Ein Besuch im "Kinderreich" in München
Hier ist es laut. Richtig laut. Am liebsten würde man sich die Ohren zuhalten. "Geht's nicht auch ein bisschen leiser?", fragt ein Vater. Typisch Erwachsener halt. Die Antwort kommt unvermittelt: "Nein!" Julia (4), Sarah (6) und ihre Freundin Carina (7) schlagen mit ihren Sticks wild auf verschiedene Trommeln ein. Sie haben richtig Spaß am Krachmachen. Doch sie verursachen nicht nur einen Höllenlärm, sie lernen dabei auch spielend: "Hey cool", unterbricht Sarah plötzlich ihre Freundin. "Leg' mal deine Hand auf die Trommel, während ich drauf schlage. Das kitzelt." Sarah hat den Schall erfahren. Hinter ihr, an der Wand hängt die wissenschaftliche Erklärung für ihre Entdeckung: "Schlägt man auf einen Gegenstand, so schwingt er leicht..." Weil auch Eltern nicht immer alles wissen, gibt es in jedem der acht Wissensbereiche kurze Hinweise zum Nachlesen.
Seit Februar 2003 ist das 1.300 Quadratmeter große Kinderreich im Keller des Deutschen Museums in München - einem der weltweit größten Technikmuseen - untergebracht. Hier können Buben und Mädchen zwischen drei und acht Jahren die Welt erforschen. "Wir wollen Kinder dazu anregen, die Welt auf eigene Weise zu erkunden. Der Spaß am Denken ist der Schlüssel zur Innovation", erklärte Generaldirektor Wolf Peter Fehlhammer bei der Eröffnung die Zielsetzung. "Denn nur so werden aus kleinen Forschern große Wissenschaftler." Jährlich kommen rund 700.000 Kinder mit ihren Eltern hierher, in Spitzenzeiten sind es bis zu 65.000 Besucher pro Monat.
Julia, Sarah und Carina verlassen den drei mal drei Meter großen Raumwürfel, den Klangbereich. Das kühle Nass zieht sie magisch an. Ein Wasserfall eröffnet die lange Straße mit Kanälen, Wasserrädern, Schrauben und der großen Schleuse. Ein gewagter Sprung - und die drei Mädchen spielen mit dem Wasserkanal. Julia geht das Schleusen nicht schnell genug. Flugs greift sie nach einem Schiffchen und hebt es in das tiefere Bassin, bevor es Sarah und Carina gelingt, die Schleusentore zu öffnen. "Passt auf, dass ihr ruch nicht nass macht", ruft im Hintergrund die Mutter. In diesem Fall unbegründet, die Mädchen sind vorsichtig. Sollte doch mal ein Kind ins Wasser fallen: "Für den Notfall haben wir einen Trockner und Wechselwäsche", besagt ein Hinweisschild an der Wand.
Wenig Anklang findet das so genannte Lichtspiel. Hier soll das Phänomen des Lichtes erklärt werden. Bis die Sonne einmal über der Modellstadt auf- und untergeht - das dauert den Mädels zu lange. "Da passiert ja nichts", sagt Carina gelangweilt. Und hat auch schon ein Auge auf das Tangra-Theater geworfen. So heißt der große Zauberkasten, der die Kinder klein macht. Die Bühne, die hier steht, zeigt die Menschen verkleinert. Personen in Puppengröße. "Das ist lustig", freut sich Sarah. Zumal noch Sachen zum Verkleiden herumliegen. Sarah greift nach einem Prinzessinnen-Umgang, wirft ihn sich über die Schultern und stolziert auf die Bühne. Carina und Julia klatschen - und nehmen das Wissen mit nach Hause, dass Wissenschaft, wie hier die Optik, richtig lustig sein kann.
Das Kinderreich ist für Leiterin Tina Franz "ein großer Spielplatz mit niederschwelligem Bildungsangebot". Es soll "Lust machen, sich Dinge selbst zu erschließen, indem sie die Dinge anlangen, ausprobieren". Spaß steht an erster Stelle, das Lernen und Verstehen kommt ganz von selbst dazu. Erfahren die Kinder ein Erfolgserlebnis, "ist der Köder gelegt. Sie haben Lust, weiter zu spielen, zu forschen". Es gibt elf Wissensbereiche. Die Wasserstraße und das Feuerwehr-Auto in Originalgröße kommen am besten bei den kleinen Forschern an - "weil wir die Kinder direkt bei ihrer Lebenswelt abholen", erklärt Tina Franz.
Wer hierher kommt, mache "den ersten Schritt in die Welt der Technik", die heutzutage die Welt dominiere. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema sei auch im 21. Jahrhundert immer noch nicht selbstverständlich, Frauen gingen beispielsweise immer noch zaghaft an das Thema heran. Deshalb bietet das Kinderreich-Team jetzt Weiterbildungskurse für Erzieherinnen zum Thema "Technik und Kinder" an. Sind sie doch wesentliche Vermittler für die kommende Generation. Nach zwei Stunden ziehen die drei Mädchen ein begeistertes Fazit vom Kinderreich: "Toll" sei es hier gewesen. Ihr einhelliges Urteil: "Das Pritschen hat am meisten Spaß gemacht." Und Julia fügt hinzu: "Nur schade, dass ich nicht ins Becken springen durfte." Eins ist nach diesem Besuch ganz sicher: Wenn die Eltern das nächste Mal sagen: "Lasst uns ins Museum gehen", werden die Mädchen kein langes Gesicht ziehen. Denn Museen können wirklich spannend sein. Auch für Kinder.
Die Autorin ist Redakteurin beim "Münchner Merkur".