Zur beschäftigungspolitischen Funktion von Hochschulen
Bei der Diskussion der beschäftigungspolitischen Funktion der Hochschulen, also der Diskussion des Verhältnisses von Hochschulen und Arbeitsmarkt, müssen zwei verschiedene Teilarbeitsmärkte sorgfältig unterschieden werden. Zum ersten der - zahlenmäßig gewichtigere - Arbeitsmarkt außerhalb der Wissenschaft und zum zweiten der Arbeitsmarkt für Forschung und Wissenschaft, der sich zwar keineswegs ausschließlich, aber doch zu einem großen Teil innerhalb der Universitäten selbst abspielt. Dieser Unterscheidung wird in Deutschland mit der Differenzierung des Hochschulsystems in Universitäten und Fachhochschulen durchaus Rechnung getragen; aber die Abstufung ist auch innerhalb von Universitäten nützlich. Hier steht das Universitätssystem erst am Anfang einer zielführenden Differenzierung.
Noch immer sind viele Studien- und Prüfungsordnungen auf die Ausbildung wissenschaftlichen Nachwuchses ausgelegt, während die meisten Studenten für den nichtwissenschaftlichen Arbeitsmarkt ausgebildet werden und dies faktisch - wenn auch nicht in jeder Fakultät - in übergroßer Mehrheit auch wollen. Aber die "Fachhochschulisierung" aller Universitäten kann den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Hochschulen in Deutschland nicht auflösen.
Zwei Schlaglichter: Betrachtet man das Verhältnis der Universitäten zum Arbeitsmarkt, dann - so sagen Insider - leidet selbst eine Vorzeige-Disziplin wie der Maschinenbau unter dem Gegensatz zwischen unmittelbarem Arbeitsmarktbezug und der Notwendigkeit von Spitzenausbildung und -forschung. Die Maschinenbau-Fachbereiche bilden den allseits geschätzten Nachwuchs aus, der hilft, dass Deutschland nach wie vor Weltmeister im Exportieren komplexer Maschinen und Anlagen ist. Gleichzeitig deuten sich Probleme an, da - so die Experten - zu viel Auftragsforschung, aber zu wenig wissenschaftsorientierte und -finanzierte Spitzenforschung betrieben werde.
Auch auf den demographischen Wandel sind die deutschen Hochschulen schlecht vorbereitet. Er führt aufgrund einer längeren Lebenserwartung und weiterhin niedriger Geburtenraten zu einer zunehmenden Zahl älterer Menschen in der Bevölkerung. Nach Modellrechnungen des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) sinkt der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung von 1998 bis 2050 von 22 auf 14 Prozent. Dagegen steigt der Anteil der 60-Jährigen und Älteren von 22 auf 41 Prozent. Der Anteil der 80-Jährigen und Älteren erhöht sich sogar von 4 auf 15 Prozent. Dieser Trend wird zu einem steigenden Anteil Älterer an allen Erwerbstätigen und entsprechenden Ansprüchen an die Weiterbildung auch durch die Hochschulen führen. Darüber hinaus ist Zuwanderung, gerade von qualifizierten Menschen, notwendig. Auch hier spielen Hochschulen eine wichtige Rolle.
Insgesamt gilt: Die deutschen Universitäten brauchen viel zu lange, um Studierende - die sich schlecht informiert für ein Studienfach entscheiden - zu einem verwertbaren Abschluss zu führen. Und im internationalen Vergleich werden auf der Ebene der Fachhochschulqualifikation zu wenig Studenten ausgebildet. Gleichzeitig sind auf dem Gebiet der Forschung Spitzenleistungen selten geworden, und diese werden zudem oftmals in außeruniversitären Instituten erbracht - was kurzfristig schlecht für die Lehre ist und sich deswegen langfristig auch in der außeruniversitären Forschung rächt.
Die deutsche Hochschul- und Forschungspolitik bedarf dringend der Neuorientierung. 1 Gleichwohl darf man die Schuld nicht nur bei den Hochschulen suchen. Auch Unternehmen und Studierende sind gefragt.
