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Der Plenarsaal ist ein faszinierendes, weltweit beachtetes Beispiel dafür, wie Architektur die Vorstellung von parlamentarischer Demokratie zum Ausdruck bringen, in der Wahrnehmung sogar prägen kann. Grundmuster: Offenheit, Transparenz, Wirken in aller Öffentlichkeit – und das nicht nur durch die weithin die Blicke anziehende Kuppel.
Architektur macht Ansprüche sichtbar. Das Reichstagsgebäude nach dem Umbau durch den Architekten Norman Foster hat insofern eine dreifache Botschaft. Eine zentrale, eine transparente und eine souveräne. Alle drei sind sorgfältig durchdacht und aufeinander abgestimmt.
Die zentrale Botschaft: Der Plenarsaal ist nicht nur geometrisch der Mittelpunkt des Gebäudes, der gesamte Bau macht vielmehr optisch deutlich, dass sich alles um das Plenum als Ort von Debatte und verbindlicher Entscheidung herumgruppiert. Ob Fraktionen oder Präsidium, Ausschüsse oder Verwaltung – alle anderen Räume und Büros sind in ihrer architektonisch beschriebenen Funktion gewissermaßen Zuarbeiter für das Plenum.
Foster erreicht das durch eine Ausdehnung des Plenarsaales durch alle Stockwerke hindurch. Aus welchem Saal oder Raum man auch herauskommt, stets wird der Blick auf den Plenarsaal gelenkt. Und zwar nicht auf irgendeine Wand, hinter der das Plenum vermutet werden könnte. Große Glasflächen ermöglichen auf allen Etagen den Einblick, die unmittelbare Identifikation.
Die transparente Botschaft: Damit einher geht der direkte und permanente Sichtkontakt mit der Öffentlichkeit. Denn trotz des dicken wilhelminischen Gemäuers öffnet sich das Gebäude nach allen vier Himmelsrichtungen. Der Blick vom Rednerpult reicht direkt durch große Glasflächen am westlichen Hauptportal in den Tiergarten hinein. Die mächtigen Stützen außen stehen für Stabilität, doch dazwischen herrscht Offenheit.
Von der Inschrift „Dem deutschen Volke“ über dem Hauptportal kann der Bürger seinen Blick direkt auf den Bundestagsadler an der Stirnseite des Plenarsaales wandern lassen. Die Distanz zwischen drinnen und draußen ist optisch verkürzt. Der Bundestag als Forum der Nation ist auf diese Weise durch ungebrochene Sichtachsen direkt mit der Nation verbunden.
Die souveräne Botschaft: Die Kuppel von 1894 auf dem ursprünglichen Reichstagsgebäude von Paul Wallot erinnerte mit ihrer Spitze entfernt an eine Pickelhaube. Nachdem sich der Bundestag grundsätzlich gegen das von Foster geplante gigantische Dachprojekt entschieden hatte, entwickelte dieser eine völlig neue Kuppelkonstruktion, die inzwischen Millionen Besucher fasziniert hat. Sie bildet sowohl den Abschluss des Plenarsaales, lässt ihn von Licht geradezu durchfluten, eröffnet durch spiralförmige Rampen gleichzeitig jedermann den Aufstieg bis zur Spitze. Das bedeutet: So oft die Abgeordneten nach oben blicken, sehen sie den Souverän, das Volk.
Die Kombination aus historischer Bausubstanz und großzügiger, transparenter Ausgestaltung drückt Gespür für die Erfordernisse eines öffentlichkeitswirksamen Arbeitsparlaments bei gleichzeitigem Respekt für die geschichtliche Entwicklung aus. Dazu musste das Reichstagsgebäude weitgehend „entkernt“ werden. Mit den 45.000 Tonnen Schutt verschwanden die Umbauten aus den 60er Jahren, zugleich kamen aber wesentliche Elemente des ursprünglichen Wallot-Baus wieder zum Vorschein.
Spuren vergangener Ereignisse wie ein Teil des alten Rohrleitungsganges, der zum Reichstagspräsidentenpalais führte, oder die Graffiti der sowjetischen Soldaten wurden konserviert und stehen ebenfalls in architekturhistorischer Beziehung zum Plenarsaal. Weil der Saal bis in die Kuppel hineinreicht und somit 40 Meter hoch ragt, hat er optisch mehr Größe als die Zwischenlösung aus den 60er Jahren, die gut zehn Prozent mehr Quadratmeter aufwies. Mit jetzt rund 1.200 Quadratmetern ist der Plenarsaal knapp doppelt so groß wie der Ursprungssaal aus dem vorletzten Jahrhundert.
Das Miteinander aus Bundestagspräsidium, Bundesregierung und Bundesrat an der Stirnwand und den Abgeordneten im erweiterten Halbrund gegenüber wird durch keinerlei Unterbrechungen gestört. Den statischen Erfordernissen tragen an die Ränder des Plenarsaals zurückgesetzte schmale Sichtbetonsäulen Rechnung. Die konsequente Leitidee von der Öffentlichkeit der Plenarsitzungen greift die Architektur durch sechs weit in den Raum hineingezogene Tribünen für Besucher, Diplomaten und Medienvertreter auf. Und auch der gegenüber den Bonner Plenarsälen um ein Drittel vergrößerte Bundestagsadler bildet optisch letztlich keinen Abschluss: Er hängt vor einer Glaswand – dahinter geht es weiter. Jede Seite des Plenarsaales folgt also dem architektonischen Grundton, dem Dialog zwischen Volk und Volksvertretung.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 08. November 2004