Die aktuellen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Israel
Israelisches Know-how ist in Deutschland auf dem Vormarsch. VW nutzt für die Entwicklung neuer Modelle am virtuellen Reisbrett digitale Simulationstechnologie des israelischen Unternehmens ORAD. Die Firma ist auch für die Gestaltung digitaler Studiowelten bei fast allen deutschen Fernsehsendern zuständig und peppt weltweit Sportsendungen auf. Vodafone und T-mobile nutzen israelische CRM- und Abrechnungstechnologien, und deutsche Autobauer setzen auf israelische Zulieferer von Magnesiumbauteilen. Jüngstes Beispiel: BMW bezieht Teile des Lenksystems der 1er- und neuen 3er-Serie aus Israel.
Auch der Waren- und Know-how-Verkehr in die andere Richtung floriert. So werden etwa 40 Prozent des Stroms, der aus israelischen Steckdosen kommt, in Kraftwerken produziert, an deren Bau Siemens beteiligt war. Mit 390 Millionen US-Dollar (USD) lag 2004 die Lieferung deutscher Fahrzeuge nach Israel zwar noch unter der des Rekordjahrs 2001, aber immer mehr Israelis würden ein deutsches Auto kaufen, wenn sie könnten. Prominentester Interessent ist Israels Premier Sharon: er brach ein Jahrzehnte altes Tabu und schaffte Mitte März 2005 zwei gepanzerte Mercedes-Limousinen für den wichtigsten Mann im Staat und seine Gäste an. Sicher ist sicher. Der legendäre Mossad hingegen setzt auf gepanzerte BMW. SAP hat in den vergangenen drei Jahren sein Entwicklungsteam in Israel von 50 auf 500 Mitarbeiter aufgestockt. Das Unternehmen integriert israelische Technologien in sämtliche seiner weltweit vermarkteten Produkte. VW ist mit der Errichtung eines Magnesiumwerks am Toten Meer mit 250 Millionen Euro größter europäischer Investor in Israel. Kurzum, es ist Musik in den deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen.
Dabei hatten sie sehr bescheiden begonnen. 1960, fünf Jahre vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, lag das Handelsvolumen bei weniger als 100 Millionen USD. 2004 erreichte es erstaunliche 4,46 Milliarden, eine kontinuierliche Steigerung um jährlich neun Prozent über 45 Jahre. Seit 2003 ist Israel Deutschlands zweitgrößter Handelspartner im gesamten Nahen und Mittleren Osten, noch vor Iran und Ägypten und nur knapp hinter Saudi-Arabien. Gemessen an der Bevölkerungszahl von 6,8 Millionen liegt es als Handelspartner sogar noch vor den USA und Japan. Israel exportiert für 1,3 Milliarden USD in die Bundesrepublik und importiert im Gegenwert von über 3,1 Milliarden Deutschland ist seit Jahren Israels zweitwichtigster Handelspartner nach den USA.
Machten in den 60er-Jahren landwirtschaftliche Produkte fast 90 Prozent der israelischen Exporte nach Deutschland aus, waren es 2004 mit 111 Millionen USD weniger als zehn Prozent. Mittlerweile besteht der Großteil israelischer Ausfuhren nach Deutschland aus Hochtechnologieprodukten der Sparten Maschinen, Elektronik, Optik, Mess- und Medizintechnik. Chemische Produkte, Kunststoffe und Textilien schlagen mit insgesamt 400 Millionen USD zu Buche. Die Gesamtexporte nach Deutschland nahmen 2004 im Vergleich zu 2003 um 20,8 Prozent zu.
Die israelischen Importe aus Deutschland bestanden zu 35 Prozent aus Maschinen und elektrischen Geräten, 17 Prozent chemischen Erzeugnissen, zwölf Prozent Transportmitteln, neun Prozent Optik, Mess- und Medizintechnik, sechs Prozent Kunststofferzeugnissen und drei Prozent Agrarprodukten. Die Importe aus Deutschland zogen 2004 um 13,6 Prozent an.
