Über das Exil deutscher und österreichischer Schriftsteller
Vor dem nationalsozialistischen Terror fanden rund 70.000 Deutsche in Großbritannien Zuflucht. Darunter waren auch wichtige Repräsentanten der deutschen Literatur. Der Autor dieses ungemein materialreichen Bandes, Professor für deutsche Literatur in London, hat fünf unterschiedliche Schicksale aufgegriffen: die von Alfred Kerr, Max Herrmann-Neiße, Karl Otten, Robert Neumann und Stefan Zweig. Nachgegangen wird der Wechselwirkung zwischen historischen Ereignissen und persönlichen Erfahrungen sowie ihrer Gestaltung in Dichtung und Autobiographie. Ausgehend von der Flucht der Schriftsteller werden im Querschnitt die einzelnen Phasen ihres Lebens und Wirkens in der Emigration aufgezeigt - ein überzeugendes Verfahren, da man auf diese Weise unterschiedliche Werdegänge unter gemeinsamen äußeren Bedingungen gut vergleichen kann: Der Wartesaal: 1933 - 1936 / Isolation oder Integration: 1936 - 1939 / Feindliche Ausländer: 1939 - 1941 / Niemandsland: 1942 - 1945 / Rückkehr.
Obwohl die ausgewählten deutschen und österreichischen Autoren viele biografische Parallelen aufweisen, gibt es auch wesentliche Unterschiede: "Sie gehörten nicht zur selben literarischen Generation. Vier standen im mittleren Lebensalter, während der fünfte schon beinahe 70 war. Auch bildeten sie keine zusammenhängende Gruppe; manche waren sich nicht ein einziges Mal persönlich begegnet." Mit Ausnahme von Stefan Zweig, der bereits international bekannt war und über entsprechende Ressourcen verfügte, gab es oft erhebliche materielle Not. Auch war es mental ungemein schwer, sich in einer fremdsprachlichen und wenig an deutscher Kultur und Literatur interessierten Öffentlichkeit zurechtzufinden. Exil: Das bedeutete Entfremdung, Isolation und Desorientierung. Auf ergreifende Weise hat immer wieder Herrmann-Neiße den Gefühlen der Verlorenheit Ausdruck gegeben ("Monologe auf einer fremden Bühne"):
"Das Gastland kann die Heimat nie ersetzen,
hat mich sein Frieden freundlich auch bedacht.
Gefangen fühl' ich mich in fremden Netzen
und um das Lebenselement gebracht."
Zweig bewunderte die moralische Standfestigkeit des Dichters. Wenn er im Hyde Park spazieren ging, traf er ihn gelegentlich gedankenverloren auf einer Parkbank sitzend, fern von der Realität des Alltags: "Immer wenn ich ihn so sah, den kleinen verhutzelten Mann, in seiner großen Einsamkeit, hatte ich ein Gefühl der Ehrfurcht und sogar des Stolzes, dass da einer war unter uns allen, der rein blieb und unbekümmert dem dichterischen Dienst hingegeben inmitten einer katastrophischen Welt."
Das Beispiel kann exemplarisch deutlich machen, wie sensibel sich der Verfasser in die Gemütslagen der Emigranten einzufühlen vermag, wobei es sich aber nicht nur um Portraits handelt. Das Buch gibt darüber hinaus Einblick in die deutsche Situation nach der Machtübernahme durch Hitler beziehungsweise nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich 1938, in die deutsch-englischen Beziehungen, die lange durch Appeasement bestimmt waren und schließlich, nach Kriegsende, in die traurige Tatsache, dass die Rezeption der Exil-Literatur, wenn überhaupt, nur schleppend vor sich ging. ("Einmal Emigrant, immer Emigrant.")
"Viele der Exilautoren hatten ihre literarische Kariere in einer Zeit begonnen, die vom Expressionismus beherrscht war. Gerade ihn hatten die Nazis mit besonderem Eifer verfolgt. Und in der Nachkriegszeit wurde er vom literarischen Establishment in Ost und West mit fast verächtlicher Gleichgültigkeit behandelt. Viele Werke dieser Periode haben den Krieg nur in Bruchstücken überlebt. Dass das Beste noch immer zugänglich ist, verdanken wir der Hingabe einiger weniger engagierter Herausgeber, vor allem Karl Otten, dessen Anthologien expressionistischer Gedichte und Prosa, mit Hilfe seiner Frau Ellen ausgewählt und ediert, nach 1957 veröffentlicht wurden."
Der Ausblick ist einigermaßen optimistisch: Es gibt jetzt in England hervorragende Übersetzer aus dem Deutschen (hervorzuheben ist etwa Michael Hamburger); und es gibt sogar eine Zeitschrift "New Books in German". Ein hoffnungsvolles Signal! Ein solches ist auch dieses gründlich recherchierte, mit ausführlichen Anmerkungen und einer umfangreichen Bibliografie versehene Werk, das ein aufschlussreiches und farbiges, allerdings auch oft notgedrungen düsteres Bild der Zeit zwischen 1933 und 1945 entwirft.
Richard Dove
"Fremd ist die Stadt und leer …"
Fünf deutsche und österreichische Schriftsteller im Londoner Exil. 1933 bis 1945.
Parthas Verlag, Berlin 2004; 351 S., 28,- Euro