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Das Steuersystem in Deutschland muss reformiert werden. Darüber sind sich die Parteien im Bundestag einig. Die Frage ist nur wie. Schon beim Steuertarif gehen die Meinungen auseinander. Debattiert wird zudem über den Abbau von Steuervergünstigungen und über die Frage, inwieweit die Reform den Bürger entlasten sollte. BLICKPUNKT BUNDESTAG hat die Bundestagsfraktionen um Stellungnahmen gebeten.
Wenn es um die Beschreibung des deutschen Steuersystems geht, bemüht der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof gern das Tierreich: Der Staat verhalte sich wie ein Mückenschwarm. An jeder Ecke lauerten Mücken, um den Steuerpflichtigen Blut abzuzapfen. Bürger und Unternehmen wichen daher ständig aus und machten die unsinnigsten Umwege, um den Stichen zu entgehen. „Statt sich auf ihr wirtschaftliches Fortkommen zu konzentrieren, sind die Bürger permanent damit beschäftigt, die Mücken zu verscheuchen.“ Einige habe bereits – wegen der zahlreichen Stiche – lähmendes Entsetzen ergriffen.
Deutschland hält tatsächlich einen zweifelhaften Rekord: Rund zwei Drittel der weltweit publizierten Steuerliteratur beschäftigt sich mit dem deutschen Steuerrecht. Insgesamt gibt es mehr als 125 Steuergesetze mit Tausenden Paragrafen. Hinzu kommen fast 100.000 Durchführungsbestimmungen und mindestens 5.000 Schreiben des Bundesfinanzministeriums zur konkreten Auslegung der Gesetze. Jährlich ändert der Gesetzgeber Dutzende Paragrafen, die dadurch aber häufig nicht einfacher, sondern sogar komplizierter werden. Allein zur Erhebung der bundesweit einheitlichen Steuern sind mittlerweile 185 verschiedene Steuerformulare im Umlauf.
Kein Wunder, dass viele Bürger das Steuerrecht als kompliziert, undurchschaubar und daher ungerecht empfinden. Darin werden sie von zahlreichen Steuerexperten unterstützt. „Die bewährten ursprünglichen Grundsätze unseres Steuerrechts sind zunehmend verfremdet worden“, sagt zum Beispiel Verfassungsrechtler Paul Kirchhof, dessen Arbeit sowohl von SPD als auch von CDU oder CSU geführten Bundesländern unterstützt wird. Kirchhof hält das deutsche System sogar für leistungsfeindlich. Um das zu ändern, sei ein „geistiges Atemholen notwendig“.
Nicht nur Kirchhof, sondern auch die im Bundestag vertretenen Parteien haben sich daher zum Ziel gesetzt, das deutsche Steuersystem deutlich zu vereinfachen. Einig ist man sich darin, dass dabei der Grundsatz „Breite Bemessungsgrundlage – niedrige Steuersätze“ gelten soll. Eine breite Bemessungsgrundlage – also der Betrag, auf den am Ende die Steuern erhoben werden – bedeutet den Abbau von Ausnahmen. Dazu gehören etwa die Pendlerpauschale, die Steuerfreiheit der Lohnzuschläge für Sonntagsarbeit, die Eigenheimzulage und eine Vielzahl von Vergünstigungen für Unternehmen.
Solche Ausnahmen tragen nach übereinstimmender Ansicht maßgeblich dazu bei, dass das Steuerrecht heute so kompliziert ist. Steuerexperten sind sie auch aus einem anderen Grund ein Dorn im Auge. Nach ihrer Ansicht sollte das Steuerrecht möglichst keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Steuerzahler haben. „Bürger und Unternehmer sollen nicht mehr zu allerlei Gestaltungen verführt werden, sondern gradlinig das tun, was ihnen die ökonomische Vernunft gebietet“, erläutert Kirchhof.
Bei einem Abbau der zahlreichen Vergünstigungen würden zudem die Steuereinnahmen insgesamt steigen. Diesen Vorteil kann die Politik in Form sinkender Tarifsätze an alle Steuerzahler zurückgeben. Außerdem sorgt ein Abbau der Ausnahmen zu einer Lichtung des Paragrafendschungels. Jeder Arbeitnehmer könnte künftig seine Steuerlast auf dem Bierdeckel ausrechnen und bräuchte für seine Steuererklärung lediglich ein Blatt Papier, wirbt beispielsweise der Stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz für sein Konzept.