Was israelische Beobachter der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen nach wie vor beklagen, ist das große Außenhandelsdefizit zu Israels Ungunsten. Traditionell standen Import und Export in einem Verhältnis von zwei zu eins, doch im Jahre 2000, dem besten Jahr für die Wirtschaft des Landes seit Staatsgründung, schien sich die Schere endlich zu schließen. Der Ausbruch der Intifada, in Verbindung mit der globalen Flaute im Hightechgeschäft, setzte der israelischen Exportwirtschaft jedoch sehr zu und beendete die Hoffnung auf eine ausgeglichenere Handelsbilanz mit Deutschland: nur 30 Prozent des Gesamtvolumens entspringen 2004 israelischen Exporten, 70 Prozent Importen aus Deutschland.
Mittelfristig kann mit einer Verbesserung gerechnet werden. Israels Wirtschaftswachstum erreichte 2004 satte 4,2 Prozent, die Exporte legten um zehn Prozent zu, und die Hightechbranche, seit Anfang der 90er-Jahre Israels Wachstumsmotor, ist weltweit im Aufwind. Bei einer positiven Entwicklung im politischen Prozess kann man also von einem stärkeren Anstieg des Exports als des Imports ausgehen. Träger einer solchen Entwicklung werden die Informations- und Kommunikationsbranchen sein, aber auch die Biotechnologie, Pharmazeutik, neue Materialien für die Oberflächenbehandlung herkömmlicher Stoffe und die Medizintechnik.
Einen nicht unwesentlichen Anteil an den deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen hatte traditionell der Tourismus. In guten Jahren machten deutsche Besucher zehn Prozent aller Touristen aus, im Jahr des Papstbesuchs 2000 waren es über 200.000. Die allgemeine Reiseangst nach dem 11. September 2001 führte zu dramatischen Einbrüchen im Fremdenverkehr nach Israel. Zwar legten die Besucherzahlen 2003 leicht und im Folgejahr sogar kräftig zu, aber die Zahl deutscher Touristen macht nur noch knapp fünf Prozent aller Israelreisenden aus. Mit 77.000 Besuchern wurde 2004 nur eine Zahl, wie in den 70er-Jahren erreicht. Allerdings melden Vertreter der Branche für 2005 einen Anstieg der deutschen Besucherzahlen.
Mit der Osterweiterung der EU wird Deutschland noch mehr zum Zentrum Europas und rückt weiter ins Blickfeld israelischer Unternehmen. Die Gemeinschaft war schon vor dem Mai 2004 bedeutendster Handelspartner Israels und wird nach der Erweiterung seinen Vorsprung weiter ausbauen. Dementsprechend suchen israelische Unternehmer nach dem richtigen Standort für die Versorgung dieses Marktes. Wenn es um Logistik-Backbones geht, um Vertriebs- und Marketingpartner, fällt die Entscheidung immer häufiger zugunsten Deutschlands. Die größte europäische Volkswirtschaft ist an sich ein lohnender Zielmarkt, die geografische Lage macht sie aber als Standbein für europaweite Aktivitäten noch attraktiver. Über 40 israelische Firmen haben sich bislang in Deutschland niedergelassen, darunter über 20 Hightechunternehmen wie Checkpoint, Aladdin, Magic Software, Technomatix, Orbotech, Babylon, Iscar, Orad und andere.
Der Umfang israelischer Investitionen in Deutschland hat den deutscher Investitionen in Israel seit langem überholt. Die Betreibergesellschaft des Rostocker Hafens ist israelisch. Die sächsische Freiberger Compound Materials GmbH - einer der führenden Hersteller von halbisolierenden und halbleitenden Galliumarsenid-Substraten für die Halbleiterproduktion - befindet sich seit 1995 mehrheitlich im Besitz der israelischen Federman-Gruppe, die dort mittlerweile Investitionen von über 100 Millionen Euro tätigte. Wachsendes Interesse finden auch gewerbliche Immobilien und Hotels in Deutschland, was allein 2004 zu Investitionen im knapp dreistelligen Millionenbereich führte. Deutsche Investoren konzentrieren sich eher auf strategische Beteiligungen im Hightechbereich, wie die jüngste Akquisition eines Startup-Unternehmens durch SAP, die dritte in vier Jahren, zeigt.
