Edmund Stoiber im Wahlkampf für die CSU
Für Aufregung im Bundestagswahlkampf hat Edmund Stoiber genug gesorgt. Der Kanzlerkandidat von 2002 machte mit einer angeblich beleidigenden Äußerung über frustrierte Ostdeutsche Schlagzeilen. Die Aufregung hat sich gelegt. Seine Bemerkungen wiederholt er nicht mehr. Vielmehr präsentiert sich der CSU-Chef jetzt als nachdenklicher, sachorientierter Politiker. Aber ob er nach einem Wahlsieg der bürgerlichen Parteien in ein Bundeskabinett eintreten würde, bleibt sein wohlgehütetes Geheimnis, das sich Stoiber vor dem 18. September nicht entlocken lässt.
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber der Wahlkampf dieses Jahres hat immerhin kleine Parallelen zum Wahlkampf vor drei Jahren, als das Hochwasser zum beherrschenden Thema wurde. Damals setzte sich Kanzler Gerhard Schröder schnell als oberster Deichgraf in Pose und Stoiber blieb zu lange im Urlaub auf der Nordseeinsel Juist.
Diesmal, als die südbayerischen Flüsse über die Ufer traten, zog Stoiber die Gummistiefel sofort an und eilte an die Orte des Geschehens. Wahlkampftermine wurden gestrichen, der Wechselgipfel mit der FDP wurde wegen des Hochwassers verschoben. Es schien so, als bekämpfe Stoiber jede Überschwemmung persönlich. Schröder kam zwar auch zur Flut, doch diesmal war der bayerische Ministerpräsident schon vor ihm da gewesen. Schuldzuweisungen aus Berlin, der Freistaat Bayern habe zu wenig Hochwasserschutz betrieben, verliefen in dieser Situation im wahrsten Sinne des Wortes im Sande.
Wie alle Unionsgrößen eilt auch Stoiber in den verbleibenden Wochen bis zum 18. September von einem Marktplatz zum anderen, füllt Säle und Bierzelte. In Eglofs, einem Ort, der 1998 den Titel des schönsten Dorfes von Baden-Württemberg errang, sprach Stoiber Anfang August. Es dauerte eine Woche, bis Teile des Inhalts der 40-minütigen Rede Berlin erreichten. Tenor der ersten Meldungen war: Stoiber habe die Ostdeutschen pauschal beleidigt und habe gesagt, es dürfe nicht sein, dass die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen. Die Aufregung war groß. SPD, Grüne und Linkspartei übten sich in Empörung über Stoiber, der angeblich nicht verwunden habe, dass er die Wahl vor drei Jahren im Osten verloren habe. Als auch Mitglieder der Union begannen, sich von Stoiber abzusetzen, hatte die Öffentlichkeit ein Thema. Der selbst wegen seiner Äußerungen über die angeblich erzwungene Proletarisierung der Ostdeutschen in die Kritik geratene brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm empfahl Stoiber, für den Rest des Wahlkampfes lieber in den alten Ländern zu bleiben: "Wir kümmern uns um die neuen Länder."
Der CSU-Chef hatte sich in der umstrittenen Passage seiner Rede in Baden-Württemberg zunächst mit der Linkspartei und deren Spitzenrepräsentanten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi beschäftigt. Er warf beiden vor, die Frustrierten und Protestwähler von links und rechts einsammeln zu wollen. Er akzeptiere es nicht, "dass letzten Endes wieder der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird". Es dürfe nicht sein, "dass letztlich die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen". Die Zitate machen klar, dass Stoiber nicht die ostdeutsche Bevölkerung pauschal als "frustriert" bezeichnet hatte, sondern sich seine Attacken gezielt gegen die PDS beziehungsweise Linkspartei gerichtet hatte. Doch in der Öffentlichkeit kamen die Sätze anders an. Auch Politiker der Union griffen Stoiber an. Er hatten ihnen schließlich auch vorgeworfen, im Wahlkampf "zu lasch" zu sein.
