Tageszeitungen stellen oft die einzige Möglichkeit dar, um eine lokale Öffentlichkeit zu erreichen
Eigentlich sitzen Kommunikationswissenschaftler und Journalisten ja in einem Boot. Reden die einen über die anderen, kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren: Die sind sich spinnefeind. Das gilt offenbar vor allem für die Beziehung zwischen Wissenschaftlern und Lokaljournalisten. Die Forscher kratzen schon seit Jahrzehnten an einem Gut, das Zeitungen generell beschwören wie den Heiligen Gral: die Glaubwürdigkeit. Der freundlichste Vorwurf in diesem Zusammenhang ist noch "Symbiose". Den Vorwurf der "Versippung" muss man in den Lokalredaktionen glatt als Ohrfeige empfinden.
Kein Wunder, dass mancher Lokalchef die Erkenntnisse der Forscher als "zeitungsfeindlich" betrachtet. Dabei will die Wissenschaft vor allem eins: die Meinungsvielfalt erhalten. Die aber, so eine landläufige These, leide proportional zur Pressekonzentration, was in der Tat nur logisch erscheint: Je weniger Zeitungen es gibt, desto übersichtlicher wird auch die Anzahl der vertretenen Positionen. Horst Röper, Zeitungsforscher aus Dortmund, formuliert das so: "Eine Vielzahl miteinander konkurrierender Zeitungen ist noch keine Garantie für inhaltliche Vielfalt, aber die Voraussetzung."
Gerade auf kommunaler Ebene ist diese Maxime von elementarer Bedeutung, denn in der Regel stellen die Tageszeitungen die wichtigste Möglichkeit dar, um eine lokale Öffentlichkeit herzustellen. Natürlich gibt es auch andere Medien. Amtliche Mitteilungsblätter sind so manchem Zeitungsverlag ein Dorn im Auge, ganz zu schweigen von jenen Anzeigenblättern, die neben Reklame in Ausnahmefällen gar bis zu 30 Seiten mit redaktionellen Texten bieten. Doch viele Anzeigenzeitungen gehören den örtlichen Verlagshäusern, die Lokalradios - an denen die Verlage nicht selten ebenfalls beteiligt sind - bieten häufig nur Dudelfunk, und das Ballungsraumfernsehen steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die Alternative der einstmals streitlustigen Stadtzeitschriften ist längst kommerzialisiert worden, so dass mittlerweile allein die Offenen Kanäle noch eine ernstzunehmende Gegenöffentlichkeit darstellen.
Gerade im ländlichen Raum sind Kommunalpolitiker und sämtliche Interessengemeinschaften mit öffentlichem Anliegen also auf Gedeih und Verderb den lokalen Zeitungen ausgeliefert. Der Plural ist allerdings der reine Euphemismus: Laut Röper gibt es in über 60 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte nur noch eine Zeitung. Die Schlussfolgerung ist klar: Wer will, dass die Öffentlichkeit etwas erfährt, braucht die örtliche Tageszeitung. Der Umkehrschluss: Was die Lokalzeitung verschweigt, ist so gut wie nicht passiert.
Eine enorme Verantwortung, der sich die Lokalchefs offenbar bewusst sind. Tobias Engelsing, Leiter der Konstanzer Lokalredaktion des "Südkurier", weist die wissenschaftlich fundierten Vorwürfe besonders energisch zurück. Er formuliert eine moderne Position, die mittlerweile in vielen Verlagshäusern anzutreffen ist. Die Zeiten der parteipolitischen Ausrichtung von Lokalzeitungen gehörten doch längst der Vergangenheit an: "Liberale Zeitungshäuser wie der 'Südkurier' betrachten ihre Aufgabe gerade in einem Monopolmarkt als Aufforderung, ein Forum für viele Gruppierungen und Meinungen zu bieten." Seine Erklärung leuchtet ein: "Nur weil wir in Konstanz die einzige Tageszeitung anbieten, heißt das noch lange nicht, dass uns auch sämtliche Haushalte abonniert haben." Tatsächlich, ergänzt sein Chefredakteur Werner Schwarzwälder, sei das Geschäft im Konkurrenzkampf sogar leichter, "weil die Haushaltsabdeckung insgesamt höher ist".
Auch Bernd Mathieu, Chefredakteur der "Aachener Zeitung" wie auch des vermeintlichen Konkurrenzblattes "Aachener Nachrichten", votiert vehement für den Forumsgedanken. Er geht sogar noch einen Schritt weiter: "Eine gut recherchierte offene Lokalzeitung ist mir lieber als zwei schlecht gemachte, schlecht besetzte, schlechte geschriebene Zeitungen, die nur eine Schein-Konkurrenz darstellen." Für Mathieu sind Lokalzeitungen zudem "nach wie vor wohl das glaubwürdigste, ausführlichste und damit kompetenteste Medium", um kommunalpolitische Öffentlichkeit herzustellen.
Gerade die Glaubwürdigkeit hat in den letzten Jahrzehnten jedoch erheblich gelitten. Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie belegen, dass das Vertrauen immer mehr bröckelt: nicht nur in die Zeitung, sondern in institutionalisierte Einrichtungen generell. Gerichte sind von diesem Verlust ebenso betroffen wie Parteien, Gewerkschaften und die Kirchen. Im Gegensatz zum Fernsehen rächen sich gerade bei Lokalzeitungen zudem auch Fehler im Detail: Auf regionaler Ebene ist die Chance viel größer, dass Leser Zeuge eines Ereignisses waren, das tags drauf in der Zeitung ihrer Meinung nach ganz anders dargestellt wird, als sie es selbst erlebt haben.
Horst Röper hegt zudem erhebliche Zweifel an der Forumsbehauptung, die seiner Meinung wissenschaftlich längst revidiert sei. Am Beispiel des Essener "WAZ"-Konzerns lasse sich zudem belegen, dass regionale Zeitungsverlage immer dort in ihre Lokalredaktionen investierten, wo Wettbewerb herrsche. "Aber schon im Nachbargebiet, wo man ein Monopol mit möglicherweise ungleich höherer Auflage besitzt, müssen die Redaktionen mit weniger Mitarbeitern und weniger Seiten auskommen."
Kein Wunder, dass außerhalb der Verlagshäuser landauf, landab vor der Novelle des Gesetzes zur Pressefusionskontrolle gewarnt wird. Siegfried Weischenberg, Direktor des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg, spricht gar von einer "Bedrohung der Demokratie". Denn: "Das neue Gesetz ist ein 'WAZ'-Gesetz." Im Gegensatz zu Röper stellt er den von den Redakteuren beschworenen Forumsgedanken nicht in Frage, fürchtet aber, dass sich die Journalisten gerade in Gebieten mit einem Zeitungsmonopol "auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückziehen". Viele Zeitungen hätten mittlerweile den Charakter eines Generalanzeigers: "Das ist nicht das, was wir brauchen."
Im Sinne Röpers bestreitet allerdings auch Weischenberg, dass Zeitungsvielfalt Garantie für Meinungsvielfalt sei. Er belegt dies am Beispiel der Hamburger Zeitungslandschaft, in der es vier Tageszeitungen mit lokaler Berichterstattung gibt: "Hamburger Abendblatt", "Die Welt", "Bild" sowie "Hamburger Morgenpost" (zu erwähnen wäre zudem noch die linksalternative "tageszeitung"). "Es würde zu weit gehen zu behaupten, dass Dinge systematisch verschwiegen werden. Aber eine bestimmte Grundmelodie in der kommunalpolitischen Berichterstattung wird vom 'Abendblatt' vorgegeben und von den anderen nicht konterkariert." Kein Wunder: Drei der fünf Titel stammen aus dem Axel Springer Verlag. Allein in "Morgenpost" und "taz" gebe es auch mal Kritik an der in Hamburg regierenden CDU.
In Monopolsituationen sei dieses Missverhältnis naturgemäß stärker. Dort sieht Weischenberg "eine Art Arrangement zwischen Tageszeitungen und herrschenden Parteien". Otfried Jarren geht noch einen Schritt weiter, wenn er von "Versippung" spricht. Der Ordinarius für Publizistikwissenschaft an der Universität Zürich denkt dabei vor allem an die "Wertheim-Studie", in der schon vor über 30 Jahren die These formuliert wurde, dass lokale Berichterstattungspraxis elitendominiert sei. Jarren bestätigt zwar den Forums-Charakter der Zeitungen, "weil es sich die Verlage aus ökonomischen Gründen gar nicht mehr leisten können, schwarze oder rote Positionen zu vertreten". Doch er stellt auch fest: "Die Berichterstattung schließt alles aus, was sich unterhalb der etablierten, organisierten Öffentlichkeit befindet." Das treffe in erster Linie die Subkultur, die keine Anzeigen schalte. Vor allem aber verliere der Lokaljournalismus in Monopolgebieten seine Aufgabe als "Watchdog": "Die Frühwarnfunktion der Medien wird größtenteils ausgeblendet." Jarren nennt das die "strukturelle Beißhemmung" und spricht von "korporatistischen Interessen", weil die Berichterstattung weitgehend ökonomisch gesteuert sei.
Die Betroffenen sehen das selbstredend ganz anders. Werner Schwarzwälder verweist auf die publizistische Konkurrenz, etwa in Gestalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Mitarbeitern von Presseagenturen oder freier Journalisten. "Selbst wenn wir wollten: Wir könnten eine Nachricht gar nicht willkürlich unterschlagen." Gerade für eine Zeitung wie den "Südkurier", dessen Verbreitungsgebiet vom Bodensee über den Schwarzwald bis zum Hochrhein reicht, habe die lokale Berichterstattung zudem enorme Bedeutung: "Mit dem Mantel verändern wir an der Auflage gar nichts."
Für Tobias Engelsing hat engagierter Journalismus ohnehin nichts mit der Marktsituation zu tun: "Die Strukturen sind nicht Schuld, wenn der Lokalchef ein Hasenfuß ist." Die weitaus größere Crux liegt seiner Meinung nach in der Ausbildung der nachwachsenden Journalistengenerationen, denen man neben Liebe zum Handwerk auch Mut zu kritischem Denken vermitteln müsse. Vor allem aber sollten sie sich darüber im Klaren sein, dass man als Lokaljournalist nicht "Everybody's Darling" sein könne: "Als Lokalchef muss man auch eine Krawallschachtel sein."
Tilmann P. Gangloff ist freier Medienjournalist und lebt in Allensbach am Bodensee.