97. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche uns einen fröhlichen Morgen und einen erfolgreichen Tag.
Die Kollegin Angelika Graf (Rosenheim) und der Kollege Rainer Fornahl feiern heute ihren 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich herzlich und wünsche alles Gute.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass die Kollegin Ute Berg aus dem Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. Rainer Wend vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist so. Dann ist der Kollege Dr. Rainer Wend zum Mitglied dieses Gremiums nach dem Zollfahndungsdienstgesetz gewählt.
Die Kollegin Caren Marks hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolger schlägt die Fraktion der SPD den Kollegen Dr. Gerhard Botz vor. Sind Sie auch damit einverstanden? - Es hat hier schon stärkere Auseinandersetzungen gegeben. - Das ist offenkundig auch der Fall. Dann haben wir das so vereinbart.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD:
Aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und Lage auf dem Arbeitsmarkt
ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der LINKEN:
zu der Antwort der Bundesregierung auf die dringliche Frage Nr. 3 auf Drucksache 16/5236
(siehe 96. Sitzung)
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Konkrete Maßnahmen und verbindliche Strukturen für bessere Ernährung und mehr Bewegung umsetzen
- Drucksache 16/5271 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 29)
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (22. BAföGÄndG)
- Drucksache 16/5172 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Beitritt des Bundes zum Rechtsstreit des Landes Schleswig-Holstein gegen die EU-Kommission
- Drucksache 16/4607 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Irakische Flüchtlinge in die EU aufnehmen - In Deutschland lebende Iraker und Irakerinnen vor Abschiebung schützen
- Drucksache 16/5248 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Unternehmen leistungsgerecht besteuern - Einnahmen der öffentlichen Hand stärken
- Drucksache 16/5249 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Hermann, Fritz Kuhn, Peter Hettlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Schieneninfrastruktur ist öffentliche Aufgabe - Moratorium für die Privatisierung der Deutsche Bahn AG
- Drucksache 16/5270 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn) und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Einrichtung des Europäischen Technologieinstituts abwenden - Bestehende europäische Förderstrukturen stärken und weiterentwickeln
- Drucksache 16/5254 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 30)
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch
Die Überprüfung des gemeinschaftlichen Besitzstands im Verbraucherschutz
KOM (2006) 744 endg.; Ratsdok. 6307/07
- Drucksachen 16/4635 Nr. 2.20, 16/5272 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Julia Klöckner
Marianne Schieder
Hans-Michael Goldmann
Karin Binder
Ulrike Höfken
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karl Addicks, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue Strategien für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika erarbeiten und durchsetzen
- Drucksache 16/5243 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel im Hinblick auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012
- Drucksache 16/5240 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zweiter Bericht zur Realisierung der Ziele des Bologna-Prozesses
- Drucksache 16/5252 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zur Finanzierung des geplanten Ausbaus von Kinderkrippen
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf zwei nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:
Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung der Computerkriminalität (... StrÄndG)
- Drucksache 16/3656 -
überwiesen:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Der in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:
Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nichtraucherschutz praktikabel und mit Augenmaß umsetzen
- Drucksache 16/5118 -
überwiesen:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Tourismus
Der Tagesordnungspunkt 24 - hier handelt es sich um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Passgesetzes und weiterer Vorschriften - und der Tagesordnungspunkt 25 - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetzes und anderer Gesetze - werden abgesetzt. Ich vermute, dass Sie auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden sind. - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
3. a) Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregierung
Gesunde Ernährung und Bewegung - Schlüssel für mehr Lebensqualität
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Bleser, Julia Klöckner, Ursula Heinen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Volker Blumentritt, Mechthild Rawert, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Förderung gesundheitsrelevanten Verhaltens zur Prävention von Fehl- und Mangelernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel insbesondere bei Kindern und Jugendlichen
- Drucksache 16/5258 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Konkrete Maßnahmen und verbindliche Strukturen für bessere Ernährung und mehr Bewegung umsetzen
- Drucksache 16/5271 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Sportausschuss
Ausschuss für Gesundheit
- Die Bewegung entsteht schon vor Beginn der Regierungserklärung.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung anderthalb Stunden vorgesehen. - Auch das können wir offensichtlich so vereinbaren.
Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung erhält nun der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Horst Seehofer, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Prävention ist bekanntlich noch immer die beste Medizin. Sie ist notwendig; denn in Deutschland - wie auch in allen anderen Industrienationen - nimmt die Zahl der Krankheiten zu, die durch frühzeitige Prävention vermieden werden könnten. Das gilt für Fehlernährung, das gilt für Übergewicht, das gilt für Bewegungsmangel. All dies beeinträchtigt die Lebensqualität vieler Menschen, und diese Krankheiten können die Lebenserwartung verkürzen und bewirken hohe Kosten für Gesundheits- und Sozialsysteme.
Die Bundesregierung hat deshalb gestern ein Eckpunktepapier beschlossen, das die Grundlage für einen nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und den damit zusammenhängenden Krankheiten sein soll. Denn dies ist eine der größten gesundheits- und ernährungspolitischen Herausforderungen der kommenden Jahre. Übergewicht und Adipositas, also Fettleibigkeit, sind maßgeblich beteiligt an der Entstehung von Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ II sowie Rücken- und Gelenkbeschwerden.
Eine bedarfsgerechte Versorgung mit Nährstoffen und ausreichend Bewegung bilden die Grundlagen für Gesundheit und Leistungsfähigkeit in allen Altersgruppen. Es gibt schon vielfältige Aktivitäten auf nationaler und europäischer Ebene sowie durch die Weltgesundheitsorganisation. Durch all diese Aktivitäten wurde bisher aber keine Trendwende herbeigeführt.
Mit unserem Aktionsplan verfolgen wir daher die Ziele, die zum Teil durchaus erfolgreichen Projekte im staatlichen und im nichtstaatlichen Bereich zu identifizieren, zu vernetzen, besser aufeinander abzustimmen und als Qualitätsstandards für künftige Aktivitäten zu implementieren sowie eine Verständigung über verstärkt zu bearbeitende Schwerpunkte herbeizuführen. In diesem Aktionsplan werden konkrete Ziele, Handlungsfelder und Maßnahmen festgelegt, um die Menschen in Deutschland in ihrem Bemühen um einen gesunden Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichender Bewegung zu unterstützen und damit auch ihre Lebensfreude zu erhöhen.
Bevor ich auf Einzelheiten dieses Aktionsplans zu sprechen komme, möchte ich eine Grundbotschaft voran stellen: Es geht der Bundesregierung nicht darum, dass der Staat wieder einmal vorschreibt, wie die Bürgerinnen und Bürger zu leben haben. Wir wollen keinen Staatsdirigismus, keine von oben verordnete Moral der Lebensführung und keinen Feldzug gegen die Menschen oder einzelne Produkte. Wir wollen die Menschen in ihrem Bemühen um einen gesunden Lebensstil unterstützen. Beratung statt Bevormundung ist deshalb die Generallinie dieses Projekts.
Ich möchte das auch von vielen anderen Dingen sauber abgrenzen, die uns hier beschäftigen. Vor wenigen Tagen haben wir hier über den Nichtraucherschutz debattiert. Wenn es um einen potentiell gesundheitsgefährdenden Stoff geht, dann haben wir die Verpflichtung, diesen gefährlichen Stoff von den Menschen fernzuhalten. Genauso ist es in der Lebensmittelpolitik selbstverständlich, Lebensmittel aus dem Verkehr zu ziehen, die für die Menschen ohne Zweifel gesundheitsschädlich sind.
Wenn es aber darum geht, den richtigen Gebrauch von Lebensmitteln zu erwirken, dann sind Verbote nicht die richtige Antwort.
Vor zwei Wochen bin ich Botschafter des Bieres geworden.
Niemand wird bestreiten, dass durch den bestimmungsgemäßen Gebrauch, also den mäßigen Gebrauch, von Bier keinerlei Gesundheitsgefahren hervorrufen werden. Der Missbrauch von Alkohol kann aber sehr wohl gesundheitsschädlich sein.
Darum geht es: Die Menschen müssen über den richtigen Gebrauch von Lebensmitteln informiert und aufgeklärt werden. Wir alle miteinander können hier immer wieder dazulernen.
Falsches Essen und zu wenig Bewegung führen bei immer mehr Menschen zur Einschränkung ihrer Lebensqualität. Ich sage noch einmal: Das betrifft nicht nur uns Deutsche, sondern alle Industrienationen. Rund 1,6 Milliarden Menschen auf der Welt sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation übergewichtig. Besonders betrüblich ist, dass darunter 20 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind. In Europa sterben jährlich mehr als eine Million Menschen an durch Fettleibigkeit bedingten Krankheiten.
Heute gibt es bereits 14 Millionen Kinder in Europa mit Übergewicht. Die Folgen, die deshalb auf uns zukommen, sind offenkundig. Die Kosten für die Behandlung von Krankheiten, die durch Fehlernährung und Übergewicht mitbedingt sind, werden allein in Deutschland mit 30 Prozent, also mit fast einem Drittel, aller Gesundheitskosten kalkuliert. Das sind mehr als 70 Milliarden Euro.
Alleine die Kosten für die Behandlung von Diabetes belaufen sich auf 30 Milliarden Euro. Erschreckend ist, dass 6 000 Kinder jährlich neu an Altersdiabetes erkranken. Es ist eine der ganz großen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik, dass Altersdiabetes mittlerweile epidemische Auswirkungen im Kindheitsalter hat und dass wir hier nach allen Prognosen in den nächsten Jahren noch drastische Erhöhungen erleben werden. Neben dem individuellen Leid wird das auch Unsummen an Behandlungskosten verursachen; denn kaum eine Behandlung ist wegen der vielfältigen Folgeerkrankungen so teuer wie die Behandlung von Diabetes. Dabei ist die Hauptursache von Diabetes längst bekannt: falsche Ernährung und zu wenig Bewegung. Wir wissen alle, dass es dafür persönliche, soziale und historische Ursachen gibt. Für die Generation, die den Zweiten Weltkrieg und die nachfolgenden Jahre mit Entbehrungen und Hunger erlebt hat, war es eine Wohltat, als es wieder Butter, Zucker, Nudeln und Fleisch gab. Diese Erfahrung aus der Notzeit wurde in vielen Familien weitergegeben und war auch eine Ursache für die Entwicklung der Folgezeit.
In diesen Nachkriegsjahren gab es zu wenig zu essen und genug Bewegung. Heute gibt es - jedenfalls in den Industrienationen - in den allermeisten Fällen genug zu essen, aber zu wenig Bewegung.
Wir wissen heute auch um die genetischen Strukturen, die die körperliche Konstitution festlegen.
Dazu gehört auch, wie Studien ergaben, dass Menschen je nach genetischer Disposition ganz unterschiedliche Essensverwerter sind. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass sich die Ernährungsgewohnheiten im frühkindlichen Alter bis in die genetischen Strukturen niederschlagen und später nur schwer wieder verändert werden können.
Alle diese Erkenntnisse zeigen, wie falsch es wäre, allen Menschen eine bestimmte Ernährung aufzuzwingen oder eine einheitliche Regel für ein ganzes Volk aufzustellen. Die Untersuchungen haben aber auch gezeigt, dass über die genetische oder historisch-soziale Vererbung hinaus jeder Mensch hinsichtlich der Ernährung einen eigenen disponiblen Handlungsbereich besitzt. Geschichte oder Gene können jedenfalls nicht mehr erklären, warum sich die Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Kinder in der Zeit von 1985 bis 1999 verdoppelt hat. Man kann den Menschen als Ganzes nicht verändern, aber es gibt auch immer Möglichkeiten zu neuen Einsichten und Verhaltensweisen.
Wenn einseitige Ernährung und Bewegungsmangel Hauptursachen für Übergewicht sind, dann muss man hier ansetzen und versuchen, Verbesserungen zu erreichen. Wir alle - mich eingeschlossen - kämpfen heute mit manchen negativen Folgen unseres modernen Lebensstils. In unserer hochindustrialisierten und technisierten Welt verbrauchen wir in unserer Arbeit nur noch einen Bruchteil der Energie von früher. Es gibt immer weniger Schwerarbeiter. Das ist auf der einen Seite ein Segen und auf der anderen Seite eine Herausforderung. Moderne Maschinen ersetzen unsere Körperkraft. Autos und Aufzüge nehmen uns unsere täglichen Schritte ab. In den letzten 40 Jahren ist der notwendige Kalorienverbrauch bei Männern um 40 Prozent, bei Frauen um 30 Prozent zurückgegangen.
Unsere Ernährung hat sich diesen reduzierten Anforderungen jedoch nicht angepasst. Hinzu kommt die Veränderung unserer Nahrungsmittel insgesamt. Mit Blick auf Fastfood, Fertigprodukte und funktionelle Lebensmittel kommt es einem so vor, als hätte sich das, was wir essen, in den letzten 30 Jahren stärker verändert als in den 30 000 Jahren davor. Es ist heute wichtiger denn je, dass wir wieder einen kenntnisreichen, verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln pflegen.
In gleicher Weise haben sich die Lebensumstände der Kinder in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir viel auf der Straße, im Wald oder im Park gespielt haben. Diese Straßenkindheit im positiven Sinne ist weitgehend verlorengegangen. Jetzt sitzt ein Kind im Durchschnitt fünf Stunden vor dem Computer, dem Fernsehgerät oder der Spielkonsole. Diese Zeit geht für das Herumtollen, Fußballspielen oder Fahrradfahren verloren. Bewegung, die früher selbstverständlich war, muss wieder künstlich erlernt werden. Das gilt auch für uns Erwachsene. Sportliche Betätigung bleibt in unserem modernen und hektischen Alltag oft auf der Strecke.
Wir Deutschen sollen sogar ganz besondere Bewegungsmuffel sein, wie internationale Studien zeigen. Laut der jüngsten Umfrage treiben nur 21 Prozent der Deutschen regelmäßig Sport. In anderen europäischen Ländern ist dieser Wert doppelt so hoch. Die Bundesregierung gibt deshalb mit dem Aktionsplan einen Startschuss zur Prävention von Fehlernährung, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten.
Erstens brauchen wir mehr Forschung im Bereich Ernährung und Gesundheit. Ich erinnere beispielsweise an die weit verbreiteten Ernährungsirrtümer. Bis vor kurzem standen zum Beispiel Eier als gefährliche Cholesterinbomben oder Nüsse als fette Dickmacher auf dem Index. Mittlerweile gibt es hier völlig neue Erkenntnisse. Heute darf und soll man wieder sein Frühstücksei essen, und Nüsse sind wegen ihrer ungesättigten Fettsäuren wieder wertvoll. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang sagen: Wir haben die Ressortforschung in meinem Verantwortungsbereich reformiert. Die Ernährung wird in diesem reformierten Forschungskonzept einen ganz wichtigen Platz einnehmen.
Zweitens. Wir müssen mehr Aufklärung über gesunde Lebensmittel leisten. Wir sollten keinen Kampf gegen Lebensmittelprodukte oder die Lebensmittelwirtschaft führen, sondern in erster Linie für einen vernünftigen Gebrauch von Lebensmitteln tätig sein.
Ich sage hier als der für Ernährung zuständige Minister: Wir können heute trotz aller Skandale, die gelegentlich als Einzelfälle auftreten, auf die hohe Qualität unserer Lebensmittel zu Recht stolz sein. Ich sage auch hier den Satz: Die Qualität der Lebensmittel ist heute so hoch wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Es kommt auf den richtigen Gebrauch der Lebensmittel an.
Deshalb wäre eine Olympiade der Verbote völlig falsch. Wir setzen auf Vernunft statt auf Vorschriften.
Die Zeiten, in denen gutes Essen alleine einer gehobenen Gesellschaftsschicht vorbehalten war, sind glücklicherweise vorbei. Heute haben alle Menschen in unserem Lande genügend Möglichkeiten, gute und gesunde Lebensmittel zu kaufen. Leider sind besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien und solche mit Migrationshintergrund von Fehlernährung und mitunter von Unterernährung betroffen. Dabei ist gesundes Essen längst keine Frage des Geldbeutels mehr. Wir müssen uns an alle Bevölkerungsschichten wenden und konsequent über richtiges Ernährungsverhalten aufklären. Ich bin weiten Teilen der deutschen Lebensmittelwirtschaft dankbar, dass sie ihrerseits in Eigenverantwortung eine nicht irreführende, sondern eine hilfreiche Aufklärung und Information der Verbraucher betreibt.
Wichtig ist, dass die Aufklärung auch in verändertes Verhalten mündet. Oft haben wir das Problem, dass sich die besten Empfehlungen über gesunde Ernährung und Bewegung nur schwer mit unseren beruflichen Anforderungen und dem individuellen Tagesablauf vereinbaren lassen. Mit Vorsätzen verhält es sich wie mit Aalen: Manches ist leichter zu fassen als zu halten. Deshalb müssen wir die Menschen durch eine gute Infrastruktur stärken und ihnen aufzeigen, wie man ungesunde Ernährungsgewohnheiten ablegen und Bewegungsarmut überwinden kann.
Drittens. Wir wollen den Schwerpunkt auf die Prävention legen. Ich verweise auf die jüngste Gesundheitsreform - oft kritisiert, aber in diesem Punkt völlig unterschätzt -, durch die die Prävention zu einem zentralen Element gemacht wurde und die Unterstützung der ärztlichen Vorsorgeleistungen massiv nach vorne getrieben wird, zum Beispiel durch einen konsequenten Gesundheitscheck zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen für Menschen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Wir brauchen individuellere Programme der Krankenkassen. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass man, wenn man für alle das Gleiche tut, für einige zu viel und für andere zu wenig macht. Das geschah oft mehr unter Werbegesichtspunkten der Sozialversicherung und weniger mit dem Ziel, den Menschen mit ihren individuellen Anliegen zu helfen.
Die ersten Jahre der Kindheit haben entscheidenden Einfluss auf das künftige Körpergewicht; das wissen wir alle. Deshalb ist es besonders wichtig, bereits bei Kleinkindern ein Bewusstsein für gesunde Ernährung und mehr Bewegung zu wecken. Das geht in erster Linie in der Familie. Das ist aber auch in den Kitas und den Schulen notwendig. Ich bemühe mich nachhaltig, die Kultusminister zu gewinnen, für das Thema Ernährung wieder als wichtigen und regelmäßigen Bestandteil unseres Schulunterrichts zu werben.
Dabei geht es nicht nur um graue Theorie, sondern auch um die konkrete Praxis. Wir haben gemeinsam mit den deutschen Landfrauen und der Plattform ?Ernährung und Bewegung“ einen Ernährungsführerschein entwickelt. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass es angesichts der zum Teil schwierigen motorischen Entwicklungen bei Kindern nachhaltig wünschenswert wäre, dass der Schulsport für Kinder und Jugendliche wieder einen deutlich höheren Stellenwert in Deutschland bekommt.
Wir brauchen viertens eine Veränderung der Strukturen im Alltag. Denken Sie nur an unsere Esskultur. Das betrifft uns auch persönlich sehr stark. Jede dritte Mahlzeit wird außer Haus konsumiert. Wir sind deshalb mit Krankenhäusern, Kitas, Seniorenheimen und Betriebskantinen in Kontakt, um diese Verpflegung bedarfsgerecht und gesund zu gestalten.
Wir wollen bundesweite Qualitätsstandards - nicht durch Paragraphen, sondern eigenverantwortliche, von der Politik unterstützte Qualitätsstandards - und vor allem auch die Möglichkeit, gutes Essen zu einem fairen Preis in Kantinen und ähnlichen Einrichtungen, vor allem in Schulen, anzubieten.
Wir haben uns deshalb entschlossen, in Nordrhein-Westfalen ab dem 1. Januar des nächsten Jahres kostenfrei bzw. deutlich kostenreduziert in den Schulen Milch oder Milchprodukte anstelle von Cola Light und anderen Softgetränken anzubieten. Das wird die Bundesregierung unterstützen.
Ich möchte auch ein Wort zur Lebensmittelkennzeichnung sagen. Wenn wir vom aufgeklärten, informierten Bürger sprechen, sind Transparenz und auch die Kennzeichnung ein ganz wichtiges Mittel. Ich habe dabei gewisse Vorbehalte, nämlich dass die Kennzeichnung in einem Umfang gestaltet ist, dass sie fast an die Medikamentenbeipackzettel heranreicht, mit der Folge, dass die abschreckende Wirkung bzw. die Desinformation oft größer ist als die Hilfe für die Leser des Beipackzettels. Die Informationen dürfen nicht irreführend sein.
Es kommt immer der Vorschlag, mit dem ich mich schon seit Monaten beschäftige: Wir machen einen roten Punkt, einen gelben Punkt, einen grünen Punkt. Dann hat die Bevölkerung eine Information, was wegzulassen und was zu konsumieren ist. Das Problem dabei ist, dass auch viele Lebensmittel, die mit einem roten Punkt versehen würden - denken Sie an Fettprodukte -, sehr wohl wichtige Nährwertstoffe für die Menschen beinhalten und dass es hierbei auch wieder darauf ankommt, sie in richtigem Maß zu gebrauchen und nicht im Übermaß. Ein reiner roter Punkt könnte sehr schnell dazu führen, dass die Menschen die Finger von etwas lassen, das, in richtigem Maße verwendet, sehr wohl als Nährstoff für den menschlichen Körper notwendig ist.
Lassen Sie uns darüber weiter nachdenken. Dabei lohnt es sich auch, streitig zu diskutieren. Aber, Frau Künast, wenn Sie das jetzt als das Allheilmittel ansehen, wie ich es in den letzten Tagen lesen durfte, dann frage ich mich, warum Sie in den vielen Jahren, in denen Sie vor mir Verantwortung trugen, dieses Punktesystem nicht realisiert haben.
Ich möchte auch die Plattform ?Ernährung und Bewegung“ in Deutschland nicht unerwähnt lassen. Das ist ein Zusammenschluss von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport, Eltern und Ärzten. Da gab es zahlreiche Initiativen und Projekte. Ich würde mir wünschen, dass wir das Potenzial dieser Plattform künftig noch besser ausschöpfen. Dazu würde gehören, dass sich noch mehr Bundesländer dieser Plattform freiwillig anschließen.
Der Beitrag dafür ist geringer, als es oft bei einem Sportverein der Fall ist. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Plattform so in das Bewusstsein der Bevölkerung bringen, dass diese sehr segensreiche Arbeit gerade in den Schulen noch stärker angenommen wird.
Wir haben vor kurzem gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium und der EU eine Konferenz zu dem Thema ?Gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ durchgeführt. Alle Mitgliedstaaten in Europa waren sich unter unserer Präsidentschaft über zwei Ziele einig: Bis zum Jahr 2020 wollen wir die Zunahme des Übergewichts bei Kindern stoppen und die Zahl übergewichtiger Menschen in Europa verringern.
