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INKOGNITO

Unser Kandidat 1992 in Leipzig mit Wolfgang Thierse und Friedrich Schorlemmer.
Unser Kandidat 1992 in Leipzig mit Wolfgang Thierse und Friedrich Schorlemmer.

Querdenker auf geradem Weg

Wer war’s? fragt BLICKPUNKT BUNDESTAG und lädt Sie ein, Persönlichkeiten der Parlamentsgeschichte wieder zu begegnen. In jeder Ausgabe stellen wir jeweils ein Mitglied des Bundestages vor, das in der Geschichte Deutschlands eine bedeutende Rolle gespielt hat. Sein Name wird nicht genannt. Lüften Sie sein Inkognito und gewinnen Sie eine Reise für zwei Personen nach Berlin.

Redlich, selbstlos, streng, pflichtbewusst, vor allem mutig nannten ihn seine Zeitgenossen. Er selbst sagte: „Die Kardinalsünde eines Politikers ist die Feigheit.

Diesem Leitsatz getreu geht er seinen geraden Weg. Zum Beispiel Anfang der 50er Jahre, als der evangelische Theologe sich zunächst weigert, dem Ruf seiner Landeskirche zur Rückkehr in seine Heimat zu folgen. Denn der gebürtige Sachse hat sich während seines Studiums im Westen eingelebt und politische Freunde in der Gesamtdeutschen Volkspartei von Gustav Heinemann gefunden, auch er ein politischer Querkopf. Schließlich geht unser Kandidat doch in die DDR und kehrt erst 1990 als Bundestagsabgeordneter in den Westen zurück. Auch in dieser Funktion scheut er nie das offene Wort und den Konflikt mit den eigenen Leuten.

Der 1929 am Rande der Sächsischen Schweiz geborene Sohn eines Verwaltungssekretärs kommt als Kind nach Dresden, erlebt dort die Bombennächte und den Untergang der Stadt. Nach Studium und Promotion arbeitet er als Gemeindepfarrer, später als Kirchenhistoriker. Schon früh macht er in der Oppositionsbewegung der DDR mit. Er inspiriert mit seinen Ideen die Bürgergruppe Demokratie Jetzt, die dem Sozialismus „seine eigentliche, demokratische Gestalt“ geben möchte. Gegen den Strom sprechen er und seine Mitstreiter sich für den Fortbestand der DDR in einer Konföderation mit der Bundesrepublik aus.

Als Mitbegründer des „Runden Tischs“ und Minister der Übergangsregierung erwirbt er durch seine Standfestigkeit Anerkennung, die weit über die Grenzen seiner Gruppe hinausreicht. Er warnt vor einer gezielten Destabilisierung der DDR durch die Bundesregierung und einer währungspolitischen Vereinnahmung der DDR. Doch der Mehrheit der Menschen im zweiten deutschen Staat sind diese Vorstellungen fremd. Bei der Volkskammerwahl im März 1990, der ersten freien Wahl in der DDR, gibt es eine Abfuhr für das Bündnis 90, wozu sich Demokratie Jetzt mit zwei weiteren Bürgerrechtsgruppen zusammengeschlossen hatte. Unser Kandidat erobert in Dresden eines der insgesamt nur elf Mandate und gehört nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu den 144 Abgeordneten der Volkskammer, die in den Deutschen Bundestag entsandt werden.

Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember 1990 kandidiert er auf der sächsischen Landesliste von Bündnis 90/Die Grünen, schafft auch — als eines von lediglich acht Mitgliedern dieser neu gebildeten politischen Formation — den Sprung ins Bonner Parlament. Als Mitglied der Verfassungskommission sorgt er für Schlagzeilen, weil er in der Präambel des Grundgesetzes den Bezug auf Gott streichen will, um damit eine „sinnvolle Rückbesinnung zum echten Christentum ohne Machtmonopol“ zu bewirken. Auch seinem oft als Gerichtshof für die DDR-Vergangenheit missverstandenen Projekt, dem „Tribunal zur Aufarbeitung der Geschichte“, wird kein Erfolg zuteil. Er aber versteht es „als eine Art Wahrheitskommission“, wie die Journalistin Regina General erläutert. Sie betont: „Alle Seiten sollten mit Argumenten Absichten erklären, Tun begründen, Gedachtes ein- oder ausräumen, sich auf diese Weise aufeinander zu bewegen.“

Er verzichtet 1994 auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag und wird ins Europäische Parlament gewählt. 1999 zieht er sich aus der Parteipolitik zurück, kämpft aber mit der Feder für seine Ideale einer „gerechten, solidarischen und selbstbestimmten Bürgergesellschaft.“

Der Mann, der nie darüber klagt, dass er zu Hause seine blinde Frau zu versorgen hat, liebt die Welt der Bücher. Der Schriftsteller Christoph Hein erinnert sich: „Stets trug er eine Tasche mit Büchern bei sich, manchmal zeigte er stolz eine bibliophile Kostbarkeit, die er gerade erworben hatte, ein Wörterbuch, eine uralte Kirchengeschichte.“

Er stirbt 2004 im selben Jahr wie seine Frau, kurz vor seinem 75. Geburtstag.

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Einsendeschluss: 21. Februar 2007.
Unter den richtigen Einsendungen werden fünf Preise verlost. Der Hauptgewinn ist eine Reise für zwei Personen nach Berlin.

Die Lösung unseres Rätsels in Heft 6/06 lautet: Herbert Wehner.
Eine Reise nach Berlin hat Gerhard Kroppen aus Hennef gewonnen.


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