Sowohl Unternehmen als auch Absolventen beklagen immer wieder, die Hochschulen bereiteten ihre Studenten zu wenig auf den Berufsalltag vor. Dies sollten die Hochschulen gar nicht zu bestreiten versuchen. Gleichwohl müsste aber deutlicher als bislang - auch von den sich in der Defensive befindlichen Hochschullehrern - gesagt werden: Für viele der von Unternehmen erwarteten "Schlüssel-Kompetenzen" gibt es keine bessere Ausbildung als die in der unternehmerischen Praxis. Dies trifft insbesondere für bestimmte Fähigkeiten zu, die gelegentlich etwas irreführend als "Methodenkompetenzen" bezeichnet werden und sich auf Fertigkeiten beziehen, die sich der Abstraktion entziehen und an konkreten Unternehmensprojekten eingeübt werden sollten. Wiederum andere Kompetenzen sind weniger ausbildungs- als selektionsrelevant - sie können nicht gelernt und eingeübt werden, sondern müssen durch die Unternehmen bei der Rekrutierung von Mitarbeitern berücksichtigt und bewertet werden. In diesem Prozess kann naturgemäß nicht jedes einzelne Unternehmen "die Besten" eines Absolventenjahrgangs einstellen. Dies ist trivial, wird aber von Unternehmern und Personalmanagern, die lautstark über die mangelnde "Arbeitsmarktorientierung" der Universitäten klagen, oftmals vergessen.
Betrachtet man nun Lehre und Forschung unter dem Gesichtspunkt der Verwertung außerhalb des akademischen Arbeitsmarktes (für Lehre und Forschung), so stellen sich mindestens zwei grundsätzliche Probleme:
Zum Ersten: Das Prinzip von Freiräumen jenseits aller Verwertungsmöglichkeiten widerspricht den unmittelbaren Interessen der meisten Studierenden bzw. Absolventen und der meisten ihrer künftigen Arbeitgeber an der beruflichen Verwertbarkeit des studierten Wissens und der erworbenen Kompetenzen. Eine konsequente Trennung von Forschung, die rein wissenschaftsbezogen wäre, und Lehre, die nur auf den externen Arbeitsmarkt bezogen wäre, kann jedoch nicht sinnvoll sein; denn auf diese Weise würde der Lehrstoff rasch veralten, und Forschung würde nicht mehr durch die Präsenz provozierend neugieriger Studierender befruchtet.
Zum Zweiten: Ein weiteres Spannungsverhältnis zwischen der Welt der Wissenschaft und der Welt von Wirtschaft und Gesellschaft ergibt sich aus der disziplinären Organisation von Wissenschaft und der disziplin-übergreifenden Qualität gesellschaftlicher Probleme und Fragestellungen. In komplexen Situationen ist Arbeitsteilung nützlich. Das ist einer der Gründe für die Existenz unterschiedlicher Fachdisziplinen. Daraus ergibt sich allerdings, dass Problemlösungen in der realen Welt die Überschreitung disziplinärer Grenzen erfordern; daher kommt es notgedrungen zu Spannungen mit der disziplinären Organisation von Wissenschaft. Und diese Spannung lässt sich sicher nicht durch eine Reduzierung gesellschaftlicher Probleme auf disziplinäre Fragestellungen, aber auch nicht durch eine pandisziplinäre Organisation von Wissenschaft sachgerecht lösen.
Ein nur scheinbarer Ausweg aus dem Dilemma von disziplinärer Organisation der Wissenschaft und den Notwendigkeiten interdisziplinärer Problemlösungen liegt in der Trennung von Universitäten, die in der Regel fach- und disziplingebunden lehren, und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die interdisziplinär forschen. In gewisser Hinsicht wird diese Unterscheidung - wenn auch keineswegs säuberlich - in Deutschland seit Jahrzehnten getroffen. Im Hinblick auf die Qualität von Lehre und Forschung dürfte allerdings das traditionelle "Humboldt'sche Bildungsideal" nach wie vor mehr Erfolg versprechen. Es ist an angelsächsischen Spitzenuniversitäten verwirklicht: Dort bestreiten Forschungsuniversitäten nicht nur den größeren Teil der (auch anwendungsbezogenen und interdisziplinären) Forschung, sondern sie sind auch voll in der Lehre engagiert. Im Unterschied zu diesem Modell sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland bislang weitgehend von der Pflicht zur Beteiligung an der Lehre entbunden. Und formal zur Universität gehörige "An-Institute" sind faktisch oft noch weniger als öffentlich geförderte außeruniversitäre Einrichtungen in den regulären Universitätsbetrieb eingebunden. Die Qualitätsprobleme deutscher Hochschulen werden durch diese Arbeitsteilung weiter verschärft.