Vorbilder gibt es bereits. Kroatien hat in den Neunzigerjahren das Modell einer „Einfachsteuer“ übernommen, entwickelt vom Heidelberger Steuerrechtler Manfred Rose. Es basiert auf demselben Grundgedanken: einfach, transparent, niedrige Steuersätze und fast keine Ausnahmen. Die Einführung des Systems hat in Kroatien die Steuerquellen sprudeln lassen. Die Wirtschaft wächst und die Bürger sind zufriedene Steuerzahler.
In Deutschland ist zwischen den Parteien vor allem umstritten, wie radikal eine Steuerreform ausgestaltet werden soll. Grundlegende Unterschiede gibt es beispielsweise beim Steuertarif. So wollen SPD und CSU an dem bestehenden linear-progressiven Tarif festhalten. Dieser besteht in der Regel aus einem bestimmten Betrag, der gar nicht versteuert wird (Grundfreibetrag). Danach greift der so genannte Eingangsteuersatz. Anschließend steigt der Steuersatz kontinuierlich mit dem Einkommen, bis schließlich ab einer bestimmten Grenze der Spitzensteuersatz erreicht wird. Für Einkommensteile über dieser Grenze gilt dann stets dieser Satz. Befürworter argumentieren, dieses Modell sei sehr gerecht, weil es das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sehr gut nachbilde: Wer mehr verdiene, könne auch einen größeren Teil des Einkommens abgeben. Kritisiert wird aber, dass sich die Steuerbelastung nicht einfach per Hand ausrechnen lässt. Entweder sind Computerprogramme oder umfangreiche Steuertabellen nötig. FDP und CDU wollen dagegen einen Stufentarif einführen. Hierbei existiert ebenfalls der Grundfreibetrag. Anschließend folgen aber mehrere Stufen mit jeweils gleich bleibenden Steuersätzen. Beispiel: Nach dem FDP-Vorschlag beträgt der Grundfreibetrag 7.500 Euro. Einkommensteile zwischen 7.501 und 15.000 Euro werden mit 15 Prozent versteuert, zwischen 15.001 und 40.000 Euro werden 25 Prozent fällig und darüber 35 Prozent. Befürworter machen geltend, dieser Tarif sei einfach nachvollziehbar und lasse sich daher von jedem Steuerzahler leicht ausrechnen. Gegner argumentieren jedoch mit hohen Steuerausfällen, die dieser Tarifverlauf verursache. Am radikalsten geht im Übrigen Kirchhof selbst vor. Er schlägt grundsätzlich nur noch einen einzigen Steuersatz vor, was von allen Parteien jedoch abgelehnt wird.
Gestritten wird auch über die Frage, wie stark die Steuersubventionen, also die Ausnahmen, tatsächlich abgebaut werden und ob eine umfassende Steuerreform mit einer Senkung der Steuerlast verbunden werden soll. Letzteres wird vor allem von der Bundesregierung abgelehnt. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), der bisher kein neues Steuerkonzept vorgelegt hat und auf die bereits im Gesetz stehende Steuerreformstufe 2005 verweist, begründet die Zurückhaltung mit der angespannten Haushaltslage bei Bund und Ländern. CDU/CSU, FDP und der Steuerexperte Paul Kirchhof sehen dagegen einen Spielraum für eine Entlastung von Bürgern und Unternehmen in zweistelliger Milliardenhöhe.
Ob es bereits in diesem Jahr zu einer umfassenden Reform kommt, ist offen. Bedingung wäre schließlich eine Einigung von Regierung und Opposition. Denn die entsprechenden Steuergesetze sind im Bundesrat zustimmungspflichtig. Und dort haben derzeit die Bundesländer mit CDU- oder CSU-Regierung eine Mehrheit.
Timot Szent-Ivanyi
Fotos: picture-alliance, Deutscher Bundestag
Die Reformvorschläge der FDP
Die
Reformvorschläge des Verfassungsrechtlers Paul
Kirchhof
Die
Reformvorschläge der CDU
Die
Reformvorschläge der CSU
Anmerkung: SPD und Grüne haben bisher kein eigenes Steuerkonzept vorgelegt. Die rot-grüne Koalition verweist auf die Steuersenkungen, die für 2005 bereits im Gesetz stehen. Danach sinkt der Eingangsteuersatz von 16 auf 15 Prozent (ab 7.664 Euro), der Spitzensteuersatz von 45 auf 42 Prozent (ab 52.151 Euro). Der Grundfreibetrag bleibt bei 7.664 Euro. Außerdem arbeitet Finanzminister Hans Eichel (SPD) gegenwärtig an einer Neuregelung der Kapitalertragsbesteuerung. Details sind noch nicht bekannt.
Solide finanziertes Konzept
Joachim Poß, SPD
Leistung muss sich lohnen
Michael Meister, CDU/CSU
Abbauen, vereinfachen, senken
Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen