Damals ...vor 5 Jahren am 13. Januar: Gesetzentwurf zur Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts vorgelegt
Für Roland Koch war es das letzte Ass, das er aus dem Ärmel zog. Der hessische Landtagswahlkampf war bisher unspektakulär verlaufen, und auch wenn der Vorsprung der SPD allmählich zu schrumpfen begann, lag die CDU in den Umfragen noch drei Prozentpunkte hinter der Regierungspartei. Doch Koch und die Hessen-CDU hatten klare Ziele: Sie wollten die rot-grüne Koalition unter Ministerpräsident Hans Eichel ablösen und die Mehrheit im Bundesrat zurückerobern. Nachdem CDU und CSU die Bundestagswahl 1998 verloren hatten, wollte sich die Union den noch ungewohnten Oppositionsstatus durch ein Mehr an bundespolitischem Einfluss versüßen. Die Kontroverse um die doppelte Staatsbürgerschaft kam da gerade recht.
Am 13. Januar hatte die Regierung Schröder ihren Gesetzentwurf zur Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts vorgelegt und damit bundesweit für Gesprächsstoff gesorgt. Wesentlicher Kernpunkt des Entwurfs von Bundesinnenminister Otto Schily war das Geburtsrecht, nachdem in Deutschland geborene Kinder von ausländischen Eltern nun automatisch Deutsche werden konnten, wenn ein Elternteil bereits als Kind in Deutschland gelebt hatte oder vor Vollendung des 14. Lebensjahres nach Deutschland gekommen war. Damit vollzog die Bundesregierung eine Abkehr vom bisherigen Grundsatz, Deutscher könne nur sein, wer deutschen Blutes ist. Auch sollten Ausländer künftig schon nach achtjährigem Aufenthalt in Deutschland die Möglichkeit der Einbürgerung haben - und ihre zusätzliche ausländische Staatsbürgerschaft behalten dürfen. Rund vier Millionen Menschen - insgesamt die Hälfte der ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik lebenden Ausländer - erfüllten zum Zeitpunkt der Gesetzesinitiative diese Kriterien. Bisher waren ihre Chancen auf Einbürgerung gering.
Eine Welle der Empörung schwappte durch die Lager von CDU/CSU und FDP. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle mahnte, dass mit dem Integrationsangebot des Staates die Integrationsentscheidung korrespondiere, "sich nach Volljährigkeit bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres zwischen der Staatsangehörigkeit der Eltern und der deutschen Staatsangehörigkeit zu entscheiden". Und CSU-Chef Stoiber sprach am 16. Januar auf dem CSU-Parteitag in München von einer Gefährdung des Zusammenhalts der Nation, "wenn Millionen Menschen eine doppelte Loyalität als Staatsbürger Deutschlands und ihres Heimatlandes abverlangt werde", und warnte vor einer Überforderung der Gesellschaft. Das Gesetz berge zudem eine große Rechtsunsicherheit bei der konsularischen und diplomatischen Vertretung.
Doch scharfzüngige Debatten und Verbalangriffe auf die Regierung sollten nicht genug sein. CDU und CSU beschlossen, mit einer Unterschriftenkampagne gegen den Gesetzentwurf vorzugehen. Getragen von der Befürchtung, rechtsextreme Gruppierungen könnten dieser Initiative allzu freimütig folgen, hagelte es daraufhin massenhaft Proteste von Kirche und Medien. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt bezichtigte die Union der "Irreführung der Bürger", schließlich gebe es die doppelte Staatsbürgerschaft schon lange - nämlich für Aussiedler aus Osteuropa. Außenminister Fischer forderte die "vernunftfälligen" Mitglieder der Christdemokraten auf, gegen ihre Führung aufzubegehren.
Doch allen Unkenrufen zum Trotz ließ sich die Union von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Schon am 16. Januar, knapp drei Wochen vor der hessischen Landtagswahl, lagen im gesamten Bundesland Unterschriftenlisten aus. Zehn Tage später vermeldeten die Verantwortlichen, es gebe eine "überwältigende Mehrheit" in der Bevölkerung gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Tatsächlich hatte die Hessen-Union in nur kurzer Zeit über 200.000 Unterschriften gesammelt. Roland Koch war am Ende der Kampagne Ministerpräsident, die SPD ohne Mehrheit im Bundesrat.
Die geschmälerte Machtbasis zwang die Regierungskoalition schließlich, im März einen zweiten Entwurf einzubringen, der deutlich entschärfte Regelungen zur doppelten Staatsbürgerschaft enthielt. Doppelstaatler sollten sich nun im Alter von 23 Jahren für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Ein ständiger Doppelpass war nur in besonderen Fällen vorgesehen. Das kam der FDP entgegen, und so wurde der Entwurf gegen die Stimmen von CDU und CSU am 7. Mai 1999 Gesetz. Wer, wie Juristen und andere Experten, auf eine Totalrevision des Ausländerrechts gehofft hatte, konnte mit diesem Kompromiss nicht zufrieden sein.