Nicht nur Unternehmen und Universitäten müssen dazulernen und sich verändern. Diese Zumutung gilt auch den künftigen Studierenden. Um sie bewusstere Entscheidungen für eine Fachrichtung treffen zu lassen, spricht vieles dafür, auch in Deutschland Studiengebühren einzuführen. Gewissermaßen nebenbei könnten so auch mehr Mittel für die Hochschulen mobilisiert werden. Aber zentral ist die Überlegung: Wer zahlt, der überlegt nicht nur genauer, was und wo er eigentlich studieren will, sondern er kritisiert auch konsequenter eine schlechte Qualität der Lehre. Selbstverständlich müssen die Gebühren, die eine Hochschule einwirbt, auch vollständig bei ihr verbleiben. Nur dann stimmen die Anreizwirkungen. Selbst wenn ein Landesfinanzminister vorab die Zuwendungen an alle "seine" Hochschulen senkt, entfalten solche Gebühren positive Effekte.
Dass Studiengebühren mit einem öffentlich finanzierten Stipendiensystem kombiniert werden müssen, um die Entscheidung für ein Studium von der Begabung und dem Leistungswillen junger Menschen abhängig zu machen und nicht vom Geldbeutel der Eltern, ist selbstverständlich. In Deutschland könnte das Ausbildungsförderungsgesetz (BAföG) unschwer entsprechend umgebaut werden - es ist ohnehin reformbedürftig, da es offensichtlich nicht ausreicht, um Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern an das Studium heranzuführen. Bund und Länder gemeinsam könnten zum Beispiel "Studiengutscheine" vergeben, die je nach Einkommen der Eltern unterschiedlich teuer wären. Auf jeden Fall sind Darlehenssysteme sinnvoll, deren Rückzahlung vom späteren beruflichen Erfolg abhängt. Die Rückzahlung könnte auch über eine "Bildungserfolg-Abgabe" pauschaliert werden: Führt ein Studium nicht zu höherem Einkommen, müsste dann faktisch nichts zurückgezahlt werden.
Im Rahmen von länder- oder bundesspezifischen Mindestanforderungen an "Sozialverträglichkeit" sollte jede Hochschule ein eigenes Gebührensystem etablieren dürfen. Dadurch würde verhindert, dass die Gebühren überzogen hoch angesetzt werden; gleichzeitig könnten sehr gute Universitäten aber auch etwas "kostspieliger" sein, da sie ihren Absolventen eine bessere Ausbildung bieten.
In Deutschland wird weitgehend übersehen, dass die bildungs- und gesellschaftspolitische Basis für Studiengebühren besser ist als im angelsächsischen Ausland; dort sind hohe Gebühren an vielen Universitäten, insbesondere an Top-Einrichtungen, üblich. In Deutschland haben wir nach wie vor ein halbwegs funktionierendes öffentliches Schulwesen. Dagegen behandelt das Schulsystem in den USA und England zwar Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern bis zu mittleren Abschlüssen faktisch besser, als das in Deutschland der Fall ist; aber beim Übergang auf Universitäten, insbesondere die sehr guten Einrichtungen, werden dann durch private Vorbereitungsschulen schwer überwindbare "Klassengrenzen" geschaffen. Auf der Basis einer öffentlich finanzierten, homogenen (und nach PISA verbesserten) Schulausbildung kann man in Deutschland die Folgen von nach Leistung differenzierten Studiengebühren guten Gewissens riskieren. Auf der Grundlage eines solchen Schulsystems lassen sich dann auch Leistungseliten (und entsprechend spezialisierte Hochschulen) fördern, ohne dass die soziale Kohäsion der Gesellschaft Schaden nimmt. Denn die so entstehende Elite ist nicht durch die soziale Herkunft, sondern durch eigene Leistung geprägt.
