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Im Grunde ist beim Haushaltsausschuss alles so einfach wie beim Fußball. Das Runde muss ins Eckige. Viele tausend einzelne Regelungen müssen eine runde Sache ergeben, damit sie als mehrere Aktenordner starke Anlage zum Haushaltsgesetz eine erfolgreiche Politik ermöglichen. Dabei kommt es auf die Arbeit jedes einzelnen Abgeordneten und seiner Mitarbeiter an. Mehr als in anderen Gremien des Bundestages verstehen sich die Mitglieder des Haushaltsausschusses als Teamspieler.
Anders als in einem Team, bei dem sich jeder auf den anderen verlassen kann, ist die riesige Fülle überhaupt nicht zu bewältigen. Zu jedem Einzelplan werden Berichterstatterinnen und Berichterstatter benannt, die alle dieses Ressort betreffenden Fragen schon im Vorfeld zu klären versuchen. Jeweils einer ist für den Ausschuss der federführende Berichterstatter, der sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen, die sich aus den anderen Fraktionen um diesen Teilbereich kümmern, koordiniert, sich mit den Zuständigen aus dem jeweiligen Ministerium zusammensetzt und Titel für Titel durchgeht. Traditionell kommen alle Punkte, über die sich die Experten aus den Koalitionsund Oppositionsfraktionen einig sind, auf grünes Papier und gelten damit als beschlossen. Alle strittigen Titel kommen auf weißes Papier werden im Ausschuss aufgerufen, beraten und beschlossen oder bei Uneinigkeit weiter zurückgestellt und erst am letzten Tag der Haushaltsberatungen, bei der so genannten „Bereinigungssitzung“, einer Einigung oder einer Mehrheitsentscheidung zugeführt.
Wie sieht das Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit aus? Natürlich spiegelt die Ausschussbesetzung die Kräfteverhältnisse im Plenum wider. Aber kann die Opposition nur zuschauen, wie die Koalition die Dinge gestaltet? Steffen Kampeter, Unionssprecher im Haushaltsausschuss, kennt as Gremium noch aus Zeiten der christlich-liberalen Regierung unter Kohl, war dann Oppositionsabgeordneter während der rot-grünen Regierung und ist nun wieder Mehrheitspolitiker. Und doch hat sich für ihn in den wechselnden Rollen „nicht viel geändert“. Seine Erklärung: „Der Haushaltsausschuss hat eine parteiübergreifend solide Skepsis gegenüber den Regierungsentwürfen.“ Das Gremium versuche stets, die Ausgabenvorschläge und Einnahmenvorstellungen der Regierungen kritisch zu überprüfen. „Das Gremium ist immer wie ein gallisches Dorf, ein Stück weit Opposition gegenüber der Exekutive.“ Das sei der grundgesetzliche Auftrag. Es gehe um „das Hoheitsrecht, dass das Parlament entscheidet, wofür die Exekutive das Geld ausgibt“. Daneben sei es klar, dass es verschiedene Rollen gebe: „Wenn man regiert, begleitet man kritisch-konstruktiv, wenn man Opposition ist, kann man unabgestimmt noch viel kritischer sein.“
Gemeinsame Anliegen
Anja Hajduk, Obfrau von Bündns 90/ Die Grünen im Haushaltsausschuss, ist von Koalitions- zur Oppositionsabgeordneten geworden. Für sie bedeutet der Wechsel weniger Koordinationsaufwand, aber auch weniger Gestaltungskraft. Bis zum Regierungswechsel musste ihre Fraktion ihre orstellungen in weiteren Verhandlungen beim Koalitionspartner SPD durchsetzen. Wenn das gelungen war, „dann hat das auch stattgefunden“. Ein anderer Aspekt, der auf die heimliche Macht des Haushaltsausschusses erweist: „Wenn Regierungsfraktionen twas ändern wollen, machen sie das in der Regel so,dass sie dem Minister vorher einen Wink geben.“ Dann steht das, was die Parlamentsmehrheit will, schon im Regierungsentwurf drin und muss nicht erst im Beratungsverfahrengeändert werden.
