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Führende Energiekonzerne haben
kräftige Preiserhöhungen angekündigt. Die Politik
schlägt Alarm und sieht den Aufschwung gefährdet.
Missbrauchen die Stromkonzerne ihre Machtstellung?
Die Energiepreise zwischen Markt und Monopol – darüber
führte BLICKPUNKT BUNDESTAG ein Streitgespräch mit dem
stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Ludwig
Stiegler und dem Vizevorsitzenden der FDP-Fraktion Rainer
Brüderle.
Blickpunkt: Herr Brüderle, was ist aus der von der FDP einst angestoßenen Liberalisierung des Strommarktes geworden?
Rainer Brüderle: Die Preissenkungen, die wir durch die Liberalisierung gewonnen haben, sind inzwischen alle wieder verfrühstückt. Damals sind rund neun Milliarden Euro Preisreduktionen erfolgt, von denen durch günstige Tarife auch der Mittelstand und die Kleinabnehmer durchaus profitierten. Leider hat die rot-grüne Regierung diese erfreuliche Entwicklung dadurch konterkariert, dass sie ideologisch bedingte Faktoren wie die Förderung von alternativen Energien und Kraft-Wärme-Koppelung auf die Energiepreise draufgeknallt hat. Alles das zahlen wir heute als Stromkunden mit.
Blickpunkt: Herr Stiegler, hat die Politik nicht aufgepasst?
Ludwig Stiegler: Die Politik hat aufgepasst; sie hat mit der Förderung alternativer Energien zugleich aber auch eine Energiepolitik für die Zukunft betrieben. Dass ist natürlich mit Kosten verbunden, die auf den Unternehmen und damit auch auf dem Strompreis lasten. Aber die sind längst nicht so hoch, wie gern öffentlich behauptet wird. Richtig bleibt aber, dass wir nach wie vor monopolistische Strukturen haben. Wir brauchen deshalb Deregulierung, damit die Monopolstellungen insbesondere bei den Netzen nicht missbraucht werden.
Blickpunkt: Wie wichtig sind die Energiepreise für unsere Volkswirtschaft? Hat Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Recht, wenn er ihnen die gleiche Bedeutung wie den Lohnnebenkosten beimisst?
Brüderle: Ja, Clement hat Recht. Entscheidend ist, was kostet das Produkt, das ich verkaufe. Wenn es zu teuer wird, ist es eben nicht oder nur schwer zu verkaufen. Im verschärften internationalen Wettbewerb ist so etwas eine Katastrophe. Da sieht man uns nicht nach, dass wir meinen, wir müssten uns überall noch einen Extraschluck obendrauf gönnen.
Stiegler: Man muss unterscheiden zwischen der Gesamtwirtschaft, wo das Volumen der Energiekosten nicht so groß ist wie das der Lohnnebenkosten, und einzelnen, besonders energieintensiven Branchen, in denen die Energiepreise sogar wichtiger als die Lohnkosten sein können. Mit besonderen Härteregelungen haben wir allerdings dafür gesorgt, dass solche Betriebe nicht überfordert werden.
Blickpunkt: Leidet der private Verbraucher nicht auch unter immer höheren Energiepreisen?
Stiegler: In privaten Haushalten spielen sie nicht die Rolle wie in der Wirtschaft. Dennoch: Jede Zusatzbelastung schränkt natürlich ein. Wir haben aber – Stichwort Ökosteuer – dafür gesorgt, dass die Wirtschaft Energie sparende Geräte vorgelegt hat. Hätten wir das nicht so energisch betrieben, hätten wir heute einen viel größeren privaten Energieverbrauch. Mit unserer Politik der Energieeffizienz sind wir also auf dem richtigen Weg. Wären wir den Liberalen gefolgt und hätten die Dinge laufen lassen, stünden wir sehr viel schlechter da.
Brüderle: Das ist unzutreffend. Wenn private Haushalte durch immer höhere Strompreise verunsichert werden und immer weniger ausgeben können, hat das doch gravierende Folgen. Wer immer wieder neu an den Kostenfaktoren dreht, wirft bewusst alle Kalkulationen sowohl privater Haushalte wie der Unternehmenswirtschaft über den Haufen.
Blickpunkt: Wenn die Energiepreise so entscheidend sind, warum hat dann die Politik eine Quasimonopolstellung der vier Energieriesen zugelassen, die 80 Prozent des deutschen Strommarktes beherrschen?
Brüderle: Das frage ich mich auch. Das ist eine Verquickung von wirtschaftlichen und politischen Überlegungen. Im Gasbereich liegt durch eine Ministererlaubnis der Marktanteil des beherrschenden Konzerns Ruhrgas sogar bei 85 Prozent. Bei einem so engen Oligopol ist immer die Gefahr groß, dass es zu abgestimmten Verhaltensweisen kommen kann. Jetzt will der Kanzler ja den Konzernen auf einem Energiegipfel ins Gewissen reden. Das ist aber unglaubwürdig, wenn man zuvor politisch eine so starke Konzentration von Macht zugelassen hat.