Die Intransparenz des Übergangsprozesses von der Schule zur Universität dürfte ein wesentlicher - wenn bei weitem auch nicht der einzige - Grund dafür sein, dass Kinder aus "bildungsfernen" Elternhäusern seltener studieren. Ein transparenter Hochschulzugang beginnt mit systematischen, wiederholten Informations- und "Schnupper"-Angeboten in den Schulen und endet bei harten Zwischenprüfungen in den Universitäten nach dem ersten oder zweiten Semester; so verbringen Studenten nicht unnötig lange Zeit mit einem Studium, das ihnen nicht liegt. Die Stipendien und der auf Studiengebühren beruhende Service der Universitäten müssen so gestaltet werden, dass die Wahl des Studienorts nicht mehr überwiegend von der Nähe zum Elternhaus abhängt, sondern von den Interessen und Plänen der Studierenden und dem spezifischen Angebot einer Hochschule. Wo immer ein Fach es erlaubt, sollten Eingangsprüfungen dafür sorgen, dass sich möglichst nur Studenten einschreiben können, die das Studium mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bewältigen. Nur durch eine solche Umgestaltung des Hochschulzugangs werden die hohen Abbrecherquoten zurückgehen - und Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern umso eher ein Studium "riskieren".
Um eine größere Arbeitsmarktnähe der Hochschulen zu schaffen, muss das Studium konsequent in drei bzw. vier Stufen zerlegt werden: ein berufsbefähigendes Bachelor-Studium, ein berufbezogenes Master-Studium, das auch als Weiterbildungstudium angelegt sein kann, sowie schließlich ein hoch qualifizierendes Doktoranden-Studium (das zugleich aber auch ein "abgespecktes" Master-Programm für diejenigen beinhalten sollte, die diese anspruchsvolle Studienstufe ansonsten ohne Abschluss beenden würden). 2 Zum Ersten kann mit einer solchen Studienstruktur die Entscheidung für ein spezifisches Berufsfeld hinausgezögert und eine zeitnähere, verlässlichere Prognose über zukunftsträchtige Berufsfelder ermöglicht werden. Zum Zweiten erleichtern mehrstufige Studiengänge den Zugang zur Weiterbildung. Und zum Dritten erlaubt ein derart gegliedertes System, dass sich spätere Wissenschaftler im (Doktoranden-)Studium frühzeitig spezialisieren können. Das erlaubt wiederum, dass die außerwissenschaftliche Berufsbezogenheit in den anderen Studiengängen gestärkt wird.
Ein international kompatibles, d.h. dreijähriges Bachelor-Studium sollte flächendeckend eingeführt werden. Für Abiturienten, die im Vergleich zum Ausland eine hochwertigere allgemein bildende Schulausbildung erhalten haben, sollte das BA-Studium allerdings faktisch auf zwei Jahre verkürzt werden.
Das BA-Studium stellt die erste Stufe einer Hochschulausbildung dar. Es ist berufsbefähigend ausgerichtet und deshalb nicht mit dem heutigen Vordiplom vergleichbar. Das BA-Studium ist keine wissenschaftlich "minderwertige" Faktenhuberei oder eine bessere berufliche Lehre. Im Gegenteil: Wissenschaftliches Lernen muss, wenn es berufsbefähigend sein soll, einen hohen Grad an Transferierbarkeit von einem Wissensbereich zu einem anderen aufweisen. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass der Erwerb dieser Art von Lernfähigkeit in hohem Maße theoriegeleitet sein muss - ein Postulat, das selbstverständlich für mehr wie für weniger anwendungsnahe Wissensbereiche gilt; gute Elektrotechnik ist genauso theoriefähig und -bedürftig wie gute Volkswirtschaftslehre. Diese theoretische Qualität der hochschulischen Grundausbildung bietet auch die beste Gewähr dafür, dass die damit erworbene Lernfähigkeit in dem Sinne von Dauer ist, dass sie einen lebenslangen Lernprozess zu inspirieren und zu organisieren vermag. In dieser Perspektive kommt dem Fachwissen eine unverzichtbare Funktion zu - als Übungsgelände für eine allgemeinere und zu verallgemeinernde Lernfähigkeit. Unabhängig von der Berufsbezogenheit eines Fachstudiums in der Bachelor-Phase sollte dieses Studium wissenschaftliches Lernen vermitteln; darin liegt - über mögliche fachliche Qualifikationen hinaus - sein eigentlicher Beitrag zur Berufsfähigkeit.
