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Wenn wir die Tagesschau einschalten, gibt es fast immer Nachrichten
aus dem Bundestag. Wie ein Tag im Bundestag in die Medien kommt,
hat GLASKLAR live mitverfolgt. Außerdem erzählen
Abgeordnete ihre persönliche Medienstory, eine
Politikwissenschaftlerin sagt, wieso die "Tür manchmal zu
bleibt" und Cécile aus Frankreich, warum sie in Berlin ihr
Glück gefunden hat.
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Ständige Werke von 111 Künstlern, zum Teil eigens für den Bundestag geschaffen. Dazu rund 4.000 „rotierende“ Werke, also zwischen den Büros, Konferenzräumen und Fluren wechselnde Gemälde, Grafiken, Drucke. Und dann noch Dutzende Exponate in den temporären Ausstellungen. Welche raussuchen, um sie hier beispielhaft darzustellen? Welche vernachlässigen? Zumal sich über Geschmack nun wirklich nicht streiten lässt. Wir versuchen es mit einer dreifachen Annäherung über Rundgänge und schauen einfach einmal, was man denn so sieht.
Beginnen wir auf der Wilhelmstraße kurz vor der Spreebrücke. Nur ein paar Meter am Ufer entlang Richtung Reichstagsgebäude, und schon können wir beobachten, wie immer wieder Passanten an einer Glaswand stehen bleiben. Sie besteht aus 19 Einzelteilen, und auf jedem steht eines der 19 Grundrechte. Kenner der Verfassung werden schnell bemerken, dass es nicht die aktuelle Version des Grundgesetzes ist. Der israelische Künstler Dani Karavan hat sein Werk denn auch „Grundgesetz 49“ genannt. Es ist also die Originalversion der Grundrechte, worauf die junge deutsche Demokratie 1949 aufbaute.
Die Grundrechtsartikel auf der gläsernen Wand halten die Beziehung zwischen Volk und Volksvertretern, zwischen Passanten und Politik im künstlerischen Sinne transparent. Je nach Lichteinfall spiegelt sich der Bürger selbst in den Grundrechten, und wenn der Betrachter einen Blick auf die Arbeit der Parlamentarier in ihren Büros wirft, stehen aus seiner Perspektive die Grundrechte stets im Vordergrund. Der Ort birgt zudem eine zusätzliche Symbolik: Denn hier durch das Parlamentsviertel verlief auch die Grenze zwischen zwei Staaten, zwischen zwei politischen Systemen. Dieser Teil lag früher in Ostberlin. Und damit ist auch das künstlerisch deutlich gemacht: Die Grundrechte sind in der ehemaligen DDR angekommen.
Gehen wir nun weiter geradeaus und lassen das Reichstagsgebäude links liegen.
Ein Blick auf den Nordeingang lässt eine Leuchtschrift erkennen. Blinkende Punkte werden aus der Distanz zu Wörtern, zu Sätzen, die im ständigen Fluss nach oben laufen. Das ist Jenny Holzers „Installation für das Reichstagsgebäude“, die insgesamt 447 Reden auf der LED-Säule wiedergibt, die zwischen 1871 und 1999 im Reichstag und im Bundestag gehalten wurden. Wie man durch die Spiegelung auf den umgebenden Glasflächen erkennen kann, laufen auf den verschiedenen Seiten der Säule jeweils unterschiedliche Reden zum selben Thema – verschiedene Argumente zu einer Angelegenheit. In den Abendstunden, wenn die Begrenzungen im Dunkeln liegen und optisch nur die Sprache übrig bleibt, scheint das ganze Gebäude von dieser Säule gestützt: das Parlament (französisch: parler – reden), getragen von der öffentlich sichtbaren Argumentation.
Gehen wir nun noch ein paar Meter weiter Richtung Kanzleramt, biegen nach links um die Ecke und stellen uns dann in die Besucherschlange vor dem Westportal des Reichstagsgebäudes an. Merken wir uns das Aussehen der Inschrift am Eingang „Dem deutschen Volke“ – wir werden den Schrifttyp bald wiedersehen. Während wir hinter der Sicherheitsschleuse auf die gläsernen Aufzüge warten, betrachten wir Gerhard Richters riesiges „Schwarz Rot Gold“, das ja schon weiter oben beschrieben worden ist. Auf der anderen Seite finden sich die Leuchtkästen von Sigmar Polke, auf die ebenfalls schon im Eingangstext verwiesen wurde. Auf dem Dach des Reichstages zieht die Glaskuppel alle Blicke auf sich.
Der britische Architekt Lord Norman Foster hat sie entworfen – im Grunde ein begehbares Kunstwerk, das viele faszinierende Blickwinkel, Ausblicke und Impressionen bietet. Aber vergessen wir nicht, anschließend auch auf dem Dach selbst noch ein wenig umherzuschlendern und in die Innenhöfe zu blicken. Im südlichen entdecken wir Ulrich Rückriems „Doppel-Skulptur- Boden-Relief“. Die Steinblöcke nehmen den Rhythmus der Plattierung im Hof auf, verweisen zugleich aber auch auf die Wände des alten Wallotbaus aus dem 19. Jahrhundert und bilden mit der in der Mitte polierten Oberfläche eine dritte Verbindung ins Innere des Hauses. So lässt sich nachempfinden, wie der aus Düsseldorf stammende Künstler aus der Spaltung von großen Gesteinsblöcken eine eigene künstlerische Sprache entwickelt hat.
Wenn wir nun zum nördlichen Innenhof wechseln, finden wir den Schrifttyp vom Westportal wieder. Hans Haacke hat „Der Bevölkerung“ daraus geformt, und zwar in großformatigen, nachts leuchtenden Neonbuchstaben. Der in New York lebende Künstler lieferte mit dieser Installation ein Werk, das in seiner Entwicklung nicht nur offen und dynamisch ist, sondern im wörtlichen Sinne Anstoß erregt. Nach mehreren Abstimmungen im Kunstbeirat entschied der Bundestag im Plenum über die Frage, ob das Konzept womöglich Verfassungsmaximen der Bundesrepublik Deutschland in Frage stelle, indem es der Giebelinschrift „Dem deutschen Volke“ die Neon-Inschrift „Der Bevölkerung“ entgegensetzt.
Denn die Schrift ist inmitten eines großen Kastens angebracht. Jeder neu gewählte Abgeordnete wird eingeladen, 50 Kilo Erde aus seinem Wahlkreis hier einzufüllen. Schon nach kurzer Zeit waren so über hundert Pflanzen- und mehr als 20 Tierarten im Bundestag heimisch geworden. Die Erde und was aus ihr sprießt, ist inmitten der klar geordneten, sauber und ordentlich gehaltenen Umgebung völlig frei in ihrer Entwicklung. Über eine Webcam lässt sich das Projekt auch im Internet verfolgen, unter www.derbevoelkerung.de. Viele Abgeordnete reichen die Bitte um 50 Kilo Heimaterde an Besuchergruppen weiter, die dann mit vielen kleinen Säckchen aus den Dörfern und Städten in den Bundestag kommen. Mal wild wuchernd im Sommer, mal schneebedeckt im Winter – Haackes Installation ist in den Jahreskreislauf integriert und symbolisiert zugleich das Miteinander aller Regionen Deutschlands in der Arbeit des Bundestages.
Wenden wir uns nach dem Abstecher ins Reichstagsgebäude nun nach rechts, zum Paul-Löbe-Haus.
Hier tagen die Ausschüsse in runden Sitzungssälen. Durch die Architektur ergeben sich Innenhöfe, die für interessante Kunstprojekte genutzt werden. So liegt bei der Annäherung vor uns der Beitrag des Künstlerduos Twin Gabriel mit zwei Teflon-Skulpturen, bezeichnet als „Deutscher 1“ und „Deutscher 2“. Wenn die Sonne in einem günstigen Winkel scheint, lässt sich Faszinierendes im Schattenwurf entdecken. Das eine Profil ähnelt dem von Johann Wolfgang von Goethe, das andere dem eines Schäferhundes. Wieder eine Anregung: Was ist typisch deutsch? Dichter und Denker? Führung und Gehorsam? Während des Nachdenkens gehen wir um das Haus herum, können durch die breite Glaswand in den großen Innenhof des Paul-Löbe-Hauses blicken. Vorn erkennen wir vier große, rautenförmige Paneele. Das sind die „Diamond Shapes“ von Ellsworth Kelly in Blau, Schwarz, Rot und Grün auf den Betonflächen der Treppenhäuser. Sie lösen die Strenge der Fläche durch eine heiter wirkende, fast tänzerische Kommentierung auf. Ähnlich wirken die farbigen Neonlichtbänder „Haute et Basse tension“ von François Morellet, die sich jeweils von der Nord- zur Südseite des Baus über den Innenhof erstrecken und die Wahrnehmung des Baus auflockern.
