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Martin Frey leitet das Sekretariat des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Wenn die Abgeordneten am runden Tisch sitzen und alles gelingt ganz wunderbar, dann hat er viel dazu beigetragen.
Es ist zehn Uhr an einem Mittwoch in einer Sitzungswoche des Deutschen Bundestages. Vor dem Sitzungssaal E 200 im Paul-Löbe-Haus haben zwei Fernsehsender ihre Kameras aufgebaut. Eine Reporterin hält ein weißes Blatt Papier, damit der Kameramann einen Weißabgleich machen kann, und geht danach schnell noch Kaffee kaufen. In fünfzehn Minuten wird der Ausschuss für Arbeit und Soziales mit seiner Sitzung beginnen. In einer Stunde kommt Franz Müntefering, um über die Arbeit seines Ministeriums zu berichten. Die Kameras sind früher da, um vor Beginn der Sitzung noch ein paar Schnittbilder einzufangen: ein sich füllender Saal, miteinander redende Abgeordnete, eine Tür, die erst auf- und dann zugeht.
Vor der Eingangstür zum Sitzungssaal steht Martin Frey, ein schlanker, heute ein klein wenig angespannt wirkender Mann mit Vollbart, der einem Abgeordneten aufmerksam zuhört. Martin Frey kommt gerade von der Beratung der Obleute. Das ist so etwas wie ein Ältestenrat des Ausschusses, ein Arbeitsgremium, in dem vor jeder Sitzung Absprachen getroffen werden, die später helfen, dass man zügig vorankommt.
In den Tagen vor diesem Mittwoch hat Martin Frey mit seinen Kolleginnen und Kollegen die Ausschusssitzung vorbereitet. Er leitet das Sekretariat, eine Organisationseinheit, die jedem Ausschuss des Deutschen Bundestages zur Verfügung steht, damit die Abgeordneten ihre Arbeit machen können. Ein Sekretariat sorgt für reibungslose Abläufe, es gibt den Hintergrund eines Bildes. Sein Fehlen würde man sofort bemerken. Was für ein komisches Bild, dächte man dann wahrscheinlich. Da fehlt doch was.
Sechs Frauen, zwei Männer und der Chef gehören zum Sekretariat. Jede Sitzung des Ausschusses, jede Anhörung wird von ihnen akribisch vorbereitet. In Sitzungswochen beginnt das am Montag mit der ersten Dienstbesprechung. Schon Donnerstag vor einer Sitzungswoche muss die Tagesordnung für eine reguläre Ausschusssitzung stehen, die immer am Mittwoch stattfindet. Sie wird auf gelbem Papier gedruckt und ist das Ergebnis vieler Absprachen, Telefonate mit den einzelnen Referaten und Fraktionsmitarbeitern. Ergänzungen und Änderungen der Tagesordnung werden auf blauem Papier gedruckt. Am Dienstagabend ist alles bestens vorbereitet. Experten sind, wenn gewünscht, eingeladen, die Reihenfolge der Themen steht, es ist absehbar, worüber voraussichtlich am längsten debattiert wird – und jemand, der so erfahren ist wie Martin Frey, weiß, ob am nächsten Tag viele oder wenige Journalisten vor der Tür stehen werden.
Nach jeder Sitzung muss das Ausschusssekretariat ein Protokoll erstellen, mitberatende Voten formulieren und Beschlussempfehlungen für das Plenum anfertigen. Die Beschlussempfehlungen, die an das Parlamentssekretariat gehen, damit sie von dort weitergeleitet werden können, sind Grundlage der abschließenden Plenardebatten. Ohne sie können die Abgeordneten, die in anderen Ausschüssen arbeiten, nicht über die Belange in den Bereichen Arbeit und Soziales beraten und beschließen. Der Mittwochnachmittag ist also fast immer hektisch und anstrengend. Und am Donnerstag beginnt dann meist schon die Vorbereitung der nächsten Ausschussberatung, es werden Gespräche mit Vertretern von Verbänden oder Vereinen geführt, Absprachen mit Fraktionen und Ministerien getroffen.
Martin Frey kennt alle Abläufe, alle denkbaren Abweichungen und vielleicht auch alle Eventualitäten. Er ist 52 Jahre alt und arbeitet seit 1987 im Deutschen Bundestag. Damals hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Enquete-Kommission angefangen, die sich mit der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung befasste. Sein Fachgebiet waren die Sozialsysteme. In Stuttgart aufgewachsen, hatte er zuvor in Bonn Politik- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Die Enquete-Kommission war, wie er selbst sagt, „ein richtig guter Start“. Interessant, anspruchsvoll und herausfordernd. Ihr Bericht wurde fertig und vorgestellt, kurz bevor in Berlin die Mauer fiel und sich vieles ganz und gar änderte.
