Die Geschichte des weltweit größten Bauhausensembles in Tel Aviv
Wie ein natürlicher Gürtel umgeben Palmen und Bougainvillea-Sträucher den makellos weißen Würfel im Zentrum von Tel Aviv. Horizontale Streifen aus dunklen Steinen schmücken den Eingangsbereich der dreistöckigen Villa, und auch die Tür- und Fensterrahmen aus massivem Holz sind Art-Déco-Vorbildern nachempfunden. Als der aus Deutschland eingewanderte Architekt Richard Kauffmann in den frühen 30er-Jahren im Auftrag eines Arztes das Gebäude entwarf, sah er auf allen Etagen Balkone vor. Darüber angebrachte Schutzdächer mildern während der heißen Sommermonate die Sonnenwirkung ab und lassen im Winter, wenn die Sonne tiefer steht, genügend Strahlen zu.
Nach dem früheren Besitzer Kroskal-Haus genannt, gehört die Villa jetzt dem israelischen Kunstmäzen Dov Gottesman, der sie in ein privates Museum der Gegenwartskunst umgewandelt hat. Lediglich die Fassaden ließ Gottesman originalgetreu restaurieren. Das Gebäudeinnere ist modern. Dov Gottesmans perfekt renovierte Traumvilla mit Meerblick gehört zu den stadttypischen Gebäuden im Bauhaus-Stil, den Architekten aus europäischen Ländern seit den frühen 30er-Jahren in das damalige Mandatsgebiet Palästina gebracht hatten. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstreckten sich am heutigen Standort der Stadt Tel Aviv Sanddünen. 1925 entwarf der Schotte Sir Patrick Geddes dann den ersten Plan für eine gelenkte Stadtentwicklung. Er lehnte sich an die englische Gartenstadt-Bewegung an und sah ein von Grünflächen eingefasstes, funktionales Tel Aviv vor. Tatsächlich umgesetzt wurden nur wenige Teile seines Entwurfs. Auf der Flucht vor dem aufstrebenden Faschismus emigrierten immer mehr Architekten aus Europa in das Mandatsgebiet. Joseph Neufeld und Carl Rubin, die bei Erich Mendelsohn in Deutschland studiert hatten, schufen Gebäude mit sanftem, heiteren und optimistischem Ausdruck. Bei ihren Bauwerken stark auf Komfort und Lebensqualität des Individuums bedacht, zeigten Sam Barkai und Shlomo Bernstein, dass sie durch die Schule des frühen Le Corbusier gegangen waren. Das Ergebnis war eine Vielfalt von Gestaltungsmerkmalen an den Gebäuden, die ausnahmslos den in Weimar und später in Dessau entwickelten Bauhaus-Prinzipien der Einfachheit und des Minimalismus entsprachen. "Aus dem Schaum einer Welle und einer Woge baute ich mir eine weiße Stadt, wie sie so luftig, wie sie so gespült - wie sie so schön", verklärte der Dichter Natan Alterman die Neugründung, die seither "weiße Stadt" genannt wird. Sie war gedacht als europäisch inspirierter Gegenentwurf zu den benachbarten arabischen Ortschaften mit ihrem lärm- und schmutzerfüllten Gassengewirr.
Allerdings bemerkten die Architekten schnell, dass man im Nahen Osten nicht so bauen kann wie in Mitteldeutschland. Statt großer Glasfenster versahen sie die Gebäude mit kleinen Fenstern, gerne mit Bullaugen, um die Bewohner vor der Sonnenhitze zu schützen. Nach orientalischer Art statteten sie Häuser mit Patios aus. Ventilationsschlitze in den geschwungenen Balkonbändern und Loggien sorgten für Luftzirkulation.
Mit der Gründung des Staates Israel 1948 wandten sich die Architekten dann allerdings abrupt vom Bauhaus-Stil ab. Um die Mieter zu schützen, fror die Regierung den Mietzins ein. Besitzer vernachlässigten ihre Immobilien aus Geldmangel. Tel Avivs weiße Pracht zerfiel allmählich. Die typischen Balkone wurden nicht selten zugebaut, und an den rußgeschwärzten Fassaden tauchten immer mehr Klimaanlagen auf. Wer es sich leisten konnte, ließ sich in den Vororten nieder. Warum die "weiße Stadt" in wenigen Jahren fast völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand, begründet die Geografin und Architekturhistorikern Shlomit Gross so: "Es gab im Straßenbild einfach zu viele dieser geschwungenen Formen, die Menschen waren dadurch total übersättigt und stuften die Gebäude schließlich als wertlos ein", glaubt Gross, die mit ihrem Mann Micha an der Dizengoff-Strasse ein auf die Bauhaus-Geschichte spezialisiertes Buchgeschäft mit Ausstellungsraum betreibt.
Diese Auffassung teilte offenbar auch die Verwaltung, die dem Niedergang lange tatenlos zusah. Erst nachdem der Architekturhistoriker Michael Levin mit deutlichen Worten vor dem drohenden Verlust des Architekturerbes gewarnt hatte, warfen die Verantwortlichen zu Beginn der 90er-Jahre das Ruder herum und wiesen in einem Masterplan erstmals Schutzzonen aus. Und erst als die UNESCO 2003 ein Drittel der 4.000 Gebäude im Bauhaus-Stil auf die Welterbeliste nahm, setzte sich der bis zu diesem Zeitpunkt nur selten benutzte Begriff "Bauhaus-Architektur" an Stelle der allgemeinen Bezeichnung "internationaler Stil" durch.
Israel bekannte sich offiziell zu einer Architekturform, die ihre Wurzeln in Deutschland hatte. Da auch Israel die Welterbekonvention von 1972 unterzeichnet hat, ist der Staat verpflichtet, das weltweit größte Bauhausensemble mit eigenen Kräften und angemessen zu schützen.
Denkmalschützerisch besonders wertvolle Gebäude sollen nun systematisch renoviert werden. Aber das erweist sich als schwierig, da rund 90 Prozent der Häuser in Privatbesitz sind und die Eigentümer nur selten über genügend Finanzmittel verfügen. Mittlerweile bereiten der Staat Israel und die Stadt den Aufbau eines Fonds für Renovierungskredite zu günstigen Konditionen vor. Erklärtes Ziel ist es, die Bauhaus-Viertel wieder zu einer begehrten Wohngegend aufzuwerten. Davon ist man gegenwärtig noch weit entfernt, da mehr als die Hälfte der Tel Aviver immer noch "kaum ahnt, welche Architekturschätze ihre Stadt birgt", schätzt Shlomit Gross.
Dass diese Bewegung, der Israel eine UNESCO-Welterbestätte verdankt, in starkem Maße ausgerechnet von Deutschland ausging, scheint viele Angesprochene freilich kaum zu beeindrucken. "Unser Staat wurde ja von Einwanderern aus der ganzen Welt aufgebaut", erwidert eine ältere Frau, "da ist es doch nur normal, dass auch aus Deutschland Beiträge gekommen sind."
Durchgängig besser informiert zeigen sich jüngere Gesprächspartner, die nicht nur über das Bauhaus und die UNESCO-Ernennung im Bilde sind, sondern das Architekturerbe durchweg positiv sehen. Zwei junge Frauen in einem Café am Rehov Nahalat Binyamin, Tel Avivs einziger autofreier Straße, an der sich etliche Bauhaus-Gebäude erheben, sprechen gar von "Schätzen und Hoffnung für die Zukunft". Und auf die Frage, was er angesichts des renovierten Kroskal-Hauses empfinde, meint ein jüngerer Mann spontan: "Weiße Emotionen auf Dünensand."