Schülerfirmen sind im Trend - man lernt für das Leben
Jens Schulenberg war in der Schule keine besondere Leuchte. Auch beim Einstellungstest für die Banklehre waren seine schriftlichen Ergebnisse mittelmäßig. Erst bei der Zusatzaufgabe konnte er punkten. Die Bewerber mussten als Gruppe ein Produkt entwickeln und vorstellen. Jens glänzte als Teamplayer, bewies, dass er planen und präsentieren kann. Er bekam den Ausbildungsplatz. "Ich habe schon ganz andere Projekte gemanagt" sagt der 21-Jährige selbstbewusst. Gelernt hat er das als Gründer und Geschäftsführer der Schülerfirma axxi am Gymnasium an der Willmsstraße in Delmenhorst. Axxi ist eine von hunderten Schülerfirmen, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden.
In den Firmen betreiben Schüler nach Schulschluss Reisebüros, vermarkten Tee von indischen Ureinwohnern oder bewirtschaften die Milchbar an der Schule inklusive Warenplanung, Verhandlung mit Lieferanten, Ein- und Verkauf. Schulen entdecken die Schülerfirma als Lernprinzip: "Dort können die Schüler ihr Bedürfnis nach Eigenverantwortung ausleben, Teamgeist und Zuverlässigkeit beweisen und individuelle Begabungen besser zeigen als im Unterricht", erklärt Kunstlehrer Günter Bernert. "Wir Lehrer treten in diesen Firmen in die zweite Reihe als Moderatoren und Berater." Umsätze und Gewinne stehen bei den Schülerfirmen nicht im Vordergrund. Sie finanzieren sich aus externen Aufträgen. Erwirtschaftete Überschüsse werden reinvestiert oder fließen in ökologische und soziale Projekte.
Axxi ist eine Multimedia-Agentur. Das Schülerteam hat bereits Kongresse dokumentiert, websites entworfen und Werbejingles produziert. Der prominenteste Auftraggeber ist die ZDF-Umweltredaktion. Axxi nimmt aber keine beliebigen Aufträge an, denn die Firma ist dem Prinzip der Nachhaltigkeit verpflichtet. Tätigkeiten, Struktur und Produkte der Firma müssen in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht nachhaltig wirksam und verträglich sein und Formen zukunftsfähigen Wirtschaftens berücksichtigen. Dieses Konzept der "nachhaltigen Schülerfirmen" wurde vor fünf Jahren durch die Bund-Länder-Kommission initiiert und gefördert.
In diesem Jahr produziert axxi zum zweiten Mal mit dem Nationalparkhaus eine Fernsehsendung aus dem Wattenmeer. Unter dem Titel "e-learn watt" werden Schulen aus ganz Norddeutschland über Internet zugeschaltet und können live Interviews und Reportagen verfolgen und an einem Ökoquiz teilnehmen. Die technische und inhaltliche Umsetzung wird komplett von Chefin Maike Schmidt und ihren drei Mitstreitern aus der zwölften Klasse geleistet. Die Jungs digitalisieren, programmieren und betreuen Kamera- und Computertechnik. Maikes Talente liegen in der Redaktion, Planung und Organisation. Außerdem hat sie repräsentative Aufgaben und muss die Kontakte zu Partnern und der lokalen Presse halten.
Die 18-jährige Geschäftsführerin steckt viel freie Zeit in ihre Firma. "Ich lerne dabei viel und hätte nie gedacht, dass ich mal so stolz bin, mit anderen zusammen etwas zu schaffen und zu bewegen", sagt sie. Und auch der Erfolg tut ihr gut, denn immer wieder wird die Professionalität der Schülerfirma gelobt. Lehrer Bernert staunt, wie aus dem schüchternen Mädchen eine souveräne Geschäftsfrau geworden ist. Ihre Erfahrungen gibt Maike freitags an die axxi-Kids weiter. 25 von ihnen wuseln aufgedreht in der Firma herum, helfen mit, lernen von den Großen, um später in deren Fußstapfen zu treten. Schülerfirmen brauchen ständig Nachwuchs. Der zwölfjährige Richard hat jetzt schon einen Platz im Vorstand. Seine Feuertaufe hat er bei einer öffentlichen Moderation bestritten. "Wenn das Mikrofon angeht, wird er ganz seriös, albert nicht mehr herum und wächst über sich hinaus", erzählt Maike.
Ernst wurde es auch für den 14-jährigen Sven aus dem niedersächsischen Ganderkesee, als ein Staatssekretär ihn bei einer Tagung zum Thema Nachhaltigkeit in ein ernsthaftes Gespräch über seine Schülerfirma verwickelte. "Das war ein wichtiger Moment für seine Persönlichkeitsbildung", beobachtet sein Lehrer Norbert Klüh. Sven ist Hauptschüler an der Schule am Habbrügger Weg. Dort gehört die pupils GmbH fest zum Lehrplan. Alle Förder- und Hauptschüler der achten und neunten Klasse haben ein Jahr lang donnerstags Schülerfirmentag. "Wir wollen ein Stück Wirklichkeit in die Schule holen", sagt Projektleiter Klüh. In der pupils GmbH wird unter dem Schutz der Schule die künftige Arbeitswelt simuliert. Das fängt mit dem Arbeitsvertrag an, indem die Schüler sich zu Überstunden verpflichten, wenn es der Betrieb erfordert. "Wenn wir einen Auftrag zugesagt haben, müssen wir ihn auch durchziehen", erklärt der Lehrer dem jungen Unternehmerteam. Und die Auftragsbücher sind voll. Zur Zeit stattet die pupils GmbH Turnhallen mit Pinnwänden und Holzbriefkästen aus. Die Schüler übernehmen einfache Holzarbeiten, kleben, schrauben, endfertigen, holen Aufträge und Angebote ein und verwalten das Projekt. Für die maschinellen Arbeiten kooperieren sie mit einer Tischlerei. Im Unterricht vertiefen sie dann die kaufmännischen Fragen.
Auch diese Schülerfirma arbeitet nach dem Nachhaltigkeitsprinzip und sagt Aufträge ab, wenn sie nicht den ökologischen oder sozialen Anforderungen entsprechen. "Dadurch besetzen wir Nischen und nehmen anderen Unternehmen keine Aufträge weg", betont der Lehrer. Besonders geliebt wird von der Ganderkeseer Bevölkerung der Cateringservice der Firma. Da treten die pupils in ihrer blauweißen Uniform mit Schürzen und Schiffchen an und servieren selbstgemachte Speisen. Einstimmig bezeugen Lehrer und weiterführende Bildungsträger die positive Entwicklung der Schüler. Sie würden durch den "Betriebsalltag" selbständiger, kritikfähiger und könnten durch neue Qualifikationen ihre schlechten Ausgangschancen auf dem Arbeitsmarkt kompensieren. Norbert Klüh empfiehlt allen Schulen diese Schulform und wünscht sich ein großes Netzwerk an Schülerfirmen. Ob es dazu kommt, hängt auch von der Bundesregierung ab. Dort liegen Pläne vor, im Rahmen des Lehrstellenpaktes bundesweit die Gründung von Schülerfirmen zu unterstützen.