Tätigkeitsbericht der Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen
Über die Herausgabe von Stasi-Unterlagen über den Spitzenpolitiker der Linkspartei, Gregor Gysi, wird jetzt vor Gericht gestritten. Gysi habe beim Berliner Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz bekommen und so eine geplante Herausgabe von Papieren durch die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen zunächst gestoppt, sagte deren Chefin Marianne Birthler am 5. September: "Das ist aber keine Bewertung in der Sache". Birthler sagte, sie warte das Hauptverfahren ab. Zum Inhalt der Papiere sowie zu ihrem weiteren Vorgehen in dem Rechtsstreit wollte die Behörde keine Angaben machen.
Parallelen zum langjährigen Rechtsstreit um die Freigabe von Stasi-Akten über Altkanzler Helmut Kohl (CDU) sah die Bundesbeauftragte nicht. Kohl sei Betroffener gewesen. Bei Gysi sei das anders. "Er hat mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammengearbeitet." Dies hat Gysi, der jetzt mit der Linkspartei in den Bundestag einziehen will, stets bestritten. Seine Aussage wurde auch durch mehrere Gerichtsurteile bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte enge Grenzen für die Freigabe von Papieren über Kohl gesetzt.
Nach eigenen Angaben hat die Bundesbehörde aber ein "Aktenpaket" zu Gysi freigegeben. Darin geht es nach einem Bericht im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" um Aufzeichnungen der Stasi über zwei "auftragsgemäß" durchgeführte Besuche von Gysi bei seinem damaligen Mandanten, dem DDR-Kritiker Robert Havemann.
Birthler sagte, es gebe aus heutiger Sicht keine Abstriche an dem Gutachten über Gysi, das die Stasi-Unterlagenbehörde 1995 für den Bundestag erstellte. Danach war Gysi jahrelang für die Stasi eine wichtige Person zur Bekämpfung der DDR-Oppositionellen, aber nicht förmlich als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) verpflichtet. Damals hieß es, die Unterlagen "legen den Schluss nahe, dass Dr. Gysi als anwaltlicher Vertreter von oppositionellen Bürgern die Interessen des MfS mit durchzusetzen half und mandantenbezogene Informationen an das MfS weitergab".
Gregor Gysi warf Marianne Birthler im Gegenzug in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" (Ausgabe vom 7. September) vor, "die Aufarbeitung der Geschichte wieder mal im Wahlkampf zu instrumentalisieren". Birthler leide darunter, "dass sie nicht so berühmt ist wie Herr Gauck".
Gysi betonte, als Anwalt hätte er gar nicht anders handeln dürfen. Birthlers Behörde habe ihn gefragt, ob er einer Herausgabe von Akten an die Medien zustimme. Dabei handele es sich um "Dokumente ganz ohne Vorwürfe gegen mich", die vielmehr seinen früheren Mandanten Robert Havemann beträfen. Die anwaltliche Schweigepflicht gelte aber weiter. "Wenn das Gericht das anders entscheidet, soll es das gerne machen", sagte Gysi.
Gysi war von 1979 bis zu dessen Tod 1982 Anwalt des populären Bürgerrechtlers und SED-Kritikers Havemann gewesen. In dieser Zeit gelangten detaillierte Berichte über Gespräche und Begegnungen der beiden an die Staatssicherheit, die laut Aktenlage den Inoffiziellen Mitarbeitern "Gregor" und "Notar" als Quelle zugeschrieben wurden.
Bei der Vorstellung des neuen Tätigkeitsberichts ihrer Behörde regte Birthler auch eine Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes durch den neuen Bundestag an. So müsse der Umgang mit den Akten gestorbener Stasi-Opfer geregelt werden. Bei der Aufarbeitung der Strukturen des MfS habe es trotz des Kohl-Urteils keinen Stillstand gegeben. Das Interesse der Bürger an den "eigenen Akten" halte nahezu unvermindert an. Bei ihrer Behörde gingen in den letzten drei Jahren jeweils mehr als 90.000 Anträge auf Akteneinsicht ein. Seit 1992 haben etwa anderthalb Millionen Menschen diese Einsicht beantragt. Birthler, deren Amtszeit im Oktober ausläuft, will sich einer Wiederwahl im Bundestag stellen.
Im Internet:
www.bstu.de/home.htm