Stiegler: Es geht ja gerade darum, dass die Netze geöffnet werden und dass jeder zu den gleichen Konditionen Strom ins Netz einspeisen und anbieten kann. Das wird gelingen. Dann spielt die Menge nicht mehr die Rolle. Bisher konnten die Unternehmen die Preise steuern, indem sie die Netzentgelte nach Gusto festgelegt haben. In Zukunft werden sie einen klaren Kontenrahmen vorgegeben bekommen. Das ist ein großer Fortschritt, der den Wettbewerb nachhaltig befördert.
Blickpunkt: Gibt es eine zu enge Verflechtung zwischen Politik und Stromwirtschaft?
Brüderle: Ich finde es mehr als einen Schönheitsfehler, wenn Minister und Staatssekretäre Fusionen von Konzernen genehmigen, um anschließend bei deren Tochtergesellschaft tätig zu werden. Rechtlich ist das nicht angreifbar, anständig ist es nicht.
Stiegler: Es gibt immer eine Gesprächsbasis zwischen der Großindustrie und der Politik. Die Politik hat an den Stromkonzernen und an den Netzen zu Recht ein vitales Interesse. Man muss sich mal vorstellen, was politisch los wäre, hätten wir bei uns einen Blackout wie in Italien oder Amerika. Deshalb müssen in diesem Bereich Politik und Wirtschaft Partner sein. Hier sichern private Anbieter eine Infrastruktur, die bei dem heutigen Leben unverzichtbar ist. Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse und deshalb setzen wir auf vielfältige, kontrollierte Netze mit vielen Einspeisepunkten.
Blickpunkt: Die Konzerne bestreiten, dass sie Preistreiberei betreiben und schieben die Schuld der Politik zu. Ist es nicht in der Tat Heuchelei, wenn die Regierung Strompreiserhöhungen anprangert, zu denen sie selbst durch Steuer- und Abgabeerhöhungen beigetragen hat?
Stiegler: Nein, denn viele Begründungen der Stromerzeuger tragen nicht. Beispiel Windenergie. Umweltminister Jürgen Trittin hat gerade nachgewiesen, dass die Kosten dafür gar nicht gestiegen sind. Also, hier wird erst mit Behauptungen gepokert, um sie dann wie die heiße Kartoffel fallen zu lassen.
Brüderle: Also, wenn 40 Prozent des Strompreises politisch bedingt sind, kann man schon von einer staatlichen Mitverantwortung reden. Aber es ist eben auch immer die Gefahr, dass bei zu engen Marktstrukturen ein Verhalten stattfindet, das nicht die Intensität des Wettbewerbs hat, die wir bei anderer Marktlage hätten. Dabei ist es ganz einfach: Am meisten schützt den Verbraucher ein intensiver pluraler Wettbewerb.
Blickpunkt: Ab nächstem Jahr soll eine neue Energieregulierungsbehörde den Stromkonzernen auf die Finger schauen. Wird das Wirkung zeigen?
Brüderle: Ich hätte lieber eine einzige starke deutsche Wettbewerbsbehörde: das Bundeskartellamt. Eine Verzettelung der Kontrollbehörden auf Telekommunikation, Energie, vielleicht in Zukunft noch aufs Brötchenbacken, halte ich nicht für sehr effektiv.
Stiegler: Da bin ich anderer Ansicht. Die neue Behörde wird vor allem bei der wichtigen Frage der Netzgebühren eine außerordentlich bedeutsame Rolle spielen. Wenn Firmen wirklich ihre Marktstellung missbraucht und abgezockt haben, kann bis zu fünf Jahren rückwirkend der Gewinn abgeschöpft werden. Das heißt, Unternehmen, die auf überhöhte Entgelte aus sind, können sich ihrer Beute nicht sicher sein. Deshalb wird es eine Verhaltenssteuerung geben.
Blickpunkt: Wie kann man auf Dauer mehr Wettbewerb in den Markt bringen?
Brüderle: Die Lösung muss eine europäische sein. Optimal wäre ein europäisches Kartellamt, das die teilweise national abgeschotteten Märkte aufbricht und einen echten Wettbewerb zulässt. Die Regierung muss deshalb für einen europäischen Energiemarkt kämpfen.
Stiegler: Auch national ist durchaus einiges zu machen. Besonders wichtig dabei: Die Netze müssen für alle wettbewerbsneutral sein, das heißt, jeder, der einspeist, muss gleiche Konditionen vorfinden. Ob jemand vorteilhaft ist, muss sich im Bereich der Erzeugung zeigen. Da muss der Wettbewerb stattfinden. Nicht der Netzmonopolist darf das maßgebliche Endverkaufspreisparameter bestimmen, sondern die Preise müssen sich aus den Entstehungskosten ableiten. Dann hätten auch wohnortnahe Energien und Anbieter große neue Chancen. Die sollten wir nutzen.
Das Gespräch führte
Sönke Petersen.
Fotos: Photothek
Erschienen am 18. Oktober 2004
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ludwig.stiegler@bundestag.de
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