Ich bin froh über einen solchen Zeitraum; denn unser Aktionsplan soll kein Aktionismus sein. Wir verstehen ihn vielmehr als einen Dauerprozess, der in der Realität etwas nachhaltig verändert. Auf diese Nachhaltigkeit kommt es ganz entscheidend an. Wir dürfen uns nicht mit einer Bundestagsdebatte oder mit einer politischen Diskussion begnügen. All dies, was jetzt an Vorschlägen auf dem Tisch liegt oder im Rahmen der Debatte über den Aktionsplan noch eingeführt wird, muss realisiert werden. Wir werden hierbei nur nachhaltig und nicht mit Aktionismen vorwärts kommen.
Ich bitte, dass wir diese Diskussion auf der einen Seite natürlich mit dem nötigen Ernst und mit Elan, auf der anderen Seite aber auch mit Spaß und Freude führen, nicht verbiestert. Mir ist manches in den letzten Tagen schon wieder zu verbissen und zu verbiestert vorgekommen. Ich glaube, dass man nur mit einer gesunden, zuversichtlichen und freudigen Grundeinstellung, die die Quelle jeder Veränderung ist, die Menschen mitnimmt und in der Realität etwas in Richtung mehr Lebensqualität für die Menschen verändert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält zunächst der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will nicht verhehlen, dass ich mich durchaus mit der Antwort auf das, was Sie, Herr Minister, eben hier vorgetragen haben, schwer tue,
weil sehr viele schöne Worte aneinandergereiht und sehr viele Botschaften ins Land geschickt wurden, über die hier im Haus absoluter Konsens besteht und die wir, die wir im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz tätig sind, die wir zum Teil Mitglied der Plattform ?Ernährung und Bewegung“ sind, eigentlich alle kennen. Wir bemühen uns intensiv darum, sie durch Information und Bildung an den mündigen Bürger heranzutragen, sodass er sein eigenes Verhalten daran orientieren kann, ob die Ernährungsaufnahme mit seinem Bewegungsverhalten im Einklang ist. Das ist die entscheidende Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Man soll so fit sein, dass man den Herausforderungen, vor denen man steht, gerecht wird.
Ich frage mich schon, warum Sie eigentlich erst eineinhalb Jahre nach Regierungsübernahme diese doch im Kern sehr dünne Botschaft verkünden. Wenn man Ihr Eckpunktepapier betrachtet, dann stellt man fest, dass darin außerordentlich wenig Substanzielles steht.
Sie tun sich selbst damit keinen Gefallen; denn Sie haben einen gewissen Ruf als Ankündigungsminister und als Aktionsminister.
Sie haben ein Aktionsprogramm zur Bekämpfung des Gammelfleischs aufgelegt. Damals waren es zehn Punkte. Heute hat Ihr Programm fünf Punkte. Sie haben ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg gebracht, mit dem Sie gescheitert sind. Insofern ist zwischen dem, was Sie wollen, und dem, was dann wirklich politisch erreicht wird, eine Riesenkluft. Unter dieser Kluft leidet die Politik in Deutschland und die Politik, die aus Ihrem Haus kommt. Das ist schlecht für die Verbraucher und für die Menschen in Deutschland.
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen, weil meiner Meinung nach zwischen dem, was Sie sagen, und dem, was dann passiert, der rote Faden fehlt, auch der rote Faden der Gemeinsamkeit dieser Regierung.
Sie haben die Versorgung der jungen Menschen in der Schule mit Schulspeisung angesprochen. Sie erklären, die Mehrwertsteuer auf die Weitergabe dieser Produkte in den Schulen solle wegfallen. Die zuständige Staatssekretärin erklärt jedoch im Finanzausschuss, davon könne überhaupt keine Rede sein, die Bundesregierung gehe an die Mehrwertsteuerdiskussion nicht heran, das sei in der Koalitionsvereinbarung so vereinbart. Was gilt also? Warum diese Überschrift, Herr Seehofer, und der Mangel an Inhalt?
Sie sagten, dass Sie die Ressortforschung verstärken. Sie hätten gestern an der Anhörung des Ausschusses teilnehmen sollen. Sie reduzieren die Institute im Ernährungsbereich von 17 auf acht.
Nennen Sie das Verstärkung im Bereich der Ressortforschung? Nennen Sie die permanente Reduzierung des Personals in diesem Bereich Verstärkung der Ressortforschung?
Nehmen wir einen anderen Punkt: die Ampelkennzeichnung. Ich bin hundertprozentig auf Ihrer Seite und finde, dass man endlich einmal lernen soll. Die Engländer, die dieses Modell zu verwirklichen versucht haben, sind damit gescheitert. Es ist dumme Politik, wenn man ein bestimmtes Nahrungsmittel mit einem roten Punkt und ein anderes mit einem grünen Punkt kennzeichnet. Sie haben das an einem Beispiel belegt. Butter ist bei vernünftigem Konsum ein gutes Produkt. Wer natürlich jede Menge Butter auf seine Brötchen schmiert und sich davon morgens vier Stück hereinzieht, der liegt natürlich völlig falsch. Das brauchen Sie aber nicht uns zu erklären, das müssen Sie Ihrer Ministerkollegin erklären. Frau Schmidt hat doch gesagt, wie wunderbar die Ampelkennzeichnung ist. Bei Ihnen sind die Dinge ungeordnet. Deswegen kann ich aus meiner Sicht nur sagen, dass zwischen Ihren Worten hier und dem Inhalt, den Sie in Ihrem Eckpunktepapier transportieren, Welten klaffen.
Ich habe heute Morgen mit meiner Mitarbeiterin gesprochen. Deren kleine Tochter von acht Jahren hat sie gefragt: Mama, bin ich zu dick? - Ich finde es sehr gut, was Sie in puncto Vorsicht und Stigmatisierung gesagt haben. Allerdings steht diese Kampagne doch unter dem Motto ?Fit statt fett“. Ich halte das für außerordentlich problematisch. Lassen Sie uns an diese Dinge mit Vorsicht, mit Nachsicht und auch mit Toleranz herangehen! Manch einer bleibt dick, obwohl er sich Mühe gibt, abzunehmen.
Wir müssen alle Menschen in unsere Gesellschaft einbinden, und wir müssen auch dicke Menschen als gleichwertige Geschöpfe betrachten. Auf Stigmatisierungen müssen wir mit äußerster Vorsicht reagieren.
Sie haben sich vorhin sehr klug und sehr clever als Botschafter des Bieres dargestellt. Ich verstehe das. Von Ernährungsverhalten habe ich Kenntnisse; ich habe das Fach Ernährung schließlich einmal studiert und im Grunde genommen auch gelehrt. Sie bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Ich glaube, unsere Vorbildrolle muss noch deutlicher werden. Wir müssen uns diejenigen zum Vorbild nehmen, die versuchen, einen Einklang zwischen vernünftiger Ernährung und Bewegung herzustellen. Diese Vorbilder müssen wir dann auch besser herausstellen, damit Menschen Ernährungskompetenz erwerben. Mit dieser Kompetenz können sie dann mündige Mitglieder der Gesellschaft werden.
Ich finde es gut, dass Sie die Rolle der Wirtschaft und die großartige Leistung der deutschen Ernährungswirtschaft insgesamt angesprochen haben. Aber nehmen Sie doch auch ein bisschen mehr Rücksicht auf die Selbstverpflichtungsbemühungen der Wirtschaft. Zum Beispiel gab es eine Vereinbarung mit dem Hotel- und Gaststättengewerbe, die vorsah, zahlreiche Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Nichtraucher in den Gaststätten zu verbessern. Warum streben Sie gesetzliche Regelungen an, bevor das Hotel- und Gaststättengewerbe überhaupt die Möglichkeit hatte, diese Selbstverpflichtung zu erfüllen?
Ich bin nicht mit allen Anstrengungen der Wirtschaft einverstanden. Wenn Sie aber verfolgen, was Ihnen gerade in den letzten Tagen an Informationen aus der Wirtschaft auf den Tisch gekommen ist, dann werden Sie ganz klar erkennen, dass der gesamte ernst zu nehmende Wirtschaftsbereich eindeutig für eine Nährwertkennzeichnung ist.
Sie wissen sicherlich sehr genau, dass weite Teile der Wirtschaft sehr wohl wissen, dass dieser Bereich nur im Einklang mit dem Verbraucher auf einen guten Weg gebracht werden kann. Allerdings müssen wir das Gespräch mit der Wirtschaft dann auch suchen.
Herr Seehofer, ich habe sehr viele Veranstaltungen zum Thema ?Plattform Ernährung und Bewegung“ durchgeführt und an sehr vielen parlamentarischen Abenden und Begegnungen mit Wirtschaftsvertretern teilgenommen. Sie habe ich dort nie gesehen. Warum sprechen Sie mit der Wirtschaft so wenig, um zu guten Lösungen zu kommen? Warum gehen Sie nicht auf die Wirtschaft zu, um klarzustellen, dass die Politik im Einklang mit der Wirtschaft für mehr Wettbewerb, für mehr Marktöffnung - und zwar nicht nur im nationalen, sondern im globalen Bereich - sorgen will?
Sehr geehrter Herr Minister, was ist die Aufgabe der Politik? Wir müssen uns Wege überlegen, wie wir an die Menschen herankommen. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Gehen Sie gemeinsam mit allen Fraktionen des Deutschen Bundestages vor! Warum scheitern so viele Appelle, Kampagnen? Warum besteht die Gefahr, dass Ihr inhaltsloser Aktionsplan ebenfalls scheitern wird? Weil Sie keine moderne Ernährungskommunikation praktizieren!
Herr Minister, es geht darum, zu motivieren, statt zu belehren, zu reflektieren, statt zu bekehren, mitzumachen, statt zu erklären, zu erleben, statt zuzuschauen. Wenn Sie diesen Weg gemeinsam mit uns beschreiten, dann können wir mit dieser außerordentlich notwendigen Aktion, die Sie hier auf den Weg gebracht haben, mit diesem außerordentlich notwendigen Anliegen gemeinsam Erfolg haben, und das wird den Menschen in Deutschland guttun.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Blumentritt, SPD-Fraktion.
Volker Blumentritt (SPD):
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da es heute um Ernährung und Bewegung geht, hatte ich eigentlich vor, jeden aufzufordern, eine Liegestütze oder eine Kniebeuge zu machen.
Herr Goldmann, dieses Thema ist sehr wichtig. Man sollte es wirklich mit allem Ernst betrachten. Ernährung und Bewegung können in dieser Welt viel Freude machen.
Sehr geehrter Herr Minister, ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Ausführungen. Mit dem heutigen Tag haben Sie wieder ein Thema in den Fokus gerückt, das nicht nur Gesundheit und Bewegung, sondern auch Lebensfreude zum Inhalt hat. Ich wiederhole: Dafür bedanke ich mich ausdrücklich. Wir alle haben unseren Anteil daran gehabt.
Wir nehmen mit Freude zur Kenntnis, dass Sie der Aufforderung der Europäischen Kommission gefolgt sind und nun einen nationalen Aktionsplan vorgelegt haben. Mit der Verabschiedung des Grünbuches der Europäischen Kommission zur Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung wurden die Mitgliedstaaten im Jahre 2005 angehalten, nationale Strategien zur Verhinderung von Übergewicht und chronischen Krankheiten zu entwickeln. Es ist gut, dass hier bereits die Vorgängerregierung wertvolle Weichen gestellt hat. Auch das sollte man an dieser Stelle einmal erwähnen.
Deutschland wird in Europa häufig als Vorreiter bezeichnet, wenn es um die Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung von Übergewicht geht. So wird die Initiative der nationalen ?Plattform Ernährung und Bewegung“ stets als Vorbild für die Gründung der europäischen Plattform angeführt, die im März 2004 ins Leben gerufen wurde. Doch in jüngster Zeit wurde durch die Veröffentlichung der Ergebnisse neuester Studien nur allzu deutlich, dass wir dieses Engagement leider bitter nötig haben. Die Deutschen belegen aktuell einen der vordersten Plätze auf der Liste der - ich sage es vorsichtig - etwas korpulenten Menschen, um nicht andere Ausdrücke zu gebrauchen.
Das Thema Übergewichtsprävention ist nicht neu, sondern schon lange ein Dauerbrenner; seit Jahren wird die Öffentlichkeit mit Berichten und Zahlen zur Verfettung der Gesellschaft in Alarmbereitschaft versetzt. Deswegen freut es mich, dass dieses Thema heute im Fokus steht.
Das Problem wurde ins Bewusstsein der Menschen gerückt. Aber allen Informationen und aller Aufklärung zum Trotz hat sich an den Bäuchen und Speckrollen der Menschen nicht allzu viel geändert. Im Gegenteil, die Zahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen steigt stetig. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Erklärtes Ziel ist zurzeit nicht etwa, die Anzahl der Übergewichtigen zu reduzieren. Vielmehr müsste bereits ein Stagnieren dieser Zahl als Erfolg gewertet werden.
Zielsetzung unseres Antrags muss sein, ein neues Ernährungs- und Bewegungsbewusstsein zu schaffen. Wir wollen neue Impulse auf dem Weg zur Trendwende setzen. In der im September 2006 vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie konnten mehrere Hauptrisikofaktoren auf dem Weg zum Übergewicht ermittelt werden.
- Herr Goldmann, vorrangig wurde ein niedriger sozialer Status genannt.
Außerdem belegt die Studie, dass aus 80 Prozent der dicken Kinder im Laufe des Lebens übergewichtige Erwachsene werden. Prävention muss aus diesem Grunde zwangsläufig vor Intervention stehen; Herr Minister, Sie hatten das gesagt. Eine Therapie zur Reduzierung von Übergewicht, ob im Kindes- oder im Erwachsenenalter, führt sehr selten nachhaltig zum Erfolg und ist mit enormen Aufwendungen verbunden, die in der Regel gesamtgesellschaftlich getragen werden müssen. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Aufgrund dieser Erkenntnis müssen wir Hans und Gretel bereits in ihrer frühesten Kindheit erreichen.
Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen sind unserer Meinung nach geeignete Orte, an denen Kinder und Jugendliche etwas über ausgewogene Ernährung und gesunde Lebensweise lernen können.
An diesen Orten - dieser Punkt ist für eine Einflussnahme wahrscheinlich noch viel wichtiger - können Heranwachsende darüber hinaus gesunde Verhaltensweisen leben lernen, und dies unabhängig von ihrem sozialen Status. Schulen und Kindergärten müssen als Lebenswelten verstanden werden. Wenn wir diese Erkenntnis verinnerlichen, müssen wir diese Einrichtungen mit anderen Augen sehen und im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung, der Umfeldgestaltung, aber auch bei der Gestaltung von Zeitabläufen, zum Beispiel bei der Einplanung geregelter und ausreichender Essenszeiten, andere Prioritäten setzen.
Meine Damen und Herren, das gemeinsame Einnehmen von Mahlzeiten ist mehr als nur Nahrungsaufnahme. Da Kinder einen Großteil des Tages in einer Kita oder Schule verbringen, müssen wir ihnen dort auch Esskultur nahebringen. Dazu gehört die Atmosphäre in den Speisesälen der Schulen und Kindergärten ebenso wie ein appetitlicher Eindruck der Speisen, die schmackhaft und gesund sein sollen. Dieser Punkt liegt mir als gelerntem Koch besonders am Herzen, und es tut mir manchmal weh, wenn ich sehe, was manchmal produziert wird.
In Zusammenarbeit mit den Ländern, denen im Bildungsbereich die Verantwortung zukommt, müssen wir Konzepte erarbeiten, die umsetzbar sind und flächendeckend Verbreitung finden. Der Bund kann und soll sich an dieser Stelle nicht mit dem Hinweis auf fehlende Kompetenz aus der Verantwortung ziehen. In diesem Punkt gebe ich Ihnen recht; ich denke, dass ich diese Einschätzung auch bei Ihnen herausgehört habe. Hier gilt es, eigene und neue Instrumente, die einen ausreichenden Handlungsspielraum bieten, zu entwickeln.
Ein hervorragend geeignetes Mittel zur Ansprache sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen stellt das Bundesprogramm ?Soziale Stadt“ dar. An dieser Stelle ist ein großer Dank an Herrn Minister Tiefensee auszusprechen. Durch dieses Programm konnten völlig neue Maßstäbe gesetzt werden; zu dieser Entwicklung hat auch unsere Vorgängerregierung ihren Beitrag geleistet. Durch dieses Programm konnten seit seinem Start im Jahre 1999 die Lebensbedingungen der Menschen in benachteiligten Stadtteilen bundesweit stabilisiert und verbessert werden. Als Ortsbürgermeister eines 25 000 Einwohner umfassenden Stadtteils, einer Großwohnsiedlung, weiß ich, wovon ich spreche. Wir haben Erfolge gehabt. Ich denke, das kann man deutschlandweit vermitteln.
- Jawohl.
Im Rahmen des Programms konnten bis heute in zahlreichen Orten wertvolle Strukturen aufgebaut werden, die wir intensiv nutzen sollten. Bis heute führt der Bereich der Gesundheitsförderung im Programm ?Soziale Stadt“ vor allem aufgrund mangelnder Kapazitäten eher ein Schattendasein.
Die Notwendigkeit einer Einbindung dieses Bereichs liegt jedoch auf der Hand.
Ich habe mich deshalb sehr gefreut, dass wir beispielsweise im vergangenen Jahr auf einem Workshop Vertreter der ?Plattform Ernährung und Bewegung“ und des Deutschen Instituts für Urbanistik bei uns in der Stadt begrüßen konnten, wo Experten mögliche Ansatzpunkte zur Gesundheitsförderung und Übergewichtsprävention in der Stadtentwicklung aufzeigten. Zahlreiche Möglichkeiten der Umsetzung konnten ermittelt werden. Gesundheitsförderung als fester Bestandteil in der Stadtteilarbeit bietet große Chancen. Nur dort, in den Städten, in den Stadtteilen, in den Quartieren, ist das Leben erlebbar. Dort kann man vieles vermitteln. Dort bringt man viel von dem herüber, was man will.
Nicht nur Kindergärten, Schulen, Jugendeinrichtungen, Sportvereine, Ärzte oder Städteplaner würden mit Bezug zu ihrem Tätigkeitsumfeld angesprochen und zu Kooperationen angeregt, sondern wir würden die Menschen und hier vor allem auch die Eltern innerhalb ihres Wohnumfeldes erreichen. Niedrigschwellige Ansätze, wie sie insbesondere in der Ansprache von sozial benachteiligten Gruppen oder Migranten gefordert sind, wären so relativ leicht umsetzbar.
Mit der Anknüpfung an das Bundesprogramm könnten bereits vorhandene Synergieeffekte optimal genutzt werden. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, geeignete Partnerprogramme zu entwickeln, die den Bereich der Gesundheitsförderung aufgreifen und an das Bundesprogramm ?Soziale Stadt“ angebunden werden.
Wir müssen uns alle darüber klar werden, dass diese Entwicklung zur übergewichtigen Gesellschaft keine Frage der reinen Ästhetik mehr ist. Es ist auch längst keine Frage des persönlichen Schicksals mehr. Die Zahlen machen deutlich, dass wir hier von einem gesamtgesellschaftlichen Problem mit verheerenden Auswirkungen, auch in ökonomischer Hinsicht, sprechen.
Gesundheit nimmt in einem hohen Maß Einfluss auf den Lebenslauf und auf den Erfolg oder Misserfolg von Biografien - insbesondere unserer Kinder. Übergewicht hat gesundheitliche Folgen sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht.
Hinzu kommt häufig eine allgemeine Lern- und Leistungsschwäche. Wenn Kinder schon in der dritten Unterrichtsstunde keine Nährstoffe, keine Kohlenhydrate, keine Eiweißstoffe mehr haben, sind sie nicht in der Lage, dem Unterricht in der fünften Stunde ordentlich zu folgen.
Wir reden also vor allem über gerechte Startchancen für unsere Kinder und Enkelkinder, der ersten Generation des 21. Jahrhunderts.
Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Binder, Fraktion Die Linke.
Karin Binder (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den letzten 30 Jahren haben sich unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen enorm verändert. Wir sitzen heute mehr als sieben Stunden täglich und gehen kaum noch zu Fuß. Wir haben immer mehr Stress und arbeiten unter enormem Termindruck. Wir haben nicht mehr drei, sondern 30 Fernsehkanäle zur Auswahl und konsumieren nebenbei Fertigpizzen, Chips, Süßigkeiten, Softdrinks und andere Kalorienbomben. Viele Kinder und Jugendliche bewegen ihre virtuellen PC-Helden mehr als sich selbst.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Übergewicht und Bewegungsmangel nicht nur im Fehlverhalten Einzelner begründet, sondern ein strukturelles Problem in Industriestaaten sind.
Abspeckappelle und Bewegungstipps allein helfen daher auch nicht weiter, solange die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen so sind, wie sie sind: kontraproduktiv für gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung.
Wenn es Ihnen, Herr Minister Seehofer, wirklich ernst ist mit dem ?gesamtgesellschaftlichen Fettabbau“, dann wird es Zeit, dass Sie in Ihren nationalen Aktionsplan Bewegung hineinbringen und ihn um die eine oder andere konkrete Initiative ergänzen.
Bloße Appelle reichen nicht.
Eine Möglichkeit wäre da zum Beispiel eine einheitliche gesetzliche Kennzeichnung von Lebensmitteln, damit Verbraucherinnen und Verbraucher sich schnell, einfach und verlässlich über Qualität und Nährwert ihrer Lebensmittel informieren können. Dazu bringen Sie in Ihrem Eckpunktepapier keinen konkreten Vorschlag. Dabei wäre es so einfach. Wir bräuchten nur einmal nach Großbritannien zu schauen. Über die sogenannte Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln kann man durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Aber es ist ein einheitliches und vor allem leicht verständliches System, das Verbraucherinnen und Verbraucher schnell und übersichtlich über den Gehalt an Zucker, Salz, Fett und ungesättigten Fettsäuren informiert. Die Ampelfarben Rot, Gelb und Grün zeigen die Dickmacher in den Lebensmitteln schnell an.
Natürlich ist die englische Lebensmittelindustrie nicht amüsiert über Absatzeinbußen bei ihren rot gekennzeichneten Fertigprodukten. Aber bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern scheint die Kennzeichnung ganz gut anzukommen.
Obwohl die Regierung in Deutschland noch nicht einmal im Traum daran denkt, laufen die Interessenvertreter der Lebensmittelindustrie hier schon Sturm gegen solche Modelle. Süßigkeiten, Limonaden und Softdrinks, Frühstücksflocken und auch Fertiggerichte bedeuten in unserer Singlegesellschaft ein Milliardengeschäft.
