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Das Jahr 2004 ist vollgepackt mit europäischen Ereignissen. Die EU-Erweiterung im Mai, die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni. Und im November wird eine neue Kommission mit Kommissaren aus 25 EU-Staaten ihre Arbeit aufnehmen. Wir haben uns angeschaut, wie sich das Europäische Parlament und die neuen Abgeordneten aus den Beitrittsländern auf die Ereignisse vorbereiten.
Wenn Alojz Peterle Glück hat, dann wird für ihn die EU-Erweiterung ganz praktische Vorteile bringen – mehr Platz zum Arbeiten. Derzeit teilt sich der Politiker aus Slowenien noch sein Zehn-Quadratmeter-Büro im Europaparlament in Straßburg mit einem polnischen Kollegen. Der muss draußen warten, während wir miteinander sprechen. Am zweiten Standort des Parlaments in Brüssel sind sie gar zu dritt in einem Büro. Klagen will Peterle darüber nicht, denn noch ist er Gast in Europas Parlament. Peterle ist Abgeordneter in Slowenien und derzeit als Beobachter in Brüssel und Straßburg. Die kleinen Unannehmlichkeiten muss man da eben in Kauf nehmen. Nach den Wahlen am 13. Juni würde er allerdings gern als richtiger Europaabgeordneter ins Parlament einziehen. Das kleine Büro in Straßburg hätte er dann für sich.
Nach der großen Erweiterung der Europäischen Union im Mai beginnt auch im Europäischen Parlament das Stühlerücken. Aus derzeit 626 Abgeordneten werden dann 732. Aus den neuen Mitgliedstaaten kommen 162 Abgeordnete hinzu. Dafür verzichten die alten Mitgliedstaaten auf 56 Parlamentssitze. Nur Deutschland muss keinen Sitz abgeben. Die Bundesrepublik wird wie vor der Erweiterung mit 99 Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein.
Alojz Peterle hofft bei den Wahlen im Juni auf einen der sieben Sitze, die Slowenien mit gut 1,9 Millionen Einwohnern künftig in Europas Volksvertretung haben wird. „Wir stehen in den Umfragen ganz gut da“, sagt der 55-Jährige, dessen Biografie eng mit der EU und der Erweiterung verbunden ist. Peterle war der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Sloweniens, später Außenminister, dann leitete er den Europaausschuss im slowenischen Parlament. Und er ist bekennender Europäer. „Ich bin verliebt in ein vereintes Europa“, sagt er. Seine Partei „Neues Slowenien“ steht politisch im konservativen Spektrum. Doch obwohl seine Partei in der nationalen Politik keine unerhebliche Rolle spielt, ist der Einzug ins Europäische Parlament nicht sicher. Denn wenn ein Land nur sieben Abgeordnete hat, dann muss eine Partei auf gut 14 Prozent der Stimmen kommen, um nur einen Sitz zu erhalten. Nur drei der neun im nationalen Parlament vertretenen Parteien haben bislang Aussicht auf einen Sitz im Europäischen Parlament. Dabei steht Slowenien noch gut da. Luxemburg, Zypern und Estland werden nur sechs Europaabgeordnete haben. Malta gar nur fünf. Da liegt die Latte für einen Sitz im Europaparlament mit 20 Prozent der Stimmen für kleine Parteien schon zu hoch.
Amtssprache arabischen Ursprungs
Ob nun fünf, sieben oder wie bei Polen 54 Abgeordnete aus einem Land dazu- kommen, sie bringen in jedem Fall ihre Sprache mit. Statt derzeit elf wird es deshalb künftig 20 Amtssprachen geben, in die jedes Ausschussdokument und jeder Antrag übersetzt werden müssen. Mit Maltesisch wird dann auch eine Sprache mit arabischem Ursprung Amtssprache der EU. Lediglich das griechischsprachige Zypern bringt vorerst keine Sprache mit in die Union. Doch auch das könnte sich ändern, wenn der türkischsprachige Norden der Insel irgendwann auch einmal zur EU kommt.
Für Peterle wäre der ganze Übersetzungsaufwand nicht nötig. Er spricht neben Slowenisch gut Deutsch und Englisch. Das gilt für die meisten seiner Kollegen aus den Beitrittsländern. Verzichten kann man nach Peterles Meinung auf die Übersetzer und Dolmetscher dennoch nicht. Denn auch ein weniger polyglotter Volksvertreter muss ja die Möglichkeit haben, seine Arbeit zu machen. Allein für die Simultanübersetzung während der Sitzungen sucht das Parlament derzeit deshalb rund 200 Dolmetscher. Auch die Sitzungssäle werden derzeit für die zusätzlichen Übersetzer umgebaut, um Platz für neue Kabinen zu schaffen. Allerdings wird es in den Plenardebatten und den Ausschüssen künftig keine direkten Übersetzungen aus allen Sprachen in alle Sprachen geben. Die Übersetzer für die 189 möglichen Sprachkombinationen würden schlicht keinen Platz finden. Und wo sollte das Parlament beispielsweise genügend qualifizierte Dolmetscher für Übersetzungen aus dem Estnischen ins Griechische hernehmen.