Aber auch die Opposition hat heimliche Macht. Wenn die Abgeordneten der Minderheit die Abgeordneten der Mehrheit davon überzeugen können, dass in einzelnen Punkten andere Ansätze besser wären, dann findet das immer wieder Eingang in den gemeinsam getragenen Änderungskatalog. Zum Beispiel? Gesine Lötzsch, Obfrau der Fraktion Die Linke. im Haushaltsausschuss, winkt ab: „Das Problem mit den Beispielen ist es ja, dass sie sofort verbrannt sind, wenn man sie in die Öffentlichkeit bringt.“ Wer sich aus der Opposition heraus mit seinen Vorstellungen im Ausschuss durchsetzt, tut gut daran, dafür nicht zu viel Reklame zu machen. Das sei war persönlich schade, mache aber politisch Spaß: „Man kann zwar nicht die Milliardenbeträge hin- und herschieben, aber man kann an einigen Stellen sehr konkret etwas bewegen.“
Carsten Schneider, Obmann der SPD, kann dies nur bestätigen. Es sei natürlich immer schwierig, als Regierung mit großer medialer Begleitung auf die Opposition einzuschwenken. In den großen Linien der Politik sei dies auch überhaupt nicht nötig. Aber natürlich höre ein Berichterstatter der Koalition immer genau darauf, was ie Kollegen der Opposition zu sagen hätten. Wenn der informell zu ihm komme, ihn überzeuge und ihm die Möglichkeit gebe, aus dem Vorschlag ein gemeinsames Anliegen zu machen, „dann ist das immer möglich“.
Für die Zusammenarbeit im Ausschusswie auch für die Koordination mit den Fraktionen haben die Obleute eine entscheidende Funktion. „Wir sind das organisatorische Rückgrat“, beschreibt FDP-Obfrau Ulrike Flach die Rolle. In den Runden der Obleute versuche man, Probleme bereits im Vorfeld abzufangen. Ihren Fraktionen wiederum erstatten die Obleute Bericht über den Fortgang der Arbeit. Auch Flach sieht die Opposition im Haushaltsauschuss nicht ohne Chance, eigene politische Vorstellungen umzusetzen. Nicht einfach sei es allerdings, gegen das mediale Übergewicht der Großkoalitionäre anzukommen: „Da muss man dann manchmal einfach schneller sein und darf sich vor allem den Schneid nicht abkaufen lassen.“
Kontakt zu den Ministerien
Mehr als für die Opposition gehört der Kontakt mit der Regierung für die Koalition zur Routine, wie Schneider erläutert. Er spricht nicht nur mit dem Minister und den Staatssekretären der Ministerien. Die Berichterstatter suchten auch den Kontakt zu den Abteilungsleitern, Unterabteilungsleitern und oft auch zu den Referenten. So lerne man die gegenseitigen Vorstellungen genau kennen. Und jeder Regierungsmitarbeiter wisse sehr genau: Was der Bundestag will, kann er jederzeit in den Haushalt hineinschreiben. Warum also so lange warten, bis die Änderung hinterher komme, warum dann nicht vorher „konfliktfrei“ auf die Vorstellungen der Abgeordneten eingehen? Insofern muss an diesem Punkt auch für Schneider das Klischee vom geschwundenen Einfluss des Parlamentes korrigiert werden: „Was von der Exekutive präsentiert wird und vom Parlament übernommen wird, ist vom Parlament im Wesentlichen vorbestimmt worden.“
Wie geht der Haushaltsausschuss mit den gut 6.000 einzelnen Titeln um, die alle gesichtet, betrachtet,untersucht, beraten, diskutiert und entschieden werden müssen? Zunächst einmal, indem er Sonderrechte in Anspruch nimmt. Als einziger Ausschuss können die Haushälter ohne Sondergenehmigung auch während wichtiger Plenarberatungen tagen und während der sitzungsfreien Zeit zusammenkommen. Sodann hat jedes Ausschussmitglied wie die Abgeordneten in anderen Ausschüssen auch sowohl Fachleute aus der eigenen Fraktion als auch Mitarbeiter im eigenen Büro, die ihm zuarbeiten.
Trotzdem schätzt der Ausschussvorsitzende Otto Fricke (FDP) das Personalverhältnis zwischen Haushältern in Regierung und Haushältern im Parlament auf 60 zu eins. Erschwerend sei die Situation für die kleinen Fraktionen. Während sich bei Union und SPD jedes Mitglied auf ein oder zwei Einzelpläne konzentrieren könne, müsse sich in der Opposition jeder Abgeordnete um vier bis fünf kümmern.