Da BA-Studiengänge zum Teil - insbesondere in den Geisteswissenschaften - allgemein bildenden Charakter haben, stellt sich unausweichlich die Frage nach der Dauer dieses Studiengangs in Deutschland bzw. nach der Dauer der gymnasialen Oberstufe. In den USA ist die High-School-Zeit kurz, und das BA-Studium dauert deshalb drei Jahre. Abiturienten aus Deutschland wird an Elite-Universitäten daher auch ein BA-Jahr erlassen. Wenn in Deutschland strikt dreijährige BA-Studiengänge eingeführt würden, müsste die gymnasiale Oberstufe konsequenterweise um ein Jahr verkürzt werden.
Dem "lernbefähigenden" Bachelor-Studium steht in der konsekutiven Studienstruktur - als grundlegend anders und eindeutig berufsorientiert konzipierte weiterführende Stufe - ein Master-Studium gegenüber; dieses ist in sich wiederum - trotz verschiedener Berührungs- und Übergangspunkte - unterschieden nach Ausbildungen für vorwiegend wissenschaftliche und vorwiegend nichtwissenschaftliche Arbeitsmärkte. Diese unterschiedlichen Studiengänge sollten, soweit es inhaltlich möglich ist, auch innerhalb der Hochschule in eigene organisatorische Einheiten eingefügt werden - Professional Schools.
Die Professional School 3 wird hier als eine Untergliederung der Hochschule verstanden, die sich für einen bestimmten Bereich gesellschaftlicher Aufgaben als zugleich interdisziplinäres und anwendungsbezogenes Kompetenzzentrum auf höchstem wissenschaftlichem Niveau und mit einem deutlichen inhaltlichen Profil definiert. Professional Schools könnten unschwer auch gezielte Weiterbildungs-Programme anbieten. Denkbar und sinnvoll sind Professional Schools in allen Bereichen, in denen sich in Forschung und Ausbildung eine deutliche Zuordnung zu beruflichen Tätigkeitsfeldern bestimmen lässt - also etwa in den Bereichen Lehrerbildung, Rechtsprechung und Rechtspflege, Medizin und Gesundheitspflege sowie betriebliches, öffentliches und gemeinnütziges Management.
Ein für den Erfolg des Modells der Professional School entscheidendes Strukturmerkmal ist das Instrument der gemeinsamen Berufung von Hochschullehrern (joint appointment), das bislang innerhalb von deutschen Universitäten zwischen Fachbereichen nur selten angewandt wird. Damit kann gewährleistet werden, dass es sich um Professuren und deren Inhaber handelt, die entweder auf Dauer oder über einen längeren, zu vereinbarenden Zeitraum hinweg sowohl einem herkömmlichen Fachbereich als auch einer Professional School angehören und in beiden Einheiten an der Lehre wie an der Forschung mitwirken. Gemeinsame Berufungen zwischen Universitäten und außeruniversitären Instituten dienen in Deutschland zwar auch der Verbindung von Theorie und (Forschungs-)Praxis, aber davon profitiert nicht die am außerakademischen Markt interessierte Mehrheit der Studenten.
In der Professional School sollten Master-Studiengänge durchweg stärker berufsbezogen sein als heutige Diplom-Studiengänge. Ein Beispiel: Statt weiterhin All-round-Architekten auszubilden, die entwerfen und planen können, aber für diese Tätigkeit keinen Arbeitsplatz finden, sollten Fachhochschulen und Universitäten in einem BA-Studium methodische Grundlagen der Architektur und des Bauingenieurwesens legen; in differenzierten MA-Studiengängen könnten sie dann arbeitsmarktgängige Inhalte anbieten, z.B. Facility Management (Immobilienökonomie) oder Messebau.
Weiterführende Studiengänge in den nicht berufsbezogenen Fächern, also insbesondere den Geisteswissenschaften, sollten konsequenterweise nur auf dem Doktoranden-Level in den Graduiertenkollegs (siehe unten) angeboten werden, da der Master-Studiengang hier schlicht Zeitverschwendung wäre. Die Lehrerbildung hingegen, die nicht mit einer Geisteswissenschaft verwechselt werden darf, ist berufsbezogen; sie erfordert einen Master in der "School of Education", die ein Kompetenzzentrum für Lehre in allen Lebensphasen ist, also breiter und tiefer als die alte Pädagogische Hochschule angelegt ist.
