Rede des Wehrbeauftragten für die Plenardebatte zum Jahresbericht 2004
Wehrbeauftragter Reinold Robbe
© DBT
Berlin, Freitag, den 20. Januar 2006
Der heute zur Beratung anstehende Jahresbericht 2004 ist der letzte, der noch unter der Verantwortung meines Amtsvorgängers Dr. Willfried Penner entstand. Die besonderen Verdienste von Willfried Penner sind anlässlich seiner Verabschiedung - gerade auch hier im Parlament - von allen Seiten gewürdigt worden. Gestatten Sie mir an dieser Stelle, Willfried Penner darüber hinaus noch einmal persönlich meinen ausdrücklichen Dank auszusprechen. Er hat mir den Einstieg in meine neue Aufgabe ganz wesentlich erleichtert. Beim Amtsantritt fand ich ein gut bestelltes Haus vor - mit engagierten, fachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch ihnen gilt mein besonderer Dank.
Der Jahresbericht 2004 ist in erster Linie wieder ein Mängelbericht. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bietet kein Abbild der Bundeswehr in ihrer Gänze. Er zeigt aber durchaus Entwicklungen und Tendenzen auf, die Anstoß für parlamentarisches Handeln sein können.
Ungeachtet des grundsätzlichen Befundes, dass die Bundeswehr eine gute Truppe ist, würde ich insgesamt betrachtet meinen verfassungsmäßigen Auftrag verfehlen, wenn ich nicht auch im Jubiläumsjahr der Streitkräfte auf Mängel und Missstände, auf Fehlverhalten und Defizite hinweisen würde.
Die Soldaten leben heute im Spannungsfeld zwischen vermehrten sicherheitspolitischen Notwendigkeiten und aus meiner Sicht zu knapp bemessenen Haushaltsmitteln.
Soldatinnen und Soldaten waren im Berichtsjahr 2004 äußerst gefordert, teilweise bis über die Grenze des Zumutbaren hinaus. Personelle Engpässe und daraus resultierende Doppel- sowie Mehrfachbelastungen bestimmen den Truppenalltag.
Bei vielen herrscht großer Unmut darüber, dass von ihnen die Bereitschaft zur Landesverteidigung sowie ein Beitrag zur Sicherung des Friedens und der Menschenrechte von Khartum bis Kabul erwartet werden, gleichzeitig müssen sie und ihre Familien aber empfindliche finanzielle Einbußen erfahren. Die Liste reicht von einer unterschiedlichen Besoldung in Ost und West über den Wegfall des Urlaubsgeldes bis hin zu Einschnitten beim Weihnachtsgeld.
"Mehr Leistung, weniger Geld" - auf diese kurze Formel hat ein Soldat seinen Unmut bei einem meiner Truppenbesuche gebracht. Das Rückgrat der Armee wird nicht von gut besoldeten Generalen oder Stabsoffizieren gebildet, sondern von den Portepee-Unteroffizieren, die zusammen mit den Unteroffizieren und Mannschaften den mittleren bzw. niedrigen Besoldungsstufen angehören.
Seit 15 Jahren werden die Streitkräfte nun von tiefgreifenden Veränderungen in Atem gehalten.
Von keiner anderen Berufsgruppe unserer Gesellschaft ist im letzten Jahrzehnt so viel an Veränderung erwartet worden - und keine andere hat dies mit größerer Professionalität und dabei so wenig Protest bewältigt.
Ebenso wie mein Vorgänger sage ich: die Streitkräfte brauchen dringend eine Phase der Konsolidierung und Erholung, ihre Angehörigen brauchen Planungssicherheit!
Aus der Fülle der Erkenntnisse des vorliegenden Berichtes möchte ich in aller gebotenen Kürze einige wichtige Elemente herausgreifen, ohne aber dabei die übrigen Anliegen geringer einschätzen zu wollen.