Das Zauberwort heißt hier künftig „Relaisübersetzung“. Die meisten Übersetzer werden der englischen Übersetzung lauschen und von dort dann weiterübersetzen. In den Ausschusssitzungen werden einige Sprachen nur passiv angeboten werden. Das heißt, ein litauischer Abgeordneter wird litauisch sprechen können. Wenn er aber der Debatte folgen will, dann muss er sich mit der englischen, deutschen oder französischen Übersetzung behelfen.
Wenn Peterle es bei den Wahlen im Juni schafft, dann wird er sich der Fraktion der Europäischen Volkspartei/Europäische Demokraten anschließen, der derzeit größten Fraktion im Europaparlament. Die EVP/ED ist die große konservative Familie in der EU und eine ziemlich bunte Truppe, muss sie doch jetzt sehr unterschiedliche Gruppierungen unter einen Hut bringen. Neben Befürwortern eines föderalen Europas aus der deutschen CDU sitzen in der EVP/ED-Fraktion die britischen Konservativen, von denen manche der Meinung sind, Großbritannien könnte auch ohne die EU ganz gut leben. Zweitgrößte Fraktion im Parlament sind derzeit die Sozialdemokraten, denen auch die deutschen SPD-Abgeordneten angehören. Auch sie dürfen auf Zulauf von Abgeordneten aus den Beitrittsländern hoffen, so etwa von den in Polen regierenden Sozialdemokraten. Für die kleineren Fraktionen wie die Liberalen, die Grünen, die Vereinigte Linke, der die PDS angehört, oder die Rechtskonservativen ist das Spiel noch offen.
Ein Wermutstropfen wird auch für Alojz Peterle bleiben, selbst wenn er das erhoffte Ticket nach Europa erhält. Denn trotz Erweiterung und Neuwahlen zum Europäischen Parlament wird ein fest eingeplantes europäisches Großereignis in diesem Jahr wohl nicht stattfinden: die Einigung über eine Europäische Verfassung. Dramatisieren will Peterle das Unglück nicht. „Es gab einen Unfall, aber ohne tödliche Verletzungen“, sagt er. Der Politiker aus Slowenien hat zum „Unfallopfer“ eine besondere Beziehung – er ist einer der Väter. Peterle war für das slowenische Parlament Mitglied im EU-Konvent, also der Versammlung, die in den vergangenen zwei Jahren den Entwurf für eine EU-Verfassung vorbereitet hat.
Annäherung unter Fremden
Doch auf dem EU-Gipfel im Dezember letzten Jahres konnten sich die 25 Staats- und Regierungschefs nicht darüber einigen. Vor allem Spanien und Polen wollten dem neuen Abstimmungsmodus im EU-Ministerrat nicht zustimmen. Statt der vom Konvent vorgeschlagenen „doppelten Mehrheit“ aus EU-Staaten und Bevölkerung wollten sie am Abstimmungssystem festhalten, das vor gut drei Jahren in Nizza beschlossen wurde, und sie fast gleichstellt mit den viel größeren Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Seither ist die Stimmung in der Union gedrückt, trotz der historischen Erweiterung in diesem Jahr. „Die Verhandlungspartner sind nicht dem europäischen Geist gefolgt“, diagnostiziert Peterle. Statt einer Vision zu folgen, hätten sie nur um ihre nationalen Rechte gekämpft.
Bei der Arbeit im EU-Konvent jedenfalls hat Peterle ganz andere Erfahrungen gemacht. „Es war das erste Projekt, an dem alle künftigen EU-Staaten beteiligt waren“, sagt der 55-Jährige begeistert. „Die Diskussionen waren intensiv und sehr europäisch. Man konnte anhand der Wortmeldungen nicht sagen, aus welchem Land ein Teilnehmer kam.“ Der Konvent bestand zu zwei Dritteln aus Parlamentariern und nur zu einem Drittel aus Regierungsvertretern. Vielleicht hat auch dieser Umstand die Diskussionen befruchtet. Dabei ging es zu Anfang auch beim Verfassungsprojekt nicht unbedingt europäisch zu. Die Vertreter aus den Beitrittsländern mussten auch im Verfassungskonvent um ihren Platz kämpfen. Erst nach Protesten wurden dort die Sprachen der zehn neuen Mitglieder in den Verhandlungen zugelassen.
Und auch im Präsidium des Konvents konnte Alojz Peterle als einziger Vertreter aus den Beitrittsländern erst nach mühsamen Verhandlungen Platz nehmen. Es war eben auch eine Annäherung unter Fremden. „Die alten EU-Staaten wussten einfach nicht, wie wir reagieren würden, und waren deshalb sehr vorsichtig.“ Doch jetzt hofft er, dass sich die gute Zusammenarbeit im Konvent auch im Parlament fortsetzt und dass die Regierungschefs mit der Verfassung ein Einsehen haben. Als Lösung für die Auseinandersetzung über die Stimmengewichtung empfiehlt Peterle eine Erfahrung aus dem Konvent: „Die Mitgliedstaaten sollten sich überlegen, ob sie jemals etwas Historisches erreicht hätten, wenn sie eine Entscheidung in der EU blockierten.“
Text: Matthias Rumpf
Grafiken: Karl-Heinz-Döring
Fotos: picture-alliance, Audiovisual Library European Commission,
VISUM/Sintesi
Stichwort: Kerneuropa
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