. Mit Sorge beobachten die Mächtigen in Baku die Verhandlungen um den Status des Kosovos. Sollte die Albanerprovinz tatsächlich unabhängig werden, wäre das - so fürchten sie - ein Vorbild auch für Nagorny Karabach. Aserbaidschan könnte dann in der Eskalation des Konflikts den Ausweg suchen. Das Risiko liegt auch in der besonderen Form des Waffenstillstands, der nicht durch eine internationale Truppe überwacht wird. Immer wieder kommt es zu Schießereien und Toten auf beiden Seiten, von denen der Westen kaum Notiz nimmt. Auf Hauswänden und Plakaten wird überall in Aserbaidschan der gefallenen Helden gedacht. Neben den Bildern der Toten steht immer derselbe Satz: "Ein Land ist nur dann ein Land, wenn die Menschen bereit sind, für es zu sterben."


Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
© Deutscher Bundestag und Bundeszentrale für politische Bildung, 2006.