Die Vielzahl der BA- und MA-Studiengänge, die seit einiger Zeit in Deutschland entwickelt wurden und weiter entwickelt werden, bewegt sich noch in der traditionellen "einförmigen" Gliederung deutscher Hochschulen. Insofern können diese Studiengänge nicht ihre volle Wirkung im Hinblick auf die Arbeitsmarktchancen entfalten. Der Wille vieler Hochschulen und Fachbereiche zur Umgestaltung des Studienangebotes ist allerdings ohne Zweifel eine gute Grundlage für noch weiter gehende Strukturreformen.
Das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlichen Freiräumen und Verwertungsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt, das durch konsekutive Studiengänge entspannt werden soll, spielt in der deutschen Diskussion bislang auch an anderer Stelle eine große Rolle - nämlich in der Auseinandersetzung über das Verhältnis von Fachhochschulen und Universitäten. Hier ist die hochschulpolitische Diskussion allerdings weit von einem Konsens entfernt. Die eine Zielvorstellung unterscheidet klar zwischen einer deutlich anwendungs- und verwertungsorientierten Forschung und Lehre an Fachhochschulen und einem rein wissenschaftsorientierten und auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses konzentrierten Profil von Forschungsuniversitäten - was, wenn man mit dieser Unterscheidung Ernst machte, massive Umschichtungen in den Studierendenzahlen und der Ressourcenlage des deutschen Hochschulwesens zur Folge hätte. Daneben dominiert ein strikt marktorientiertes Konzept, nach dem Fachhochschulen und Universitäten mit einem möglichst attraktiven Studienangebot in Wettbewerb zueinander treten, dessen Ergebnis freilich auch eine schärfere Profilierung sein dürfte.
In den vergangenen Jahren sind auch in Deutschland viele private "Business Schools" entstanden, die offenkundig zwischen den Ansprüchen traditioneller Fachhochschulen und Universitäten liegen; betrachtet man diese Entwicklung, dann ist es - wenn man ehrlich ist - unvermeidlich, dass sich die Hochschulpolitik für das Wettbewerbsmodell entscheiden muss. In diesem Modell werden sich Fachhochschulen (auch Berufsakademien) und Universitäten untereinander stärker ausdifferenzieren, und die Grenzen der "Typen" werden verwischen.
Ein Blick auf erfolgreiche dynamische Dienstleistungs-Volkswirtschaften spricht dafür, dass der Anteil der Erwerbstätigen mit fachhochschulanalogen Abschlüssen gesteigert werden sollte, damit auch in Deutschland insgesamt etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen über einen Hochschulabschluss verfügen. Dabei darf freilich die international hoch geschätzte duale Berufsausbildung nicht beschädigt werden, auch wenn sie selbst durchaus dringend der Modernisierung (insbesondere in Bezug auf die ihr zugrunde liegenden Berufsbilder) bedarf. Der Anteil von fachhochschuläquivalenten Abschlusszahlen sollte auch dadurch gesteigert werden, dass für die Mehrzahl der Studierenden in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre, Jura und zum großen Teil auch Medizin, die keinerlei wissenschaftliches Interesse haben, entsprechende berufsorientierte Studiengänge angeboten werden - in Professional Schools, die zwischen Universitäten oder Fachhochschulen angesiedelt sein könnten. Erste Initiativen in diese Richtung, wie etwa der von der Fachhochschule Lüneburg angebotene Studiengang "Diplom-Wirtschaftsrecht", sollten konsequent als Vorbild dienen.
Den zur Zeit expandierenden Markt für den "Master of Business Administration" (MBA), der nach deutscher Typologie den Fachhochschulen zugeordnet werden muss, sollten die etablierten Universitäten weitgehend privaten Neugründungen überlassen: Sobald die traditionellen Hochschulen die Qualität ihrer Lehre verbessert haben und z.B. in allen Fächern "Soft Skills" gelehrt werden, wird die Nachfrage nach den privat maßgeschneiderten MBA-Abschlüssen zurückgehen. Dann werden sehr gute Business Schools, die in breit angelegte Universitäten eingebettet sind, begehrt sein - nicht jedoch rein auf den MBA ausgerichtete "Schmalspur"-Einrichtungen. Insofern könnten sich Investitionen großer Firmen in eine eigene Hochschule - die gerne "Universities" statt Universitäten genannt werden - als schlechte Geldanlage erweisen. Freilich hat das öffentliche Hochschulwesen offenbar bislang nicht rasch genug auf die speziellen Anforderungen aus Unternehmen reagieren können.
Die Graduate School dient einem sehr speziellen Arbeitsmarkt, nämlich dem des wissenschaftlichen Nachwuchses. In der Graduate School sind die Studienangebote anzusiedeln, die den Anforderungen des wissenschaftlich-akademischen Arbeitsmarktes entsprechen und sich an diejenigen Absolventen der Bachelor-Studiengänge richten, die sich für diesen Arbeitsmarkt entschieden haben und die notwendigen Qualifikationen nachweisen. Man sollte nicht darum herumreden: Hier kann und darf, ja muss es um die Förderung einer Leistungs-Elite gehen! Wenn man von den bestehenden Strukturen an deutschen Universitäten ausgeht, kann man sich eine Graduate School als den Ort vorstellen, an dem die exzellenten studentischen Hilfskräfte versammelt und damit besser gefördert werden können, als dies an einzelnen Professuren und Lehrstühlen möglich ist - ergänzt um Doktoranden, die von außen angeworben werden.
Im Prinzip handelt es sich bei diesem Typus um die Art von Ausbildung, die der Wissenschaftsrat in seinen jüngsten Empfehlungen zur Doktorandenausbildung, zur flächendeckenden Einführung von Promotionskollegs sowie zur Errichtung von "Zentren für Graduiertenstudien" vorschlägt und mit der die US-amerikanischen Forschungsuniversitäten beste Erfahrungen gemacht haben. In der inhaltlichen Orientierung lehnt sich eine Graduate School in der Regel enger an die herkömmlichen Disziplinen an als Professional Schools, die - wie ausgeführt - durch gezielte joint appointments von Hochschullehrern mit Graduate Schools verbunden werden. Idealerweise werden unter der Regie einer solchen Graduiertenschule keine Ressourcen mehr für Promotionen verschwendet, die nur dem Titelerwerb dienen; denn den Mühen einer "verschulten" Graduate School werden sich solche Pseudo-Doktoranden nicht unterziehen.
Ohne Zweifel müssen sich die Hochschulen in Deutschland stärker auf die Interessen des nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarktes einstellen. 4 Aber es muss auch deutlicher als bislang ausgesprochen werden: Für viele der von der Wirtschaft geforderten Kompetenzen von Hochschulabsolventen gibt es keine bessere Ausbildung als die der unternehmerischen Praxis. Definitionsgemäß kann nicht jedes Unternehmen die jeweils allerbesten Absolventen einstellen, und Weiterbildung muss auch von mittelständischen Unternehmen organisiert werden. Und Studierende müssen sich rascher als bislang darüber klar werden, ob und wie sie eine wissenschaftliche oder nichtwissenschaftliche Berufskarriere anstreben.
Hochschulen müssen sich auch auf den speziellen Arbeitsmarkt für Forschung spezialisieren dürfen. Das heißt, eine Ausdifferenzierung der Hochschulen in Deutschland ist nahezu unvermeidlich.
Da Differenzierung nicht zentral geplant werden kann, ist mehr Autonomie der Hochschulen notwendig. Von zentraler Stelle können lediglich die Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass der wettbewerbliche Prozess der Differenzierung zielbezogen erfolgt. Öffentlichkeit, Politik und Parlamente geben also ihre Gestaltungsziele keineswegs auf, sondern sie lassen diese von autonomen Hochschulen besser verwirklichen als gegenwärtig.
Damit Differenzierung zielbezogen erreicht wird, muss die Transparenz mit Blick auf Hochschulen und ihre Qualität vergrößert werden. Nur dann kann sich zielgerichteter Wettbewerb entfalten. Und dazu brauchen die Hochschulen - man kann es nicht oft genug wiederholen - mehr Autonomie, nicht nur im Hinblick auf ihre Entscheidungen und Strukturen, sondern auch finanziell.
