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Zwischen dem Deutschen Bundestag und der französischen Nationalversammlung hat sich im Laufe der Jahre ein breites Geflecht an Arbeitsbeziehungen und persönlichen Kontakten entwickelt. Präsidien und Ausschüsse tagen gemeinsam, Abgeordnete und Mitarbeiter der Verwaltungen tauschen sich regelmäßig aus, in Kolloquien und Arbeitsgruppen werden Probleme besprochen, mit denen beide Länder gleichermaßen konfrontiert sind. Die Zusammenarbeit ist so eng und vielfältig, dass viele von einem deutsch-französischen Tandem sprechen. Und seit der gemeinsamen Sitzung beider Parlamente zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages im Jahre 2003 treten die beiden Partner kräftiger „in die Pedale“ denn je zuvor. BLICKPUNKT BUNDESTAG ist ein Stück des Weges mitgefahren.
Der eine kommt aus dem Elsass, der andere aus Baden-Württemberg. Vater und zwei Onkel des Franzosen, Yves Bur, kämpften im letzten Krieg in der französischen Armee. Drei weitere Onkel waren in der Wehrmacht, einer verlor sein Leben in Russland. Der Vater des Deutschen, Andreas Schockenhoff, war während des Krieges an der französischen Atlantikküste, lernte da die Menschen auf einem Bauernhof kennen. Der Kontakt blieb bestehen, und Andreas kam als Schüler häufig nach Frankreich. Aber schon als Fünfjähriger hatte er aus nächster Nähe einen Blick auf den französischen Präsidenten Charles de Gaulle werfen können, der in Begleitung von Konrad Adenauer 1962 Deutschland bereiste. Beide Staatsmänner hatten gemeinsam den Weg der Aussöhnung der einstigen Erbfeinde eingeschlagen.
Yves Bur ist heute Vizepräsident der französischen Nationalversammlung und Vorsitzender der französischdeutschen Freundschaftsgruppe in der Assemblée nationale. Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, steht der deutsch-französischen Parlamentariergruppe vor. Beide gehören zu den Motoren der im internationalen Vergleich besonders intensiven Zusammenarbeit der beiden Parlamente.
Anders als in der traditionell von den Regierungen geführten Außenpolitik werden von Bundestag und Nationalversammlung meist Fragen behandelt, die eher den Bereich der Innenpolitik betreffen. Schockenhoff nennt als Beispiel das „Megathema“ Energiepolitik, über das sich die beiden Parlamente schon seit über zehn Jahren austauschen. Sein französischer Partner Bur sieht das ähnlich. Es gebe eine Menge innenpolitischer Fragen, bei denen man vom Nachbarn viel lernen könne. Wenn man freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Ländern haben wolle, dann sei es „ganz normal, dass auch die Parlamente enger zusammenarbeiten“.
Gemeinsam im Wahlkreis
Einen beträchtlichen Beitrag dazu leisten die Parlamentariergruppen. Die deutsche Gruppe wurde bereits 1959 gegründet und ist damit eine der ältesten im Bundestag. Sie zählt über 70 Abgeordnete aus allen Fraktionen. Ihr Vorsitzender betont, anders als bei manchen Gruppen, die sich fernen Regionen der Welt widmen und vielfach vor allem repräsentative Aufgaben erfüllen, handele es sich hier um enge und alltagserprobte Arbeitsbeziehungen.
Diese werden zum Beispiel im Kolloquium „Paris-Berlin“ gepflegt, das seit dem Jahr 2000 abwechselnd in Deutschland und Frankreich stattfindet. Es bietet für Parlamentarier sowie für Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft ein Forum zur Diskussion drängender gesellschaftspolitischer Fragen.
Bisher wurden die Themen Energie, Bioethik und Familienrecht behandelt. Zum letzten Treffen über die Rolle der beiden Länder im erweiterten Europa wurden erstmals Parlamentarier aus den anderen Mitgliedstaaten der EU eingeladen. Auch beim nächsten Kolloquium über Immigration und Integration können Parlamentarier aus anderen EU-Staaten teilnehmen. Denn die Beziehungen der beiden Parlamente sollen nicht exklusiv sein. Bur betont, die Tatsache ihrer „ganz besonderen Beziehungen“ brauche die beiden Parlamente keineswegs verlegen machen. Sie dürften aber auch nicht zu einem „exklusiven Tête-à-Tête“ werden.
Die Parlamentariergruppen sind auch für das so genannte Hospitantenprogramm zuständig, das die Präsidien von Bundestag und Nationalversammlung auf ihrer ersten gemeinsamen Sitzung 1997 in Paris vereinbarten. Dabei bilden jeweils ein Franzose und ein Deutscher möglichst der gleichen politischen Ausrichtung eine Zweiergruppe, ein „Tandem“.