Deshalb wird seit Jahren getrickst und verschleiert mit Begriffen wie ?kalorienarm“ oder ?light“. Zuckerbomben werden mit den Slogan ?0 Prozent Fett“ angepriesen. Zur Erhaltung ihres Profits will die Lebensmittelindustrie unbedingt vermeiden, dass ihre Produkte deutlich sichtbar in ?gesund“ oder ?ungesund“ unterteilt werden.
Sie hat dafür die volle Rückendeckung vom Verbraucherministerium.
Viele Vorschläge prallen bisher an der Bundesregierung ab, zum Beispiel das Verbot von Süßigkeiten- oder Cola-Automaten an Schulen,
die Einschränkung der an Kinder gerichteten Werbung für Süßigkeiten und ein Verbot von Werbefilmen für solche Produkte vor 21 Uhr. Herr Staatssekretär Lindemann vom Verbraucherministerium hat sich dazu vor der Lebensmittellobby eindeutig positioniert. Er hat den Anwesenden beim letzten Neujahrsempfang versichert - ich zitiere -:
Ich weiß, dass viele von Ihnen an diesem Punkt sehr sensibel sind. Auch die Bundesregierung hält nichts von rechtlichen Regelungen in derartigen Fragen.
Wo er schon einmal dabei war, hat er auch gleich versichert, dass die von der WHO in ihrer ?Charta zur Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas“ geforderten fiskalpolitischen Maßnahmen abgelehnt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen nicht alles umsetzen, was uns renommierte internationale Organisationen empfehlen, und wir müssen auch nicht alles nachmachen, was uns andere Länder vormachen. Aber dann sollten wir doch wenigstens selber aktiv werden und nicht nur heiße Luft produzieren. Heiße Luft ist nur in der Sauna gesund.
Wir alle wissen, dass Essstörungen in einkommensschwachen und bildungsfernen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich auftreten. Das ist aber nicht nur eine Frage der Bildung und des Wissens um gesunde Ernährung. Gesunde Ernährung ist nicht zuletzt eine Frage des Geldbeutels, Herr Minister. Wer von einem Niedriglohn oder von Hartz IV leben muss, hat kaum 5 Euro täglich für Lebensmittel zur Verfügung. Das reicht nicht für Bioprodukte. Das reicht noch nicht einmal für konventionelles gesundes Essen. Wer beim Einkaufen mit dem Cent rechnen muss, schaut mehr auf die Zahlen auf dem Kassenbon als auf die in der Nährwerttabelle. Dann wird eben nicht frisches Obst und Gemüse gekauft, sondern Konserven und billige Fertigprodukte - die mit dem besonders hohen versteckten Fettgehalt. Der direkte Produktvergleich belegt, dass billigere Produkte meist mehr Fett, Salz oder Zucker enthalten als teurere. Nach meiner Auffassung sollten jedoch alle Verbraucherinnen und Verbraucher - unabhängig von ihrer Kaufkraft - die Möglichkeit haben, sich gesund und vitaminreich zu ernähren.
Dazu gehört dann auch, dass die Gemeinschaftsverpflegung verbessert wird, insbesondere an Schulen und in Kindertagesstätten, und dieses von der Gesellschaft finanziert wird. Statt Milchschnitte und Schokoriegel brauchen wir ein gesundes Frühstücksbuffet in Kitas und Kindergärten - natürlich von Vater Staat finanziert.
Wir brauchen natürlich gemeinsames Kochen und Ernährungserziehung. Wir brauchen mehr Schulsport, zum Beispiel eine dritte Sportstunde in der Woche.
Wir brauchen natürlich mehr Förderung für die Betreuerinnen und Betreuer sowie die Jugendleiterinnen und Jugendleiter in Sportvereinen. Natürlich kostet das alles Geld. Aber sind Ihnen das unsere Kinder nicht wert?
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ursula Heinen ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, zunächst einmal kurz auf meine Vorredner einzugehen und das eine oder andere, was hier falsch behauptet worden ist, richtigzustellen.
Wir beginnen einmal mit dem Thema Selbstverpflichtung, die angeblich in Form der Vereinbarung mit der DEHOGA bezüglich des Rauchens hätte funktionieren können, Michael Goldmann. Das ist genau das falsche Beispiel. In dem Bereich hat die Selbstverpflichtung nämlich eben nicht funktioniert. Es gab freiwillige Vereinbarungen,
die aber in den Restaurants und Gaststätten nicht umgesetzt worden sind, sodass rechtliche Rahmenregelungen erforderlich wurden, die jetzt endlich sukzessive umgesetzt werden. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt richtet sich an die Kollegin, die von der Ampelkennzeichnung gesprochen hat. Diese einfache Kennzeichnung mit Rot, Gelb oder Grün hat aber wenig beispielsweise mit der Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu tun, in der klar zum Ausdruck kommt, wie ausgewogenes Essen tatsächlich aussieht und dass man Lebensmittel nicht einfach mit Punkten versehen kann. In Großbritannien nimmt man diese Ampelkennzeichnung jetzt wieder zurück, weil sie bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht angekommen ist. Stattdessen soll ein anderes System eingeführt werden, das die Fragen der gesunden Ernährung deutlicher aufgreift. Großbritannien schlägt die Richtung ein, in die auch wir gehen möchten, indem es die Einheiten der sogenannten großen Vier - Energie, Eiweiß, Fett, Kohlehydrate - auf der Verpackung kennzeichnet, sodass man einen vernünftigen Überblick erhält, was gesund ist und was wie der Ernährung dient.
Ich bin froh, dass es mittlerweile in Deutschland Lebensmittelhandelsbetriebe gibt, die diese Angaben von sich aus auf die Vorderseiten der Verpackungen schreiben, sodass man die verschiedenen Gehalte direkt, wenn man die Packung aus dem Regal nimmt, erkennen kann. Das ist meines Erachtens der richtige Weg.
Auch in Deutschland gibt es Selbstverpflichtungen, die sehr gut funktionieren. Coca-Cola ist hier eben angesprochen worden. Dort gibt es immerhin die Selbstverpflichtung, keine Getränkeautomaten in Schulen aufzustellen, in denen Kinder unter zwölf Jahren sind, und auf Werbung in Sendungen zu verzichten, die vorzugsweise von kleinen Kindern gesehen werden. Ich finde, das ist genau der richtige Weg; so müssen wir damit umgehen.
Damit komme ich zum eigentlichen Thema: dass wir uns auf die Kinder konzentrieren müssen. Ein Erwachsener, der Übergewicht hat, ist letztendlich selbst dafür verantwortlich. Ein übergewichtiges Kind aber kann letztlich nichts dafür; es ist auch durch das Elternhaus geprägt. Auch darauf muss deutlich hingewiesen werden: Wer trägt denn die Verantwortung? Das sind nicht nur der Staat und die gesamte Gesellschaft, sondern auch das Elternhaus und die Familie, in der Ernährung usw. gelebt werden. Also müssen wir uns um die Kinder und die Familien kümmern und ihnen das Thema der gesunden Ernährung nahebringen.
Der Minister hat vorhin ausgeführt, dass er das Übergewicht bei Kindern bis zum Jahr 2020 stoppen bzw. den Trend umdrehen möchte. In Deutschland sind heute 2 Millionen Kinder übergewichtig; sie sollten im Fokus unserer Politik stehen.
Was sind die Ursachen? Eben wurden schon Computer und Fernsehen genannt. Ich war völlig überrascht, als ich im Rahmen einer Sitzung der Plattform Ernährung und Bewegung gelernt habe, dass die Primetime im Kinderfernsehen zwischen 7 und 8 Uhr morgens ist. Frau Drobinski-Weiß war ebenfalls bei dieser Sitzung. Wir wussten überhaupt nicht, wie uns geschah, als wir erfuhren, dass Eltern ihre Kinder, um sie zu beschäftigen, morgens, bevor der Kindergarten öffnet, vor den Fernseher setzen und dass die Werbezeiten im Kinderkanal zu dieser Zeit am teuersten sind. Fernsehen, Computerspiele etc. spielen also sicherlich eine wichtige Rolle.
Auch die neue Organisation des Alltags von Kindern ist sicherlich von Bedeutung. Wie sieht die organisierte Freizeit aus? Wie wird in den Ganztagsschulen mit dem Thema Bewegung umgegangen? Wie sind die Sportangebote? In Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt Offene Ganztagsschulen. Wie läuft da die Kooperation mit den Sportvereinen? Oder werden die Kinder nur verwahrt? Wie also ist die Qualität dieses Ganztagsschulangebots? Was wird dort an Sport und Bewegung geboten?
Schulsport ist sicherlich eine ganz entscheidende Sache. Das haben wir auch in unserem Antrag erwähnt.
In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es eine Schulsportoffensive für 200 Minuten Sportunterricht pro Woche, an der sich über 300 Schulen im gesamten Land beteiligen. In Marzahn gibt es eine Grundschule, die ihr Sportangebot verdoppelt hat mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass die Konzentrationsfähigkeit der Kinder sich deutlich erhöht, weil sie sich durch die Bewegung austoben können. Kinder, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen und vielleicht viel vor dem Fernseher und Computer hängen, werden über die Schule zu Bewegung geführt und können sich dort einmal auspowern. So wird - darum geht es ja schließlich auch - die Konzentrationsfähigkeit dieser Kinder wesentlich verbessert.
Deshalb lautet unser Appell an die Bundesländer: Kümmert euch um das Schulsportangebot und darum, tatsächlich auch mehr Schulsport anzubieten! Vielleicht kann man die Lehrpläne auch einmal entsprechend durchforsten.
Ein anderes Thema ist die Verpflegung in Schulen und Kindertageseinrichtungen. Natürlich gibt es schon in vielen Schulen ein gemeinsames Schulfrühstück. Es ist ja nicht so, dass wir in Bezug auf das Schulfrühstück in einem Niemandsland leben. An vielen Grundschulen wird morgens gemeinsam gefrühstückt.
An vielen Grundschulen erklären die Lehrer ihren Kindern auch, wie vernünftige Ernährung aussieht. Das müssen wir auch einmal ehrlich sagen. Wir wollen aber, dass das flächendeckend erreicht wird. Deshalb versuchen wir jetzt, in Nordrhein-Westfalen ein Schulmilchprogramm zu starten.
Jedes Kind soll wieder - wie es in meiner Generation der Fall gewesen ist - jeden Tag seine Schulmilch - und damit immerhin einen wesentlichen Baustein für eine gesunde Ernährung - in der Schule bekommen.
Jetzt möchte ich aber noch einmal etwas anderes, nämlich die Mehrwertsteuergeschichte, ganz besonders deutlich erwähnen. Ich halte es für eine Ungerechtigkeit und Schwachsinn, dass in den Studentenwerken - in den Mensen - der halbe Mehrwertsteuersatz auf die Verpflegung fällig ist, in einer Ganztagsschule aber der volle. Das ist Schwachsinn! - Wir können das nicht anders nennen.
Wir haben das in unserem Antrag auch ganz deutlich formuliert. Mein Kollege Peter Bleser hat, Michael Goldmann, mit den Finanzpolitikern intensive Verhandlungen geführt, damit auch sie das unterstützen und sagen, dass wir zu einer Veränderung kommen müssen.
Es kann nicht sein, dass Studentenwerke Mahlzeiten zu anderen Preisen anbieten können als Schulen. Die Verpflegung von Kindern ist wichtiger als die von erwachsenen Studierenden, die selbst entscheiden können, wie sie sich ernähren!
Ein ganz wichtiger Punkt ist in der Tat, wie wir hier in Berlin mit dem Thema weiter umgehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Herr Kollege Goldmann möchte das noch einmal in einer Zwischenfrage verdeutlichen.
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Ich unterhalte mich immer gerne mit ihm.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Auf Unterhaltung kommt es jetzt eigentlich nicht in erster Linie an.
Hans-Michael Goldmann (FDP):
Herr Präsident, Sie haben wie immer recht. - Frau Heinen, Sie haben das eben so schön dargestellt. Aber ich habe es nicht verstanden.
Ich habe da nämlich ein Problem: Mein Kollege Wissing hat mir eben berichtet, dass gestern im Finanzausschuss thematisiert worden ist, ob es eine abgesenkte oder gar keine Mehrwertsteuer auf die Schulspeisung geben soll, wie es der Minister angekündigt hat.
Meine Frage lautet: Gibt es eine Absprache zwischen Herrn Minister Seehofer und dem Finanzminister - gibt es also eine Absprache in der Großen Koalition -, die die Chance bietet, dass der Mehrwertsteuersatz auf Produkte, die bei der Schulspeisung verwendet werden, so abgesenkt wird, wie es der Minister in einer Pressemitteilung angekündigt hat?
Ursula Heinen (CDU/CSU):
Lieber Herr Goldmann, wenn Sie unseren Antrag und damit den Willen des Parlaments in dieser Frage lesen würden, dann würden Sie klar erkennen, dass es nach dem Willen von CDU/CSU und SPD - das sind diejenigen, die hier die Gesetze beschließen - keine Unterschiede bei den Mehrwertsteuersätzen für die Studierendenverpflegung und bei den Mehrwertsteuersätzen für die Schulverpflegung geben soll.
Aus dem Grund gibt es eine starke Übereinkunft hier im Parlament, und auf diese stützt sich der Bundesminister, wenn er sagt, dass wir in Zukunft mit diesem Mehrwertsteuersatz entsprechend umgehen werden. Es freut mich - das schließe ich aus Ihrer Frage -, dass die FDP diesen Vorstoß von uns unterstützen wird. Wir können also davon ausgehen, dass das Parlament diesen Vorschlag mit breiter Mehrheit trägt und damit dem Finanzminister vielleicht noch einmal klar macht, um welch ein wichtiges Thema es sich handelt. - Ich bedanke mich für Ihre Frage, Herr Goldmann.
Gestatten Sie mir, noch ein letztes Thema anzusprechen, das wir der Ehrlichkeit halber ebenfalls betrachten müssen. Es gibt sehr viele Projekte, die zurzeit schon laufen. Vier Bundesministerien sind im Bereich Ernährung aktiv: das Gesundheitsministerium, das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, das Bildungs- und Forschungsministerium und das Familienministerium. Es werden Projekte mit über 200 Millionen Euro gefördert. Wir von der Koalition wollen all diese Projekte evaluieren. Es ist nämlich dringend notwendig, zu schauen, wie sie tatsächlich wirken. Dann müssen wir uns überlegen, ob wir diese Projekte nicht stärker bündeln und konzentrieren. Denn es darf nicht passieren, dass wir uns angesichts dieser gut gemeinten Ideen, Projekte, Modellvorhaben verzetteln und das große Ziel aus den Augen verlieren.
Deshalb stellen wir uns vor, dass die Plattform Ernährung und Bewegung, die vom Bund und von einigen Bundesländern - leider, muss man sagen, noch nicht von allen - getragen wird und von großen Organisationen sowie von den Kinder- und Jugendärzten unterstützt wird, wesentlich gestärkt wird und eine koordinierende Funktion im Hinblick auf diese Projekte erhalten soll. Denn wir dürfen unser Ziel nicht aus den Augen verlieren, bis zum Jahr 2010 zu einer Trendumkehr in Deutschland zu kommen, unsere Kinder fit zu machen und ihnen viel Freude an Bewegung und Sport zu vermitteln.
In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Übergewicht und Fettleibigkeit ist kein so einfaches Thema. Ich glaube, dass es richtig ist, dass nicht nur das Parlament versuchen sollte, mit diesem Thema verantwortungsbewusst umzugehen und niemanden zu diskriminieren. Auch die Medien sollten sich ihrer Verantwortung hin und wieder bewusst werden.
Lassen Sie mich vorab auf eine Zeitungsmeldung vom heutigen Tage eingehen. Die ?Bild“-Zeitung fragt bei einer Fotogalerie: ?Ob diese Politiker auch mitmachen?“ Der Fraktionsvorsitzende der FDP philosophiert, wenn auch im Spaß, darüber, ob es Auftrittsverbote geben sollte. Wir sollten der ?Bild“-Zeitung sagen, dass dieses Verhalten diskriminierend und falsch ist. Es richtet sich nicht nur gegen Politiker, sondern diskriminiert auch dicke Menschen. Diese Art der Behandlung des Themas droht sich auszubreiten. So werden wir des Fetts nicht Herr werden.
- Der stammt nicht von mir, sondern von der Nachfolgerregierung. Trotzdem redet niemand über Auftrittsverbote und Ähnliches. Wir wissen alle um die Probleme.
Wir wissen im Übrigen auch, dass es dabei nicht nur um individuelles Verhalten geht. Herr Seehofer, ich habe mich gefreut, dass Sie all die entsprechenden Maßnahmen, die in den letzten Jahren begonnen worden sind, fortgesetzt haben. Dazu gehört auch die Ernährungsplattform, die wir damals nach Europa gebracht haben. Ich fand es aber schade, dass Sie am Ende doch wieder Ihren Hang zum Populismus ein wenig ausgelebt haben.
- Lassen Sie sich doch Redezeit geben! Dann können Sie Ihre Ausführungen machen.
Angesichts dieses ernsten Themas - viele Menschen leiden aufgrund ihres Übergewichts, die Anzahl der Fälle von Diabetes Typ II steigt schon bei den 13-Jährigen rapide an und nicht erst ab einem Alter von 40 bis 45 Jahren - finde ich es wirklich falsch, dass mit solchen Begriffen wie ?Olympiade der Verbote“ operiert wird.
Herr Seehofer, wir reden hier nicht nur über Erwachsene. Der informierte Verbraucher kann das Kleingedruckte und das Fachchinesisch auf der Packung lesen und sich entsprechend verhalten. Ich glaube allerdings auch nicht daran, dass das in den bildungsfernen Schichten passiert; auch wir sehen dieses Problem. Nein, wir reden über etwas anderes. Deshalb kann man hier nicht den klassischen Verbotsdiskurs führen. Wir reden über drei-, vier-, fünf- und sechsjährige Kinder. Bei diesen können Sie nicht von mündigen, informierten Verbrauchern sprechen. Die kleinen Kinder brauchen den Schutz dieser Gesellschaft
und auch den Schutz vor der Werbewirtschaft, vor Produkten, mit denen uns die Lebensmittelwirtschaft versucht einzulullen; so einfach ist das.
Wir müssen dafür Sorge tragen, Herr Seehofer, dass nicht noch mehr Papier zu diesem Thema vorgelegt wird. Seit Jahren wurde viel Papier hierzu produziert. Wir müssen vielmehr die Kernpunkte identifizieren. Am letzten Sonntag hatte die ?Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ auf dem Titelblatt folgende Klage der Lehrer festgehalten: Wir werden mit Werbematerial überschüttet. - Die Lebensmittelwirtschaft macht es mittlerweile so: Hinten und auf der Seite dieses Materials steht: Dies ist von Kellogg’s, von Ferrero oder wem auch immer gesponsert. Vorne steht dann: Dies ist eine anbieterunabhängige, eine - angeblich - ganz seriöse Information.
Was sollen denn die Schulen damit anfangen? Diese sagen, sie hätten keine hinreichenden Curricula, keine Lehrer für bestimmte Unterrichtsfächer, bekämen aber Massen an Papier. Auch da muss man einschränken: Mit der Werbung kann es so nicht mehr weitergehen, zumindest nicht im Hinblick auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen.
- Ich wusste schon immer, dass Sie es mit der Ökologie nicht haben. Wegschmeißen von Material ist auch keine Lösung.
- Das ist nun wieder typisch FDP. Vorne immer rein, und dann sollen sie nachher filtern. - Noch besser wäre es, wir würden die Lebensmittelwirtschaft dazu bewegen, das zu bezahlen, was Sinn macht, und nicht das, was die Lehrer nachher wegschmeißen. Das ist doch Unsinn.
Hinsichtlich des Konzepts, das uns hier vorgelegt wurde, muss ich Ihnen sagen: Mir ist es zu wenig, auch weil es solche Konzepte schon gegeben hat. Im April 2005 wurde das Konzept der Gesundheitsministerin ?Gesund in die Zukunft - Auf dem Weg zu einem Gesamtkonzept zur gesundheitlichen Prävention“ vorgelegt. Auch darin geht es um Ernährung und Bewegung. Es wurde gefragt, was eigentlich in den letzten Jahren passiert ist. Dieser Frage schließe ich mich an dieser Stelle an.
Eines brauchen wir ganz klar - andere Länder machen dies schon, Großbritannien zum Beispiel -: Wir brauchen, auf die Zielgruppe der Kinder ausgerichtet, ein Werbeverbot
in der Zeit vom Frühstücksfernsehen bis 21 Uhr, wenn es um Lebensmittel geht. Denn Lebensmittel sind keine Produkte, für die man, auf die Zielgruppe der Kinder ausgerichtet, Werbung machen sollte. Wenn die Lebensmittelwirtschaft dies nicht von sich aus tut, dann müssen wir dies regeln.
Ich sage Ihnen noch etwas: Wir können die Eltern nicht alleinlassen. Ich gebe gerne zu: Die Eltern müssen sich bewegen. Aber Sie können die Eltern angesichts der Milliardeninvestitionen in neue Produktentwicklungen und in Werbung - nicht nur im Fernsehen - nicht alleinlassen.
Ich sage Ihnen auch: Wir müssen an das heran, was im Internet passiert. Klicken Sie einmal eine Seite dieser Kinderlebensmittelfirmen an. Ich habe es in den letzten Tagen wieder einmal gemacht.
- Zum Beispiel Kellogg’s.
Sie glauben, Sie seien auf der Seite einer Hollywoodfilmwerbung. Alle möglichen Figuren tauchen da auf.
Da geht es nicht um Information, sondern um Figuren. Da geht es darum, die Kinder mit Puzzlespielen und Gewinnen zu binden. Da werden Entwicklungspsychologen engagiert, um die Kinder entsprechend ihrer Entwicklung zu fangen. Ich sage Ihnen: An dieser Stelle ist der Staat in seiner Schutzfunktion gefordert.
- Gerade die FDP behauptet immer, sie sei eine Partei, die für den Datenschutz sei und dies auch auf die modernen Medien erstrecken wolle.
Wenn Sie sagen, man solle das Internet abschalten, dann sage ich dazu: Sie sollten sich lieber einmal einen Tag Zeit für eine Klausur zu diesem Thema nehmen angesichts dessen, dass Sie nicht sehen, was man im Rahmen des Internet tun kann, um die Schwachen dieser Gesellschaft zu schützen. Aber diese waren noch nie Ihr Adressat.
Ich stelle fest: Wir brauchen eine Ampelkennzeichnung; ich habe Ihnen ein Produkt mitgebracht.
- Ich weiß, Sie haben ein Problem mit der Ampel, aber aus anderen Gründen.