Auch Siemens engagiert sich stark in Israel. Über die 1995 gegründete Tochtergesellschaft "Siemens-Israel" hält der deutsche Technologiekonzern Beteiligungen an derzeit etwa 55 israelischen Unternehmen. Die Summe der getätigten Investitionen beläuft sich dabei auf über 250 Millionen Euro. Die Deutsche Telekom investierte mehr als 10 Millionen Dollar in den israelischen Wagniskapitalfonds Magnum Communcations. Sie hält auch Beteiligungen an den innovativen Telekommunikationsfirmen Barak ITC und Vocaltec Communications. DaimlerChrysler beteiligt sich über einen Wagniskapitalfonds an Firmenneugründungen in den Bereichen Elektronik, Transporttechnologie, Kommunikations- und Informationstechnologie. RWE hält über seine Tochter Starkstrom 25 Prozent der Anteile an Ardan Industries und Henkel besitzt 50 Prozent des israelischen Chemiekonzerns Sod. Die Bayer AG investierte 1999 circa acht Millionen DM in zwei israelische Venture Capital Firmen, die auf Start-ups aus den Bereichen Biotechnologie, Chemie, Software und Verfahrenstechnik spezialisiert sind.
In den 90-er Jahren war die Hoffnung auf Frieden die treibende Kraft des israelischen Wirtschaftswachstums. Die vergangenen vier Jahre zeigten aber, wie rasch diese Hoffnung in Pessimismus umschlagen kann und wie sehr sich mangelnde Stabilität auf die Wirtschaft auswirkt. Erst wenn es zu einem stabilen und dauerhaften Einvernehmen mit den Palästinensern gekommen ist und die arabische Feindseligkeit gegenüber Israel einer Kooperationsbereitschaft weicht, werden die Staaten und Völker der Region ihr wahres Wirtschaftspotenzial entfalten können.
Aus der Einsicht in die unbedingte Notwendigkeit einer solchen Entwicklung auch für Deutschland und Europa müssen jetzt verstärkte Anstrengungen unternommen werden, deutschen Konzernen und kleinen wie mittleren Unternehmen die in den vergangenen vier Jahren entstandenen Berührungsängste zu nehmen.
Sie müssen auf die technologischen und geschäftlichen Potenziale einer Kooperation mit den Israelis und die Vorteile eines umsichtigen Engagements in der Region aufmerksam gemacht werden. Gleichzeitig sollte Israels Firmen der Zugang zu strategischen Partnerschaften in Deutschland geebnet werden.
Die Ausgangsposition der israelischen Wirtschaft im 40. Jahr der Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist sehr günstig. Von einem landwirtschaftlich geprägten Entwicklungsland mit stark interventionistischer Wirtschaftspolitik wurde der jüdische Staat zu einer wissensbasierten Industrienation westlicher Prägung, der knapp sechs Jahrzehnte nach seiner Gründung zu den führenden Zentren hochtechnologischer Entwicklungen gehört. Seine Wirtschaftsleistung hat ihn unter die 25 reichsten Staaten der Welt gebracht, und er ist integraler Teil der globalisierten Weltwirtschaft.
Deutschland war stets ein wichtiger Partner dieser Entwicklung, hatte einen starken Anteil an der wirtschaftlichen Stabilisierung des jungen Staates und gehört zu den Gewinnern des Engagements in Israel.
Grisha Alroi-Arloser ist Bundesgeschäftsführer der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung e.V. (DIW).