Wie sollten die Rahmenbedingungen aussehen? Welche Wirkungen werden sie vermutlich haben? Studiengebühren oder Bildungsgutscheine, verbunden mit einem klug ausgebauten Stipendien- und Darlehenssystem, sollten nicht nur die Qualität der Lehre verbessern, sondern - weil sie spürbar sind - auch dafür sorgen, dass Studenten sich bewusster für ein Studium und einen Studienort entscheiden. Die Schweiz zeigt, wie man die zielgerichtete Mobilität von Studierenden sozial verträglich fördern kann: Dort zahlt der Heimatkanton Gebühren an die Universität - egal, wo diese steht. So können Universitäten für einen Kanton zum Geschäft werden, während deutsche Bundesländer unter einem Sudenten"import" finanziell leiden.
Der Hochschulzugang muss mit besseren Informationen, die in Schulen angeboten werden, und mit harten Eingangs- und/oder frühzeitigen Zwischenprüfungen so gestaltet werden, dass es nach dem zweiten Semester normalerweise keine Studienabbrecher mehr gibt. Auf Basis des insgesamt nach wie vor guten öffentlichen Schulsystems brauchen wir in Deutschland keine Befürchtungen zu haben, dass nur Kinder aus "besseren Elternhäusern" Zugang zu den Hochschulen finden. Studiengebühren sollten von den Hochschulen selbst festgelegt werden, und die Einnahmen sollten vollständig an den Hochschulen verbleiben.
Das Studienangebot muss im Interesse der wissenschaftlichen wie nichtwissenschaftlichen Arbeitsmärkte konsequent auf Zielgruppen ausgerichtet werden. Dem dienen Bachelor-, Master-, Doktor- und Weiterbildungs-Studiengänge, die in differenzierter Weise von den derzeitigen Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten angeboten werden können. Das BA-Studium an Universitäten muss theoriegeleitet und nicht - wie an Fachhochschulen - stärker berufsbezogen sein. Aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit sollte es auf sechs Semester angelegt werden, für Abiturienten allerdings, die - im Vergleich zum Ausland - bereits eine gute Allgemeinbildung besitzen, auf vier Semester verkürzt werden können.
Eine Steigerung der Zahl und des Anteils von - in heutiger Terminologie - Fachhochschul-Studiengängen und -Absolventen im Hinblick auf den nicht-wissenschaftlichen Arbeitsmarkt ist überfällig. Viele junge Menschen, die nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert sind, verschwenden in vollakademischen Studien Lebensenergie. Dies gilt insbesondere in den Bereichen Betriebswirtschaftslehre und Jura, teilweise auch in der Medizin. Während heute etwa 75 Prozent der Studierenden eine Universität besuchen, sollte (die hier skizzierten Reformen vorausgesetzt) dieser Anteil in Zukunft um etwa die Hälfte sinken - zum Vorteil der verschiedenen Lebenswege und Arbeitsmärkte in unserer Gesellschaft.
1 'Vgl. auch
Hochschulpolitik als Arbeitsmarktpolitik - Vorschläge zu einer
beschäftigungsorientierten Hochschul- und Studienreform, in:
Norbert Bensel/Hans N. Weiler/Gert G. Wagner (Hrsg.), Hochschulen,
Studienreform und Arbeitsmärkte, Bielefeld 2003, S. 33 - 71,
verfasst von Hans N. Weiler, Norbert Bensel, Katharina Heuer und C.
Katharina Spieß zusammen mit dem Autor, der sich bei seinen
Mit- Autoren für viele konkrete Vorschläge
bedankt.'
2 'Anmerkung der Redaktion: Siehe zur
Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen in
Deutschland auch den Beitrag von Barbara M. Kehm in dieser
Ausgabe.'
3 'Vgl. für Details Hans N. Weiler,
Professional Schools - Ein Bündnis von Anwendungsbezug und
Wissenschaftlichkeit, in: Stefan Titscher/Sigurd Höllinger
(Hrsg.), Universitäten auf dem Weg vom Gesetz zur
Realität - Die österreichische Reform als Beispiel im
europäischen Hochschulraum, Opladen 2003.'
4 'Vgl. auch Gert G. Wagner,
Hochschulpolitik: Studiengänge differenzieren und Profile
schärfen, in: Klaus F. Zimmermann (Hrsg.), Den Reformaufbruch
wagen, Wiesbaden 2003, S. 117ff.'