Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (Anhörung)
Berlin: (hib/BOB) Die Entwicklung eines tragfähigen
Mikrofinanzwesens als integraler Bestandteil des Finanzsystems
stellt eine besondere Aufgabe für die deutsche
öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit und
für die Koordinierung der Entwicklungspolitik dar. Diese
Meinung vertritt Professor Hans Dieter Seibel von der
Universität zu Köln in seiner schriftlichen Stellungnahme
zur heutigen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung zum Thema "Armutsbekämpfung
durch nachhaltiges Finanzwesen und Mikrofinanzierung". Die
ärmeren Bevölkerungsschichten, so Seibel weiter, fragten
vorrangig die Einsammlung und sichere Aufbewahrung von Ersparnissen
nach. Für eine nachhaltige Armutsbekämpfung und
Kleinunternehmensförderung sei der Zugang zu Krediten
unabdingbar. Er dürfe ordnungspolitisch nicht durch Zins- und
Kreditobergrenzen beschränkt oder durch Zinssubventionen
untergraben werden. Florian Grohs von Oikocredit (einer
internationalen Genossenschaft mit Sitz in den Niederlanden, die
über 23 Regional- und Länderbüros und ein
Genossenschaftskapital von 203 Millionen Euro verfügt) macht
deutlich, Mikrofinanz habe "sehr viel erreicht" in den letzten 20
Jahren. Es habe sich gezeigt, dass arme Menschen dauerhaft und
profitabel bedient werden könnten. Damit möglichst viele
Menschen Zugang zu Kleinkrediten bekämen, müssten sich
mittelfristig Institutionen entwickeln, die von der Finanzaufsicht
der jeweiligen Länder überwacht werden. Nur regulierte
Mikrofinanzinstitutionen (MFI) könnten Spareinlagen
mobilisieren und somit nachhaltig wachsen. Um weiter die
Entwicklung von MFIs zu fördern, so Grohs weiter, müssten
die Bankgesetze in vielen Ländern geändert werden. Seines
Erachtens würden einige weniger MFIs sich zu Banken
weiterentwickeln. Viele andere würden aber auch in der Zukunft
als regulierte MFI erfolgreich weiterarbeiten. Daher werde es
wahrscheinlich auch weiterhin ein Nebeneinander von sehr vielen
verschiedenen Finanzinstitutionen auf den Finanzmärkten der
Entwicklungsländer geben. Heute erhielten 517 MFIs etwa 769,23
Millionen Euro (etwa 1 Milliarde US-Dollar) von staatlichen und
privaten Geldgebern. Peter Langkamp von der Sparkassenstiftung
für internationale Kooperation führt aus, eine
Stabilisierung vorhandener MFI sei anzustreben. Der Aufbau eines
flächendeckenden Netzes solcher MFI sei sicherzustellen. Die
Vereinbarkeit von sozialen Auftrag, Professionalität und
Profitabilität müsse gewährleistet werden. Eine
lokale Präsenz vor Ort bei den Kunden sei erforderlich.
Dezentrale Entscheidungen und Steuerung des Kreditgeschäfts
verringerten das Risiko. Der Staat als Architekt des Finanzsektors
gebe eine Struktur vor und steuere die Umsetzung. Er gebe so eine
gezielte Förderung, falls erforderlich, vor. Zur Integration
von dem MFI in dem formellen Finanzsektor müsse der Staat aber
unter anderem ein rechtliches Regelwerk für die MFI schaffen.
Professorin Brigitte Young von der Universität Münster
argumentiert, Kenntnisse wie beispielsweise rechnerische
Fähigkeiten, einfache Bankprinzipien oder in der Buchhaltung
könnten eine emanzipatorische Funktion für Frauen und
Arme haben. Diese Aspekte könnten so dazu beitragen, ein
kollektives Bewusstsein über Machtverhältnisse zu
erzeugen, die das tägliche Leben der Frauen und armen
Bevölkerungsschichten beeinflussten. Weiter meint die
Expertin, Mikrofinanzinstitutionen müssten organisatorische
Kulturen, Managementstile, Anreizstrukturen und Personalstrukturen
etablieren, die Frauen wie andere Randgruppen motivierten, ihre
Diskriminierung und Armut als strukturelles Problem zu erkennen.
Auf Grund dieser Erkenntnisse müssten sie soziale Netzwerke
und Solidarität ausbauen, die Frauen auch tatsächlich
helfen, aus der Spirale von Abhängigkeit und Armut zu
entkommen.