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Ein Essay von Christian Bommarius
Es war nur eine Frage der Zeit, wann eine Rechtspolitik, die unerschütterlich auf die gesellschaftspolitische Heilkraft des Strafrechts vertraut, auch den Zweifel kriminalisieren würde. Mit der Ankündigung der Bundesjustizministerin, heimliche Vaterschaftstests unter Strafe zu stellen, verrät sie die dadurch vermeintlich geschützten Interessen der Kinder.
Mit beidem gibt sie sich als Traditionalistin zu erkennen. Denn schon bisher ist es in Deutschland so: Bezweifelt ein Mann seine Vaterschaft, muss er sie grundsätzlich innerhalb von zwei Jahren nach der Geburt vor Gericht anfechten, also lauthals und im Brustton unumstößlicher Überzeugung bestreiten, selbst wenn er nur mehr oder weniger zweifelt. Das Gesetz zwingt ihn damit, sich entweder vom Kind loszusagen oder zu schweigen. Das ist nicht nur beschämend einfallslos, sondern gleichermaßen rücksichtslos gegenüber dem Kind. Das Gleiche gälte, würden die heimlichen Vaterschaftstests unter Strafe gestellt. Denn die Zweifel an der Vaterschaft sind durch kein Verbot aus der Welt zu schaffen. Sie wiegen so schwer, dass sie nicht nur die Partnerschaft, sondern auch die Beziehung zum Kind auf Dauer zu vergiften vermögen.
Zwar hat der Bundesgerichtshof zu Recht untersagt, heimliche Vaterschaftstests als Beweismittel vor Gericht zuzulassen. Sie verletzen offensichtlich das Grundrecht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung. Allein die stets bestrittene, aber unbestreitbare Gefahr, dass über das Erbmaterial auch persönlichkeitsrelevante Merkmale ausgeforscht werden könnten, verbietet die Heimlichkeit. Wenn es also heimlich nicht geht, sollte der Gesetzgeber Offenheit ermöglichen.
Dazu müsste er sich Gedanken machen, wie sich die gegenläufigen Interessen – hier das Interesse des Mannes, sich Klarheit über die Abstammung des Kindes zu verschaffen, dort das Interesse der den Test ablehnenden Frau, im Zusammenleben mit dem Kind nicht unangemessen gestört zu werden – so zum Ausgleich bringen lassen, dass dem Kind Verletzungen möglichst erspart bleiben.
Hätte der Gesetzgeber ein besseres Gedächtnis, würde er sich einer Einsicht erinnern, die er seit Jahren auf einem anderen Gebiet – dem Recht des Schwangerschaftsabbruchs – beherzigt: Manche Probleme lassen sich besser im Beratungszimmer als im Gerichtssaal, im Gespräch einfacher als in einer mündlichen Verhandlung lösen. Ein Beratungsgespräch könnte in vielen Fällen die Zweifel des Mannes oder den Widerstand der Frau gegen den Vaterschaftstest beseitigen. Erst wenn beides nicht gelingt, wäre die Zustimmung der Frau durch eine Anordnung des Gerichts zu ersetzen. Selbst wenn der Mann dieses Verfahren umgehen und sich in einem heimlichen Vaterschaftstest bestätigen lassen würde, nicht der biologische Vater zu sein, sollte die Antwort des Gesetzgebers nicht das Strafrecht, sondern das Zivilrecht sein. Der Mann könnte in diesem Fall den Anspruch gegen den biologischen Vater auf Rückzahlung des bisher geleisteten Unterhalts verlieren. In manchen Fällen ist nur schwer zu entscheiden, ob sich mit dem Zweifel oder mit der Gewissheit besser leben lässt. Diese Entscheidung kann der Gesetzgeber an ihrer Vaterschaft zweifelnden Männern nicht abnehmen, schon gar nicht, indem er sie verbietet. Denn Nichtwissen darf zwar nicht erzwungen, aber Wissen auch nicht bestraft werden.
Foto: Berliner Zeitung / Paulus
Ponizak
Erschienen am 14. Februar 2005
CHRISTIAN BOMMARIUS, Jahrgang 1958, ist leitender
Redakteur der „Berliner Zeitung“. Er arbeitet
vorwiegend auf dem Gebiet der Rechts- und Innenpolitik.
Zuletzt erschien von ihm das Buch „Wir kriminellen
Deutschen“, München: Siedler Verlag, 2004.