Bis 2050, so hoffen die Vordenker, könnte die Bundesrepublik komplett auf erneuerbare Energien umgestellt sein
So weit der Konsens in Politik und Gesellschaft. Indes ist der Weg umstritten: Hier herrscht eine Art Glaubenskrieg. Welche Fördermethode ist die wirksamste? Sind Hilfen für die Wissenschaft die richtige Strategie? Oder setzt man besser auf Markteinführungsprogramme, um so auch Unternehmen für die Forschung zu interessieren?
Beide Varianten erscheinen sinnvoll - je nach Lage des spezifischen Marktes und je nach Stand der betreffenden Technik. So hat besonders die Windkraft in den vergangenen zehn Jahren beispielhaft gezeigt, was eine unterstützende Markteinführung bewirken kann: Festgesetzte Einspeisevergütungen machten die Erzeugung von Windstrom attraktiv - der Aufbau einer entsprechenden Branche mit leistungsfähigen Entwicklungsabteilungen war die Folge.
Entsprechend rasant war der Fortschritt bei dieser Technik. Im Jahr 1992 leistete jede neue Windturbine in Deutschland im Mittel gerade 163 Kilowatt, 1995 waren es bereits 309 Kilowatt, im Jahr 2000 schließlich 653 Kilowatt. Heute werden Serienanlagen mit 2,5 Megawatt ausgeliefert, und erste Prototypen für den Offshore-Einsatz auf dem Meer mit bis zu 4,5 Megawatt sind bereits installiert. Die durchschnittliche Neuanlage leistet heute zehn Mal so viel wie Anfang der 90er-Jahre - und der Trend zu höherer Leistung wird anhalten.
Zusätzliche Forschungsgelder braucht jedoch weiterhin der Solarstrom. Denn anders als beim Wind, wo die grundlegende Technologie etabliert ist, sind bei der Sonnenenergienutzung zahlreiche Verfahren denkbar, die weitreichend von der heute verbreiteten Technik abweichen - Dünnschichtzellen etwa oder organische Solarzellen. Anders als der Wind ist die Sonnenenergie daher auch künftig auf Grundlagenforschung angewiesen, die kaum von den Solarfabriken aus dem eigenem Entwicklungsetat finanziert werden kann. Das heißt: Diese Technik benötigt noch staatliche Gelder, um in überschaubarer Zeit marktfähig zu werden. Dagegen geht es beim Wind nur noch um vergleichsweise kleine Optimierungen, etwa um innovative Regelverfahren oder um neue Verbundwerkstoffe.
Zwischen den beiden Extremen Sonne und Wind stehen heute die anderen Branchen der erneuerbaren Energien. Biomasse kommt teilweise mit der Markteinführung im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bestens zurecht, beispielsweise bei der Stromgewinnung in Holzkraftwerken. Teilweise braucht man aber noch Forschungsgelder, etwa beim Biosprit oder bei der Biomassevergasung.
Ähnlich kann die Geothermie mit den Einspeisevergütungen des EEG prinzipiell leben. Das Risiko von Fehlbohrungen vermag die Branche freilich nicht zu tragen, da sind wiederum Forschungsmittel erforderlich. Als marktnah hingegen gelten bereits die Technologien zur Umwandlung der Wärme niedrigthermaler Tiefenwässer in elektrischen Strom. Das erste Erdwärmekraftwerk Deutschlands wurde gerade im mecklenburgischen Neustadt-Glewe in Betrieb genommen.
Die Anhänger der erneuerbaren Energien wollen sich nun durch die Alternative Markteinführung versus Forschungsförderung nicht auseinanderdividieren lassen. Beide Strategien, so der ForschungsVerbund Sonnenenergie (FVS), der die gesamte Bandbreite der erneuerbaren Energien abdeckt, müssten "optimal ineinandergreifen".
