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„Kultur ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Auf den Spuren dieser Erkenntnis des legendären Komikers Karl Valentin wandeln im Bundestag elf Abgeordnete, ihre Vertreter und elf Sachverständige. Sie bilden die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, die sich im Februar für die laufende Wahlperiode konstituiert hat. Ihr Wirken bedeutet viel Arbeit, extrem viel Arbeit. Sie leisten Pionierarbeit mit einer umfassenden Bestandsaufnahme über die Situation der Kultur in der Kulturnation. Und sie wollen mit Berichten, Bewertungen und Empfehlungen den Stellenwert der Kultur und die Möglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler ausbauen helfen. Je tiefer sich die Enquete in die Materie einarbeitet, desto spannender werden die Ergebnisse.
Seit der 1969er Parlamentsreform kann der Bundestag Enquete- Kommissionen einsetzen. Sie sollen „zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe“ dienen. An der Arbeit wirkt neben den Abgeordneten eine gleiche Zahl externer Sachverständiger als gleichberechtigte Mitglieder mit. Die Aufgabe von Enquete-Kommissionen ist es, tiefer gehende Einsichten über grundsätzliche gesellschaftliche Fragen zu gewinnen. Solche intensiven Blicke über den Tellerrand der Tagespolitik gab es unter anderem schon zur Demografie, zur modernen Medizin, zur SED-Diktatur und zur Kernenergie – alles Themen, die schon auf den ersten Blick den Bundesgesetzgeber berühren. Aber warum Kultur? Verbindet man das nicht automatisch mit der „Kulturhoheit der Länder“? Stößt der Bundestag damit nicht auf Schritt und Tritt an die Grenzen seiner Zuständigkeit?
Wer mit Gitta Connemann, der Vorsitzenden der Kultur-Enquete, genauer hinsieht, wird diese Vermutung schnell beiseite legen. „Die Gesetzgebung des Bundes bezieht sich auf sehr viele Bereiche, die für die Kultur wichtig sind“, sagt sie – und verweist auf die gerade bei Künstlerinnen und Künstlern heiß diskutierten Probleme mit Raubkopien: Das Urheberrecht ist Bundesrecht. Oder die Altersversorgung: Das Recht der Künstlersozialversicherung ist Bundesrecht. Oder das immer wichtiger werdende Engagement von Privatleuten und Firmen für die Kunst: Auch Stiftungsrecht und Steuerrecht sind Bundesrec
Kultur als Staatsziel
Viele weitere Beispiele wären möglich. Hinzu kommt die Umsetzung von EU-Vorgaben in nationales Recht. Das ist ebenfalls Aufgabe des Bundes. Und da steckt der Teufel oft im Detail, wie Connemann mit Blick auf die Lärmschutzrichtlinie der Europäischen Union warnend belegt. Hier drohen Orchestern Probleme, da Musik als „Unterhaltung“ eingestuft worden ist. Ab 2008 könnten Konzerte gefährdet sein, weil in jedem Orchestergraben Grenzwerte überschritten werden, die dem Schutz des Arbeitnehmers dienen sollen. Die Kommission hat wegen Entwicklungen wie dieser den Bereich „Kultur in Europa“ in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen. Connemann: „Wir können doch nicht in Ruhe über nationale Kultur diskutieren, während auf EU-Ebene etwas stattfindet, das uns die Füße wegschlägt.“
Natürlich darf die Kultur-Enquete, wenn sie eine zutreffende Bestandsaufnahme der Kultur in Deutschland liefern soll, die föderalen Aspekte nicht ausblenden. „Wir waren uns aber einig, auch etwas über den eigenen Zaun hinaus auf die Bereiche zu schauen, für die wir nicht die originäre Zuständigkeit haben“, erläutert der Vizevorsitzende der Kommission, Siegmund Ehrmann (SPD). Als Ergebnis können hier natürlich keine Handlungsanweisungen an den Bundesgesetzgeber stehen, aber „Beispiele guter Praxis“ will die Kommission doch erwähnen, um auch auf diesen Feldern „die kulturpolitische Debatte zu bereichern.
Eine der größten Gefahren für die Kultur in Deutschland liegt in der Schieflage der öffentlichen Haushalte. Denn traditionell macht die öffentliche Förderung rund 90 Prozent der kulturellen Gesamtförderung aus, wobei das Schwergewicht auf den Kommunen liegt. Da aber die Kultur nicht zu den Pflichtaufgaben gehört, ist sie immer wieder von Kürzungen betroffen, wenn das Geld nicht reicht. Ehrmann sieht hier ein beträchtliches Potenzial, durch Kooperationsmodelle Ausgaben zu minimieren. „Warum zum Beispiel gibt es in jeder Bibliothek Fachkräfte, die den Einkauf organisieren?“, fragt er. Wenn man solche Aufgaben bündelte, ergäben sich erhebliche Einspareffekte, ohne dass Versorgung und Qualität zu leiden hätten. „Viele Kommunen sind noch zu stark dem Kirchturmdenken verhaftet“, lautet das Urteil Ehrmanns. Er macht aber auch deutlich, dass kommunale Kooperationsprozesse in der ausschließlichen kommunalen Eigenverantwortung liegen.
