Ortsbesuch
Mecklenburg-Vorpommern hat viele Probleme: Abwanderung, Geburtenrückgang, Insolvenzen. Vor allem aber macht die Arbeitslosigkeit dem 1,7-Millionen-Einwohnerland zu schaffen. Der Landkreis Demmin im östlichen Mecklenburg, direkt an der Grenze zu Vorpommern gelegen, tut sich besonders schwer. Die Arbeitslosenquote von dauerhaft über 28 Prozent ist die zweithöchste im Bundesland.
Die kleine Stadt Stavenhagen mit ihren 7.000 Einwohnern ragt wie eine Insel der Glückseligen aus dem Meer der Trostlosigkeit heraus. Sie hat heute mehr Arbeitsplätze als vor der politischen Wende im Osten, als Vollbeschäftigung - womit auch immer - noch Staatsdoktrin war. Die Arbeitslosenquote liegt unter zehn Prozent und gehört damit zu den niedrigsten in Ostdeutschland. Zugleich sind die Unternehmen der Stadt Brötchengeber für die ganze Region. Auch der Haushalt der Stadt ist ausgeglichen. Konsequent arbeitet die Stadt an der Entschuldung. Vor zwei Jahren stand die kommunale Schuldenuhr noch auf 5,2 Millionen Euro. Heute sind es noch 900.000 Euro, Ende 2005 will Stavenhagen schuldenfrei sein.
Ein Wunder? Bürgermeister Bernd Mahnke (CDU) lacht. "Wir haben uns im Wendejahr nicht lange mit der Vergangenheit aufgehalten", sagt der 51-Jährige, nach dem "Erfolgsrezept" der kleinen Kommune befragt. Wer sich nichts zu schulden kommen lassen habe, hätte seine Arbeit im Rathaus behalten. Mahnke: "Wir haben nach vorn geschaut, unsere Chancen gesucht. Und sie ergriffen." Als in anderen ostdeutschen Kommunen noch Bürgerrechtler, Mitglieder alter und neuer Parteien, Gewerkschafter und Vertreter aller denkbaren Verbände und Vereine endlose Debatten an Runden Tischen führten, hat man in Stavenhagen Nägel mit Köpfen gemacht. Geschickt nutzten die 19 Stadtvertreter (derzeit: elf CDU, sieben PDS, einer Bürgerinitiative) selbst die eine oder andere Gesetzeslücke, die auf dem Weg zum vereinten Deutschland entstanden war, um Grundstücke aus dem einstigen Volkseigentum in kommunales Eigentum zu überführen, Baurecht zu schaffen und ein 110 Hektar großes Industriegebiet zu errichten.
Der Lebensmittel-Discounter Netto war 1990/91 einer der ersten Neuansiedler und brachte im Schlepptau gleich das Logistikunternehmen K.P.-Transport mit. Heute bieten allein diese beide Unternehmen 600 Arbeitsplätze. Der Kartoffel-Veredler Pfanni entschied sich 1991 für Stavenhagen und sein agrarisch geprägtes Umland. Die Fleisch- und Wurstwarenfabrik Pommernland, Mordhorst-Logistik und eine Großbäckerei mit 70 Beschäftigten folgten. Die schon zu DDR-Zeiten existierende Molkerei Immergut schaffte den Sprung in die Marktwirtschaft und behauptete sich mit alten und neuen Produkten. Die letzte große Neuansiedlung folgte 2002: Das Transportunternehmen Dachser entschied sich für die unkomplizierte Ansiedlungspolitik der Stadt. Bernd Mahnke kommentiert den Zulauf so: "Wir reden nicht über den roten Teppich für Investoren. Wir rollen ihn aus, und sind Dienstleister für jeden, der sich ansiedeln will."
Dabei hatte es Stavenhagen nicht leicht. Seit 1973 Garnisonsstadt, heißt es seit drei Jahren Standortschließung auf Raten. 4.600 Soldaten waren einst auf dem zu Stavenhagen gehörenden Standort Basepohl stationiert. Als Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) die Schließung der Kaserne verkündete, gab es hier noch 1.600 Dienstposten. Mit den Soldaten verschwinden Aufträge für das Handwerk im Wert von zehn Millionen Euro pro Jahr. Handel und Dienstleistungen müssen einen Kaufkraftverlust von 20 Millionen Euro jährlich wegstecken. Über 200 Arbeitsplätze für Zivilbeschäftigte und Lehrlinge fallen fort.
Doch auch als der Schließungsbefehl für Basepohl kam, habe man sich damit "nicht lange aufgehalten", erzählt Mahnke. Wieder habe man "lieber nach vorne geschaut" und über die "zivile Nachnutzung" nachgedacht. Seitdem verfolgen Mahnke und seine Abgeordneten nur ein Ziel: "Spätestens, wenn die Bundeswehr das Kasernentor abschließt, müssen Investoren da sein." Ein Konversionsmanager wurde berufen, eine Machbarkeitsstudie erarbeitet, ein Bebauungsplan für das 480 Hektar große Kasernengelände erstellt, Fördermittel beantragt. Eine Teilfläche der Kaserne hat der Bund vorzeitig freigegeben - nach zähen Verhandlungen. Gerade wird die Zugangsstraße für das Areal geplant. Zugleich sei man mit potenziellen Investoren im Gespräch. Der Grund für die Eile: "Nur, wenn die Gebäude sofort weiter genutzt werden, gibt es eine Chance, sie zu vermarkten", glaubt der Bürgermeister. Stünden sie erst leer, fürchtet er, beginne der Verfall.
Was einleuchtend klingt, ist in Berlin noch nicht allen klar. Der Bund lasse sich Zeit, wenn es um die Bewertung einzelner Objekte gehe, klagt Mahnke. Gebe es endlich Entscheidungen, verlange das Finanzministerium oft aberwitzige Preise. So sollte eine alte Werkstatthalle 2,4 Millionen Euro kosten. Nach zähem Ringen sei man jetzt bei einem Preis von 700.000 Euro - immer noch teurer als ein Neubau. Trotz aller Widrigkeiten: Der Bürgermeister ist mit 37 Investoren im Gespräch. "Zehn bis 15 meinen es wirklich sehr ernst", sagt Mahnke. Wenn alles klappt, kommt im Januar mit der ersten Ansiedlung der Durchbruch.
Der Autor ist Parlamentskorrespondent der "Ostsee-Zeitung" in Schwerin.