Auf der Nordseite des Paul-Löbe- Hauses können wir über die Bedeutung eines Innenhofes rätseln. Aus dem Grün sind runde Öffnungen herausgeschnitten, die den Blick auf runde Betonscheiben freigeben. Bei Sonnenschein und genauerem Betrachten ist außerdem ein beleuchteter Punkt zu sehen. Er stammt von einem Spiegel am Dach des Hauses und lenkt den Sonnenschein mal auf diese, mal auf jene Scheibe – und reißt damit ein Ereignis der Vergangenheit aus dem Dunkel der Geschichte. Denn alle Scheiben, die durch ihre Form das Rund der benachbarten Sitzungssäle aufgreifen, tragen Daten. Für seine Installation „Lichtschleife mit Datumsgrenze“ hat Jörg Herold freilich Tage ausgewählt, die nicht so geläufig sind. So steht der 2. Juli 1505 etwa für „Martin Luthers Blitzentscheidung am Wegesrand“ oder der 8. November 1685 für die Erfindung der „Greencard“ durch den Großen Kurfürsten. Es lohnt sich, dazu den Datenschlüssel zu studieren, der unter www.bundestag.de (Kunst und Architektur) zugänglich ist.
Ein paar Meter weiter Richtung Osten scheinen die Baufirmen einen Teil ihrer Verschalungselemente vergessen zu haben – nachdem sie die glatten, verbretterten Seiten entfernt haben, sind offenbar die roten und gelben Eisengitter übrig gelassen worden. Doch sie stehen nicht wahllos herum, sie bilden eine eigene Architektur: Franka Hörnschemeyer hat für ihr Raumlabyrinth „BFD – bündig fluchtend dicht“ die aktuelle und die frühere Bebauung dieses Ortes aufgegriffen – bis hin zu den Zwingern der Wachhunde im früheren „Todesstreifen“.
Aber die Grundrisse sind nicht nebeneinander platziert, sondern ineinander verschränkt, so dass ein Labyrinth entstanden ist, in dem man aufpassen muss, mitten im Miteinander von Gegenwart und Vergangenheit nicht in einer Sackgasse zu landen. Obendrein stellt sie der „fertigen“ Bebauung den Prozess ständigen Werdens entgegen und kommentiert damit zugleich den „Bau“ an den Gesetzen, der nebenan in den Ausschusssälen geschieht.
Wenden wir uns nun weiter Richtung Spree.
Eine elegant geschwungene Fußgängerbrücke begleitet den „Spree-Sprung“ der Bundestagsgebäude. Von dort aus bietet sich ein guter Blick auf zwei große grüne Gestalten an der Ostfassade des Paul- Löbe-Hauses. Zehn Meter messen die beiden Leuchtskulpturen, die Neo Rauchs Werk „Mann auf der Leiter“ bilden. Nachts leuchten sie weit in die Umgebung und scheinen anzudeuten, dass in diesem Gebäude nach etwas Höherem gegriffen wird. Daneben ist das bunt wirkende Innere des Restaurants durch große Glasfassaden zu sehen. Der vielfarbige Eindruck stammt von Jorge Pardos „Untitled Restaurant“, einer Installation in Form von zahlreichen Kugellampen, und den mit Intarsien gestalteten Tischen und Stühlen, die aus dem Speiseraum einen Kunstraum machen.
Nähern wir uns nun dem Marie- Elisabeth-Lüders-Haus. Eine Treppe führt hinunter zur Spree-Ebene. Freitags bis sonntags steht hier zwischen 11 und 17 Uhr die Tür zum Mauermahnmal geschwundes Bundestages offen. Ben Wargin hat Segmente der Mauer gesichert, mit Jahreszahlen und den bislang bekannten Zahlen von Todesopfern versehen. Stephan Braunfels, der Architekt des Marie-Elisabeth-Lüders- Hauses, lässt die Originalteile der Mauer ihrem ursprünglichen Verlauf folgen, wodurch sich in dem runden Raum der Eindruck von Zerschneiden und Zerteilen verstärkt.
