Jahrelanger Rechtsstreit mit den USA endet mit einem Vergleich
Der jahrelange Rechtstreit zwischen Ungarn und den USA um den "Goldzug" aus dem Zweiten Weltkrieg ist beigelegt. Es handelt sich um einen Güterzug mit Gold, Kunstwerken und Haushaltsgütern ungarischer Juden, der nach dem Krieg von amerikanischen Soldaten in Österreich beschlagnahmt wurde. Im April dieses Jahres hatte das US-Bundesbezirksgericht von Florida dem so genannten Goldzug-Vergleich mit Ungarn vorläufig zugestimmt. Die Entschädigungssumme in Höhe von 25,5 Millionen Dollar wurde nun im September offiziell bestätigt. Zu einem feierlichen Abschluss der Klage kam es am 11. Oktober, als die Regierung der Vereinigten Staaten zu den Ereignissen von damals Stellung nahm. In den Text des Kommuniqués wurde das Wort "Entschuldigung" aufgenommen - ein Ausdruck, der im heutigen Ungarn im Kontext des Holocausts so gut wie nie zu hören ist.
Die Geschichte des Goldzuges begann mit der Besetzung Ungarns durch Einheiten der Wehrmacht und der SS am 19. März 1944. Die lange davor ins Leben gerufenen antijüdischen Gesetze wurden über Nacht ausgeweitet und verschärft. Als später die Inhaber der entzogenen Besitztümer die Hölle der Konzentrationslager kennen lernten, Zwangsarbeit leisten mussten oder gar nicht mehr am Leben waren, wurde bereits vor der Machtübernahme durch die ungarischen Pfeilkreuzler am 15. Oktober 1944 angeordnet, die leicht beweglichen und wertvollsten jüdischen Wertgegenstände zu erfassen und in Sicherheit vor den sowjetischen Truppen in das Reich zu bringen.
Die Bestände wurden zunächst in einem Schacht westlich von Budapest deponiert und von dem früheren Major der Gendarmerie, Árpád Toldy, verwaltet. Als die Rote Armee sich der Westgrenze Ungarns bis auf 20 Kilometer genähert hatte, erteilte Toldy den Befehl, die Kisten auf einen Zug zu verladen. Er fühlte sich für die Fahrt des Zuges verantwortlich, und unter dem Vorwand, den Grenzübergang zu sichern, sonderte er sich vom Zugpersonal ab. Er behielt 52 Kisten und zwei Kassetten in seiner Verwahrung und verließ Ungarn an der Spitze einer Lastwagen-Kolonne.
Der Zugführer und Toldy trafen sich einen Monat später, Anfang Mai, im österreichischen Tirol wieder. In Hopfgarten versuchte Toldy, weitere Kisten aus dem Zug zu holen, um - wie spätere Forschungen bewiesen - mit diesen in die Schweiz zu gelangen. Doch sein Plan scheiterte und er fiel der französischen Besatzungsarmee in die Hände. Indessen erreichte der Goldzug am 11. Mai bei Böckstein die amerikanische Besatzungszone. Letztlich wurden die 24 Waggons nach Salzburg abgeschleppt.
Die amerikanischen Besatzer hielten es nicht für nötig, ein Inventar zu erstellen, obwohl sie ganz genau wussten, dass sich solche Funde in dem Salzburger Militärlager nicht lange geheimhalten ließen. Selbst Armeeangehörige haben sich aus dem ungarisch-jüdischen Bestand bedient. Die amtlich bestellten Abwesenheitspfleger konnten der anarchischen Zustände im Lager nicht Herr werden. Als größtes Problem erwies sich jedoch die Tatsache, dass die amerikanischen Behörden die Wertgegenstände des Goldzuges Ungarn gar nicht zurückerstatten wollten. Die neue internationale Rechtsordnung kam ihnen dabei zu Hilfe. Laut dem Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 1946 sollte das in Deutschland gefundene "nichtmonetäre Gold" zugunsten der "nichtrepatriierbaren Flüchtlinge" verwendet werden.
