Bundestagswahl
Als wäre der Weg zu den vorgezogenen Neuwahlen nicht schon mit juristischen Problemen genug gepflastert gewesen, bringt der Tod der Dresdner NPD-Direktkandidatin Kerstin Lorenz elf Tage vor der Bundestagswahl am 18. September eine Reihe zusätzlicher Probleme mit sich. Im Wahlkreis 160 (Dresden I) wurde die Abstimmung abgesagt, alle bisher über Briefwahl abgegebenen Stimmen sind ungültig. Die nötige Nachwahl bereitet Organisatoren und Wahlexperten einiges Kopfzerbrechen. Schließlich könnte der Ausgang dort wahlentscheidend sein. Kommt es zu dem von vielen Wahlforschern vorausgesagten knappen Ausgang, könnten die rund 219.000 Wahlberechtigten in Dresden zum "Zünglein an der Waage" werden.
Ein Termin für eine Nachwahl steht noch nicht fest, allerdings muss sich der neue Bundestag laut Grundgesetz spätestens 30 Tage nach der Bundestagswahl am 18. September konstituieren. Landeswahlleiterin Irene Schneider-Böttcher strebt einen möglichst frühen Nachwahltermin an: "Wir wollen Zeitnähe, spätestens am ersten Oktober-Wochenende, vielleicht auch noch im September." Die zehn Tage, die zur Vorbereitung einer Nachwahl zum regulären Datum am 18. September blieben, seien zu kurz. "Wir werden vor allem die Briefwähler nicht zeitgerecht informieren können."
Juristen des Bundeswahlleiters und des Bundesinnenministeriums beraten nun darüber, wie am Wahlabend ein vorläufiges amtliches Ergebnis veröffentlicht wird. Fest steht bisher nur, dass es ungeachtet der Situation in Dresden in der Nacht nach der Bundestagswahl ein vorläufiges amtliches Endergebnis gibt. In welcher Form das aber geschieht, ist derzeit unklar, hieß es aus dem Bundeswahlleiter-Büro. Die Entscheidung darüber soll im Verlauf der Woche bekanntgegeben werden.
An diesem Prozedere wird jedoch erste Kritik laut. So warnt der Mannheimer Wahlforscher Matthias Jung vor einer möglichen Wahlverzerrung, wenn die Dresdner Wähler bereits den Ausgang der Bundestagswahl kennen. "Ich betrachte das als ernsthaftes juristisches Problem", sagte der Sprecher der Forschungsgruppe Wahlen dem "Mannheimer Morgen". Der Staatsrechtler Ulrich Battis von der Humboldt-Universität Berlin sieht in der Bekanntgabe der Wahl-Resultate am Wahlabend zwar auch ein Problem: "Natürlich ist das eine Wahlbeeinflussung, da wird in Dresden dann mancher anders wählen", sagte Battis der "Mitteldeutschen Zeitung". "Doch das nehmen wir hin. Denn so was kommt immer wieder vor." Auch der Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlock zeigt sich gelassen: "Wahlen sind ein Massenereignis. Da kann man nicht überall ganz gleiche Bedingungen garantieren."
Die Linkspartei kündigte bereits an, sie wolle juristisch erzwingen, dass die Nachwahl am 18. September stattfindet und nicht später. Er lasse entsprechende rechtliche Schritte prüfen, sagte Wahlkampfchef Bodo Ramelow der "Thüringer Zeitung". Der Wahlkreis sei für seine Partei von strategischer Bedeutung, weil dort die sächsische Spitzenkandidatin Katja Kipping Aussichten auf das Direktmandat habe.
Tatsächlich könnte die zeitversetzte Abstimmung in Dresden die Bundestagswahl zu einer längeren Hängepartie machen. Bei der von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) angestrengten vorgezogenen Wahl des Bundestages wird zunächst ein Wahlkreis offen und damit einer von 598 Sitzen auf jeden Fall unentschieden bleiben. Über die Zweitstimmen im nachzuwählenden Wahlkreis könne es auch Auswirkungen auf das Endergebnis geben, sagte der Chef des Bundeswahlleiter-Büros, Heinz-Christoph Herbertz. Ebenso stünden die Überhangmandate erst nach einer Nachwahl endgültig fest.
Bei der Bundestagswahl 2002 lieferten sich im fraglichen Dresdner Wahlkreis SPD und CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Direktmandat ging damals knapp an die CDU-Kandidatin. Sie erhielt 33,8 Prozent der Erststimmen, die SPD-Kandidatin 31,3 Prozent. Damit durfte die sächsische CDU eine Abgeordnete mehr in den Bundestag schicken, als ihr nach landesweitem Zweitstimmenergebnis zustand.
Zwei Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, 1961 und 1965, hat sich das Endergebnis von Bundestagswahlen um einige Wochen verzögert, weil zuvor Direktkandidaten gestorben waren.