Stichwort "Bundeswehr im Einsatz"
Den Soldatinnen und Soldaten ist bewusst, dass sie unter schwierigen Umständen ihren Dienst leisten müssen. Sie wissen, dass dieser Dienst jeden Tag mit Gefahren verbunden ist.
Der Gedanke an Verwundung und Tod ist vielen - zumindest unterschwellig - ein ständiger Begleiter. Gleichwohl erfüllen sie ihre Aufgabe hoch motiviert und engagiert. Dafür gebührt ihnen Dank und Anerkennung.
Umso mehr aber gilt die Verpflichtung, alles dafür zu tun, den größtmöglichen Schutz durch beste Ausbildung und Ausrüstung, eine exzellente Sanitätsfürsorge einschließlich einer optimalen Rettungskette, eine fürsorgliche Betreuung auch der Familienangehörigen und die bestmögliche soziale Absicherung zu gewährleisten. Die schrecklichen Anschläge auf Bundeswehrsoldaten - im Berichtsjahr wie auch danach - haben uns allen vor Augen geführt, wie wichtig diese Forderungen sind.
Manche Soldaten stellen die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Einsätze. Hier ist der Dienstherr gefordert, der Stellung bezieht und Zweifel ausräumt. Denn es geht um nicht weniger als das Vertrauen in die Entscheidungen von Regierung und Parlament.
Verweise auf Bundestagsbeschlüsse oder Broschüren des Einsatzführungskommandos reichen nicht aus. Besondere Bedeutung kommt hier dem Instrument der politischen Bildung zu.
Von Angesicht zu Angesicht gilt es zu vermitteln, warum und mit welchem Ziel Deutschland in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Georgien, Eritrea und im Sudan Verantwortung übernommen hat.
Stichwort "Personalwesen"
Dieser Bereich macht ein gutes Drittel der Eingaben und den Schwerpunkt in den Gesprächen mit den Soldaten aus. Beförderungswesen, Beförderungsstrategien, fehlende Weiterverpflichtungsmöglichkeiten, Versetzungen, unzulängliche Antragsbearbeitung, Probleme beim Berufsförderungsdienst sowie bei der zivilen Aus- und Weiterbildung, Personalgewinnung und Stellenbesetzungshoheit, auch aus der Truppe heraus - das sind Themen, die den betroffenen Soldatinnen und Soldaten schwer im Magen liegen.
Das Attraktivitätsprogramm der Bundeswehr hat vielen Vorteile gebracht. Für die alt gedienten Portepee-Offiziere hingegen ist es nach wie vor alles andere als befriedigend. Trotz ihrer großen militärischen Erfahrung und ihrer Qualitäten in der Menschenführung müssen sie immer wieder erleben, dass jüngere Kameraden, die sie teilweise selbst ausgebildet haben, an ihnen vorbeiziehen. Hier auf ein "Auswachsen" des Problems zu setzen, hielte ich für zynisch.
Stichwort "Frauen in der Bundeswehr"
Die Frauen sind in der Bundeswehr angekommen. Sie wünschen keine Sonderregelungen und werden durchweg von ihren Kameraden akzeptiert. Allerdings werden Fragen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach Teilzeitmöglichkeiten und Betreuungseinrichtungen immer drängender.
Stichwort "Misshandlungen"
Den Gesamtkomplex "Coesfeld" abschließend zu beurteilen, wäre verfrüht. Die strafrechtlichen Verfahren dauern an; die entsprechenden Disziplinarverfahren sind solange ausgesetzt. Aber - "Coesfeld" ist in Art und Ausmaß ein singuläres Ereignis geblieben. Es gilt, was mein Vorgänger im Dezember 2004 an dieser Stelle ausgeführt hat:
"Die Bundeswehr ist keine Armee der Schleifer und Drangsalierer. Die Masse der 12.000 Ausbilder gibt dienstlich keinen Anlass zu Beanstandungen. Sie haben es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt und damit gesellschaftlich geächtet zu werden. Ganz im Gegenteil: Sie sind rechtstreu und versehen einen wichtigen Dienst für die Bundeswehr und die Soldaten."