Hilfreich ist das Gespür der Haushälter für heikle Punkte, wie Lötzsch berichtet: „Wir sind uns schnell einig, dass wir als Ausschuss genauer hinschauen, wenn ein Ministerium umgebildet wird. Da erscheinen dann auf der Leitungsebene ungeheuer viele Häuptlinge, und diejenigen, die man als Indianer bezeichnet, werden gerne weggekürzt. Wir achten stets gemeinsam darauf, dass sich neue Minister nicht zu viel neues Personal unter den Nagel reißen.“
Hajduk unterstreicht das ausgeprägte Informationsrecht des Haushaltsausschusses. Zu jedem Ministeriumseinzelplan gebe es für die Haushälter noch einmal einen dicken Aktenordner mit zusätzlichen Erläuterungen, und außerdem stünden die Regierungsexperten jederzeit für detaillierte Nachfragen zur Verfügung. Der Haushaltsausschuss wird auf diese Weise zu einem „Schlüsselgremium“ für das gesamte Parlament. Gerade Haushälter aus der Opposition erfahren hier mitunter mehr aus den einzelnen Ministerien als die eigentlich zuständigen Fachpolitiker ihrer Fraktion. Deshalb sind Haushälter immer auch Informationsquelle für andere Gremien der Fraktion.
Regelmäßige Marathonsitzungen
Umgekehrt haben die Haushälter zusätzliche Koordinationsaufgaben, müssen mit darauf achten, dass die Außendarstellung der eigenen Fraktion stimmig ist, dass nicht die einen etwas fordern, das die anderen für nicht finanzierbar halten. Das bedeutet, wie Schneider weiß, natürlich auch, dass „Haushaltspolitiker nicht besonders beliebt sind“. Der Haushaltsausschuss sei begehrt, da wollten alle rein, „aber wenn man als Haushälter nicht ausgetrickst, sondern geachtet wird, dann ist das schon in Ordnung“. Kampeter sieht das genauso. Er hat von Exfinanzminister Theo Waigel gelernt: „Ein Finanzminister, der beliebt ist, ist meistens pleite.“
Die Sonderstellung der Haushälter schlägt sich auch auf den internen Umgang miteinander nieder. „Kameradschaftlich“, sagt Kampeter zum Klima im Ausschuss. „So gut, dass wir uns schnell wieder vertragen, wenn wir uns mal die Köpfe eingerannt haben“, sagt Fricke. „Hervorragend, fast alle sind per Du miteinander“, lautet Schneiders Urteil. „Sehr kollegial, wir schätzen gegenseitig, wenn einer in der Sache vernünftig argumentiert“, unterstreicht Hajduk. Und auch Lötzsch lobt „den kollegialen Umgang untereinander“.
Ein Umstand, auf den sich auch die Bundesminister einstellen. Zu den „Anfängerfehlern“ von Kabinettsneulingen kann es gehören, den Haushaltsausschuss zu unterschätzen. Das rächt sich zuweilen. Zumal Mehrheit wie Minderheit im Ausschuss auf den Respekt der Exekutive gegenüber dem Parlament achten. Ein Minister, der einmal einen Politiker der eigenen Fraktion im Ausschuss herunterzuputzen meinte, durfte sich beim nächsten Mal bei der Einzelberatung über seinen Etat nicht wundern, warum er wohl stundenlang vor den Ausschusstüren warten musste, bis er endlich an der Reihe war.
Wer regelmäßig Marathonsitzungen von zehn, zwölf und mehr Stunden zu absolvieren hat, der muss zwischendurch auch einmal durchatmen. So hat sich aus Bonner Zeiten ein besonderer „Zufluchtsort“ auch in Berlin etabliert. Ein Registraturraum in der Nachbarschaft des Sitzungssaals ist zur „Papierkneipe“ geworden, wo die Abgeordneten einen Kaffee, einen Saft oder auch mal ein Bier zusammen trinken und wo sich politische Verwerfungen persönlich glätten lassen. Das Kanzleramt hat für den Raum eine Espressomaschine spendiert. Aus eigenem Interesse.
Text: Gregor Mayntz