Förderprogramm der Bundesregierung für die Ganztagsschule
Aufzuholen gilt es freilich eine ganze Menge in Deutschlands Schulen: In der Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien verdient die Bundesrepublik kaum Besseres als die Note sechs. Die Zahl der Schüler, die schlecht lesen und rechnen, hat sich seit der letzten Pisa-Runde vor drei Jahren nicht verringert. Jeder zehnte Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss. Den Kultusministern ist längst klar, dass das Schulsystem sozial gerechter und die Schülerleistungen gesteigert werden müssen.
Wie kann dies besser gelingen, als in einer Schule, die sich Zeit nimmt für die Schwachen, und die den Gescheiten Entfaltungsmöglichkeiten bietet, fragten sich die Kultusminister in Bund und Ländern und gaben sich selbst die Antwort: in einer Ganztagsschule. Am Ende der Überlegungen präsentierte die rot-grüne Regierung das nach eigenen Angaben größte bundesweite Schulprogramm, das es in Deutschland je gab: Die Bundesregierung stellt den Bundesländern in den Jahren 2004 bis 2007 insgesamt vier Milliarden Euro aus dem Versteigerungserlös der UMTS-Lizenzen zur Förderung der Ganztagsschulen in Aussicht. Jedes Land erhält seinen Anteil proportional zur Anzahl der Schüler. Um nicht die Bildungshoheit der Länder anzutasten, steht das Geld aus Berlin nur für den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung, also etwa für Küchen, Bibliotheken oder Computerräume - für die Personalkosten müssen die Länder aufkommen.
Nach anfänglicher Zurückhaltung greifen die Länder mittlerweile in den Topf, wenn auch in höchst unterschiedlichem Maße. Gemessen am Anteil, der ihnen zusteht, haben von den Flächenländern beispielsweise die Länder Thüringen (79 Prozent der Fördersumme) und Rheinland-Pfalz (66 Prozent) die meisten Mittel des Bundes in Anspruch genommen. Dem Geld aus Berlin zeigten dagegen Hessen (sechs Prozent) und Sachsen-Anhalt (ein Prozent) die kalte Schulter. Bis Ende 2004 wurden von insgesamt 1,3 Milliarden Euro nur rund 345 Millionen Euro ausgezahlt. Nach offiziellen Angaben des Bundesbildungsministeriums verfügen im laufenden Schuljahr rund 8.000 Schulen über ein Ganztagsangebot. Auch hier zeigt sich: Die Bildungslandschaft in Deutschland ist zerklüftet. Während Bayern und Baden-Württemberg nur zögerlich den Ausbau der Ganztagsschule in Angriff nehmen, kann man in Thüringen oder Sachsen fast von einem flächendeckenden Angebot sprechen. Als Ziel angepeilt hat die Bundesregierung die Gesamtzahl von 10.000 Ganztagsschulen bis zum Jahr 2007.
Für die frühere nordrhein-westfälische Bildungsministerin Ute Schäfer (SPD) ist der Ausbau der Ganztagsschulen ein gelungenes Gemeinschaftsprojekt, bei dem Bund und Länder Hand in Hand gingen. Die Länder stellten die Mittel für das nötige zusätzliche Personal im Ganztagsbetrieb bereit, und die Bundesregierung finanzierte die Investitionen, mit denen die Schulträger ihre Schulen für einen attraktiven Ganztagsbetrieb umbauen konnten. "Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie gemeinsam eine wichtige Reform vorangebracht wird - im Interesse von Kindern aber auch von Eltern, für die Beruf und Familie besser miteinander vereinbar werden", so Schäfer.
Nicht überall rief der Berliner Vorstoß ein so positives Echo hervor wie unter der ehemaligen rot-grünen Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) giftete anfangs, der Bund wolle nur die Zementsäcke für die Schulen bezahlen, sich aber ansonsten schadlos halten. Doch ein Bauantrag für eine Cafeteria mache noch keine Ganztagsschule, spielte Wolff auf die Praxis des Bulmahn-Ministeriums an, bereits eingehende Förderanträge quasi schon als neue Ganztagsschulen zu zählen. Schließlich sind nicht wenige Ganztagsschulen bestehende Einrichtungen, die mit dem Geld aus Berlin lediglich aufgestockt wurden. Solche Nachrichten riefen noch mehr Kritiker auf den Plan, etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die zur Überraschung der rot-grünen Bundesregierung vor "Halbtagsschulen mit Suppenküche und Verwahrangebot" warnten. Hinter dieser Polemik steckt freilich mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Denn nicht überall, wo Ganztagsschule steht, ist nach Meinung von Bildungspuristen auch Ganztagsschule drin.
Viele Einrichtungen praktizieren nach dem "Bikini-Modell", wie es der Pädagogikprofessor Heinz Günter Holtappels einmal formuliert hat: Vormittag und Nachmittag sind getrennte Einheiten, die nur das Nötigste abdecken. Während Bildungsexperten und Lehrerverbände wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) Ganztagseinrichtungen im Klassenverbund befürworten, zeigt die Praxis, dass das Ganztagsangebot oft nicht mehr ist als ein Anhängsel in Betreuungsform am Nachmittag. Dass man auch mit einem solchen Modell Erfolg haben kann, will die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) beweisen. Entscheidend ist nach Überzeugung der Ministerin, deren Bundesland schon 2002 mit dem Aufbau eines flächendeckenden Ganztagschulprogramms begann, dass eine neue Lernkultur entsteht. "Und das funktioniert auch", so Ahnen, "wenn am Nachmittag fächerübergreifende Arbeitsgemeinschaften und jahrgangsübergreifende Projekte angeboten werden."