Am 1. Januar 1990 wurde Martin Frey Referent beim Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung. Da war Norbert Blüm schon acht Jahre zuständiger Minister und sollte es noch acht weitere Jahre bleiben. Arbeit und Sozialordnung umfasste damals auch den Bereich „Krankenversicherung“, ein eigenes Ministerium entstand erst später. Frey blieb in seinem Fachgebiet. Er war längst Experte, als er nach sechs Jahren in den Ausschuss Familie, Senioren, Frauen und Jugend wechselte und dort die Leitung des Sekretariats übernahm. Da wusste er auch schon, dass er nach Berlin ziehen, aber noch nicht, wo genau er dort Büro und Arbeit haben würde.
Nun sitzt er im Paul-Löbe-Haus, in einem Büro im Erdgeschoss, ganz in der Nähe des Sitzungssaales E 200, wo der Ausschuss berät, für den er zuständig ist.
Das Büro verrät nicht viel. Es sieht sachlich aus, wenn man so etwas von einem Büro behaupten kann. Und Martin Frey wirkt seriös in seinem grauen Anzug, zu dem er ein blaues Hemd und eine blaue Krawatte trägt. Der graumelierte Vollbart relativiert den Eindruck allerdings ein wenig und auch die Art und Weise, in der Martin Frey immer wieder ins Erzählen kommt: entspannt, gelassen und ohne jede Attitüde. Da lässt sich gut zuhören, aber das wusste man schon nach dem ersten Telefonat, als man die volle Baritonstimme noch einem eher fülligeren Mann zuordnete. Zumindest auf der Bühne sind Männer mit solchen Stimmen oft ein wenig füllig.
In der Ausschusssitzung, wenn Martin Frey den Platz neben dem Vorsitzenden einnimmt und aufmerksam die Diskussion und den Ablauf beobachtet, ist er immer ein bisschen in Bewegung. Er beugt sich vor, lehnt sich zurück, blickt nach links und nach rechts, schreibt etwas auf, blättert in Papieren, beantwortet leise Fragen, gibt Hinweise, dreht sich nach hinten, um kurz etwas mit einer Mitarbeiterin zu besprechen, reicht dem Vorsitzenden des Ausschusses Zettel zu. Vor ihm stehen zwei dicke Ordner „Handbuch für die Parlamentarische Praxis“. Hin und wieder wird die Tagesordnung den aktuellen Gegebenheiten angepasst, der Vorsitzende zieht Tagesordnungspunkte nach vorn oder schiebt sie nach hinten, wenn zum Beispiel der Minister kommt, um Bericht zu erstatten und Fragen zu beantworten. Für Außenstehende wirkt eine solche Sitzung wie ein Buch mit sieben Siegeln, ein Stück, in dem viele Akteure auftreten und genau wissen, was sie zu tun haben und warum etwas gerade so und nicht anders abläuft.
Im Gespräch fällt en passant das Wort „Buchprojekt“. Martin Frey erzählt, dass ihm die Arbeit im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Spaß gemacht habe, der interessanten Themen wegen und weil es auch eine gute Zusammenarbeit war. Und dann sagt er: „Außerdem habe ich in der Zeit zusammen mit einem Professor ein dreibändiges Werk über die Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland geschrieben. Eigentlich sollten es nur zwei Bände werden, aber dann kam ja die ganze DDR-Geschichte dazu.“ Schon will er zum nächsten Thema kommen, während man noch staunt und denkt, das muss man jetzt aber auch mal sehen. Martin Frey holt einen der drei Bände – 700 Seiten „Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik“ – aus dem Regal. Wer so etwas schreibt, ist ja nun doch ein wahrer Experte, denkt man und fragt, wie das so zu schaffen ist: nebenher noch drei dicke Bände über ein solch schwieriges Thema zu füllen, wenn auch nicht allein.
Aber dafür ist er dann zu bescheiden und wiegelt ab und spielt herunter. Er habe schließlich darauf studiert und im Laufe der Jahre komme da ja auch eine Menge Wissen zusammen und so wichtig sei es nun auch nicht. Seit 1999 ist Martin Frey wieder im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, heute Arbeit und Soziales, und leitet das Sekretariat. Ein Experte, nicht nur des Fachgebiets, sondern natürlich auch der Geschäftsordnung des Bundestages. Letzteres ist bei den straffen Abläufen in Ausschusssitzungen besonders wichtig. Da braucht es jemanden, der zuverlässig weiß, ob das, was jetzt getan werden soll, auch der Geschäftsordnung entspricht und keine Verfahrensfehler enthält.
Um zehn Uhr an einem Mittwoch in einer Sitzungswoche des Bundestages steht der Experte Martin Frey vor dem Sitzungssaal E 200 im Paul-Löbe-Haus, beantwortet Fragen und plaudert mit Abgeordneten. Eine Reporterin fragt, wie lange man Zeit habe, vor der Sitzung ein paar Bilder zu machen, und wann der Minister komme? Ein paar Minuten noch – dann wieder um elf. Martin Frey lächelt freundlich und geht in den Saal. Auch an diesem Tag wird alles gut laufen. Daran hat er seinen Anteil.
Text: Kathrin Gerlof