Wichtige Erkenntnisse hat die Vorgängerkommission in der vergangenen Wahlperiode sammeln können. Aber wegen der vorgezogenen Neuwahlen musste sie trotz intensivster Beschäftigung auf viele angepeilte Auswertungen und daraus folgende Handlungsempfehlungen verzichten. Das wird nun nachgeholt. In einem wichtigen Punkt legte die „alte“ Enquete jedoch bereits ein Konzept vor, das sich inzwischen zur parlamentarischen Initiative entwickelt hat: Die Kultur soll als Staatsziel ins Grundgesetz.
Führende Staatsrechtler haben dies in einer Anhörung empfohlen – unter anderem, um den Kommunen bei der Kulturförderung zu helfen. Diese würden von ihren Aufsichtsbehörden häufig gezwungen, im Bereich der freiwilligen Ausgaben mehr zu kürzen, als sie wollten. Ein neuer Artikel 20b im Grundgesetz („Der Staat schützt und fördert die Kultur.“) könnte unterstreichen, dass „Freiwilligkeit nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden darf“, erklärt Connemann. Die Kommunalpolitik bekäme einen größeren Ermessensspielraum im Umgang mit der Kultur. Zwar muss diese auch weiterhin ihren Beitrag zur Bewältigung von Haushaltszwängen leisten, aber nicht mehr überproportional.
Privates Engagement
Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte bei der offiziellen Einsetzung der Kommission, die Kulturszene in Deutschland habe große Erwartungen an das Gremium. Das zeigt sich immer wieder bei den Kommissionssitzungen. Als es etwa um die Musikquote ging, verfolgten Hunderte die Diskussion. Aber auch in gewöhnlichen Arbeitssitzungen finden sich immer deutlich mehr Zuhörer ein, als Mitglieder Platz nehmen: die Vertreter von Ministerien, von Landesvertretungen, von der Kultusministerkonferenz, von den Staatskanzleien und vielen anderen Institutionen. Und vor allem die „Szene“ nimmt lebhaften Anteil an den Erkenntnisfortschritten über Wege zur Stärkung der Kultur in Deutschland.
Damit alles übersichtlich bleibt, gilt eine strikte Arbeitsteilung: Die Enquete kümmert sich um langfristige Entwicklungen und grundsätzliche Weichenstellungen, der Kulturausschuss um aktuelle Gesetzgebung. „Von der laufenden parlamentarischen Arbeit in Gesetzgebungsverfahren hat sich die Kommission fern zu halten“, sagt Ehrmann. Dennoch braucht der Gesetzgeber in vielen Bereichen auch aktuell die Einschätzung der Enquete. Etwa bei der laufenden Überprüfung, wie die Hartz-Gesetze auf verschiedene Zielgruppen wirken. Für die Kultur bedarf es sich nach seinem Dafürhalten in einigen Feldern einer kritischen Bewertung und eventuell einer Nachjustierung. Etwa beim Grundsatz, dass jeder arbeitsfähige Empfänger der Grundsicherung für die Vermittlung in viele Tätigkeiten zur Verfügung stehen muss – auch Künstler zwischen zwei Engagements? Oder bei den Höchstgrenzen für die Größe von Wohnraum – auch für bildende Künstler und ihr Atelier?
Intensiv schaut sich die Kultur- Enquete an, wie andere Länder mit der Kultur umgehen. Die Erfahrungen in den USA etwa zeigen, wie Private an der Förderung sinnvoll beteiligt werden können. „Die haben uns klipp und klar gesagt, dass wir nur auf der Basis einer öffentlichen Grundfinanzierung die Zivilgesellschaft gewinnen können“, berichtet Kommissionsmitglied Hans-Joachim Otto (FDP). Wenn ein Theater durch Spenden eine Million Euro erwirtschafte und die öffentliche Hand daraufhin ihren Zuschuss um eine Million kürze, bedeute dies das Ende jeder privaten Motivation.