Es geht dabei auch um bildungsferne Schichten, die nicht das ganze Kleingedruckte auf Produkten lesen. Es geht nicht nur um die Kennzeichnung von Eiweißen, sondern auch um die von gesättigten Fetten und Zucker. Genau dies können Sie mit einem einfachen Zeichen ganz simpel tun.
Herr Seehofer, wenn Sie diese beiden Schritte anpacken und den Mut haben, an dieser Stelle anzusetzen, dann verändern Sie den gesellschaftlichen Diskurs,
und dann werden auch die Landesminister ihrer Verantwortung stärker nachkommen, als sie es jetzt tun. Aber als Erstes muss der Bund selber seine Hausaufgaben machen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Mechthild Rawert ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
Mechthild Rawert (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die bisherige Debatte hat gezeigt: Wir wissen viel über gesunde Ernährung, nur am Verhalten hapert es. Es hapert letztendlich auch - hier gehe ich als Mitglied einer Regierungspartei weiter -, weil klare Rahmenbedingungen fehlen. Die Bundesregierung hat es gesagt: Prävention ist eine Investition in die Zukunft. Das ist auch im Memorandum, das in Badenweiler verabschiedet wurde, ausgeführt worden. In unserem Antrag steht:
Prävention fängt bei der Eigenverantwortung an, bedarf aber auch der Unterstützung des Staates und der gesellschaftlichen Akteure.
Weiter heißt es:
Das geplante Präventionsgesetz soll die Kooperation und Koordination der Prävention sowie die Qualität der Maßnahmen ... verbessern.
Es geht hier nicht darum, ausschließlich über Ge- und Verbote zu sprechen. Es geht auch um klare Zielsetzungen und klare Rahmenbedingungen. Daher danke ich für den nationalen Aktionsplan. Ich bin als Mitglied zweier Ausschüsse, des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Ausschusses für Gesundheit, der Meinung, dass wir ein Präventionsgesetz dringend brauchen. Denn damit schaffen wir die Rahmenbedingungen dafür, dass wir in viele Lebenswelten hinein kommen und der nationale Aktionsplan greifen kann.
Über Ernährung ist viel gesprochen worden. Einer der Hauptfaktoren zur Entstehung von Übergewicht ist allerdings auch Bewegungsmangel. Es ist schon erwähnt worden: Nicht jede Art der Ernährung an sich ist falsch. Wir haben eine moderne Welt, ein Lebensumfeld für Kinder geschaffen, das in vielen Bereichen mittlerweile ungesund ist, vielleicht auch auf neue Art und Weise krank macht. Wir tragen dafür die Verantwortung und nicht die Kinder. Wir sind diejenigen, die dieses ändern können.
Wir brauchen mehr Spiel- und Bewegungsräume. Daher fordern wir in unserem Antrag, dass bei politischen Entscheidungen, die das Wohn- und Bewegungsumfeld der Kinder betreffen, dem Bewegungsdrang Raum zu verschaffen ist. Ich erhalte Bürgerbriefe von Eltern, die ganz verzweifelt sind, weil sie ihre Kinder nicht mehr auf der Straße spielen lassen können, weil sich die Nachbarn dann über Ruhestörung beschweren. Die Anrainer von Sportplätzen klagen ebenfalls über Ruhestörung. Ich frage mich: Wieso ziehen Menschen, die früher schon dort gewohnt haben und die ihre eigenen Kinder zum Spielen dorthin geschickt haben, jetzt vor Gericht, wenn anderer Leute Kinder dort spielen? Das ist doch ein Unding. Das kann doch wohl nicht sein.
Wir dürfen unsere Städte nicht zu Bewegungswüsten verkommen lassen. Hier haben Sportvereine eine große Verantwortung. Wir wissen, dass Sportvereine gehalten sind, Mitgliedsbeiträge zu erheben. Dies berührt die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft: Denn nicht jede Familie, die finanziell schwächer gestellt ist, kann sich dies leisten. Wir fordern daher auch hier Unterstützung, damit das Gleichheitsgebot umgesetzt werden kann.
Ich freue mich, dass die Kampagne des Gesundheitsministeriums vorhin schon erwähnt worden ist. Denn die Kampagne unter dem Motto ?Deutschland wird fit. Gehen Sie mit.“ ist eines der positiven Zeichen, die zeigen, wie wir versuchen, Bewegung in den Alltag zu integrieren.
Eines ist sicher: Wir alle haben mittlerweile einen relativ zeitintensiven Alltag. Das fängt schon bei den kleinen Kindern an, deren Zeitplan sehr viele zusätzliche Angebote umfasst. So haben sie nicht mehr genug Zeit für Sport. Wir müssen versuchen, Bewegung in den Alltag zu integrieren. Gehen Sie mit bei den vielen Aktionen, die im Rahmen der Kampagne des Gesundheitsministeriums angeboten werden!
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen durch Ernährungs- und Bewegungskampagnen bislang nicht zufriedenstellend erreicht worden sind. Das heißt, wir machen unsere Angebote nicht zielgruppenorientiert genug,
obgleich die Krankenkassen bereits seit 2000 gehalten sind, ihre Angebote in diesem Bereich zu verbessern. Vielfach kommen sie dieser Aufforderung auch sehr gut und erfolgreich nach. Ich sage das, damit Sie nicht den Eindruck gewinnen, ich würde die Krankenkassen kritisieren wollen. Wir müssen das Angebot nichtsdestotrotz ausbauen und systematisieren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das in dieser Legislaturperiode dringend umzusetzende Präventionsgesetz.
Der Sozialraumbezug in der Gesundheitsförderung wurde bereits erwähnt. Mein Kollege Volker Blumentritt hat das Programm ?Soziale Stadt“ angesprochen. Wir stehen hierüber bereits mit dem Gesundheitsministerium im Gespräch, um innerhalb der einzelnen Altersstrukturen und Lebenswelten zu Verbesserungen zu kommen.
Ich will auf die Verantwortung der Wirtschaft zu sprechen kommen. Die Lebensmittelindustrie, die das Verhalten von Kindern und Familien durch Produktverkauf und Werbung prägt, steht selbstverständlich mit in der Verantwortung.
Richtig ist auch, dass Internet und Handy neben der klassischen Fernsehwerbung verstärkt für gezielte Produktwerbung genutzt werden. Es gibt mittlerweile kaum noch eine Verpackung, auf der nicht extra auf Kinderwebsites der Hersteller verwiesen wird. Kinder und Jugendliche sind eine sehr geschickt umworbene Zielgruppe. Hier beginnt der Kreislauf, über den wir sprechen: Wir können doch nicht einerseits über ungesunde Ernährung reden, über Kinder, die, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, vor dem PC oder dem Fernseher sitzen, und andererseits nichts tun, um sie vom Fernseher oder vom PC wegzuholen. Wir brauchen auch Werbeverbote.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir jetzt zustimmen würden, dass die Kollegin Gruß Gelegenheit zu einer Zwischenfrage erhält, nachdem vorhin aus objektiv unvermeidlichen Gründen dazu keine Gelegenheit mehr war.
Mechthild Rawert (SPD):
Gerne.
Miriam Gruß (FDP):
Vielen Dank. - Die ganze Zeit über ist hier die Rede von Kindern und Jugendlichen, davon, wie wichtig es ist, bei den Kleinsten anzufangen. Ich möchte dem Parlament eine Institution in Erinnerung rufen, die sich schon in den vergangenen Legislaturperioden ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat - in der vergangenen Legislaturperiode unter dem Vorsitz von Frau Noll und in dieser unter dem Vorsitz Ihrer Kollegin Frau Rupprecht -: die Kinderkommission.
Ich möchte Sie fragen, inwiefern die Erkenntnisse der Kinderkommission, die sich bereits seit Jahren - in den letzten Monaten sehr intensiv - mit dem Thema beschäftigt hat, Eingang in Ihre Pläne gefunden hat. Sie sagen immer wieder: Wir müssen Aktionen starten. Die Kinderkommission hat konkrete Forderungen gestellt. Wir haben alle Ministerien und Länder angeschrieben. Heraus kam lediglich eine Auflistung der Projekte. Ich frage Sie: Wie haben Sie die Arbeit der Kinderkommission integriert, oder wie planen Sie, diese Arbeit zu integrieren?
Mechthild Rawert (SPD):
Wir erachten die Kinderkommission für so wichtig, dass wir der Kinderkommission selbstverständlich einen sachgerechten Bericht geben wollten. Daher die Auflistung der Projekte. Das Gespräch wird fortgeführt.
Zurück zu den Werbebotschaften. Ich habe gesagt, dass Kinder und Jugendliche bei den Firmen eine heiß umworbene Zielgruppe sind; denn im Alter von drei bis fünf Jahren wird heute schon das Markenbewusstsein geprägt. Das heißt, die Werbung zielt auf die Neugierde der Kinder, ihre Vorliebe für Buntes und Süßes, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und ihr Freizeitverhalten. Um die Eltern zu überzeugen, das Produkt XY - ich will keines benennen - zu kaufen, wird gesagt: Hier ist zum Beispiel Milch drin. Suggeriert wird: Daher ist diese Süßigkeit gesund. - Das ist zum großen Teil Quatsch; denn häufig ist nur wenig Milch oder gar nur Milchextrakt enthalten. Das, was die Kinder zu sich nehmen, sind viele leere Kalorien und nicht ein gesundes Lebensmittel.
Aus diesem Grunde sind auch wir für die Kennzeichnungspflicht bei Lebensmitteln. Darüber müssen wir uns unterhalten. Immerhin sind wir im Rahmen der Umsetzung einer EU-Verordnung verpflichtet, eine nährwert- und gesundheitsbezogene Lebensmittelkennzeichnung vorzunehmen. Es geht um die Festlegung vonNährwertprofilen. In diesem Zusammenhang wollen wir die von Forschungsinstituten zusammengestellte Positivliste vorantreiben, sodass wir als Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit haben, sachgerecht abzugleichen: Glauben wir der Werbung, oder glauben wir der Wirklichkeit, dem, was wissenschaftlich geprüft ist, wenn wir unseren Kindern sagen, dass ein Lebensmittel gesund ist? Ich hoffe, wir vertrauen dem Sein und nicht dem Schein.
Ich möchte noch einmal zum Thema Prävention kommen; denn Prävention ist wichtig. Wir brauchen eine Präventionskultur. Prävention muss fest in Erziehung und Bildung verankert werden. Wir brauchen hierfür Strukturen, die Gesundheitsförderung und Prävention in den Bildungskanon aufnehmen. Wir brauchen ein Gegengewicht zu einer nicht in jedem Falle gesunden Umwelt.
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Prävention zu einer eigenständigen Säule der gesundheitlichen Versorgung ausgebaut werden soll. Das ist eigentlich eine logische Konsequenz des Memorandums von Badenweiler und unserer Eckpunkte und Erklärungen. Wir machen jetzt den nationalen Aktionsplan. Ich wiederhole: Ich persönlich bin der Meinung, wir sollten zeitgleich das Präventionsgesetz verabschieden. Denn es ist wahr: Viele kleine Schritte ergeben auch ein Großes; nichtsdestotrotz ist nach vielen kleinen Schritten natürlich auch ein großer gefragt.
Wir wollen auch die Präventionsforschung ausbauen. Denn diese ist für Erkenntnisse über den Zustand und der Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung unerlässliche Voraussetzung. Wir müssen herausfinden, warum es so ist, dass wir so viel über Gesundheit und gesundheitsförderndes Verhalten wissen, aber in vielen Bereichen nicht danach handeln.
Da kann jede und jeder, so wie wir hier im Saale sind, damit beginnen, sich an die eigene Nase fassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Detlef Parr (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ?Offensive der Regierung für Gesundheit - Kampf gegen Fettsucht“, hat die ?Welt am Sonntag“ aufgemacht - aber nicht am vergangenen Sonntag, sondern - man höre und staune! - am 23. Januar 2005. Vor über zwei Jahren also alarmierte die Bundesregierung die Öffentlichkeit mit der Meldung, dass die Krankenkassen mehr als 70 Milliarden Euro für die Behandlung ernährungsbedingter Erkrankungen aufbringen müssten; vor allem Kinder und Jugendliche bewegten sich zu wenig und äßen zu viel Fett und kohlenhydrathaltige Produkte; mit einem Präventionsgesetz wolle Ulla Schmidt dazu beitragen, den Lebensstil der Deutschen ihrem gesundheitlichen Wohl anzupassen.
In der Zwischenzeit hat das groß angekündigte Präventionsgesetz im Bundesrat Schiffbruch erlitten. Der Bundesregierung ist es, wenn man den Worten des SPD-Kollegen Blumentritt und der CDU-Kollegin Klöckner Glauben schenken darf, wohl so gut ergangen, dass sie all ihre Vorsätze vergessen hat und in Tiefschlaf verfallen ist; denn die beiden sprechen bezeichnenderweise von einem Wachrütteln. Wohl wahr!
Wir haben bereits im Januar 2005 mit 13 Forderungen, Prävention und Gesundheitsförderung als individuelle und gesamtgesellschaftliche Aufgabe voranzutreiben, versucht, die Bundesregierung aufzurütteln.
Sie haben das abgelehnt.
Zwei Monate später musste die Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zur Förderung von Ernährung und Bewegung Farbe bekennen. Die Antwort war dürftig.
Im Januar 2006 nahm die FDP-Fraktion die desaströsen Ergebnisse einer Schulsportstudie des Deutschen Sportbundes zum Anlass, bundesweit eine Wende an den deutschen Schulen zu fordern. Es gab also Anstöße genug, zu handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Doch mehr als zwei Jahre lang Fehlanzeige; das ist ein Armutszeugnis.
Plötzlich soll es ein nationaler Aktionsplan richten. Doch in dem Antrag der Koalitionsfraktionen wimmelt es nur so von Allgemeinplätzen. Nach den Erfahrungen der letzten Monate befürchten wir: Diese Koalition bleibt auch in diesen Fragen eine Koalition der Lippenbekenntnisse.
Herr Minister Seehofer, da hilft auch Ihr Plädoyer gegen Bevormundung des Einzelnen und gegen den Zwang des erhobenen Zeigefingers wenig. Solange Ihre Kollegin Ulla Schmidt an ihren Vorstellungen eines Präventionsgesetzes festhält und die Koalitionsfraktionen dies in ihrem Antrag sogar noch bekräftigen, werden Sie Ihr Ziel wieder nicht erreichen.
Dabei haben Sie richtig erkannt: Aktive Gesundheitsvorsorge ist primär eine individuelle Herausforderung, und die Stärkung der Kompetenzen des Einzelnen in Fragen seiner Ernährung und seiner Bewegung muss von Kindesbeinen an im Mittelpunkt aller Bemühungen von Bund, Ländern, Kommunen, Sozialversicherungen und Heilberufen stehen.
Aufklärung statt Gesetze, Anreize statt bürokratische Gängelung, Erziehung und Bildung statt Gebote und Verbote - über diese Wege können wir uns schnell verständigen. Ich fürchte nur, die Regulierer und Volksbeglücker in Ihren Reihen behalten weiter die Oberhand.
Sie sprechen zu Recht von der Notwendigkeit einer Balance zwischen Ernährung und Bewegung. Schade, dass die Bundesregierung auf unsere Frage nach einer Fortsetzung der Beteiligung an der Kampagne ?Sport tut Deutschland gut“ keine konkrete Planung vorlegen konnte. Schade auch, dass die Bundesregierung keine Initiativen zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur im Bereich der Sportanlagen im Köcher hat. Das wäre eine Grundvoraussetzung für mehr Bewegung in unserer Gesellschaft. Wer Bedarfe weckt, muss auch dafür sorgen, dass diese Bedarfe gedeckt werden. Ein goldener Plan für Gesamtdeutschland wäre die richtige Antwort darauf.
An dieser Stelle ein Lob an den Deutschen Fußball-Bund: Er steckt 12 Millionen Euro aus dem WM-Überschuss in den Bau von 1 000 Minispielfeldern gerade auch an Schulen in sozialen Brennpunkten mit einer hohen Zahl an Migranten.
Wir alle sind uns ja darin einig, dass wir uns zielgerichteter um die sozial Benachteiligten kümmern müssen. Sie sind durch bisherige Aufklärungskampagnen zu wenig oder gar nicht erreicht worden.
Wir kennen die spezifischen Risikogruppen, aber wir wissen viel zu wenig über die Ursachen besonders von kindlichem Übergewicht. Neben falscher Ernährung und Bewegungsmangel bedingen sich Faktoren wie Medienkonsum, niedriger sozioökonomischer Status oder Migrationshintergrund gegenseitig. Auch genetische und stoffwechselbedingte Faktoren sollten nicht außer Acht gelassen werden. Ein offensichtlich multikausales Problem kann nicht durch Einzelmaßnahmen gelöst werden.
Es bedarf dringend weiterer Forschung und der sorgfältigen Evaluierung bereits bestehender Angebote, um ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln und auf den Einzelnen dann auch anwendbar zu machen.
Ein nationaler Aktionsplan - das ist ein großes Wort. Herr Minister, es darf aber nicht wieder nur planmäßigen Aktionismus geben, wie Sie es bezogen auf die vergangenen Initiativen im Gespräch mit der ?Süddeutschen Zeitung“ freimütig zugegeben haben. Die Probleme sind zu ernst, als dass man sie zu einem kurzfristigen politischen Spiel missbrauchen kann.
Der Deutsche Olympische Sportbund begrüßt die Initiative der Bundesregierung als klares Signal. Die FDP erwartet aber, dass diesmal mehr als nur kräftige Trompetenstöße als Ergebnis herauskommen. Das wird Ihnen gelingen, wenn Sie sich lieber spät als gar nicht an den Vorschlägen der FDP-Fraktion orientieren.
Herr Präsident, lassen Sie mich noch einen Satz an die Kollegin Heinen anfügen. Sie haben mit Vehemenz deutlich gemacht, dass die Mehrheit dieses Hauses, die Koalitionsfraktionen, die Steuerbefreiung für die Schulspeisungen durchsetzen will. Kollegin Heinen, in Ihrem Antrag ist lediglich von einem Prüfauftrag die Rede.
Es soll geprüft werden, ob das zu einem attraktiven Preis realisiert werden kann.
Bleiben Sie in der Diskussion also bitte bei den Tatsachen, die Sie in Ihrem eigenen Antrag niedergeschrieben haben!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines sollten wir hier an dieser Stelle auch einmal festhalten: Es geht nicht um eine Stigmatisierung oder um eine Hetzjagd auf dicke Menschen, auf Menschen, die übergewichtig und adipös sind. Es geht nicht um ein Schönheitsideal, also nicht darum, dass der Staat vorschreiben sollte, welchen Körperumfang und welche Körpermaße wir brauchen. Es geht auch nicht darum, irgendeinem Wahn hinterherzulaufen.
Uns geht es letztendlich um Hilfe. Dort, wo der Staat Einfluss hat, muss er auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Menschen die Hilfe bekommen, um in höherer Lebensqualität leben zu können und weiterhin Spaß am Essen zu haben; denn Essen und Bewegung können auch Freude bereiten.
Ich schaue mir die Opposition an
- sie ist voller Freude - und stelle fest, dass das, was gesagt wurde, nicht gerade von Freude getragen wurde. Man bekommt fast Angst und Beklemmungen - dabei schaue ich auch zu den Grünen -,
wenn man anspruchsvoll über Essen und Genuss redet, was uns sehr wichtig ist.
Liebe Frau Künast, zum Thema Diskriminierung: Sie haben davon gesprochen, dass wir Menschen diskriminieren würden, und haben uns die ?Bild“-Zeitung gezeigt.
- Darin haben wir Ihnen auch zugestimmt.
Was die Diskriminierung angeht, erinnere ich mich an ein Buch mit dem Titel ?Die dicken Kinder“ aus Ihrer Regierungszeit.
- Ja, das war der Untertitel.
Das Buch hieß ?Die dicken Kinder“, und Ihr Konterfei zierte das Titelblatt. Wie passt das zusammen? Das war eine Imagegeschichte Ihrerseits. Sie galten als Mutter Teresa der dicken Kinder. Das war eindeutig eine Stigmatisierung dicker Menschen bzw. Kinder.
Damals hat die Mutter einer magersüchtigen Tochter wegen dieser Kampagne meine Sprechstunde besucht. Wenn die Diskussion nur in die Richtung verläuft, gegen Dicke vorzugehen, dann tun wir den Menschen nichts Gutes. Es geht vielmehr um Einsicht, Wohlgefühl und Gesundheit. Das ist für uns entscheidend.
Gesundheitsprobleme übergewichtiger Kinder sind auch kein statistisches Problem. Ob wir bei 42 Prozent, 30 Prozent oder 20 Prozent liegen, ist nicht entscheidend; selbst 15 Prozent sind zu viel. Es geht letztlich darum, wie wir Prävention betreiben können; das hat Minister Seehofer zu Recht festgestellt. Wir sollten uns nicht an irgendwelche Zahlen klammern; denn letztlich erreicht die individuelle Betroffenheit ein riesiges Ausmaß, und die ernährungsbedingten Krankheiten und Folgekosten - auch das wurde bereits angesprochen - betreffen uns alle.
Eines gilt es zu verhindern - ich war sehr erschrocken, als ich davon erfahren habe -: In Großbritannien haben die Ärztekammer und die Gesundheitsbehörde erstmals den Ärzten geraten, bei übergewichtigen Kindern - nicht bei Erwachsenen - eine Magenverkleinerung vorzunehmen. Das kann nicht die Antwort sein. Unsere Antwort in Deutschland lautet nicht: Ampelkennzeichnung und, wenn diese nicht funktioniert, Magenverkleinerung. Wir - der Minister wie auch die CDU/CSU-Fraktion - setzen vielmehr auf Einsicht und auf Orientierung statt Regulierung. Es geht darum, die Menschen dort abholen, wo sie sind, und letztlich auch um ein Bekenntnis zu dem, was unsere Felder und Produkte zu den Nahrungsmitteln beitragen. Sie sind nämlich nicht per se schlecht.
Wir möchten als CDU/CSU-Fraktion auf etwas hinweisen, was Sie in Ihrer Regierungszeit leider verpasst haben, Frau Künast. Erstens ist Fehlernährung ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht nur etwas mit Kindern, sondern auch mit Erwachsenen zu tun hat. Kinder werden nämlich bei Erwachsenen groß und lernen in diesem Umfeld.
Zweitens hat Fehlernährung nicht nur etwas mit Übergewichtigen zu tun, sondern auch mit Mangelernährten; denn ein Snickers und eine Cola sind auch für diejenigen, die nicht übergewichtig sind, kein ausgewogenes Frühstück.