Das Hauptargument der Amerikaner für die Nichtrückerstattung war informell die Hypothese, dass die sowjetische Besatzungsmacht in Ungarn über alles ihre Hand hält. Die Nachricht, dass die Kisten des Goldzuges so gut wie verloren waren, hat die ungarisch-jüdische Gemeinschaft erschüttert. Solange in Ungarn ein eingeschränktes Mehrparteiensystem existierte (bis 1948), haben Parteienvertreter mehrmals in Washington wegen der Goldzug-Angelegenheit interveniert. Auch die jüdische Gemeinde des Landes hat verschiedene amerikanische Behörden mit Briefen bombardiert. All diese Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Stattdessen wurden die ungarischen Wertgegenstände unter der Regie der UN-Flüchtlingskommission in New York bei Auktionen veräußert. Die Erlöse bekamen das American Joint Distribution Commitee (Gemeinsamer amerikanischer Verteilungsausschuss, die internationale Zentrale aller jüdischen Wohlfahrtsverbände) und die Jewish Agency, die Vertretung der in Palästina ansässigen Juden.
Der Kalte Krieg lenkte die Aufmerksamkeit der amerikanischen Entscheidungsträger einerseits von den Verlusten der ungarischen Juden ab, obwohl klar war, dass der Goldzug (zum Kurs von 1945/46) mindestens 6,5 Millionen Dollar Wert war (die ungarischen Quellen sprechen allerdings von 350 Millionen US-Dollar entsprechend der Wertschätzung der 30er-Jahre). Andererseits war auch plausibel, dass die ungarischen Nachkriegsregierungen an der Rückgabe der Güter an die jüdischen Inhaber oder ihre Erben aus politischen Gründen gar nicht interessiert waren. Im Namen der nationalen Einheit durften die jüdischen Bürger des zur Volksrepublik mutierten Ungarn keineswegs bevorzugt werden.
Die Beziehungen zwischen Budapest und Washington waren auch ohne die Angelegenheit um den Goldzug unterkühlt. Vor den Pforten der US-Vertretung in Budapest postierten jahrzehntenlang Detektive in Zivil. Die ungarische Führung der Ära Kádár betrieb eine Politik der Forderungen und Zugeständnisse. Die USA verlangten von Ungarn eine Entschädigung in Höhe von 130 Millionen Dollar für ihre verstaatlichten Besitze, Ungarn forderte ebenfalls eine Entschädigung für das Ausbleiben der Restitution des Goldzuges. Allein zwischen 1965 und 1967 fanden in dieser Angelegenheit 25 bilaterale Treffen statt. Der Sackgasseneffekt schien unvermeidlich zu sein, der Durchbruch ließ lange auf sich warten. Im Januar 1978 brachte US-Außenminister Cyrus Vance die ungarische Stephanskrone mit nach Budapest zurück. Sie wurde dort vor einer Menge geladener Gäste feierlich dem "ungarischen Volk" wieder übereignet. Bald danach erhielt die Ungarische Volksrepublik von den USA das Recht der Meistbegünstigung, das mit Handelsvorteilen verbunden ist.
Die Existenz des zur Legende avancierten Goldzuges rückte erst während der Amtszeit von Bill Clinton wieder auf die Tagesordnung. Die neu aufgenommenen Verhandlungen blieben allerdings ergebnislos. Im Jahre 2001 erhoben schließlich Anwälte von in Florida lebenden ungarischen Geschädigten eine Sammelklage gegen die US-Regierung. Die Republikaner machten die Angelegenheit um den Goldzug zum Thema des Wahlkampfs von George W. Bush. Die ungarischen Juden fühlten sich geehrt, blieben aber gleichzeitig skeptisch. Wiedergutmachungszahlungen aus dem Ausland haben in der Vergangenheit stets Anlass zur Sorge gegeben. Mal verhinderte der ungünstige Umrechnungskurs, mal die Aufforderung zur Einberechnung von Beweismitteln die gerechte Aufteilung der Gelder.
Im Falle des Goldzug-Vergleichs scheint die Ausgangslage noch komplizierter zu sein: Die ungefähr 60.000 Geschädigten leben teilweise außerhalb der Grenzen Ungarns. Doch wiederum bahnt sich eine Kompromisslösung an: Die Entschädigung werden nicht die Opfer selbst, sondern karitative Organisationen in vier Ländern bekommen.
Anteilsmäßig wird Ungarn 22,7 Prozent der gesamten Summe erhalten. Die Gelder sollen dem Plan zufolge ausschließlich in soziale Projekte einfließen. Die jüdische Gemeinde in Budapest vermeidet in der augenblicklichen Situation jede konkrete Aussage dazu. Ihr liegen nämlich die Anträge von 300 Personen vor, die anhand von schriftlichen Dokumenten beweisen können, dass ihre Wertgegenstände vor 61 Jahren in den Goldzug gelangt sind. Die unlängst ernannte sechsköpfige Kommission der Budapester jüdischen Gemeinde wird höchstwahrscheinlich noch lange hinter geschlossenen Türen tagen.