Sie nehmen gemeinsam Termine im Wahlkreis und am Sitz des Parlaments wahr. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Arbeitsweise beider Parlamente zu erkunden, Vergleiche zu ziehen und Ansatzpunkte für eine engere Zusammenarbeit zu finden.
Yves Bur berichtet, es sei interessant gewesen zu sehen, wie der Kollege im Wahlkreis agierte, wie er mit lokalen Problemen umging und wie er sich in den Versammlungen mit Vereinen gab. Im Bundestag staunte der Franzose, dass die Disziplin in den Sitzungen viel besser ist als in Frankreich. „In der Fraktionssitzung der CDU/CSU saßen die eineinhalb, zwei Stunden da, und praktisch niemand ging raus.“ In Paris habe er noch nie die ganze Fraktion auf einmal erlebt. Auch im Plenum herrschten andere Sitten. So seien die französischen Abgeordneten viel unruhiger und unterbrächen den Redner viel häufiger.
Die Unruhe ihrer französischen Kollegen lässt die Berliner SPD-Abgeordnete Petra Merkel unerwähnt. Ihr fiel bei ihrem Programm in Paris vor allem auf, dass es – von der Verfassung vorgeschrieben – nur sechs Ausschüsse mit jeweils über 80 Mitgliedern gibt und die Assemblée in der Regel nur von Dienstag bis Mittwoch tagt. „Der Schwerpunkt der politischen Arbeit liegt eindeutig auf der Wahlkreisarbeit, weil nur mit einem Direktmandat der Einzug in die Nationalversammlung möglich ist.“
Die Abgeordneten gewinnen bei ihren Besuchen aber nicht nur neue Erkenntnisse über das politische System des Nachbarlandes, sondern haben auch Gelegenheit, persönliche Kontakte zu knüpfen. So hat der rheinland-pfälzische SPD-Abgeordnete Klaus Hagemann anschließend mit seinem Partner zunächst einmal einen Praktikantenaustausch organisiert. Und heute holt er sich auf eigene Faust in Frankreich Informationen für seine Arbeit in Berlin, zum Beispiel über die Kleinkinderbetreuung im Nachbarland. Auch Andreas Schockenhoff hat inzwischen „ein Netzwerk von persönlichen Beziehungen“ in Frankreich aufgebaut.
Der Schwung von Versailles
Ein immer engeres Netzwerk von Beziehungen wird ferner durch den Austausch von Beamten geknüpft, der seit dem Jahre 2000 läuft. Inzwischen waren drei Deutsche und drei Franzosen als Parlamentsmitarbeiter im Nachbarland. In regelmäßigen Abständen soll ein Deutscher für etwa ein Jahr in der Assemblée nationale arbeiten, für ihn kommt ein Mitarbeiter der Nationalversammlung zum Bundestag.
Zum Beispiel Frank Baron, der seit Anfang April in Berlin ist. Sein erster Eindruck: Der Bundestag habe mehr politisches Gewicht als die Assemblée. In Frankreich werde aber über eine Änderung diskutiert. Er hoffe, nach seiner Rückkehr seine Erfahrungen in die Debatten seines Heimatlandes einbringen zu können.
Jacqueline Bila bestätigt das. Sie hat bereits ein Jahr in Paris als Referentin im Sekretariat des Ausschusses für Produktion und Handel gearbeitet und sehr schnell festgestellt, dass die Nationalversammlung weniger verbriefte Rechte hat als der Bundestag. So kann das Präsidium nicht einmal die Tagesordnung fürs Plenum festlegen. Das erledigt die Regierung. Für Deutsche ist es auch unvorstellbar, dass bei Uneinigkeit der beiden Kammern das Haushaltsgesetz ohne Votum des Parlaments in Kraft gesetzt werden kann.
Neben dem Austauschprogramm gibt es die Möglichkeit, zu einem einwöchigen Informationsbesuch zum Parlament des Nachbarn reisen zu können. Petra Düwel hat im Dezember 2005 das dicht gefüllte Programm mitgemacht, bei dem sie neben der Arbeitsweise des Parlaments auch die ihrem eigenen Bereich verwandten Arbeitsgebiete kennen lernte. Beim Mittag- oder Abendessen ließen sich persönliche Kontakte herstellen.
Das hilft bei ihrer Arbeit im Bundestag: „Künftig kann ich bei einer bestimmten Frage einfach mal anrufen oder eine Mail schicken.“?
