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Blickpunkt: Haben Sie das Ergebnis so erwartet, so erhofft oder so befürchtet, als Sie mit der Arbeit an der Reform begannen?
Schneider: Unterschiedlich. Es gab eine euphorische Frühphase. Wir konnten bei den zustimmungspflichtigen Gesetzen sehr schnell einen Konsens finden. Die Stimmung wurde dann etwas eingetrübt durch den Stillstand bei der Europafähigkeit des Grundgesetzes. Es folgte die große Ernüchterung, als es um die Frage der Gemeinschaftsaufgaben ging: Kann der Bund in Kulturfragen mitreden? Von da an schwebte die Zuständigkeit für die Bildung wie ein Damoklesschwert über unserer Arbeit. Insofern hat mich das Scheitern im Dezember 2004 nicht überrascht.
Blickpunkt: Erlebten Sie auch Unerwartetes bei den Beratungen?
Schneider: Sehr interessant wurde es, als wir kleinere Arbeitsgruppen zu Einzelthemen bildeten. Denn darin war auch die Ministerialbürokratie vertreten. Und zwar sowohl vom Bund als auch von den Ländern. Und beide, beinahe unisono und fast in gleichen Sätzen, lehnten die meisten Änderungsvorschläge ab. Die einen wollten lieber nichts abgeben, die anderen möglichst nichts annehmen. Ich vermute, auf Bundesebene fürchtete man den Verlust von Kompetenzen, das Schwinden einheitlicher Regeln. Auf Länderebene fragte man sich: Und wer soll das dann bezahlen? Da wurde zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Aufgabenverteilung und Finanzbeziehungen sichtbar.
Blickpunkt: Und der Neustart nach dem Scheitern?
Schneider: Wir waren deprimiert und haben gedacht: Das kann doch nicht alles gewesen sein. Der Bundespräsident hat bei der Wiederbelebung eine sehr positive Rolle gespielt. Und bald hatten wir das Gefühl: Da geht noch was. Wir wussten: Wenn die vorgezogene Bundestagswahl zu einer großen Koalition führt, dann steht die Föderalismusreform wieder ganz vorn auf dem Programm.
Blickpunkt: Geht Ihr Daumen nun über das Ergebnis runter oder rauf?
Schneider: Er geht rauf. Das Glas ist halb voll und nicht halb leer, vielleicht auch ein bisschen mehr als halb voll. Es ist mehr als ein erster wichtiger Schritt. Es ist ein gewaltiger Meilenschritt in die richtige Richtung. Wir haben die Zahl zustimmungspflichtiger Gesetze verringert und dadurch der Regierungspolitik mehr Raum verschafft. Wir haben eine ganze Reihe neuer Gesetzgebungskompetenzen an die Länder abgegeben, die viel Dynamik in sich tragen und sicher auch noch bedeutsam für den Alltag der Menschen werden. Wir werden mehr originäre Landespolitik bekommen. Das bewirkt insgesamt eine Belebung unseres föderativen Systems, eine Auffrischung.
Erschienen am 22. September 2006
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Peter Schneider, Jahrgang 1937, ist Geschäftsführender Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung e. V. in Hannover. Als Sachverständiger war er von Oktober 2003 bis Dezember 2004 Mitglied der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung.