Frühkindliche Bildung steht auf der politischen Tagesordnung
Tiger und Bär machen fit für die Schule. Mit den beiden Janosch-Stars aus der Lernsoftware eines Münchner Verlags können Kinder zählen und rechnen lernen oder etwas über Farben und Formen erfahren - und zwar schon vor der Einschulung. Auch andere Anbieter virtueller Welten haben die Zwei- bis Fünfjährigen als Zielgruppe längst entdeckt. Produkte wie "Mein riesengroßes Vorschulbuch" oder "Grundschule total" versprechen den Eltern im Internet eine "spielerische" Vorbereitung auf den sprichwörtlichen Ernst des Lebens. Über die Qualität dieser Lernhilfen für Vorschulkinder kann man trefflich streiten. Der Boom auf dem Softwaremarkt bestätigt jedoch einen Trend: Bildung fängt nicht erst mit der Schule an.
Die PISA-Vergleichsstudie, bei der deutsche Schülerinnen und Schüler schlecht abschnitten, hat die Debatte um vorzeitige Einschulung, Frühförderung in den Kindergärten und die Kooperation von Schulen und Betreuungseinrichtungen neu entfacht. Denn die Siegerländer der internationalen Schulstudie haben eines gemeinsam: Sie investieren viel Zeit und Geld in die frühkindliche Förderung. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Bildung im Elementarbereich das Fundament für den weiteren schulischen Lebensweg bildet.
Nach Untersuchungen des Bildungsexperten Winfried Bos, der unter anderem die IGLU-Grundschulstudie betreute, zahlt sich vor allem ein guter Kindergarten aus: "Ein Kind, das mehr als ein Jahr vor der Einschulung einen Kindergarten besucht hat, ist seinen Klassenkameraden am Ende der vierten Klasse um ein halbes Schuljahr voraus", sagt Bos. Von einer Art Vorschule im Kindergarten könnten vor allem Mädchen und Jungen mit schlechten Deutschkenntnissen beziehungsweise Kinder aus sozial schwachen Familien profitieren. Deshalb sind viele Bundesländer mittlerweile dazu übergegangen, Kinder mit Sprachproblemen bereits vor der Einschulung gezielt zu unterrichten.
Von einer systematischen Förderung benachteiligter Kinder ist man jedoch noch weit entfernt. Dabei belegte zuletzt eine Studie der Universität London, dass Kindertagesstätten mit einem guten Bildungskonzept Herkunftsunterschiede ausgleichen können. Auch die Wissenschaftlerin Gisela Lück von der Universität Bielefeld hat in naturwissenschaftlichen Untersuchungen herausgefunden, dass es im Vorschulalter ein Bildungsfenster gibt, das weit offen steht. "Kleine Kinder haben ein nachweisbares Interesse an naturwissenschaftlichen Phänomenen - und zwar unabhängig von ihrer Herkunft", sagt Lück . Das heißt: Es gibt offenbar eine zeitlich begrenzte Chance, den für das deutsche Schulsystem so signifikanten Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschance auszuhebeln.
Seitdem Politiker verschiedenster Couleur mit solchen Erkenntnissen Wahlkampf machen, sind die Erwartungen an Kindergarten und Grundschule enorm gestiegen. Gleich mehrere Bundesländer versuchen zurzeit, die Ausbildung von Erzieherinnen an die Hochschulen zu verlagern. Einige Studiengänge sind bereits gestartet. Außerdem gibt es Modellprojekte, die das bisherige Nebeneinander von Kindergarten und Grundschule überwinden wollen. So hat etwa Niedersachsen jahrgangsübergreifende Eingangsstufen geschaffen, um den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule fließender zu gestalten und eine frühere Einschulung zu ermöglichen. Einer der Vorreiter in Sachen Kooperation ist auch Bremen - und das hat seinen Grund: Seitdem der PISA-Ländervergleich den Hanseaten besonders schlechte Ergebnisse brachte, bemüht man sich dort, das Bildungsniveau anzuheben. Das Nach-PISA-Projekt "Frühes Lernen - Kindergarten und Grundschule kooperieren" der Uni Bremen soll den Anfang machen. Ziel ist nach Angaben der Hochschule, "den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule förderlicher zu gestalten".
Spielerisch fördern statt Wissen pauken - das ist auch die Empfehlung von Hans-Rudolf Leu vom Deutschen Jugendinstitut. Sollte die Vor-Schule allerdings per Curriculum festlegen, welche Inhalte in welcher Zeit gelernt werden müssen, dann würde der Experte für frühkindliche Bildung eine vorgezogene Einschulung ablehnen: Dann stehe schon sehr früh der Vergleich mit anderen im Vordergrund, gibt Leu zu bedenken: "Lernen ist dann vor allem bei weniger erfolgreichen Schülern mit der Erfahrung von Misserfolg verbunden. Das verhindert eine positive Einstellung zum Lernen."