Der FVS, dem zwölf Mitgliedsinstitute angehören, hat den wohl differenziertesten Überblick über den Stand der Wissenschaft in diesem Bereich. Zwar bescheinigt die Assoziation der deutschen Forschung "auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und der dazugehörigen Systemtechnik einen Spitzenplatz in der Welt". Doch lässt man zugleich durchblicken, dass der Vorsprung gefährdet ist: "Für die erneuerbaren Energien werden 2004 weniger Mittel zur Verfügung stehen als vor dem Regierungswechsel 1998", warnt FVS-Geschäftsführer Gerd Stadermann. Auch die Öko-Energien leiden unter den leeren Kassen.
Dabei ist jeder Euro in diesem Metier gut angelegt. Schließlich wird über die Förderung und die daraus resultierende Ausweitung der Produktionsmengen eine stetige Kostensenkung bei der Gewinnung erneuerbarer Energien erzielt. Schon in den zurückliegenden Jahren ist die Preisdegression zügig vorangeschritten. Windstrom nähert sich den Marktpreisen an: Die Kosten einer Kilowattstunde sind in den vergangenen zwölf Jahren um 55 Prozent gesunken. In etwa zehn Jahren, prognostiziert der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, werde Windstrom die Preise am Strommarkt bereits unterschreiten.
Sehr ermutigend entwickelt sich zugleich der Preis des Sonnenstroms. 1990 kostete eine Solaranlage mit einer Leistung von einem Kilowatt noch 13.500 Euro, heute sind es nur noch 6.000 Euro. Und der Rückgang setzt sich ungebremst fort. Im Jahr 2020 wird die Photovoltaik zu Zeiten der mittäglichen Spitzenlast zu marktgerechten Preisen produzieren können, prophezeit der Bundesverband Solarindustrie. Man werde mit dem Solarstrom bis 2010 etwa auf 30 Cent je Kilowattstunde kommen, 2020 dann auf 15 Cent. Damit würden im nächsten Jahrzehnt die Kosten für Sonnenstrom unter den Preis für Endkunden sinken. Dieser Optimismus wurzelt in der Erfahrung, dass jede Verdoppelung des Verkaufsvolumens von Solarzellen 20 Prozent Preisreduktion mit sich bringt.
Die Solarforschung hat noch viele Ansatzpunkte, um die Kosten weiter zu vermindern: Dünnere Halbleitermaterialien in den Zellen etwa. Oder auch "Stapelsolarzellen", die das Sonnenspektrum besser als bisher ausnutzen können. Die einschlägige Forschung findet in Instituten statt - vom Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme in Freiburg über das Institut für Solarenergieforschung in Hameln/Emmerthal bis zum Forschungszentrum Jülich, das mit der Atomforschung anfing und inzwischen weitgehend "konvertiert" ist.
Die Forschung an den Instituten ist jedoch nicht allein auf die Technik beschränkt. Die Integration der erneuerbaren Energien in das Stromnetz markiert eine weitere Herausforderung. Dazu zählen auch Modelle zur Verbesserung der Windprognose, die durch frühzeitige Planungen Geld einsparen helfen. Zwei Forscherteams sind hier bereits weit fortgeschritten: die Uni Oldenburg mit ihrem System "Previento" und das Institut für Solare Energieversorgungstechnik in Kassel mit seinem "Advanced Wind Power Prediction Tool".