Im Jahre 2003 erhielten die schon zu jener Zeit vielfältigen Beziehungen einen zusätzlichen Schub durch die gemeinsame Sitzung beider Parlamente zum 40. Jahrestag des Elysée- Vertrages. Yves Bur meint, dieses Treffen im Schloss von Versailles habe der Zusammenarbeit zusätzlichen Schwung verliehen. „Auch Politiker brauchen manchmal Emotionen.“ Es sei für ihn sehr berührend gewesen, dass hier – an diesem für die deutschfranzösische Geschichte gefühlsbeladenen Ort – die Abgeordneten von beiden Seiten des Rheins nebeneinander saßen und die Hymnen beider Länder gesungen wurden.
In Versailles ging es auch ganz konkret um den weiteren Ausbau der Beziehungen beider Parlamente. Sie beschlossen, neben den Präsidien auch Ausschüsse gemeinsam tagen zu lassen, den Austausch zwischen den Abgeordneten und den Verwaltungsmitarbeitern zu intensivieren und in den internationalen parlamentarischen Versammlungen (zum Beispiel der WEU und der Nato) ihre Positionen abzustimmen.
Dieser Beschluss blieb kein bloßes Papier. Inzwischen haben sich bereits die Rechtsausschüsse, die Ausschüsse für Gesundheit und Soziales, die Verteidigungsausschüsse (im Mai 2006) sowie bereits zum vierten Mal die Europaausschüsse getroffen, die die Vorreiter spielten. Auf ihrer bisher letzten gemeinsamen Sitzung im März in Paris standen nach Angaben des deutschen Vorsitzenden Matthias Wissmann (CDU/CSU) die Zukunft der europäischen Verfassung, die Erweiterung und die Frage nach der Identität der EU im Mittelpunkt. Dabei sei es weniger um formale Beschlüsse gegangen – was rechtlich auch schwierig sei – sondern um einen tiefgehenden Meinungsaustausch.
Taktgefühl im Ausschuss
Wie läuft eine solche binationale Sitzung ab? Die Ausschussmitglieder bilden eine „bunte Reihe“, ein Franzose neben einem Deutschen. Die beiden Vorsitzenden wechseln sich in der Sitzungsleitung ab und rufen abwechselnd jeweils einen deutschen und einen französischen Parlamentarier zu deren Wortbeiträgen auf. Margot Heimbach, Leiterin des Ausschusssekretariats, meint: „Das geht wie das Einfädeln auf der Autobahn.“ Jeder verwendet seine Muttersprache, es wird simultan übersetzt. Es kommt aber immer wieder vor, dass einer in die Sprache des anderen verfällt. Bei den einleitenden Worten geschieht das schon aus Höflichkeit.
Noch konkreter wurde die in Versailles vereinbarte Zusammenarbeit des Bundestages und der Nationalversammlung in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe praktiziert. Sie galt dem 1963 gegründeten Deutsch-Französischen Jugendwerk, das Schwächen zeigte, die Jugendlichen von heute nicht mehr so gut erreichte wie das noch in den 60er Jahren der Fall war. Die von den Präsidien beider Parlamente in Versailles eingesetzte gemischte Arbeitsgruppe sollte dem Jugendwerk neue Dynamik verschaffen.
Seit Oktober 2003 fanden monatlich abwechselnd in beiden Ländern zweitägige Anhörungen von Experten statt. Am Ende waren alle Mitglieder der Arbeitsgruppe davon überzeugt, dass das Jugendwerk einer grundlegenden Reform unterzogen werden musste. Ihre Vorschläge wurden von den Parlamenten gebilligt und von den Regierungen in Form eines Abkommens übernommen.
Bei ihren jährlichen Zusammenkünften ehren die Präsidien auch die Träger des Deutsch-Französischen Parlamentspreises, der ebenfalls 2003 ins Leben gerufen wurde. Mit ihm werden jährlich herausragende wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet, die sich sowohl mit Frankreich als auch mit Deutschland beschäftigen und zur besseren gegenseitigen Kenntnis der beiden Länder beitragen. Insgesamt rund 80 Arbeiten für das Jahr 2005 wurden eingereicht – eine erfreulich starke Resonanz bereits im zweiten Jahr der Preisvergabe. Keine leichte Aufgabe war es für die Jury aus je zwei Abgeordneten des Bundestages und des französischen Parlaments sowie zwei deutschen und zwei französischen Wissenschaftlern, sich bei dem durchgängig hohen Niveau auf zwei Preisträger festzulegen.
Die Beziehungen zwischen beiden Parlamenten sind so vielfältig und laufen so reibungslos, dass viele der beteiligten Abgeordneten das ursprünglich nur im Hospitantenprogramm gebrauchte Bild des Tandems auch auf die gesamte Zusammenarbeit anwenden. Bur meint: „Das Bild passt. Wenn einer – zum Beispiel vor einer Wahl – etwas schwächer ist, dann muss der andere eben kräftiger treten.“ Er hoffe, „dass wir so lange wie möglich miteinander Tandem fahren können“.
Text: Klaus LantermannAssemblée nationale Website der
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