Es gibt also viel zu tun in vielen Details. Die Enquete hat sich dafür einen strengen Arbeitsplan gegeben, eine Fülle von einzelnen Bereichen identifiziert und jeweils einzelne Mitglieder benannt, die den einzelnen Fragen gezielt nachgehen und den anderen über die Ergebnisse Bericht erstatten. Das bedeutet, dass nicht nur der Montag von der Kommissionssitzung beherrscht wird, sondern dass auch an vielen weiteren Tagen die Kultur-Enquete den Terminplan der Mitglieder bestimmt. Die Abgeordneten sind sich einig, dass in der Kommission deutlich mehr Arbeit anfällt als in den Fachausschüssen, dass auch das Sekretariat noch stärker belastet ist und herausragende Bedeutung für das Funktionieren der Kommission hat. Bereits in der vergangenen Wahlperiode wies der Zwischenbericht gut 900 Seiten auf – dazu kamen noch vier zusätzliche Materialbände.
Auffallend ist, dass parteipolitische Auseinandersetzungen so gut wie ausgeblendet scheinen. Schon die Einsetzung der Kommission kam durch einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zustande. Die Enquete will dem gerecht werden, indem auch die Antworten auf die gestellten Fragen in weitgehender Gemeinsamkeit entwickelt werden. Doch es liegt auf der Hand, dass in der Phase der Auswertungen und Schlussfolgerungen doch ein paar Unterschiede sichtbar werden.
Arbeit aus Leidenschaft
Die Union etwa will „größeren Wert auf die Eigeninitiative legen“, wie CDU/CSU-Obmann Wolfgang Börnsen betont. Nach dem Verständnis seiner Fraktion kann die Gesellschaft die Kultur nicht bedingungslos alimentieren; sie muss auch die Gewissheit haben, dass sich die Kulturschaffenden selbst engagieren und Selbstverantwortung übernehmen.
Siegmund Ehrmann, zugleich Obmann der SPD in der Kommission, schließt nicht aus, dass es bei den Handlungsempfehlungen zu den Betriebsbedingungen von Theatern und Orchestern zu unterschiedlichen Einschätzungen kommt. Das könnte sich insbesondere dann erweisen, wenn es um Inhalte geht, die der Tarifautonomie unterliegen und ausschließlich durch die Tarifvertragspartner gelöst werden sollten.
Die FDP ist nach den Worten Ottos sehr stark an der Rolle der Zivilgesellschaft und der Frage interessiert, wie mehr Mäzene gewonnen werden können. Otto kritisiert in diesem Zusammenhang eine Reihe kontraproduktiv wirkender Vorschriften. So erwarteten tatkräftige Kultursponsoren ab und zu auch ein kleines Dankeschön – etwa in Form einer verbilligten Theaterkarte oder eines reservierten Parkplatzes. Doch sobald das Theater solche geldwerten Vorteile einräume, sei die Gemeinnützigkeit weg. Otto: „Da gibt es Dinge, die ungeheuer hinderlich sind.“
Mehr auf das Thema „Kultur für Individuum und Gesellschaft“ achtet Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. Sie will die Kultur der Migranten weiter nach vorn bringen, die sie bislang vernachlässigt sieht. „Wir wollen den Blick auf die Kultur einer millionenstarken Minderheit lenken“, kündigt Jochimsen an. Das müsse auch grundsätzlicher angegangen und in die Definition von Kultur in Deutschland stärker einbezogen werden.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat der Zugang zur Kultur einen herausragenden Stellenwert. „Wir können nicht nur von Hochkultur reden, wir müssen uns vor allem fragen: Wie ermöglichen wir einen möglichst breiten Zugang zur Kultur, zur kulturellen Bildung?“, unterstreicht Undine Kurth.
Eine Idee hat die Kommission bereits diskutiert: Bibliotheken haushaltstechnisch dem Bereich Bildung zuzuordnen und sie so zur Pflichtaufgabe zu machen.
In der Kommission sitzen nicht nur Politiker und Wissenschaftler. Auch Künstler und Regisseure sind vertreten. Wer mit Politikern und Wissenschaftlern spricht, hört aber auch bei ihnen sehr bald das Wort „Leidenschaft“, wenn es um Kultur geht. Alle heben die besondere Bedeutung des Elternhauses für ihren Weg zur Kultur hervor. Und immer wieder kommen persönliche Erlebnisse am Rande zur Sprache: Börnsen zum Beispiel ist nicht nur Kulturpolitiker. Er ist auch Theaterregisseur, Museumsleiter, Schlagzeuger und Autor – vor allem mit Bezug zur norddeutschen Mundart. Seine Devise für die Kommission: „Wat mutt, dat mutt.“
Ein Muss mit straffem Zeitplan: Bereits im nächsten Jahr sollen die Ergebnisse komplett sein. Denn der Bundestag will noch in der laufenden Wahlperiode mit der Umsetzung beginnen.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: studio kohlmeier (Bilder mit freundlicher Unterstützung
der Universität der Künste Berlin.)
Erschienen am 10. April 2006