Ortsbesuch
Wiesbaden setzt Hartz IV alleine um. Die hessische Landeshauptstadt nutzt die erst im Sommer zäh errungene Optionsklausel im 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, wie Hartz IV offiziell heißt. Gerade einmal sechs Städte machen von dieser Möglichkeit Gebrauch; alle anderen so genannten Optionskommunen sind Landkreise.
Schnell hieß es bei Kritikern, allein Ministerpräsident Roland Koch (CDU) habe beschlossen, die Landeshauptstadt zur Vorzeigekommune zu machen. Sein Parteifreund, Wiesbadens Oberbürgermeister Hildebrand Diehl, hätte diese Entscheidung lediglich umgesetzt. Doch Diehl leitet einen parteipolitisch bunt gemischten Magistrat - und der war sich einig: Er beschloss das Optieren einstimmig.
Nun wird Wiesbaden alles ohne die örtliche Arbeitsagentur machen: von der Beratung über die Auszahlung des Arbeitslosengeld II (ALG II) und die Qualifizierung bis hin zum eigentlichen Ziel, der Vermittlung in einen festen Job. "Das Ziel muss immer der Weg in den ersten Arbeitsmarkt sein", betont Sozialdezernent Wolfgang Hessenauer (SPD). Da Hartz IV aber natürlich keine Arbeit schafft und allein der verbesserte Betreuungsschlüssel noch nicht dazu führt, dass mehr Arbeitslose vermittelt werden können, setzt Hessenauer auf bessere Qualifizierung.
Zwar gesteht der SPD-Politiker zu, dass man "in einigen Berufsgruppen noch so gut sein kann, da bekommt man zurzeit keinen Job". Dennoch wird das Sozialamt die Hilfebezieher künftig insbesondere in Beschäftigungen vermitteln, bei denen "der Betroffene ausgebildet wird oder sich fortbildet". Es könne nicht nur darum gehen, Menschen irgendwie zu beschäftigen und sie so aus der Statistik heraus zu bekommen, meint Hessenauer. Die eigentliche Chance der Reform liege darin, individuelle Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten jedes Einzelnen zu erkennen und zu beheben.
Und genau in diesem Bereich traut sich Wiesbaden zu, besonders erfolgreich zu sein. Denn das Sozialamt kümmert sich im Modellprojekt "VerSiA" bereits seit drei Jahren intensiv um Langzeitarbeitslose. Der Name steht für "Vermittlung von Sozialhilfeempfängern in Arbeit". Wiesbaden war einer von 30 Standorten beim bundesweiten "Modellvorhaben zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe", abgekürzt "MoZArT". Es war noch vom damaligen Bundesarbeitsminister Walter Riester angestoßen und umgesetzt worden, die Projekte liefen zwischen 2001 und 2003.
Schon vorher habe das Sozialamt eng mit den Bildungsträgern der Region zusammen gearbeitet, betont dessen Leiter Franz Betz. Während der Laufzeit des Projekts sei diese Kooperation noch erheblich vertieft worden. Mit Erfolg: Wie insgesamt bei den Mozart-Kommunen verbesserte sich die Vermittlungsquote. Und in Wiesbaden wurde die Zusammenarbeit mit den zurzeit 26 Bildungsträgern weiter ausgebaut. Daher war die Sorge um so größer, dass künftig nur noch nach zentralen Kriterien aus Nürnberg vergeben worden wäre, beschreibt Hessenauer ein wichtiges Motiv für das Optieren. So hätte weniger flexibel auf Anforderungen des lokalen Arbeitsmarktes reagiert werden können.
Nun wird also im Rathaus entschieden, welche Einrichtung Geld aus Nürnberg bekommt. Laut Magistratsbeschluss sind "die derzeitigen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen bei den jeweiligen Trägern über den 31. Dezember 2004 hinaus auf Bundeskosten weiter zu führen". Das heißt: Wir machen unser Programm weiter, zahlen muss Berlin. Sozialamtsleiter Betz erhofft sich dadurch eine Entlastung von bis zu zehn Millionen Euro. Und während die neue ALG-II-Software der Bundesanstalt erst Mitte Oktober in ihre letzte Testphase ging, wurde in Wiesbaden schon Ende Juli begonnen, das Personal an der überarbeiteten Sozialhilfe-Software Prosoz-S zu schulen. Dann begann sofort das Übertragen der Daten, denn für den Sozialdezernenten steht fest: "Die pünktliche Auszahlung im Januar muss oberste Priorität haben." Verzögerungen müssten unbedingt vermieden werden, so Hessenauer, denn "mindestens zwei Drittel der Leute haben keine Reserven".
Die Chancen für den pünktlichen Start stehen gut: Von den rund 15.000 Menschen, die in Wiesbaden unter Hartz IV fallen, bekommen schon jetzt rund zwei Drittel Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfe-Gesetz, rund 1.500 zusätzlich zur Arbeitslosenhilfe. Die umstrittenen Bögen der Bundesagentur werden sie nie zu sehen bekommen, so Hessenauer, da man sie damit "nicht erschrecken" wolle. Und die fehlenden Daten "erfragen wir im direkten Gespräch".
Doch einen Teil der Daten kann nur die Arbeitsagentur liefern. Und da kann sich niemand mehr sicher sein, ob die Kooperation weiter so reibungslos verläuft, wie die wissenschaftliche Begleitung von Mozart beschreibt. Denn während die örtliche Arbeitsagentur beim Vorzeigemodell noch mit im Boot war, schreibt Hartz IV einen Wettbewerb zwischen den optierenden Kommunen und den Arbeitsgemeinschaften vor. Als "Unsinn" bezeichnet Wiesbadens Sozialdezernent Wolfgang Hessenauer diese gesetzliche Vorgabe: "Wir müssen doch gerade jetzt zusammen arbeiten."
Der Autor ist Chefredakteur des kommunalpolitischen Fachmagazins "mandat".