Doch die erneuerbaren Energien sind nicht die einzige Vision, mit der sich Energieexperten beschäftigen. Eine andere Perspektive ist der Wasserstoff, eine vielversprechende Speichertechnologie. Das Gas kann etwa mit Windkraft hergestellt werden und steht dann bei Flauten als Energiequelle für die Stromerzeugung zur Verfügung. Auch als Brennstoff für Heizungen bietet sich Wasserstoff an. Die von dieser Technik ausgehende Faszination überlagert freilich oft eine wichtige Frage: Wie will man den Wasserstoff künftig gewinnen? Erzeugt man das Gas mittels fossiler Energien, dann ist es nicht mehr klimaneutral und damit nicht mehr umweltfreundlich. Gerade diese letztere Variante aber wird zum Missfallen der ökologischen Vordenker immer wahrscheinlicher. Das wurde im Herbst beim ersten "Deutschen Wasserstofftag" in München deutlich, einem Symposium der Linde AG und des Verbands der Deutschen Industrie. Zwar warnte der eigens aus Washington eingeflogene Bestsellerautor, Umweltaktivist und "Wasserstoffpapst" Jeremy Rifkin davor, "schwarzen Wasserstoff" aus fossilen Energien herzustellen: Nur der "grüne Wasserstoff" aus erneuerbaren Energien sei umweltverträglich. Andere Referenten wie der deutsche Wasserstoff-Stratege Carl-Jochen Winter ließen durchblicken, dass sie auch mit Wasserstoff aus Kohle oder Erdgas "keine Probleme" hätten. In der Tat wird Wasserstoff heute fast ausschließlich mittels fossiler Energien erzeugt.
Längst ist den Visionären der Umweltbewegung die Debatte um den Wasserstoff entglitten - in die Hände der Industrie, die auf diesem Sektor für die nächsten Jahre große Wachstumspotenziale sieht. Linde als Vorreiter bei technischen Gasen in Deutschland hofft auf einen milliardenschweren Markt. Die Firma Total hegt die Absicht, in ferner Zukunft 135.000 Wasserstoff-Tankstellen in der EU aufzubauen. DaimlerChrysler und BMW propagieren schon seit Jahren Fahrzeug-Konzepte auf der Basis der Brennstoffzelle (Daimler) und des Wasserstoff-Verbrennungsmotors (BMW).
Die Industrie hat sich sehr viel Wissen über Wasserstoff und Brennstoffzellen erarbeitet. Der TÜV Süddeutschland betont, dass Wasserstoff im Einsatz inzwischen "so sicher wie Benzin" ist. Linde verfügt über ausgereifte Verfahren, um den energiereichen Stoff entweder mit bis zu 700 bar in Druckgasbehältern oder bei minus 253 Grad in flüssigem Zustand zu speichern (was bislang als problematisch galt). DaimlerChrysler hat die Leistungsdichte seiner Brennstoffzellen in den vergangenen Jahren um das Zwanzigfache auf ein Kilowatt pro Kilogramm gesteigert.
Indes wird die Brennstoffzelle bei der dezentralen und effizienten Energienutzung künftig auch Konkurrenten bekommen. Auf dem Markt sind inzwischen Stirling-Motoren, die nur Wärme benötigen, um in Bewegung zu geraten und Strom zu produzieren. Gasturbinen werden zugleich immer kleiner ("Mikrogasturbinen") und damit flexibler einsetzbar. Auch Verbrennungsmotoren als "Blockheizkraftwerke" werden immer effizienter. Im Idealfall werden diese Maschinen künftig allesamt mit Biogas betrieben.
Bis 2050, so hoffen die Vordenker, könne die Bundesrepublik komplett auf erneuerbare Energien umgestellt sein. Doch mit den Prognosen ist das bekanntlich immer so eine Sache. Als Greenpeace im Herbst 1991 ein Energiekonzept für Deutschland vorstellte, schien dieses "Öko-Szenario" manchem Kritiker reichlich illusorisch: Im Jahr 2010, so rechneten die Umweltschützer damals ambitioniert vor, könnten Windmühlen in Deutschland 30 Terawattstunden Strom erzeugen, das sind 30 Milliarden Kilowattstunden. Doch es kam anders. Selbst die größten Optimisten wurden inzwischen von der Realität überholt: Deutschland wird das Ziel von 30 Terawattstunden Windstrom spätestens im Jahr 2005 erreichen. Wenn die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt, dann können selbst gewagte Prognosen übertroffen werden.
Bernward Janzing ist freier Wissenschafts- und Umweltjournalist in Freiburg.