Direkt neben dem Mahnmal ist ein Blick in das Veranstaltungsfoyer möglich. Der Blick fällt dabei vor allem auf „Rot Gelb Weiß Blau 1-4“ von Imi Knoebel. Der Beuysschüler verknüpft die Dimensionen von Form, Raum und Farbe ebenso wie die Darstellungsmöglichkeiten von Bild, Relief und Installation. Nun müssen wir nur noch wenige Meter dem Spreeufer folgen, dann sehen wir auch schon links den Eingang zu den Ausstellungsräumen des Bundestages.
So weit eine erste Annäherung an die Kunst im Bundestag, wie man sie ohne jeden Besucherausweis erleben kann.
Nehmen wir nun einmal an, wir wollen eine interessante öffentliche Sitzung eines Ausschusses im Paul-Löbe- Haus besuchen (was – je nach Platzkapazitäten – nach Voranmeldung und Abgabe des Personalausweises möglich ist). Dann empfiehlt es sich, den Blick auf dem Weg zum Sitzungssaal auch mal rechts und links schweifen zu lassen. Und am besten: genau in die Mitte. Denn hier verlaufen, gegeneinander gelegt, zwei Sätze über das Leben. Einer von Thomas Mann, der andere von Ricarda Huch. Joseph Kosuth hat die großen Metalllettern in den Hallenboden eingelassen und lädt alle, die in der Hektik des parlamentarischen Alltags die Halle durchqueren, dazu ein, immer wieder auch an den Sinn des Lebens zu denken – ohne eine Antwort vorgeben zu wollen.
Wer zu einer Ausschusssitzung im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses geht, sollte auf acht Kugellampen achten, die sich über dem Südeingang befinden. Mal leuchtet eine rote, gelbe oder blaue Lampe, mal geht eine grüne oder violette an, dann ist wieder eine der grauen eingeschaltet. Das Ensemble dient nicht der Beleuchtung, es ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit Ursache und Wirkung in der Politik. Weder die Politiker und ihre Gäste, die neben dem Europasaal auf einer der verschiedenfarbigen Sitzbänke Platz nehmen, noch die Passanten im Eingangsbereich ahnen, dass Angela Bulloch beide zusammenführt: Wer sich im Saal auf eine grüne Bank setzt, bringt draußen die grüne Lampe zum Leuchten, das Sitzen auf der blauen Bank eine blaue Lampe. Es lässt sich so erahnen, was das Aussitzen oder Durchsetzen in der Politik auslöst, ohne dass es in der aktuellen Handlung zu erkennen ist.
Aber auch Besucher einer Plenarsitzung im Reichstagsgebäude kommen faszinierenden Kunstwerken näher. In den Fluren und Treppenhäusern heißt es ebenso die Augen offen zu halten wie vor den Eingängen zu den Besuchertribünen. Neben den Gängen schwebende Glasplatten bilden den von Carlfriedrich Claus (1930–1998) geschaffenen „Aurora-Experimentalraum“. Er hat Gedankengänge in einer Schriftform festgehalten, die sich zu Sprachlandschaften und Wortgebilden auswächst. Auf der einen Seite der Scheibe die These, auf der anderen die Antithese – gegen das Licht gehalten wird die Synthese sichtbar. Die Besonderheit im Bundestag: Weil auch die Platten im Raum verteilt sind, ergeben sich sogar vierfache und sechsfache Ergänzungen. So kann man vor oder nach dem Besuch einer lebhaften Debatte eine weitere Interpretation des Aufeinandertreffens von Argumenten betrachten.
Diese drei kurzen Rundgänge konnten nur an der Oberfläche bleiben: Wer dabei Gefallen findet, sollte die Möglichkeiten von Kunst- und Architekturführungen für die einzelnen Parlamentsbauten nutzen. Denn der Bundestag ist nicht nur das Herz der parlamentarischen Demokratie. Er hat auch ein Herz für die zeitgenössische Kunst. Wer es gesehen hat, der weiß, wie groß es ist.
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Text: Gregor Mayntz