Drittens stellen Mädchen im Alter zwischen neun und 14 Jahren die Altersgruppe dar, in der Diäten am häufigsten sind. In diesem Alter haben Kinder ihre Entwicklung aber noch nicht abgeschlossen. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass Hochglanzmagazine und Modelshows das Verfolgen von Schönheitsidealen durch Heranwachsende, die selbst noch nicht richtig gefestigt sind, fördern. Die Schere zwischen den Übergewichtigen und den Magersüchtigen öffnet sich. Wenn wir den Fehler machen, uns nur auf dicke Kinder zu konzentrieren, dann verlieren wir diejenigen aus den Augen, die auch unter Problemen leiden und ein gestörtes Verhältnis zum Essen haben. Wir aus der CDU/CSU-Fraktion streben wieder einen ordentlichen Umgang mit Ernährung und Lebensmitteln an, und zwar nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis.
Frau Künast, Sie haben damals mit Ihrer Imagekampagne sehr viel Wind gemacht.
Respekt, das hat damals gut geklappt, auch wenn das Buch - das ist nicht verwunderlich - kein Bestseller war. Die Kinder wurden aber dadurch nicht dünner.
Ich möchte noch etwas festhalten. Liebe Frau Künast, Sie haben eben ein Werbeverbot und eine Ampelkennzeichnung gefordert; außerdem soll die Industrie mit ins Boot genommen werden. Sie waren vor nicht allzu langer Zeit Ernährungsministerin - wir sind erleichtert, dass sich das inzwischen geändert hat - und hätten in diesem Amt all das tun können, was Sie heute gefordert haben. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass ein entsprechender Gesetzentwurf zur Abstimmung vorgelegt wurde. Jetzt stellen Sie diese Forderungen aus der Opposition heraus und führen das Argument an, dass der Bundesrat Ihnen seinerzeit nicht folgen wollte. Dabei haben Sie es nicht einmal versucht.
Frau Künast möchte nachfragen und etwas klarstellen?
Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU):
Offenkundig wollen Sie das auch zulassen. Damit haben wir eine übersichtliche Gefechtslage. Bitte schön, Frau Künast.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Klöckner, da Sie mich immer wieder so liebevoll angesprochen und darauf hingewiesen haben, was ich Ihres Erachtens versäumt habe, muss ich eine Frage stellen. Wissen Sie, dass es Ihre Fraktion war, die gegen unsere Aktivitäten im Zusammenhang mit der Health-Claims-Verordnung in Brüssel, bei der es um gesundheitsbezogene Werbung geht und die eine Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln vorsieht - das wäre auf nationaler Ebene nicht zu machen -, massiv gekämpft hat? Können Sie mir nachsehen, wenn ich sage, dass wir es, wenn Sie es nicht bekämpft hätten, früher durchgesetzt und in Europa eine Rechtsgrundlage gehabt hätten? So wurde erst nach meiner Amtszeit die Rechtsgrundlage in der Amtszeit des Bundesministers Seehofer geschaffen. Frau Klöckner, Sie haben nun die Möglichkeit, zusammen mit Ihrem Minister Seehofer diese wunderbare Idee umzusetzen. Ich muss Ihnen das sagen, da Sie sich offensichtlich nicht mehr daran erinnern können, gegen welche meiner Aktivitäten Sie damals mit Verve gekämpft haben.
Julia Klöckner (CDU/CSU):
Liebe Frau Künast, ich möchte die Gegenfrage stellen, ob Sie mitbekommen haben, dass wir, die CDU/CSU-Fraktion, gegen eine Ampelkennzeichnung sind, und zwar zu Recht.
Denn dieses Schwarz-Weiß-Denken - Grün ist gut, Rot ist schlecht; das meine ich nicht politisch - bedeutete, dass der Bürger gar nicht mehr denken müsste. Wer glaubt, dass er sich ausgewogen ernährt, wenn er nur noch Produkte mit grünen Punkten, zum Beispiel Äpfel, in seinem Warenkorb hat, liegt falsch.
Eine solche Kennzeichnung ist doch total verwirrend. Warum fährt denn die Lebensmittelkette Tesco in Großbritannien - Frau Heinen hat es vorhin angesprochen - just dieses Prinzip wieder zurück? Sie hat erkannt, dass es die Menschen verwirrt; denn Butter wird immer einen roten Punkt haben. Verderben Sie den Menschen doch nicht die Lust an der Vielfalt, sondern befähigen Sie sie dazu, einen ordentlichen Lebensstil zu erlernen und auszuprägen!
Liebe Frau Künast, wir sind nicht für Ernährungsdiktate, Gängeln und Verbieten, sondern setzen auf Einsicht. Wir müssen die Eltern befähigen. Die Familien sind wichtig. Es kann nicht sein, dass nun nach dem Staat und Herrn Seehofer gerufen wird, wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht nachkommen und ihre Kinder ohne Frühstück oder mit einem Schokoriegel in die Schule schicken. Wir brauchen hier als Unterstützung Ernährungslehrer. Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, der auf Einsicht, aber auch auf das spielerische Erlernen setzt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Rahmenbedingungen an den Schulen. Wir sind uns mit unserem Koalitionspartner absolut einig, dass die Rahmenbedingungen an den Schulen, insbesondere die Qualität der Mittagsverpflegung, verbessert werden müssen. Was können denn die Kinder dafür, wenn ihnen in Kiosken nur Schokoriegel und süße Brause angeboten werden? Hier müssen wir beginnen. Wir dürfen nicht mit irgendwelchen Kennzeichnungen Menschen reglementieren, sondern müssen auf Einsicht setzen.
Zu einem Werbeverbot im Fernsehen. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Wenn wissenschaftlich erwiesen wäre, dass ein Werbeverbot im Fernsehen dazu führte, dass die Kinder nicht dicker würden, sondern abnähmen, dann wäre ich auf Ihrer Seite.
Aber in Schweden, wo die Werbung komplett verboten ist, hat sich der Anteil übergewichtiger Kinder in den letzten im Schnitt verdreifacht. In Kanada haben wir das gleiche Phänomen. Die Kinder haben dort, wo es Werbeverbote gibt, nicht abgenommen, sondern weiter zugenommen. Es ist falsch, eine Placebopolitik zu betreiben. Uns ist es ein ernsthaftes Anliegen, das von uns definierte Ziel zu erreichen, dass Menschen gesünder und ausgewogener leben. Es wäre sicherlich eine Schlagzeile wert, wenn wir heute auf Initiative von Herrn Seehofer eine Ampelkennzeichnung und ein Werbeverbot beschließen würden. Aber wir stünden in vier Jahren wieder hier und stellten fest: Wir haben die Menschen nicht erreicht, weil es nicht in den Köpfen angekommen ist.
Das ist unsere verantwortungsvolle Aufgabe.
Die CDU/CSU-Fraktion hat einen ganz anderen Ansatz. Sie setzt auf eine Stärkung bestimmter gesellschaftlicher Kräfte, seien es die Landfrauen oder seien es andere Organisationen wie Elterninitiativen in meinem Wahlkreis Bad Kreuznach. Sie bieten Kurse an, in denen man spielerisch das Kochen erlernen kann. Herr Lafer, ein Koch, der sicherlich allen bekannt ist, hat mir Folgendes erzählt: Er kocht mittags an Schulen in meinem Wahlkreis und bietet ein Essen an. Die Hälfte der Kinder hat die Tomatensoße zurückgehen lassen, weil sie nicht schmeckte und weil dort Stückchen drin seien. Es waren Tomatenstückchen. Dass eine Tomatensoße aus Tomaten gemacht wird, ist für uns sicherlich einsehbar und eine ganz normale Erkenntnis.
Das Ernährungswissen in Deutschland, auch der Bezug zu Nahrungsmitteln, den Mitteln, von denen wir leben, ist sehr schlecht ausgeprägt. Es darf uns nicht wundern, dass Menschen eher den Preis einer Musik-CD kennen, aber nicht wissen, dass es Fleisch unter einem Euro eigentlich gar nicht geben könnte. Die Wertschätzung der Produktion in Deutschland, der regionalen Produktion, auch der Landwirtinnen und Landwirte gehört ebenfalls in diese Gesamtstrategie.
Wir fordern die Regierung auf, lieber Herr Seehofer - auch Ihre Kolleginnen und Kollegen; Frau Schmidt ist ebenfalls da -, hier tätig zu werden. Ich begrüße sehr, dass Herr Seehofer - im Gegensatz zu Frau Künast - Frau Schmidt mit ins Boot geholt hat und sie sich abstimmen. Ich wünsche mir auch, dass das Innenministerium, das für Sport zuständig ist, und das Bildungsministerium, das für die Bildung und die Ausbildung unserer Menschen in Deutschland zuständig ist,
sich zusammensetzen und die Projekte, für die wir Mittel zur Verfügung stellen können, bündeln.
Eine weitere Aufgabe wird auch eine große Herausforderung sein - dabei schaue ich auch zu den Kolleginnen und Kollegen der Opposition -: Wir haben uns auf eine Anhörung demnächst in unserem Ausschuss geeinigt.
- Wir haben sie nicht verhindert. Wir haben zugestimmt.
- Lieber Herr Kollege Goldmann, für eine Anhörung zu sein, ist das eine. Aber auch darüber reden zu wollen, was der Inhalt ist und dass der Inhalt sinnvoll ist, ist das andere. Ihr seid für das Formale zuständig. Wir sind für das Inhaltliche zuständig. Das ist gut so.
Bei dieser inhaltlichen Schwerpunktsetzung geht es uns darum, die europäische Ebene, die Bundesebene, die Landesebene und die kommunale Ebene trotz föderalistischer Probleme so zusammenzubringen, dass wir wirklich nachhaltig eine Volksbewegung für bessere Ernährung und mehr Bewegung bekommen, damit wir nach Churchill sagen können: Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.
Wir möchten den Menschen helfen und ihnen die Rahmenbedingungen geben, sie nicht gängeln, sondern ihnen Spaß und Freude am Leben vermitteln. Das ist das Ziel der CDU/CSU-Fraktion.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ein nationaler Aktionsplan steht an. Viele - wir haben es heute gehört - sind euphorisch. Ich bin eher skeptisch. Warum? Was hier vorliegt, ist eher Aktionismus denn eine Strategie; das sage ich klipp und klar.
So richtig es ist, für die Beförderung einer gesunden Lebensweise alle einzubeziehen - alle Ministerien, Bund und Länder, die Medien, die Wissenschaft, die Wirtschaft, das Gesundheitswesen, den Sport, die Sozialversicherungen - : Der Knackpunkt ist, mit welcher Zielstellung miteinander verhandelt und diskutiert wird.
An dem Ansatz der Regierung gibt es aus meiner Sicht drei wesentliche Kritikpunkte. Erstens. Sie wollen ein Bewusstsein für gesunde Ernährung und Bewegung ausprägen. Frage: Wie ernst nehmen Sie eigentlich das, was bisher geschah? Unzählige Experten und Akteure haben seit dem Jahr 2000 über Gesundheitsziele für Deutschland beraten. Eindeutig identifiziert ist, dass die Ziele ?gesunde Ernährung“, ?mehr Bewegung“ und ?Stressabbau“ komplex angegangen werden müssen, um chronische Krankheiten zu vermeiden und Wohlbefinden zu befördern.
Die WHO hat im letzten Jahr die seelische Gesundheit als die neue Herausforderung identifiziert. Sie schätzt ein, dass die psychischen Erkrankungen im Jahr 2020 die am häufigsten auftretende Krankheit sein werden. Ja, die EU hat ein Grünbuch vorgelegt und einen Beschluss zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung gefasst. Warum müssen wir immer hinterher trappeln, statt eigene strategische Empfehlungen und Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation für einen Neuansatz abzuleiten, wenn es tatsächlich um einen nationalen Aktionsplan gehen soll?
Der zweite Kritikpunkt. Erfahrungen belegen - wir fangen weiß Gott nicht bei null an -, und wissenschaftliche Erkenntnisse besagen: Aufklärung, Information und Programme sind nicht ausreichend, um Verhalten dauerhaft zu verändern, wenn gesellschaftliche Verhältnisse nicht ebenfalls verändert, wenn nicht die Ursachen der Gesundheitsrisiken angegangen werden. Ihre Papiere strotzen nur so davon, die Eigenverantwortung in den Mittelpunkt zu schieben und staatliche Verantwortung allenfalls auf Aufklärung und die berühmt-berüchtigten Rahmenbedingungen zu reduzieren. Ich sage: Der Wille bei den Einzelnen, bei den Akteuren ist da; nur die Bedingungen sind nicht so, um ihn zu realisieren.
Beispiele: Kindern, die unter den Bedingungen von Hartz IV leben, stehen pro Tag rund 98 Cent für die Ernährung am Mittag zur Verfügung. Wer kann da eine gesunde Ernährung gewährleisten? In den Schulen werden im Durchschnitt 2,40 Euro ausgegeben. Diese Forderung gilt nicht nur in einem Bundesland, sondern überall: Hier muss subventioniert werden, um eine unentgeltliche Schulspeisung zu ermöglichen.
Das Bundesland, aus dem ich komme, Mecklenburg-Vorpommern, setzt an, Ernährung für Gesundheit in Reha- und Pflegeeinrichtungen zu organisieren, aber die Pflegekostensätze lassen nur Masseneinkäufe zu.
Mit der Novellierung der Pflegeversicherung hat die Politik seit Jahren versagt, auch so etwas zu ermöglichen.
Sie fordern Konzepte und appellieren an die Sportvereine. Sie kennen die finanzielle Ausstattung. Wie soll dort etwas Neues geschehen? Es sollen Fahrradwege ausgebaut werden, aber wir kennen die finanzielle Ausstattung der Kommunen. Ich denke, hier wird viel zu kurz gegriffen.
Die dritte Kritik. Es fehlt an Konkretheit. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Eckpunktepapier ist sehr unkonkret. Das Memorandum der Konferenz von Februar in Badenweiler, auf der ganz Konkretes vereinbart wurde, wäre eine gute Grundlage gewesen. Darin steht, bis 2010 sollten folgende Ziele erreicht werden: 10 Prozent mehr Menschen sollen eine halbe Stunde täglich körperlich aktiv sein, 20 Prozent mehr Menschen sollen täglich fünf Portionen Obst und Gemüse essen, 30 Prozent mehr Einrichtungen mit Gemeinschaftsverpflegung sollen gesunde Mahlzeiten anbieten. Dann könnte der Trend umgekehrt werden. Was findet sich im Eckpunktepapier? Ich zitiere:
Zentrales Ziel ist es, bis 2020:
… das Ernährungs- und Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern, ...
?Nachhaltig“, allgemeiner geht es nicht.
Die fehlende Konkretheit beziehe ich auch darauf, dass jegliche Aussage zum Präventionsgesetz fehlt.
Ich hatte gehofft, dass die Ministerin hier heute etwas ergänzt.
- Ihr Antrag ist eine löbliche Ausnahme. Aber man sieht, wie die CDU/CSU applaudiert, nämlich gar nicht.
Welchen Platz soll das Präventionsgesetz in dem Aktionsplan einnehmen? Ich hoffe, dass es nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird. Oder soll der Aktionsplan vielleicht eine Beerdigung erster Klasse für das Präventionsgesetz werden? Fragen bleiben. Wir hören nichts von der zuständigen Ministerin. Wir müssen von dem Aktionismus wegkommen. Wir müssen uns darüber klar sein: Wenn Prävention wirklich Priorität haben soll, dann kostet das etliches an Geld. Aber wir sparen Kosten und mindern Leid. Das ist wirklich zugunsten des Wohlbefindens derer, für die wir hier eigentlich Politik machen.
Ich danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Drobinski-Weiß ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Die Dicken sind längst als Thema in den Medien angekommen; das ist uns heute Morgen in einem Blatt gezeigt worden. Mehrfach wöchentlich flimmern sogenannte Dokusoaps über den Bildschirm, bei denen man sich zu Hause vor dem Fernseher bei Chips und Cola mit wohligem Gruseln anschauen kann, wie eine von Ernährungsnannys und Kamerateams heimgesuchte Familie ihre übergewichtigen Kinder mit falschem Essen krankfüttert.
In einer Sendung namens ?Liebling, wir bringen die Kinder um!“ wird das Ganze gekrönt durch eine Computersimulation aus der Kriminalistik, mit der den Eltern anhand einer Fotobearbeitung die Mutation ihrer Moppelchen zu Monstern als Horrorszenario vorgeführt wird. Eine weitere Simulation zeigt dann, dass aus denselben Moppelchen auch Models werden können, wenn sie sich an die Essenstipps der Ernährungsnannys halten.
Weitere Sendungen laufen unter Titeln wie ?Du bist, was du isst“, ?Besser essen. Leben leicht gemacht“, ?Schwer in Ordnung! - Kinder specken ab“ oder ?Dicke Freundinnen. Kampf gegen Kilos“. Das sind nur ein paar Beispiele. Einige dieser Sendungen geben sicherlich wertvolle Tipps und setzen nicht auf den Sensationseffekt. Aber nicht immer wird mit den Betroffenen verantwortungsvoll umgegangen; denn: Je reißerischer aufgemacht, desto höher die Einschaltquoten.
?Die Zeit“ berichtete im letzten Jahr darüber, dass Kinderärzte immer häufiger Medienanfragen erhalten, ob sie aus ihrer Praxis nicht ein paar ?extrafette Exemplare“ zum Interview vermitteln könnten. Das zeigt die zwei Seiten der Medaille: So hilfreich es sein kann, wenn die Medien sich des Themas annehmen - und damit auch Kreise erreichen, die auf anderen Wegen schwer erreichbar sind -, so gefährlich ist es auch; denn im Kampf um Einschaltquoten kann die Auseinandersetzung mit einem ernsthaften Problem zur Effekthascherei auf Kosten der Betroffenen verkommen. Der Kampf gegen Übergewicht und Bewegungsmangel ist eben keine Dokusoap, sondern eine politische und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Seit September 2006 liegt uns mit der vom Robert-Koch-Insititut veröffentlichten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie, abgekürzt KiGGS, erstmals eine bundesweit repräsentative umfassende Untersuchung vor. Das erschreckende Ergebnis: 15 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen sind übergewichtig, ein Drittel davon bereits krankhaft. Mit Übergewicht und Bewegungsmangel steigen die Gesundheitsrisiken. Jedes zweite stark übergewichtige Kind hat bereits eine Folgeerkrankung wie Bluthochdruck, Gefäßerkrankungen, Vorstufen des Diabetes oder orthopädische Erkrankungen. Ohne Gegenmaßnahmen könnten aus dicken Kindern von heute die Frührentner von morgen werden.
Neben den enormen Kosten, die diese Entwicklung für ein Gesundheitssystem hat, dürfen wir auch nicht vergessen, dass hinter solchen Zahlen Leidensgeschichten einzelner Menschen stehen - verschiedene Kolleginnen und Kollegen haben dazu bereits Beispiele genannt -: körperliche Beschwerden und Einschränkungen und insbesondere bei Kindern und Jugendlichen Hänselei und Ausgrenzung. Neben den körperlichen sind auch die psychosozialen Belastungen groß.
Hauptrisikofaktoren für Übergewicht sind unter anderem ein niedriger sozialer Status und ein niedriges Bildungsniveau. Dabei ist gesundes Essen nicht teurer als ungesundes. Hier muss die Aufklärung einsetzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Kinder aus sozial schwachen Strukturen in dieser Gesellschaft als ?arm, dumm und dick“ keine Chance auf eine bessere Zukunft haben.
Die Deutschen sind die Dicksten in Europa. Wir legen heute einen Maßnahmenkatalog vor, mit dem dieser Entwicklung gegengesteuert werden soll. Wir begrüßen den von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer vorgelegten Aktionsplan.
Diese im wahrsten Sinne des Wortes ?schwerwiegende“ Aufgabe muss alle gesellschaftlichen Kräfte einbeziehen. Natürlich liegt die Verantwortung in erster Linie bei den Eltern. Aber auch die Wirtschaft muss mitziehen. Das Überangebot an Snacks, Fast Food, Süßigkeiten und Getränken, die überall und zu jeder Tageszeit verfügbar sind, häufig in XXL-Größen, verschärft die Problematik. Ich appelliere an die Lebensmittelhersteller, insbesondere bei Produkten, die häufig von Kindern gegessen und getrunken werden, also bei Säften, bei Keksen und bei Snacks, Zucker und Fett zu reduzieren und auf Geschmacksverstärker, die den Appetit anregen und Heißhungerattacken auslösen, zu verzichten.
Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Auch über ein Verbot von auf Kinder ausgerichteter Werbung muss nachgedacht werden dürfen, ebenso über eine Nährwertkennzeichnung, die Verbrauchern, die sich ausgewogen ernähren wollen, die Auswahl der Produkte erleichtert.
Nach meiner Meinung sollte ein ungesundes Essverhalten auch in finanzieller Hinsicht unattraktiver gestaltet werden. Wie ist zu rechtfertigen, dass Süßwaren und Knabberartikel mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 Prozent besteuert werden, während Mineralwasser dem vollen Umsatzsteuersatz unterliegt? Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Umsatzsteuer nach dem Mehrwertsteuersystem zum 1. Januar 1968 entschieden, dass fast alle Nahrungsmittel - ausgenommen sind die meisten Getränke - aus sozialpolitischen Erwägungen mit dem ermäßigten Satz besteuert werden. Solche sozialpolitischen Erwägungen können heute gute Gründe dafür sein, ungesunde Nahrungsmittel in finanzieller Hinsicht unattraktiver und gesunde dafür attraktiver zu machen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Aktionsplan der Bundesregierung und mit unserem Maßnahmenkatalog haben wir einen großen Schritt getan, weitere werden folgen. Dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Ulrike Höfken, Bündnis 90/Die Grünen.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ziele, die Sie formuliert haben, sind richtig. Es ist auch schön, dass das, was Rot-Grün angefangen hat, von Ihnen fortgesetzt wird. Frau Künast hat einige Punkte angesprochen: die Modellprojekte, die Informations- und Aufklärungskampagne, die Health-Claims-Verordnung der EU und die Plattform Ernährung und Bewegung. Diese Bemühungen führen Sie fort. Aber Ihr sogenannter Aktionsplan ist nichts anderes als eine Absichtserklärung und ein Vertagungsprogramm. Sie verhalten sich ähnlich wie beim Thema Ausbau der Kinderkrippenplätze.
Das ist nach anderthalb Jahren erwartungsvollen Wartens ein bisschen wenig. So können Sie sich nicht aus Ihrer Verantwortung ziehen. Immer, wenn es konkret wird, sitzen die Regierung und die Koalitionsfraktionen unter dem Tisch.
Ich finde, es ist nicht in Ordnung, wenn der Minister nur darauf hinweist, dass es in dieser Frage keine Bevormundung und keinen erhobenen Zeigefinger geben dürfe. Es handelt sich nämlich um einen sogenannten asymmetrischen Markt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Eltern und Kinder mit Werbemitteln regelrecht beknallt werden und dass die Kinder in den Schulen vor Automaten hängen, die mit Zuckergetränken und Süßigkeiten gefüllt sind. Wir müssen gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, um das zu ändern.
Die Situation ist für uns alle nicht neu: Es gibt Zehnjährige mit Altersdiabetes, Fünfjährige mit Herzinfarkt, Kinder, die bei den Schuleingangsuntersuchungen nicht mehr rückwärts gehen oder auf einem Bein stehen können, 18-Jährige, deren Muskelskeletterkrankungen schon so weit fortgeschritten sind, dass sie erwerbsunfähig sind, bevor sie überhaupt ins Berufsleben starten könnten. Hier müssen wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Dazu bedarf es konkreter Maßnahmen, die wir in Ihrem sogenannten Aktionsprogramm allerdings vermissen.
Viel von dem, was die Wirtschaft bisher geleistet hat, ist gut. Es gibt Unternehmen, die sich sehr stark engagieren und sogar ihre Produktpalette und ihr Angebot verändert haben. Es gibt aber auch viele Unternehmen, die genau das Gegenteil tun. Daher ist eine unterstützende Rahmenpolitik des Gesetzgebers schlicht und ergreifend notwendig. Wir sind schließlich keine Unternehmensberatung.
Sie haben fünf Handlungsfelder dargestellt. Frau Bunge hat dargelegt, dass die konkrete Ausgestaltung fehlt. Wir wollen Folgendes: Erstens. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern dafür sorgen - die Mehrheit auf allen Ebenen haben Sie da -, dass die Schulverpflegung verbindlich geregelt wird. Es kann doch wirklich nicht sein, dass die meisten Kinder und Jugendlichen, die nachmittags Unterricht haben, jeden Tag acht Stunden lang kein vernünftiges Ernährungsangebot bekommen.
Das ist doch regelrecht ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen.
Zweitens: verbindliche Standards. Der Minister hat das erwähnt, sagt aber nicht, wie das gemacht werden soll. Richtig ist auf jeden Fall: Wir brauchen Qualitätsstandards, damit den Kindern nicht etwas angeboten wird, was sich bloß als eingeschweißte Pappe herausstellt.
Drittens: die Automaten. Es kann nicht sein, dass sich Schutzbedürftige einem Angebot ausgesetzt sehen, das ihnen nur Produkte liefert, die ihnen nicht zuträglich sind. Es ist schon erwähnt worden: Gut ist zum Beispiel Mineralwasser. Gesündere Produkte gibt es also durchaus. Es muss nur dafür gesorgt werden, dass sie auch angeboten werden.
Viertens: noch einmal zur Kennzeichnung. Sie sagen, Sie wollten Orientierung geben. Das sagte auch Frau Klöckner. Aber im Grunde machen Sie das Gegenteil. Ein bisschen wie beim Verbraucherinformationsgesetz betreiben Sie nämlich Informationsverschleierung. Das geht nicht.
Sie haben Frau Künast wohl falsch verstanden. Ich habe die Tüte von Frau Künast mitgebracht.
Hierauf werden sehr differenziert fünf Kriterien dargestellt. Das ist eine Information, aber leicht verständlich.
Man kann doch nicht immer den Taschenrechner mitschleppen, oder man muss doch nicht Ernährungswissenschaft studiert haben, um eine Orientierung zu erhalten. Gerade für Leute, die keine Zeit haben, oder auch für Leute aus bildungsferneren Schichten ist es wichtig, ein solch einfaches Angebot zu haben.
Fünftens. Wir fordern in unserem Antrag ein 20-Millionen-Programm für sozial Schwache, für die Unterstützung derjenigen, die am meisten unter diesen Fehlentwicklungen leiden, die nun schon seit einigen Jahren anhalten. Ich denke, das muss eine Zielgruppe sein. Wir müssen die, die am unteren sozialen Rand sind, wirklich unterstützen.
Sechstens: Prävention. Der Antrag von CDU/CSU und SPD ist voll von dem Wort ?Prävention“. Sie sagen aber gar nichts zum Thema ?Präventionsgesetz“.
Das ist doch wohl die Aufgabe des Gesetzgebers. Also, bitte schön, dann nennen Sie auch wirklich die konkreten Punkte.
Siebtens: der Sport. Wichtig ist es, Breitensport zu verankern und dafür zu sorgen, dass er in den Unterrichtsinhalten stärker zum Tragen kommt.
Achtens: die Landwirtschaft. Wir brauchen natürlich Produkte, die eine gesunde Ernährung ermöglichen. Die Lage, gerade was die Produktion von ökologischen Lebensmitteln betrifft, ist durch das Handeln der Bundesregierung traurig.
Qualität und verbraucherorientierte Produktion: Da haben Sie den Landwirten massenweise Geld gestrichen. Der Landwirtschaft ist noch nie so viel Geld für die Qualitätsproduktion weggenommen worden wie unter dieser Regierung. Man muss wirklich sagen: Dann machen Sie auch bei der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte die Qualitätsoffensive mit, zu der die Landwirtschaft selber in der Lage ist.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Frau Höfken, kommen Sie bitte Schluss.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Noch kurz zum Geschenkpaket des Deutschen Bauernverbandes: Darin war Müllermilch - ein Produkt mit Orangen, massenhaft Zusatzstoffen, süß. Wenn das das Beispiel für die deutsche Landwirtschaft sein soll, dann muss man sich über die Vertretung Gedanken machen.
Vielen Dank.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Das Wort hat die Kollegin Uda Heller, CDU/CSU-Fraktion.
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! Was, glauben Sie, wünschen sich die Deutschen in Meinungsumfragen am häufigsten? Richtig: Gesundheit steht immer an erster Stelle. Wir beschäftigen uns heute nicht mit dem Kampf gegen Fett, sondern mit dem Thema Gesundheit.
Leider legt die medizinische Wissenschaft den Schwerpunkt auf die Behandlung der Krankheiten. Die Erforschung der Krankheitsursachen tritt in den Hintergrund. Bei der Betrachtung aller Krankheitsauslöser können wir die Krankheiten im Wesentlichen in drei große Gruppen einteilen: in die ernährungsbedingten, die durch Lebensumstände bedingten sowie die umweltbedingten Krankheiten.
Moderne Ernährungsforschung hat nachgewiesen, dass durch falsche Ernährung der größte Teil aller Krankheiten hervorgerufen wird. Gebissverfall, Erkrankungen des Bewegungsapparates, Stoffwechselstörungen wie Fettsucht und Zuckerkrankheit, die meisten Erkrankungen der Verdauungsorgane, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die meisten Allergien und natürlich auch die Entstehung von Krebs sind auf Fehlernährung zurückzuführen. Atem- und Schlafstörungen werden ebenfalls durch Übergewicht begünstigt.
Meine Damen und Herren, gesunde Ernährung und ausreichende Bewegung sind nicht nur Dauerthemen in Lifestyle-Magazinen wie ?Fit For Fun“, sondern beherrschen mittlerweile die Titelserien der Nachrichtenmagazine wie ?Stern“ und ?Focus“. Interessant ist die Feststellung, dass mehr Zeitschriften verkauft werden, wenn das Thema Diät auf der Titelseite steht. Frauenzeitschriften werben mit Wunderdiäten und -pillen, die über Nacht das Gewicht reduzieren sollen.
Minimaler Aufwand, maximaler Erfolg - das ist sicherlich der Wunsch von uns allen. Ich gebe zu, dass auch ich schon diese Erfahrung gemacht habe und meinen Kleiderschrank mit Kleidungsstücken der Größen 38 bis 42 bestücke. In der Theorie ist alles klar; während meines Studiums war Lebensmittel- und Ernährungslehre mein Lieblingsfach. Doch wie sieht es oft in der Praxis aus? Gestern Abend sah ich einen Herrn von Foodwatch im Fernsehen, der der Meinung war, die Politik mache es sich sehr einfach, indem sie an die Eigenverantwortung der Bevölkerung appelliere, statt die Schuldigen der Lebensmittelindustrie in Haftung zu nehmen. Prima, meine lieben Kollegen! Wenn ich demnächst einmal wieder zunehme, schimpfe ich auf die Werbeindustrie, welche mich ständig verführt, und auf die Zuckerindustrie, die Hunderte von leckeren Riegeln anbietet.
Diese überspitzte Darstellung soll uns natürlich nicht von der Tatsache ablenken, dass in unserem Land nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung normalgewichtig sind. Nach den neuesten medizinischen Studien ist der Bauchumfang ein zuverlässigerer Risikoindikator für Herz-Kreislauf-Probleme als der bisher angewandte Body-Mass-Index, der sich am Gesamtgewicht orientiert. Je höher die Ansammlung von Körperfett in der Leibesmitte ist, umso höher ist das Gesundheitsrisiko. Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die von den Medizinern ermittelten Grenzwerte nicht vorenthalten, aber bitte erschrecken Sie nicht: Bei den Damen sollte der Bauchumfang etwa 80 Zentimeter nicht übersteigen, und die ?grenzwertige Schwabbelmasse“ der Männer - ein schöner Ausdruck aus dem ?Focus“ 18/2007 - liegt bei 74 Zentimetern.
Ich empfehle Ihnen, meine lieben männlichen Kollegen, bei Gelegenheit den hochinteressanten ?Focus“-Leitartikel ?Verflixter Bauch“ zu lesen.
Aber wie immer überreagieren wir in Deutschland. Zum Menschen gehören nicht nur der Körper, sondern insbesondere auch der Geist und die Seele. Auch das sollten wir nicht vergessen.
Die Meinung unserer Großeltern, dass runde Kinder auch gesunde Kinder sind, ist medizinisch längst wiederlegt. Auch das übertriebene Schlankheitsbild unserer Zeit entspricht keiner gesunden Lebensweise. So sind bereits 20 Prozent der Kleinkinder übergewichtig und über 10 Prozent untergewichtig. Bei Schulkindern verstärkt sich diese Tendenz, wie meine Kollegin Frau Klöckner bereits ausführte. Wer als Kind dick war, bleibt es meistens ein Leben lang. Fettzellen erinnern sich immer an diesen Start. Von den psychischen Schäden durch Hänseleien ganz zu schweigen. Ernährungs- und Bewegungsverhalten werden bereits im Kindesalter erlernt. Allerdings ändern sich gerade im Kinder- und Jugendalter die Geschmacksvorlieben. Somit sind sie noch gut zu beeinflussen.
Verbote sind keine Lösung; auch das wurde heute schon oft gesagt. Der richtige Umgang mit Lebens- und Genussmitteln muss erlernt werden. Essen braucht Zeit - auch das gehört heute dazu -, und Genießen muss gekonnt sein. Ein aktiver Lebensstil muss deshalb vom ersten Tag an gefördert werden, damit Übergewicht gar nicht erst entsteht. Dazu gehört auch, dass nicht Zahnpastaprodukte für Kinder schon mit Zucker versehen werden, um den Geschmacksnerv anzuregen.
Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, Professor Klaus Vetter, berichtete, dass schon die Neugeborenen heute sehr viel größer und schwerer sind. Als vor 34 Jahren mein erster Sohn geboren wurde, waren Kinder mit 2,5 Kilogramm normalgewichtig. Schaue ich heute in die Lokalpresse, in der Neugeborene meiner Heimat vorgestellt werden, stelle ich fest, dass das Durchschnittsgewicht zwischen 3,5 und 4 Kilogramm liegt. Auch größer sind die Babys geworden. Verantwortlich dafür sind angeblich das hohe Geburtsalter der Mütter und hierdurch hervorgerufene Stoffwechselstörungen, die sich häufig in Übergewicht der Babys niederschlagen.
Das spätere Gewicht eines Menschen wird bereits vor der Geburt durch das Gesundheitsverhalten der Mutter und die Gewichtsentwicklung in den ersten Lebensjahren maßgeblich mitgeprägt. Deshalb erwarte ich von den Müttern eine bewusste Ernährung während der Schwangerschaft - natürlich ohne zu rauchen; auch dieses Thema darf man hier nicht aussparen - sowie die Bereitschaft, das Neugeborene zu stillen.
Für eine erfolgreiche Prävention gegen Übergewicht im Kindes- und Jugendalter müssen die Maßnahmen auf den sozialen Status und die geschlechtsspezifischen Unterschiede ausgerichtet sein. Prävention muss bedürfnisgerecht sein, sonst ist sie wirkungslos. Im Vordergrund muss das spielerische Erlernen von Handlungskompetenzen statt der alleinigen Vermittlung von Wissen stehen.
Im Geiseltal im Süden von Sachsen-Anhalt gibt es die Kneipp- und Naturkindertagesstätte ?Gänseblümchen“, die seit 1990 genau diesen Denkansatz in absolut vorbildlicher Weise umsetzt. In dieser Naturkindertagesstätte, umgeben von Wald, Wiesen und Feldern, haben die Kinder die optimale Voraussetzung, die Vielfalt von Naturerlebnissen zu entdecken, die Wirkprinzipien der Kneipp’schen Lehre am eigenen Körper zu spüren, die Wirkung von Heilkräutern auf die Gesundheit zu erfahren und gemeinsam zu kochen. Die Naturkindertagesstätte hat 2002 im Rahmen der Kampagne ?FIT KID“ erfolgreich mit dem Beitrag ?Unsere kunterbunte Kinderküche“ teilgenommen. Bei meinem Besuch dort war ich beeindruckt von der spielerischen und mit der Natur in Einklang stehenden Art, den Kindern ganzheitliche Bildung nahezubringen und kindliche Kompetenz zu stärken. In der vergangenen Woche überraschten die Kneipp-Kinder die benachbarten Grundschüler mit gesunden und leckeren Pausenbroten - ich denke, eine tolle Aktion.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein solcher ganzheitlicher und gleichzeitig kreativer und individueller Ansatz langfristig auch der Schlüssel zur Lösung einiger unserer Probleme ist - Ernährungserziehung in spielerischer Weise. Sachsen-Anhalt gehört zu den wenigen Ländern, die im Schulgesetz verankert haben, dass Schulträger eine warme Vollwertmahlzeit für alle Schülerinnen und Schüler anbieten müssen. Das gibt es also schon. Diese wird überwiegend durch Fernversorger gewährleistet. Hilfreiche Broschüren werden den Verantwortlichen an die Hand gegeben. Ich habe einmal zwei mitgebracht: ?Schulspeisung - gesund und lecker! Handlungsanleitung für Caterer“ und ?Schulessen - Wie wählen wir den richtigen Anbieter? Eine Entscheidungshilfe für Eltern und Lehrer“.
Unsere Landesregierung, die übrigens die einzige in Deutschland ist, die einen Anspruch auf Kinderbetreuung ab dem Tag der Geburt im Gesetz festgeschrieben hat, ist bemüht, diese Betreuungsphase mit vielfältigen Arbeitsprogrammen in den Kitas zu begleiten, basierend auf der Erkenntnis, dass gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung bereits im frühen Kindesalter erlernt werden können. Auf Grundlage der Bildungsprogramme wird das Modellprojekt ?Bildung durch Bewegung in Kindertagesstätten“ durchgeführt und mit Landesmitteln gefördert. Wissenschaftler am Institut für Sportwissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg haben gemeinsam mit sechs Kindertagesstätten ein Förderprogramm entwickelt, das die Praxis in den Kitas mit zahlreichen Beispielen und methodischen Hinweisen unterstützt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Heller, kommen Sie bitte zum Schluss.
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU):
Ja. - Bewusst wurde hier ein fachpolitischer Schwerpunkt gesetzt.
Ich begrüße sehr die Pläne der Bundesregierung, Ernährung und Gesundheit als Pflichtfach in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen.
Flankierend dazu sollte der Sportunterricht wieder deutlich aufgewertet werden; denn durch Stundenreduzierung wurden die vorschulkindlichen Aktivitäten zurückgeführt. Zu den Schulzeiten meiner beiden Söhne gab es das Grundfach ?Schulgarten“, welches mit praktischer Tätigkeit den Anbau von Obst und Gemüse auf eigens dafür vorgesehenen Flächen ermöglichte.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Heller, Ihre Redezeit ist längst abgelaufen.
Uda Carmen Freia Heller (CDU/CSU):
Ja. - Wer miterlebt, wie viel Mühe
die Aufzucht eines Pflänzchens macht, der weiß auch den Genuss eines frischen Salatkopfes mehr zu schätzen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion das Wort.
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist uns doch allen klar, dass falschem Ernährungsverhalten und Bewegungsmangel gesetzlich nicht entgegengewirkt werden kann.
Wir müssen auf Freiwilligkeit setzen und die Menschen in ihrem Alltag abholen. Genau aus diesem Grund ist dieser Aktionsplan von Herrn Bundesminister Seehofer gut und richtig!
Liebe Kollegin Ulrike Höfken, Sie sprechen von einer Absichtserklärung und leeren Worten. Wenn wir aber auf ein Mitmachen setzen, den Föderalismus als Chance begreifen und genau diese Programme von unten her begleiten, dann haben wir auch eine Chance, die Menschen zu erreichen. In Ihrem Vortrag war die Rede von acht Stunden Schulunterricht ohne Mittagessen. Da kann ich den Kindern aus Rheinland-Pfalz nur empfehlen: Kommt nach Sachsen-Anhalt. Da gibt es Mittagessen, und zwar ein gesundes. - Das hat meine Kollegin Uda Heller eben gesagt.
In den wenigsten Familien ist es heute so, dass noch regelmäßig gemeinsam gegessen wird. Dafür nimmt der Konsum von Fertiggerichten zu; das wissen wir alle. Wir haben in dieser Debatte auch festgestellt, dass veränderte Lebensstile zu verändertem Bewegungsverhalten und fehlendes Wissen um gesunde Ernährung zu Fehlernährung führen. An dieser Stelle müssen wir gegensteuern. Die Debatte zeigt, dass wir das - auch wenn wir unterschiedliche Wege suchen - alle wollen.
Diese Debatte zeigt auch deutlich, dass sich gesundes Verhalten und die Prävention von Fehlernährung und Bewegungsmangel nur durch ein Bündel von Maßnahmen umsetzen lassen. Wir haben uns in unserem Antrag auf das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen konzentriert, und wir planen ein solches Bündel gemeinsam mit dem Aktionsplan der Bundesregierung. Die Maßnahmen sind notwendig, sinnvoll und ein Baustein einer vorsorgenden Politik, der - das bitte ich Sie zu bedenken - nicht allein steht. Dass es zum Gesundheitsministerium und zum Familienministerium Kontakte gibt und eine gemeinsame Aktion läuft, ist deutlich geworden.
Das Öko-Institut hat gestern gemeinsam mit anderen Organisationen gefordert, dass in einen Aktionsplan Ernährung auch ökologische und ethische Werte und Aspekte aufgenommen werden müssen. Das stimmt! Es ist wichtig, bei der Produktion und dem Konsum von Lebensmitteln die Umwelt und die fairen Handelsbeziehungen im Auge zu behalten. Umgekehrt gilt natürlich, dass Lebensmittel, wenn sie nur als Sonderangebot wahrgenommen werden, an Wertschätzung verlieren. Das sage ich ganz bewusst auch als Landwirtschaftspolitikerin. Das darf nicht sein!
Wir sollten aber eines nicht tun: Wir sollten diese Debatte zum Thema der Fehlernährung hier und heute nicht überladen. Wir haben in unserem Antrag den Schwerpunkt auf das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen gelegt, und zwar aus gutem Grund. Gesundes Verhalten muss möglichst früh gelernt werden. Wir müssen deshalb bei Kindern und Jugendlichen das Bewusstsein dafür wecken, dass gutes Essen wirklich schmeckt, dass gesundes Verhalten die Lebensqualität verbessert und dass Spaß und Freude einziehen.
In der letzten Wahlperiode haben wir die Plattform Ernährung und Bewegung gegründet. Damit haben wir angefangen, alle gesellschaftlichen Gruppierungen zu vernetzen. Darauf bauen wir jetzt auf. Wir wollen die Jugendlichen in ihrem Lebensumfeld erreichen.
Es gab in der letzten Legislaturperiode einen Wettbewerb, von dem ich ganz kurz berichten möchte. Es gab nämlich in meinem Wahlkreis, in Barleben, einen Wettbewerbsgewinner. Die NABU-Ortsgruppe hat mit der Einrichtung einer Vollwertküche gepunktet. Die Kinder in einer Sekundarschule bieten selber eine Pausenversorgung an, die sie aus gesunden Nahrungsmitteln herstellen. Sie bieten ihren Mitschülerinnen und Mitschülern Getränke an, die auch angenommen werden. Das ist ein Beispiel dafür, dass man auf Freiwilligkeit setzen kann und setzen soll.
Wir behandeln diesen Tagesordnungspunkt in der Kernzeit, weil es sich um ein ganz wichtiges gesellschaftspolitisches Thema handelt. Wir werden in der Zukunft mit Problemen im Gesundheitssystem zu rechnen haben,
wenn wir die Fehlernährung nicht als wichtiges Thema begreifen. Wir nehmen diese Verantwortung mit dem heute vorgestellten Gesetzentwurf genauso wie mit den anderen Bausteinen unserer Politik an.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Für uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages hätte ich zum Schluss eine kleine Idee. Wir sollten vielleicht einmal über eine Mittagspause nachdenken
und möglicherweise auch über Duschen in den Büroräumen, damit man zwischendurch einmal Joggen gehen kann.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/5258 und 16/5271 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
- Drucksache 16/5200 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
- Drucksache 16/5245 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es dazu Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollegin Petra Hinz von der SPD-Fraktion das Wort.
Petra Hinz (Essen) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat hat dieser Gesetzentwurf eine lange Geschichte. Auf die Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts arbeitet die SPD-Bundestagsfraktion seit vielen Jahren hin. Mit der Einsetzung der Enquete-Kommission ?Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ im Dezember 1999 wurde der Grundstein gelegt. Im Juni 2002 wurde der Unterausschuss ?Bürgerschaftliches Engagement“ ins Leben gerufen.
Jetzt reden wir über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, der vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Bereits jetzt möchte ich darauf hinweisen, dass die Vertreterinnen und Vertreter im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements sehr großen Einfluss auf das gehabt haben, was heute vorliegt. Wir reden über eine Entlastung in der Größenordnung von 440 Millionen Euro. Damit kommen wir den Menschen entgegen, die sich ehrenamtlich für unsere Gesellschaft engagieren.
Ich möchte hier insbesondere diejenigen erwähnen, die vom ersten Tag an dabei waren. Für meine Fraktion sind das Michael Bürsch und Ute Kumpf. Wir haben in den vergangenen Monaten die Diskussion über die Überarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen intensiv geführt und für eine weitere Stärkung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts geworben.