In internen Einschätzungen kommt die CSU zum Ergebnis, dass Stoibers Attacken, auch wenn sie offenbar missverstanden worden sind, im Wahlkampf nützlich waren und zur erwünschten Polarisierung beigetragen haben. Die guten Umfrageergebnisse der Linkspartei.PDS ließen es aus aus Stoibers Sicht zwingend notwendig werden, nicht mehr allein Angriffe gegen Kanzler Gerhard Schröder und die rot-grüne Koalition zu fahren, sondern sich auch die frühere PDS vorzunehmen. In einem Interview sagte er später, wenn seine Attacken gegen Gysi und Lafontaine als pauschale Verunglimpfung aller Ostdeutschen verstanden worden wären, "bedaure ich das ausdrücklich". Er habe doch nur eindringlich vor der Wahl der Linkspopulisten warnen wollen. "Darum geht es. Und ich freue mich, dass sie in den Umfragen ihren Gipfel überschritten haben und es für sie bergab geht. Die Wahlforscher sagen, meine Kritik sei taktisch erfolgreich gewesen, hätte mir aber persönlich geschadet. Wenn das so ist, muss ich das im Interesse der Sache hinnehmen."
Wie aufgeregt die Öffentlichkeit und die politische Konkurrenz ist, wurde wenige Tage nach dem Auftritt in Baden-Württemberg deutlich, als Stoiber erneut wegen eines Zitats gescholten wurde. Diesmal hatte er die Wähler der Linkspartei mit einem alten bayerischen Sprichwort belegt: "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber."
Stoiber wiederholt seine Kritik an der Linkspartei in dieser Form inzwischen nicht mehr und stellt auch in Bierzelten fest, "ich wollte niemand beleidigen". Er konzentriert seine Angriffe jetzt auf Lafontaine, dem er vorwirft, gegen die Wiedervereinigung gewesen zu sein. "Der Mann darf keine Verantwortung mehr in Deutschland bekommen." Je stärker die Linkspartei werde, desto schwerer werde die Regierungsbildung. "Und was ich nicht will, ist die Große Koalition", läßt Stoiber klar in Sachen Regierungsbildung verlauten.
In seinen jüngsten Wahlkampfreden, wie bei der CDU in Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen), präsentiert sich der CSU-Chef nachdenklicher. Er spricht vom drohenden Niedergang der Sozialsysteme. "Wir leisten uns mit der Pflegeversicherung etwas, was andere Länder in Europa nicht kennen. Das verteuert natürlich auch unsere Arbeit." Aus diesem Grund, so die Forderung des CSU-Chefs, müssten die Arbeitskosten gesenkt werden. Ausführlich erläutert er die unterschiedlichen Sozialsysteme in den Ländern der Europäischen Union. Im Vergleich mit anderen EU-Ländern werde in Deutschland in allen Bereichen der Sozialen Sicherung mehr ausgegeben. Aber Deutschland belege schon lange nicht mehr vordere Plätze im Leistungsvergleich europäischer Volkswirtschaften. "Wenn ich mehr leisten will als die anderen Länder, dann kann ich das auf Dauer nicht mit Schulden finanzieren, sondern ich muss dann auch selber eine höhere Leistungsfähigkeit haben als andere Länder, um mir das auch leisten zu können."
Ausführlich begründet er die von der Union geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer. Diese Maßnahme soll dazu dienen, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu senken. Er spricht von einem "mutigen Schritt", erntet aber im Bierzelt keine Beifallsstürme. "Ich weiß auch, dass eine Mehrwertsteuererhöhung keine populäre Sache ist", ruft Stoiber der Menge mit den Maßkrügen in der Hand zu. Die Steuererhöhung verbessere nicht die Wahlchancen, aber die Aussage sei ehrlich.
Wenig später überrascht er seine Zuhörer noch mit einer anderen Botschaft, als er sich für eine Renaissance der Kernenergie ausspricht. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg steht zwar schon im Wahlprogramm, aber Stoiber will mehr. Deutschland habe zu viele Wirtschaftsbereiche verloren. Als Beispiele nennt er Computer, Fotoapparate und die Unterhaltungselektronik. Stoiber fordert mehr Forschung und Entwicklung, und er setzt dabei besonders auf die Kernforschung. Die Grünen hätten es geschafft, den Deutschen eine "ungeheure Angst" vor modernen Technologien einzuflößen. Zwar wolle niemand ein neues Kernkraftwerk bauen, aber er frage, "ob wir es uns leisten können, aus Forschung und Entwicklung auszusteigen?" Es dürfe nicht so weit kommen, dass in fünf oder sechs Jahren bei einem Zwischenfall in einem deutschen Kernkraftwerk Experten aus Frankreich zur Reparatur geholt würden. China baue 30 neue Atomkraftwerke - diese Anlagen würden von amerikanischen, aber nicht von deutschen Firmen errichtet.
Stoiber ist jedenfalls immer für Überraschungen gut. Die eigentliche Überraschung könnte für den Kanzlerkandidaten von 2002 aber nach einem Wahlsieg der Union kommen, sollte der Bayer seine schöne Heimat verlassen und nach Berlin kommen.