Kindertagesstätten und Erziehungsmethoden müssen sich verändern
Patrick ist verwundert. Da steht ein Erwachsener im Clownskostüm und macht Sachen, die zu Hause oder im Kindergarten nicht so gern gesehen werden: Mit der rechten Hand tunkt er ein Glas in ein Wasserbassin, mit der rechten verteilt er schon leicht aufgequollene Gummibärchen. "Das sind die Taucher", sagt der Clown. Dann fordert er Patrick auf, das Gummibärchen in ein leeres Teelicht zu setzen, ein Glas darüber zu stülpen und beides zu versenken. Mit ordentlichem Wassergeplansche, versteht sich.
Das Spiel- und Spaßprogramm im Mannheimer "Kindergartenlabor" hat einen tieferen Sinn. Denn die Mädchen und Jungen kommen dabei naturwissenschaftlichen Phänomenen auf die Spur. Sie lernen, dass Gummibärchen bei diesem Experiment nicht mal nasse Füße bekommen. Denn im Glas ist Luft, und Luft verdrängt das Wasser. Das von einem privaten Verein ins Leben gerufene mobile Kindergartenlabor richtet sich nicht nur an Vorschulkinder, sondern auch an Erzieherinnen und Erzieher, für die das Thema Naturwissenschaften im Kindergarten bisher ein Buch mit sieben Siegeln war. Das Projekt ist nur eines von vielen Ansätzen in den Bundesländern, bei denen die spielerische Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Denn mittlerweile sind sich alle Bildungspolitiker einig: Die meisten deutschen Kindergärten sind gute Betreuungs-, aber keine Fördereinrichtungen, in denen der Nachwuchs seinen natürlichen Wissens- und Experimentierdrang ausleben kann.
Liest man die aktuelle OECD-Kindergartenstudie "Starting Strong", dann könnte das zu einem Großteil an der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher liegen. Zwar bescheinigte der Länderbericht zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung den Deutschen "eine lange Tradition mit gehaltvollen sozialpädagogischen Konzepten" zu haben und sehr offen für Reformen zu sein. Gleichzeitig bemängelten die Experten die schlechte Bezahlung der Erzieherinnen und die unzureichende Ausbildung. Fast überall in Europa leisten sich die Bildungsministerien in der frühkindlichen Bildung eine akademische Ausbildung - nur Deutschland und Österreich nicht. Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen, bringt es auf den Punkt: "Unsere Erzieherinnen könnten heute in Europa nicht vermittelt werden."
Experten sind sich mittlerweile einig, dass die bisherige Erzieherinnen-Ausbildung an den Fachschulen den neuen Anforderungen an den Beruf nicht gerecht wird. "Die Ausbildung berücksichtigt zu wenig, wie Lernprozesse bei kleinen Kindern ablaufen", sagt Hans-Rudolf Leu vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München. Das DJI testet gerade ein Konzept aus Neuseeland, bei dem so genannte Lerndispositionen von Jungen und Mädchen ergründet werden. Dabei beobachten Erzieherinnen über einen Zeitraum von zehn Minuten ein Kind, um herauszufinden, was und wie es lernt. "Nehmen wir zum Beispiel ein Kind, das mit Wasser spielt: Man kann sagen: Das macht 'ne Riesensauerei. Man kann aber auch sehen, dass es den Schnuller ins Wasser hält, dabei Geräusche erzeugt oder über die Hand das Wasser schmeckt. Dabei werden Tast- und Hörsinn angeregt und die Neugier geweckt", erklärt Leu. Daran anknüpfend sollen die Erzieherinnen überlegen, was sie dem Kind als nächstes als "Spielzeug" anbieten können, damit es seine "Wassererfahrungen" vertieft.
Spielend lernen - auf dieses Konzept müssen sich die meisten Kinderbetreuungseinrichtungen in den nächsten Jahren einstellen. Fast alle Bundesländer haben mittlerweile Bildungspläne für die frühkindliche Förderung entwickelt und teilweise - etwa in Bayern - schon umgesetzt. Doch Papier ist geduldig und die Bereitschaft gering, mehr Geld als bisher in die Kinderbetreuung zu stecken. Dabei gibt Deutschland laut OECD deutlich weniger Geld für die vorschulische Bildung aus als viele der europäischen Nachbarn - vor allem weniger als jene Länder, die Dank einer gut finanzierten Elementarbildung auch später erfolgreiche Schüler hervorbringen.
In Deutschland müssen Eltern für die Betreuung ihrer Kinder viel Geld zahlen. Immerhin hat in diesem Punkt ein Umdenken eingesetzt: Erst kürzlich forderte der Wirtschaftsweise Bert Rürup, kostenlose Kindergartenplätze anzubieten - gegenfinanziert über Studiengebühren. Im Saarland und in Rheinland-Pfalz ist das letzte Kindergartenjahr mittlerweile kostenlos. Außerdem will Rheinland-Pfalz seine Kindergärten für Zweijährige öffnen und von 2010 an den Anspruch auf einen Kindergartenplatz gesetzlich garantieren.
Die Bundesregierung hat sich zu solchen Verbindlichkeiten bisher nicht durchringen können: Das hoch gelobte "Tagesbetreuungsausbaugesetz" will zwar mehr Kindern als bisher Betreuung und frühe Bildungsförderung ermöglichen. Den Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren hat man aber aus Kostengründen bewusst ausgeklammert - eine Begründung, die den Finanzministern und Kämmerern in Ländern und Kommunen sofort einleuchtet; die OECD-Bildungsbeobachter werden es allerdings schwerlich nachvollziehen können.