Ehrenamtliches Engagement muss gefördert werden und darf nicht erschwert werden. Mit diesem Gesetzentwurf, den wir in den nächsten Wochen beraten werden, werden Belastungen für die Ehrenamtlichen vermieden und Anreize geschaffen.
Die entscheidenden Regelungen für die Bestimmung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts finden sich in verschiedenen Gesetzen wieder. Ich erwähne hier nur einige, um deutlich zu machen, wie schwierig es ist, sich in unserer Gesellschaft ehrenamtlich zu engagieren.
Das Einkommensteuergesetz gibt die steuerliche Behandlung von Zuwendungen an gemeinnützige Organisationen vor. Die Einkommensteuer-Durchführungsverordnung enthält eine Aufzählung gemeinnütziger Zwecke, nach denen Zuwendungen einkommensteuerlich geltend gemacht werden können. Schließlich definiert die Abgabenordnung gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke, für die eine steuerliche Begünstigung vorgesehen ist.
Diese Vielzahl von gesetzlichen Regelungen führt immer wieder zu Intransparenz und erhöhtem Aufwand für die Finanzbehörden, aber auch - das ist entscheidend - zu einer unterschiedlichen Behandlung gleicher Tatbestände, weil die Finanzämter je nach Bundesland unterschiedlich bewerten. Die steuerliche Begünstigung von gemeinnützigen Organisationen ist sehr wichtig und wird auch in Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Ziel der anstehenden Ausschussberatungen muss es sein, die gesetzliche Grundlage zu vereinfachen und gleichzeitig mögliche Fehlinterpretationen von vornherein zu vermeiden.
Die Koalition ist sich einig - das kann ich, glaube ich, auch für die CDU/CSU sagen; denn ich beziehe mich auf den Koalitionsvertrag -, dass bürgerschaftliches Engagement in Deutschland unverzichtbar geworden ist. Wir benötigen eine gute Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auch deshalb, weil es den Staat von Aufgaben in vielen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen entlastet,
zu deren Erfüllung der Staat aufgrund seiner finanziellen Ausstattung nicht mehr in der Lage ist.
Jetzt möchte ich einige Fakten nennen. Die Zahlen, die ich nennen werde, stammen nicht vom BMF. Vielmehr habe ich gestern eine Ehrenamtsagentur in Essen angerufen, die mir folgende Zahlen nannte: Es gibt in Deutschland 23 Millionen ehrenamtlich tätige Menschen. Das sind rund 36 Prozent der Gesamtbevölkerung. Nahezu jeder dritte Bundesbürger über 14 Jahre engagiert sich ehrenamtlich. Von der Sozialstruktur her sind es Schüler, Studenten, Auszubildende sowie Rentner und Arbeitslose oder Angehörige besonderer Berufsgruppen, die sich ehrenamtlichem Engagement und der Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben kostenlos stellen.
Wir reden hier über Steuervergünstigungen. Ich habe am Montag ein Gespräch mit einer Kollegin aus dem ehrenamtlichen Bereich, aus dem Sportbereich, geführt. Sie sagte - dies hat mich sehr beeindruckt -, wir dürften mit dem, was wir hier zu Recht beschließen wollten, nicht zwei Klassen von Ehrenamtlichen schaffen, nämlich diejenigen, die keine Möglichkeit hätten, etwas steuerlich abzusetzen, und diejenigen, die wir jetzt zu Recht fördern wollten.
Was bedeutet ehrenamtliches Engagement für den Staat in Geldleistung und Arbeitsstunden? Ehrenamtliche leisten durchschnittlich zwei Arbeitsstunden pro Woche. Dies sind somit 46 Millionen Arbeitsstunden in der Woche. Man sollte sich einmal vorstellen, wie viel gemeinnützige Arbeit durch Ehrenamtliche in den Kommunen übernommen wird. Für ganz Deutschland ergeben sich somit rund 2,4 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr.
Setzt man nun den angestrebten Mindestlohn von 7 Euro an - hierbei geht es um eine zukunftsgerichtete Diskussion -, dann lässt sich aus der Tätigkeit der Ehrenamtlichen ein geldwerter Vorteil in einer Größenordnung von - ich erlaube mir, diesen Betrag zu runden - 17 Milliarden Euro pro Jahr errechnen. An dieser Stelle sollte man all denjenigen ein Dankeschön sagen, die sich in diesem Bereich engagieren.
Um welche Bereiche geht es? Das sind die Bereiche Sport und Bewegung; wir haben gerade eine sehr ausführliche Diskussion zu diesem Thema geführt. Es geht um die Bereiche Schule und Kindergärten, um soziale Bereiche, um die Kultur und die Feuerwehr bzw. Rettungsdienste. Alle in diesen Bereichen Tätigen engagieren sich für den Staat, ohne zu fragen: Was bringt mir das?
Bürgerschaftliches Engagement muss mit Nachdruck gefördert werden - darum geht es -, sodass die Freiwilligen bei ihrer Leistung für unsere Gesellschaft weder finanzielle Nachteile haben noch ohne Schutz des Staates sind. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Haftung anzusprechen.
Vor dem Hintergrund der Entwicklung unserer Gesellschaft muss auch gesagt werden, dass es nicht ausreicht, Anreize für freiwilliges Engagement nur in der Jugend zu schaffen. Mit diesem Entwurf wollen wir vielmehr generationsübergreifend Anreize schaffen - auch das ist ein ganz wichtiger Aspekt -, um alle Alters- und Berufsschichten sowie Generationsgruppen zu motivieren, einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Entbürokratisierung Einzug hält. Ich habe gerade über die verschiedenen Steuerrechtstatbestände gesprochen, die unterschiedlichst greifen. Meine Fraktion steht dafür, in den Fachausschussberatungen das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht so zu verbessern und zu vereinfachen, dass die gewünschten größeren Anreize, sich ehrenamtlich zu engagieren, auch tatsächlich entstehen.
Was steht jetzt im Einzelnen im Entwurf? Ich will ganz kurz die Überschriften nennen. Es geht um die Anhebung der Übungsleiterpauschale. Der Freibetrag soll von 1 848 Euro auf 2 100 Euro angehoben werden. Es geht um die Einführung einer Steuerermäßigung für die ehrenamtliche Tätigkeit zur Förderung mildtätiger Zwecke. Dies betrifft all diejenigen Menschen, die stille Arbeit leisten, wenn sie sich um ältere, kranke und behinderte Menschen kümmern und dies in einem Zeitaufwand von mindestens 20 Stunden im Monat tun. Hier ist die Einführung einer Steuerermäßigung in Höhe von 300 Euro vorgesehen.
Die Anhebung der Zweckbetriebsgrenze: All diejenigen, die in Vereinen aktiv sind, kennen die Thematik. Es geht um die Vereinsgaststätte. Der Verein lebt von der Vereinsgaststätte. Hier wird darüber diskutiert, die Besteuerungsgrenzen anzuheben.
Sonderausgabenabzug von Mitgliedsbeiträgen in Kulturfördervereinen: Hier geht es um die sogenannten Freikarten und alles, was damit zusammenhängt. Eigentlich wäre das steuerrechtlich als geldwerter Vorteil zu sehen. Aber in diesem Fall soll es nicht angerechnet werden.
Absenkung des Haftungssatzes: Er soll von 40 auf 30 Prozent gesenkt werden. Das darf man nicht unterschätzen. Denn gerade die gemeinnützig und ehrenamtlich Tätigen müssen sich darauf verlassen können, dass die Zuwendungen, die sie in Form von Spenden erhalten, rechtlich abzusetzen sind und das einer rechtlichen Prüfung standhält.
Ein anderer Bereich ist der der Stiftungen. Wir haben gestern in der Beilage einer Zeitung vieles über Stiftungen lesen können. Was wären wir ohne unsere ehrenamtlich Tätigen und auch ohne unsere Stiftungen? Alle die, die im kommunalen Bereich aktiv sind, wissen, dass sehr viele Angebote im Freizeitbereich, im Jugendbereich und im Sportbereich durch Stiftungen gefördert werden. Auch hier sind weitere Verbesserungen möglich.
Zusammengefasst sage ich: Ich wünsche uns eine intensive und faire Beratung. Wir sollten hervorheben, dass wir auf Grundlage dieses Gesetzentwurfs - Herr Präsident, ich sehe, dass meine Redezeit abgelaufen ist; ich komme zum Schluss - den Ehrenamtlichen über 440 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Wir sollten aber auch immer im Hinterkopf behalten, dass wir keine zwei Klassen der ehrenamtlich Aktiven schaffen.
Ich freue mich auf die Beratung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Volker Wissing von der FDP-Fraktion.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich brauche hier nicht lange zu betonen, wie wichtig uns das Ehrenamt ist. Es gibt keinen hier im Raum, dem das Thema nicht besonders am Herzen liegt. In dieser Frage unterscheiden wir uns nicht.
Ich komme deshalb gleich auf das zu sprechen, was uns unterscheidet. Das ist die Beurteilung der Qualität dieses Gesetzentwurfs. Der Entwurf ist unter dem Strich gesehen schwach. Sie, Frau Kollegin Hinz, haben darauf hingewiesen, dass der Entwurf jetzt im Rahmen der Beratung verbessert werden muss.
Angeblich wollen Sie mit diesem Entwurf das bürgerschaftliche Engagement stärken. In nahezu allen Bereichen, die strukturelle Fragen betreffen, ist der Entwurf aber die Fortschreibung des Status quo. So stärken Sie das Ehrenamt letztlich nicht. Sie nennen sich Große Koalition, bringen aber nichts Großes zustande.
Schauen wir uns einmal an, was Sie uns hier präsentieren. Sie satteln bei einigen Steuervergünstigungen drauf und lassen sämtliche Strukturfragen offen.
- Ich komme noch darauf zu sprechen, Herr Kollege.
Man fragt sich, ob Sie sich ein einziges Mal Gedanken über das Verhältnis des Ehrenamts zu Staat und Markt gemacht haben.
Der Entwurf ist derart obrigkeitsgeprägt, dass man nur mit dem Kopf schütteln kann. Im Mittelpunkt steht bei Ihnen nicht eine selbstbewusste Zivilgesellschaft, die selbstständig über Art und Umfang ihres Engagements entscheidet,
nein,
bei Ihnen steht der Staat, der über das bürgerschaftliche Engagement urteilt, im Zentrum des Geschehens.
Sie haben das sehr schön gesagt: Es gibt Gruppen, die Ihnen mehr wert sind, und Gruppen, die Ihnen weniger wert sind.
Was dem Staat gefällt, wird finanziell unterstützt, und die restliche Zivilgesellschaft wird bestenfalls ignoriert. Es wäre ein Fortschritt, wenn Sie es geschafft hätten, den Staat zurückzunehmen.
Es ist doch in erster Linie Sache der Bürgerinnen und Bürger, zu entscheiden, wofür sie sich in welchem Umfang engagieren möchten.
- Ja, sie tun das freiwillig in ihrer Freizeit. Deswegen wäre es schön, wenn wir nicht einzelne Aufgaben bevorzugen und andere ausschließen würden, wie Sie es tun.
Richtig wäre es gewesen, wenn man für alle Formen des bürgerschaftlichen Engagements klare und gerechte Rahmenbedingungen geschaffen hätte. Genau das ist mit dem Entwurf bisher nicht gelungen und muss verändert werden. Die Zivilgesellschaft braucht einen Wechsel vom gewährenden hin zum ermöglichenden Staat. Genau das schaffen Sie nicht. Wir brauchen vor allen Dingen auch eine deutlich erkennbare Abgrenzung zwischen den drei Akteuren Markt, Staat und Zivilgesellschaft.
Dazu findet man in Ihrem Entwurf kein Wort.
Im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und privaten Dienstleistungsunternehmen sind eine ganze Reihe von Wettbewerbsfragen zu klären, die Sie nicht ansatzweise beantworten. Auch was die Vereinfachung angeht, kommen wir mit Ihrem Entwurf nicht weiter. Sie haben es nicht geschafft, die steuerrechtliche Behandlung gemeinnütziger Organisationen grundlegend einfacher zu gestalten. Sie haben es nicht geschafft, die für Ehrenamtliche besonders wichtigen Vorschriften in einem Gesetzbuch zusammenzufassen. Sie haben es nicht geschafft, das Akkreditierungsverfahren zu vereinfachen.
Das wäre gerade für kleinere zivilgesellschaftliche Organisationen, die oft keine steuerliche Relevanz haben, ohne Kostenaufwand möglich gewesen. Von all dem findet sich in diesem Gesetzentwurf nichts.
- Herr Bürsch, ich kann die Reihe der Mängel fortsetzen. Wir bräuchten auch dringend mehr Transparenz im Bereich der Zivilgesellschaft. In Ihrem Gesetzentwurf steht darüber null.
Die Frage der Transparenz ist eine ganz wesentliche Frage;
denn wenn Sie zivilgesellschaftliche Organisationen privilegieren, dann schulden diese der Öffentlichkeit auch Informationen. Das übergehen Sie in Ihrem Entwurf einfach.
Wie Sie mit dem Stiftungswesen umgehen,
das haben Sie ja hervorgehoben:
Sie haben eine Grenze von 750 000 Euro eingeführt, und lassen sich jetzt als großzügige Stiftungskulturförderer feiern.
Das ist aber kein Aufbruchssignal; das ist schwach. Das, was Sie uns hier präsentieren, sind kleine Schritte.
Dabei wäre es dringend nötig, die Stiftungskultur in Deutschland zu fördern.
Wir brauchen Stiftungen. Schauen Sie sich an, was sich in anderen Ländern vollzieht. Gerade im kulturellen Bereich haben wir viel zu erwarten. Hier liegen enorme Chancen. Diese Chancen kann man in unserem Land aber nicht wecken, wenn man es so macht wie Sie und sich auf einen Höchstbetrag von 750 000 Euro beschränkt. Sie starten angeblich durch, verwechseln aber leider das Gaspedal mit der Bremse.
Wenn man bedenkt, dass diese halbherzige Politik auch noch Millionen an Steuergeldern verschlingt, bleibt am Ende eine nüchterne Bilanz dessen, was Sie uns bisher vorgelegt haben.
Zwar wird keiner, für den Sie mit diesem Gesetzentwurf Verbesserungen schaffen, Ihr Vorhaben kritisieren, es gibt aber viele, die sich ehrenamtlich engagieren, an die Sie nicht gedacht haben, die nicht profitieren. Alle, die in einer Zivilgesellschaft aktiv sind, werden spüren, dass Ihnen hier kein großer Wurf gelungen ist. Ich denke, Sie hören selbst die Kritik aus den Verbänden.
Deswegen muss nachgearbeitet werden. Der vorliegende Entwurf ist unterm Strich armselig, nicht offenherzig und stärkt die Zivilgesellschaft in keiner Weise. Deswegen muss dieser Gesetzentwurf, der nichts anderes als eine in Gesetzesform gegossene Anspruchslosigkeit der Großen Koalition darstellt, verändert werden. Wir brauchen eine selbstständige, selbstbewusste und von Markt und Staat klar abgegrenzte Zivilgesellschaft.
Die wollen Sie offensichtlich nicht.
Zumindest sind Sie auf dem falschen Weg.
Wir werden uns an den Beratungen aktiv beteiligen, damit wir einen Schritt weiterkommen.
Was Sie bisher zum Ehrenamt vorgelegt haben, ist wenig, sehr wenig. Da ist mehr drin. Die Menschen, die sich in ihrer Freizeit für die Gesellschaft engagieren, haben mehr verdient. Lassen Sie uns in den Beratungen mehr daraus machen als das, was die Bundesregierung vorgelegt hat!
Das ist für die deutsche Zivilgesellschaft zu wenig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSU-Fraktion.
Eduard Oswald (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Volker Wissing, ich bedauere, dass Sie den Gesetzentwurf in dieser pauschalen Form ablehnen, ohne sich mit den Details überhaupt beschäftigt zu haben. Das ist sicher der falsche Weg.
Wir alle wissen: Ohne Ehrenamt ist kein Staat zu machen. Jede Gemeinschaft lebt von den Menschen, die mehr tun, als es ihre unmittelbare Pflicht ist. Deshalb ist es unsere Verpflichtung und unsere Aufgabe, all diejenigen zu unterstützen, die sich in Familie, Nachbarschaft und Ehrenamt einbringen. Unser Ziel als CDU/CSU ist es, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement zu verbessern.
Wir wollen die Mitwirkung und Beteiligung der Bürger ermöglichen. Dieses bürgerschaftliche Engagement muss der Staat nach Kräften unterstützen, und zwar sowohl in organisatorischer als auch in finanzieller Hinsicht. Dazu gehört die Schaffung günstiger steuerlicher Rahmenbedingungen. Dieses Vorhaben der Großen Koalition, dieser Bundesregierung, ist ein Ausdruck der gestaltenden Finanzpolitik und ist eine Investition in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Die anstehenden Probleme können und dürfen aber nicht vom Staat allein gelöst werden. Es ist gesellschaftspolitisch wünschenswert, dass Bürger in Ergänzung zum Staat Gemeinwohlaufgaben übernehmen - ohne dadurch zum Lückenbüßer staatlicher Politik zu werden. Wir müssen also eigenbestimmte Handlungsformen und die Übernahme von Verantwortung fördern und unterstützen. Die Förderung des Gemeinwohls kann dabei nicht allein dem notwendigerweise gewinnorientierten Markt überlassen werden.
Eine Gesellschaft ist nur so gut, wie die Menschen bereit sind, sich in ihr zu engagieren. Die Gemeinschaft lebt von denen, die mitspielen, nicht von denen, die zuschauen.
Wir brauchen in der Gesellschaft nicht nur Zuschauer und Schiedsrichter, sondern auch aktive Mitspieler. So gehört es zur Erziehung zu Werten, zu Bildung für das Leben, dass schon junge Menschen zu Jugendarbeit, zu ehrenamtlichem Einsatz, zu Teilnahme am Vereinsleben ermutigt und unterstützt werden.
Der Staat darf den, der sich für die Gemeinschaft einsetzt, nicht alleinlassen. Wenn sich jemand ins Private zurückzieht, ist dies seine Freiheit. Wer aber bereit ist, im Ehrenamt einen Beitrag für Staat und Gesellschaft zu leisten, dem muss die Gemeinschaft mit den notwendigen Rahmenbedingungen helfen. Bürger, die sich engagieren, benötigen einen rechtlichen Handlungsrahmen, der einfach und deswegen verständlich ist und sie nicht - etwa durch strenge Haftungsregeln - überfordert. Darüber müssen wir in den Ausschussberatungen intensiv reden.
Insgesamt sind wir mit diesem Gesetzeswerk auf dem richtigen Weg. Es ist gut, dass der Finanzminister das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates nicht zur Grundlage seiner Vorschläge gemacht hat.
Der Finanzminister hat mit diesem Entwurf vielmehr die in der Koalitionsvereinbarung festgelegten und von der Union immer als Leitlinien geforderten Positionen umgesetzt.
Dies ist heute die erste Lesung. Wir werden in den Ausschüssen und bei einer Anhörung intensiv zu überlegen haben, wie wir das, was vorliegt, qualitativ weiterentwickeln können. Für uns ist es enorm wichtig, das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht zu entbürokratisieren. Vergessen wir nicht, dass auch und gerade breite Bereiche des kulturellen Lebens auf bürgerschaftlichem Engagement beruhen. Sowohl die geplante verbesserte steuerliche Absetzbarkeit dieses Engagements als auch die Erhöhung der Spendenabzugsfähigkeit auf 20 Prozent sind ein wichtiges Signal der Ermutigung an die Bürgerinnen und Bürger, sich zugunsten des Allgemeinwohls zu engagieren.
Die Zusammenführung von spendenbegünstigten und gemeinnützigen Zwecken aus der Abgabenordnung und der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung in diesem Katalog ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu weniger Bürokratie und hat unsere volle Unterstützung.
Natürlich haben wir noch Diskussionsbedarf, vor allen Dingen im Hinblick darauf, dass die Zwecke abschließend aufgezählt werden sollten. Wir möchten die Kreativität der engagierten Bürgerinnen und Bürger nicht durch abschließende Regelungen bremsen. Sehr wertvoll und wohltuend war die bayerische Initiative ?10 plus 10“. Auch die Beratungen des Bundesrates müssen wir mit heranziehen.
Das Gemeinnützigkeitsrecht in unser aller Sinne soll eine Einladung zum Mitmachen aussprechen und offen für neue Impulse aus der Mitte der Gesellschaft sein. Dieser Gesetzentwurf ist eine Investition in den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dies geht nur, indem wir - Frau Kollegin Hinz hat schon darauf hingewiesen - auch finanzielle Mittel einsetzen. Natürlich steht für uns Haushaltskonsolidierung an erster Stelle des politischen Handelns. Die vorgesehenen rund 400 Millionen Euro sind für uns Leitlinie. Angesichts der allgemeinen Finanzsituation ist klar, dass wir nicht jeden Wunsch erfüllen können; denn natürlich gibt es viele Wünsche. Es ist unsere Aufgabe, die Verteilung dieser Summe von 400 Millionen Euro zu optimieren. Hierfür werden in dem Gesetzentwurf zahlreiche Ansatzpunkte gegeben.
Wir als CDU/CSU werben für einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Kollege Wissing, vielleicht können Sie sich das auch in den weiteren Beratungen grundsätzlich noch einmal überlegen. Als ein gutes und richtiges Signal für die Menschen im Ehrenamt wollen wir auch hier in diesem Haus einen breiten Konsens. Im Ehrenamt der Bürger sehen wir einen tragenden Pfeiler des zukunftsfähigen Sozialstaates.
Das kraftvolle kulturelle Leben und das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen für Kultur, Tradition und Brauchtum dürfen natürlich genauso wenig fehlen wie der große umfassende Bereich des Ehrenamtes im Sport. Kollege Klaus Riegert wird für unsere Fraktion darauf eingehen.
Auch die aktuellen Debatten über den Zusammenhalt der Gesellschaft und über das soziale Miteinander kommen hier zum Tragen. Viele Migranten bringen ihre Fähigkeiten in die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur, die Dienstleistungen, das Ehrenamt und den Sport ein. Auch dies sollten wir hier würdigen.
Wir wollen das Stiftungsrecht weiterentwickeln, um die Errichtung von Stiftungen zu erleichtern und zusätzliche Anreize für Zuwendungen zu schaffen. Kollege von Stetten wird dazu etwas sagen.
Wir müssen auch darüber reden, wie wir beim Gesetzgebungsverfahren die besonderen Belange der Kultur, der Medien, der Künstler und der Kulturschaffenden berücksichtigen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen generell verdeutlichen, dass ehrenamtliches Engagement weniger eine Belastung bedeutet, als vielmehr auch eine große Chance für jeden Einzelnen ist, Fähigkeiten zu entwickeln, Qualifikationen und soziale Kompetenz zu erwerben, Erfahrungen zu sammeln und damit Sinn und Lebensqualität zu gewinnen.