Stichwort "Rechtsextremismus"
Der Bericht nennt 134 "Besondere Vorkommnisse" mit Verdacht - ich betone: Verdacht - auf rechtsextremistischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund. In der Masse der aufgeklärten Fälle handelte es sich um Propagandadelikte, zu über 60 % von Grundwehrdienstleistenden begangen. Überwiegend hat die Bundeswehr angemessen reagiert.
Stichwort "Soldatenbetreuung"
Die Betreuung der Soldatinnen und Soldaten im Inland und im Einsatz ist ein wesentliches Element der Fürsorgepflicht. Die kirchlichen Arbeitsgemeinschaften mit ihrem übergreifenden Angebot - Stichwort: Oasen - verdienen nicht nur Anerkennung, sondern volle Unterstützung.
Die Themen, die ich hier nur kurz aufgegriffen habe, werden sich auch in dem Bericht, den ich Ihnen im März 2006 erstmals in eigener Verantwortung vorlege, wiederfinden. Nur soviel vorweg: Das Eingabeaufkommen ist - bei sinkender Truppenstärke - unverändert hoch.
Aus aktuellem Anlass und unabhängig vom Jahresbericht 2004 will ich abschließend die Gelegenheit nutzen, auf einen besonderen Aspekt hinzuweisen.
Nicht allen Teilen der Öffentlichkeit und offensichtlich auch des Parlaments ist bewusst, dass beim Bundesnachrichtendienst auch Soldaten tätig sind und dort wichtige und nach Auffassung der Verantwortlichen unverzichtbare Aufgaben erfüllen.
Ohne den Sachverstand und ohne die speziellen Fähigkeiten der Soldaten könnte der BND seine Aufgaben nicht im erforderlichen Umfang und in der gebotenen Qualität wahrnehmen. Gerade diese Soldaten, um die ich mich auch zu kümmern habe, stehen aus meiner Sicht - ebenso wie ihre regulär eingesetzten Kameraden bei der Bundeswehr - in der Fürsorge ihres Dienstgebers und insbesondere auch des deutschen Parlaments.
Auch diese Soldaten haben die berechtigte Erwartungshaltung, dass ihre Leistungen und besonderen Verdienste gewürdigt und anerkannt werden. Und auch diese Soldaten dürfen mit Recht erwarten, dass sie gegen unbegründete Verdächtigungen in Schutz genommen werden.
Ich sage das an dieser Stelle mit Bedacht und verbinde das mit der herzlichen Bitte, bei den notwendigen Debatten nicht zu vergessen, dass gerade die zivilen und militärischen Angehörigen des BND ganz besonderen persönlichen Gefahren ausgesetzt sind.
Gestatten Sie Ihrem ehemaligen Kollegen zum Abschluss ein persönliches Wort.
Ich freue mich, dass der neue Präsident des Deutschen Bundestages ein offenes Ohr und ein Herz für die Belange der Bundeswehr hat. Die Zusammenarbeit mit ihm und dem Präsidium erweist sich bereits jetzt als wohltuend. Das wird meiner festen Überzeugung nach auch für den Verteidigungsausschuss gelten. Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Deutsche Bundestag im März 2006 ? nicht um persönlicher Eitelkeit willen, sondern in dem Wissen um die Notwendigkeit der Institution ? das 50-jährige Bestehen des Verfassungsinstituts Wehrbeauftragter in angemessener Weise würdigen sollte.
Ihnen allen, meine Damen und Herren, namentlich auch der Bundesregierung unter Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und dem Bundesverteidigungsminister Dr. Franz-Josef Jung, biete ich eine konstruktiv-kritische Zusammenarbeit an. Das schließt nicht aus, dass ich immer dann warnend und mahnend meine Stimme erheben muss, wenn meine Sachwalterschaft für die Soldatinnen und Soldaten dies gebietet.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.