Man gibt also nicht nur etwas für die Gemeinschaft, sondern man bekommt von der Gemeinschaft auch etwas zurück.
Unser Ziel ist es also, in den anstehenden Beratungen alles zu tun, um die aktive Bürgergesellschaft, die wir ja haben - das breite Miteinander der Menschen in diesem Land -, weiter zu stärken. Das sollten wir insgesamt in geschlossener Form tun.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die LINKE.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürgerschaftliches Engagement ist die vielfältige Gestaltung der Zivilgesellschaft. Es umfasst auch die kritische Begleitung staatlichen Handelns. Ob im Mieterverein, bei der Stiftung Warentest oder in der politischen Meinungsfindung: Zur aktiven Bürgergesellschaft, wie Herr Oswald eben sagte, gehört auch die kritische Begleitung von Gesetzgebungsverfahren und politischen Großereignissen.
Eine Überschrift in den Zeitungen heute lautet: Polizei schreckt G-8-Gegner mit Großrazzia. Ich glaube, das bedeutet alles andere als die Förderung bürgerschaftlichen Engagements.
Der Sprecher der Bundesstaatsanwaltschaft erklärte gestern im ?heute-journal“ - ich zitiere sinngemäß -: Es ging nicht darum, terroristische Aktionen aufzudecken.
Dafür gab es keine Anhaltspunkte. Es ging darum, Überblick über die Strukturen der G-8-Gegner zu erhalten.
Es ging also darum, das gesamte Spektrum der G-8-Gegner zu kriminalisieren. Das lehnen wir ab. Der Staat muss die kritische Begleitung seines Handelns aushalten. Auch das ist Sinn und Zweck bürgerschaftlichen Engagements.
Es ist zu begrüßen, dass sich gerade junge Leute aufmachen und Gerechtigkeit nicht nur im eigenen Lande, sondern weltweit wollen.
Wir unterstützen und begrüßen die Initiative, die zeitgleich in Mecklenburg-Vorpommern läuft, nämlich eine Werbekampagne für friedliche Proteste, die von prominenten Persönlichkeiten in Zusammenarbeit mit der Polizei in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird.
Das ist ein Versuch, zu deeskalieren. Was Sie gestern getan haben, bedeutet aber pure Eskalation. Das lehnen wir ab.
Der gestrige Vorgang zeigt sehr drastisch, dass zwischen dem in Worten geäußerten Willen, was man an bürgerschaftlichem Engagement möchte, und dem Handeln vonseiten des Staates eine Kluft besteht. Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist gut, solange es dem Staat nützt, am besten als Ersatz für fehlendes staatliches Engagement. Daran krankt auch Ihr Gesetzentwurf.
Auch wenn wir einiges in Ihrem Gesetzentwurf unterstützen, ist festzustellen, dass vieles fehlt. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag vorgelegt.
Ihr Gesetzentwurf soll zwar laut seiner Überschrift zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements führen, ein Blick in den Gesetzentwurf zeigt aber, dass es darin de facto nur um die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen geht.
Das ist eindeutig zu wenig. Bereits im Abschlussbericht der Enquete-Kommission des Bundestages wird die weitere Schaffung von steuerlichen Anreizen als nicht sinnvoll bezeichnet - das können Sie auf Seite 10 nachlesen -: ?weil die Schaffung weiterer steuerlicher Anreize keine angemessene und wirkungsvolle Förderung des bürgerschaftlichen Engagements darstellt.“
Ich verdeutliche Ihnen das gerne am Beispiel einiger Zahlen. 23 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik engagieren sich ehrenamtlich, 43 Prozent in Vereinen - vor allem Sportvereine -, Schulen, Kirchen, Freizeiteinrichtungen oder bei der Feuerwehr. 40 Prozent der Ehrenamtlichen sind erwerbstätig. 27 Prozent der Arbeitslosen, 37 Prozent der Menschen, die zu Hause sind, und 28 Prozent der Seniorinnen und Senioren engagieren sich ehrenamtlich.
Es gibt 14 000 Stiftungen und - das ist besonders erfreulich - inzwischen 147 Bürgerstiftungen. Trotzdem liegen wir mit diesen Zahlen im europäischen Vergleich gerade noch im Mittelfeld. Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark - die Staaten, in denen ein starker Sozialstaat existiert und wirkt - weisen ein viel höheres bürgerschaftliches Engagement auf,
weil die Bürgerinnen und Bürger dort wissen, dass sie nicht als Lückenbüßerinnen und Lückenbüßer für fehlendes staatliches Agieren missbraucht werden.
Bürgerschaftliches Engagement ist nicht nur eine individuelle Entscheidung. Es wird auch stimuliert durch Tradition, Werte, die Art und Weise der Organisation der Gesellschaft, Verteilung von Verantwortung und wirtschaftliche Entwicklungen. Die Motive des Einzelnen sind sehr verschieden. Man möchte die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten, mit anderen Menschen zusammenkommen, Verantwortung übernehmen oder die eigene Kompetenz entwickeln. Finanzielle Gründe sind nicht vorrangig.
Wir müssen aber auch feststellen, dass es keine Chancengleichheit mehr beim Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement gibt. Viele Bürgerinnen und Bürger können sich nicht mehr ehrenamtlich engagieren,
unter anderem deshalb, weil ihnen die finanzielle Ausstattung fehlt. Für viele ist vielleicht schon der Fahrschein für die Straßenbahn unerschwinglich, um zu einer Veranstaltung zu fahren.
Insofern muss man das Thema wesentlich breiter angehen. Bei einer vorrangig steuerlichen Förderung bürgerschaftlichen Engagements tauchen verteilungspolitische Risiken auf. Durch steuerliche Vergünstigungen für Stiftungen können öffentliche Güter unter den Einfluss von Individual- und Partikularinteressen geraten.
Ich möchte Ihnen die Probleme auch am Beispiel der Stiftungen deutlich machen. Stiftungen werden jetzt wesentlich besser steuerlich gefördert. Das ist gut. In Leipzig gibt es ein wunderschönes Bildermuseum, und es gibt auch eine inzwischen weltbekannte Leipziger Malerschule. Ein Bild von Neo Rauch kostet derzeit etwa 350 000 Euro. Raten Sie mal, wie hoch der Etat des Bildermuseums zu Leipzig für den Neuerwerb ist! Es sind weder 50 000 noch 100 000 Euro, sondern 7 000 Euro. Davon kann man allenfalls ein gutes Farbbild kaufen. Dass der Etat so niedrig ist, liegt daran, dass die öffentlichen Einnahmen zurückgehen.
Die schon erwähnte Beilage der ?Financial Times Deutschland“ bietet einen wunderbaren Ansatz: Viele Stifter lösen mit der Gründung einer Stiftung ihr ganz besonderes Finanzproblem. Wer nach einem erfolgreichen Berufs- oder Unternehmerleben so viel Geld hat, dass weder er selbst noch seine Erben es jemals ausgeben können, bringt einfach einen Teil seines Vermögens in eine Stiftung ein.
Ich finde es gut, wenn sich Menschen engagieren und auch im Kulturbereich sozusagen immer den Sahneklecks bieten.
Aber es kann nicht sein, dass das ehrenamtliche, unentgeltliche Engagement Einzelner staatliches Handeln ersetzt. Wir haben große Möglichkeiten, zum Beispiel die Erbschaftsteuer so zu gestalten, dass vielleicht auch das Bildermuseum zu Leipzig wieder mehr Geld hat, um selber Bilder zu kaufen.
Wir sind dafür, bei der Übungsleiterpauschale noch einmal nachzubessern. Wir halten es zudem für überlegenswert, die Abgabenordnung zu vereinfachen - das würden wir sehr begrüßen - und einen absoluten Höchstbetrag für die Abzugsfähigkeit von Spenden einzuführen. Es gibt also Beratungsbedarf. Ihr Gesetzentwurf ist insgesamt zu einseitig und erfasst die vielfältigen Probleme nicht.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Scheel von Bündnis 90/Die Grünen.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte vorab zu den Eingangsworten von Frau Dr. Höll sagen: Auch wir machen uns Sorgen darüber, was alles im Vorfeld des G-8-Gipfels geschieht. Aber ich halte es für falsch, im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu diskutieren.
Unsere Zivilgesellschaft lebt wesentlich vom bürgerschaftlichen Engagement. Man muss klar sagen, dass jedem und jeder, der bzw. die sich in unserer Gesellschaft für unsere Gesellschaft engagiert, großer Dank gebührt. Bürgerschaftliches Engagement ist - das wissen wir alle - die Hefe für zivilgesellschaftliches Handeln. Bürgerschaftliches Engagement ist ein aktiver Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft. Es ist nicht zu unterschätzen und unbezahlbar. Frau Kollegin Petra Hinz hat bereits auf die 2,4 Milliarden Arbeitsstunden jährlich im Rahmen des bürgerschaftlichen Engagements hingewiesen. Die Bürger sind vermehrt unentgeltlich aktiv. Das ist sehr gut und muss eine verstärkte Anerkennung durch unsere Gesellschaft erfahren, auch unter steuerlichen Gesichtspunkten und nicht nur durch das Anstecken einer Ehrennadel ans Revers.
Alle neuen steuerlichen Regelungen sind verstärkte Anreize, kontinuierlich bürgerschaftliches Engagement für gemeinnützige Zwecke zu leisten. Sie können den menschlichen Impuls natürlich nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Aber wir müssen mit denjenigen gerecht und fair umgehen, die dieses Engagement leisten. Die Bundesregierung hat nun zehn steuerliche Maßnahmen vorgeschlagen. Die entscheidenden Fragen sind: Sind die Maßnahmen gut begründet? Sind sie in der Abgrenzung wirklich richtig? Bringen sie eine Stärkung des Engagements in allen Zweigen der Zivilgesellschaft? Wenn wir uns die Briefe, die wir alle von ehrenamtlich tätigen Menschen bekommen, genau anschauen, dann stellen wir fest, dass es viele gibt, die sich durch den Gesetzentwurf nicht berücksichtigt fühlen. Wenn ich mir die Anträge, die vonseiten der Bundesländer im Bundesrat kommen, und den Beschluss des Bundesrates anschaue, sehe ich, dass der heute diskutierte Gesetzentwurf von Finanzminister Steinbrück und der Bundesregierung und der Beschluss des Bundesrates noch weit auseinanderliegen. Ich hoffe, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung das Parlament mit erheblichen Änderungen verlassen wird.
Wir, die Grünen, wollen ebenso wie der Bundesrat, dass der Katalog der förderungswürdigen Zwecke für bürgerschaftliches Engagement im Gesetz nicht abschließend geregelt wird, sondern dass neue, zukünftige Aufgaben ausdrücklich zugelassen werden. Es ist begrüßenswert, dass als gesonderter Zweck die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements im Gesetzentwurf aufgeführt wird.
Es ist aber falsch, dass in der Begründung eine Erweiterung gemeinnütziger Zwecke für bürgerschaftliches Engagement ausgeschlossen wird. Was soll eine solche Kosmetik im Gesetz? Placebos verhelfen nicht zu einem verstärkten Einsatz. Darüber müssen wir im Ausschuss noch diskutieren.
Wir brauchen einen offenen Katalog. Wir wollen kein starres Korsett. Welchen Grund gibt es für die Bundesregierung eigentlich, dass die Übungsleiterpauschale nicht auf Aktivitäten der Umwelt- und Naturschutzverbände ausgeweitet wird? Aktivitäten im Bereich des Vogelschutzes, beispielsweise Brutplätze sichern, und vieles andere, was von der Umweltschutzbewegung, dem BUND und anderen, geleistet wird, sind Aktivitäten, die gemeinnützig sind, aber nicht pädagogisch im Sinne der Übungsleiterpauschale. Wir meinen schon, dass aktiver Umweltschutz nicht ausgeschlossen werden sollte. Wie wir damit umgehen, darüber werden wir auch noch zu diskutieren haben.
Vergleichbares gilt auch für Helfer in der Gefahrenabwehr, etwa Sanitäter und Rettungsschwimmer. Auch in diesem Fall ist zu fragen, warum bestimmte Tätigkeiten nicht einbezogen und berücksichtigt werden. Ich denke, wir schulden der Gesellschaft hierauf eine Antwort, und hoffe, dass es auch hier zu Veränderungen kommt.
Zur Stiftungskultur in Deutschland muss ich an die FDP gewandt einmal sagen: Es war die rot-grüne Bundesregierung - mit starker Unterstützung der grünen Vizepräsidentin Antje Vollmer -, die dafür gesorgt hat, dass wir bei der Stiftungskultur einen Riesenschritt vorangekommen sind. Es war nicht die FDP während ihrer 29-jährigen Regierungszeit hier im Haus.
Selbstverständlich muss über den Höchstbetrag des Stiftungskapitals diskutiert werden. Wir würden uns einen Höchstbetrag von 1 Million Euro für die Ausstattung von Stiftungen mit Kapital wünschen, wie es auch der Bundesrat fordert.
Wir sehen schon, dass die Stiftungskultur in Bewegung ist. Wir wollen sie gesellschaftspolitisch insgesamt stärken. Dafür brauchen wir klare Signale, die in dem Gesetzentwurf verankert werden sollten.
Wir wollen, dass bestimmte Ansätze im Zusammenhang mit dem angehobenen pauschalen Spendenabzug noch einmal angesprochen werden. Denn es ist nicht einzusehen, dass wir unentgeltlich ehrenamtlich Tätige im Bereich der Betreuung alter, kranker und behinderter Menschen unterstützen - was völlig richtig ist -, aber andere unentgeltliche ehrenamtliche Tätigkeiten im Bereich der Jugendhilfe und des Sports - den Naturschutz habe ich angesprochen - oder der Kultur nicht unterstützt werden. Es muss noch einmal überlegt werden, wie wir hier weiterkommen.
Ich denke, es ist eine ganz vernünftige Vorlage. Sie ist ausbaufähig. Aber sie muss verbessert werden und sie muss auch stärker den Realitäten und den Notwendigkeiten dieser Gesellschaft angepasst werden.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Bundesminister Peer Steinbrück.
Peer Steinbrück, Bundesminister der Finanzen:
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
- Dann sind Sie alle offenbar etwas früher aufgestanden als ich.
Als ich ein bisschen zugehört habe, habe ich mir die Frage gestellt: Warum ist es eigentlich so schwer, zu einem Thema wie der Förderung des Ehrenamtes eine Oppositionsrede zu halten, die nicht so verkrampft und so ritualisiert ist wie die, die wir von Herrn Wissing gehört haben?
Hier stellt sich jemand hin und sagt, es sei ein armseliger Gesetzentwurf. Man muss sich einmal vorstellen, was das für eine absolute Verzeichnung dessen ist, was wir hier vorgelegt haben.
Ich will jetzt nicht so weit gehen, zu sagen, dass Ihre Rede armselig gewesen ist. Das ist aber das Adjektiv, das Sie dafür verwendet haben. Man kann hinsichtlich Ihrer Bewertung allerdings schlicht und einfach sagen: Ich konfrontiere Sie mit dem Echo, das ich von den ehrenamtlich Tätigen und den Verbänden selbst bekommen habe. Dann ist diese Oppositionsrede schlicht und einfach irrelevant.
Natürlich sagen die meisten, mit denen ich spreche - glauben Sie mir, es sind sehr viele -, und auch die einschlägigen Verbände, dass es eine ganz bemerkenswerte Initiative ist, um das Ehrenamt in Deutschland zu stärken.
Wenn es Ihr erster Satz gewesen wäre, dass Sie als Oppositionspolitiker diese Einschätzung der Verbände teilen - was durchaus ein ziemliches Ausmaß an Souveränität zum Ausdruck gebracht hätte -, und Sie wären dann auf Detailpunkte gekommen, dann wäre das eine Oppositionsrede gewesen, die mich hätte neugierig machen können.
- Ja, Frau Scheel hat das schon sehr viel besser gemacht.
Aber dass Frau Höll es schafft, in sieben Minuten die Erbschaftsteuer, das G-8-Treffen, das deutsche Demonstrationsrecht und die öffentliche Einnahmesituation zum Thema Ehrenamt zusammenzufassen, ist schon eine bemerkenswerte Leistung.
Worum geht es? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Ihre Erfahrung mit der fantastischen Bandbreite des Ehrenamtes in Deutschland identisch ist mit meiner. Das beginnt bei den Kirchen, geht über große Stiftungen, über kleine Bürgerstiftungen, über Wohlfahrtsverbände, über Ehrenamtsbörsen, über Seniorencomputerklubs - die besten Hacker dieser Republik habe ich unter Senioren gefunden, die sich gegenseitig Computerunterricht geben -, Elternvereine, Schulen, Kindergärten, Feuerwehren, Heimatvereine, Hospizbewegungen - auch die will ich nicht außen vor lassen -, Obdachlosen- und Stadtteilinitiativen bis hin zu Tafelvereinen und Eine-Welt-Gruppen. Das ist eine Vielfalt, die wirklich fantastisch ist.
Richtig ist, dass sich viele Menschen in diesem Ehrenamt engagieren. Es sind 23 Millionen Menschen. Frau Hinz hat darauf hingewiesen. Ich vermute, dass es dabei eine Reihe von Doppelzählungen gibt; aber das ändert nichts daran, dass das Ehrenamt eine Erscheinung in unserer Gesellschaft ist, die wir dringend brauchen und die große Anerkennung verdient.
So verschieden die Ehrenämter auch sind - ich selber habe unmittelbare Erfahrung sammeln dürfen, als ich in einer früheren Funktion regelmäßig über zwei, manchmal drei Tage solche Ehrenamtstouren gemacht habe -, so verschieden sind diejenigen in Bezug auf das Alter, den Beruf und die soziale Herkunft, die sie ausüben. Ich warne davor, sich das Vorurteil zu eigen zu machen, dass es vornehmlich ältere Menschen sind, die sich ehrenamtlich engagieren. Es sind auch sehr viele jüngere darunter, die nur auf eine andere Art und Weise, manchmal zeitlich begrenzt, ehrenamtlich arbeiten. Das Ziel, das diese Mensche alle gemeinsam haben, ist, sich für unsere Gesellschaft einzusetzen, und zwar sehr häufig an den Stellen, wo diese Gesellschaft schwach ist. Sie handeln bewusst oder auch unbewusst ganz nach einem alten Satz von Hermann Gmeiner, der lautet: ?Alles Gute auf dieser Welt geschieht nur, wenn einer mehr tut, als er tun muss.“
Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist von diesem Engagement wesentlich abhängig. Will sagen: Würden diese Menschen nicht mehr tun, als sie tun müssen, würden sie nur, wenn man so will, ihr persönliches Pflichtenheft abarbeiten oder ihren legitimen materiellen Interessen nachgehen, würden sie nicht Zeit, Kraft und manchmal auch Nerven in diese ehrenamtliche Tätigkeit investieren, wäre unsere Gesellschaft nach meiner Auffassung nicht nur ärmer, sondern sie würde nicht funktionieren.
Der Zusammenhalt dieser Gesellschaft wäre dann massiv gefährdet. In meinen Augen sind es insbesondere diese Menschen, die erwähnt werden müssen.
Mir ist an dem Hinweis sehr gelegen, dass es nicht zum Beispiel fremdbestimmte junge Leute in Fernsehcastingshows sind, die als die Superstars - wie mein Sohn sagen würde - ?hochsterilisiert“ werden,
wobei man sich wundert, welche Eintagsfliegen in den Medien zu solchen Superstars und teilweise absolut verzogenen Vorbildern hochstilisiert werden. Das bleibt ein Geheimnis medialer Inszenierung. Die wahren Helden des Alltags sind - ohne Pathos - die sich in Deutschland ehrenamtlich engagierenden Bürgerinnen und Bürger.
Ich will nicht missverstanden werden. Es geht mir nicht darum, dieses Engagement in irgendeiner Form zu idealisieren oder mich gar über einen billigen Reparaturbetrieb für einen in Teilen nicht mehr handlungsfähigen Staat zu freuen. Eine solche Sichtweise auf das ehrenamtliche Engagement in Deutschland wäre grundfalsch. Denn zum einen ist eine vitale Bürgergesellschaft viel mehr: Sie ist auch ein Ausdruck von Freiheit und auch einer von staatlichen Fürsorgeorganisationen unabhängigen Solidarität, was von einer erheblichen Bedeutung ist. Zum anderen müssen wir gerade in der heutigen Zeit auch für einen, wie ich glaube, handlungsfähigen Staat sorgen, der nicht die Hand dafür reicht, dass das Hauptamt durch das Ehrenamt ersetzt wird, was sich die ehrenamtlich engagierten Bürger auch verbitten würden.
Ich bin bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs in der glücklichen Lage gewesen, dass wir hinsichtlich der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf sehr weitreichende Vorarbeiten und einige wichtige Erfolge engagierter Mitglieder insbesondere aus den beiden Regierungsfraktionen aufbauen konnten. Bei Ihrer Rede, Herr Wissing, hatte ich manchmal den Eindruck, dass Sie sich insbesondere so über diesen Gesetzentwurf ausgelassen haben, wie Sie es getan haben, weil Sie ihn nicht mit erfunden haben und auch nie eine richtige Zuarbeit dazu geleistet haben.
Denjenigen, die bei dieser Entwicklung sehr behilflich waren, möchte ich herzlich danken. Ich möchte niemanden zurücksetzen, aber ich will insbesondere Michael Bürsch, Klaus Riegert und Ute Kumpf für ihren unermüdlichen Einsatz danken, auch für den kritischen Dialog, den wir gehabt haben,
der es mir relativ leicht gemacht hat - das Stichwort ist schon gefallen -, seinerzeit Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesfinanzministerium - Sie erinnern sich an die Aufregung im August letzten Jahres - sehr schnell abzuwehren. Ich weiß, dass es das eine oder andere Missverständnis gegeben hat; aber ein Bundesfinanzminister ist gelegentlich auch in der Lage, sich wissenschaftliche Empfehlungen nicht zu eigen zu machen.
Mit diesem Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements löst die Koalitionsfraktion übrigens eine wichtige Zusage aus dem Koalitionsvertrag ein; Herr Riegert, Sie wissen das. Mit unseren Hilfen unterstützen und fördern wir in großem Ausmaß das bürgerschaftliche Engagement auf Bundes- und auf Landesebene entweder über Steuernachlässe oder durch andere Vorzüge, und das in einem Umfang von 440 Millionen Euro. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass sich jene, die sich ehrenamtlich engagieren, voll darauf konzentrieren können und sich nicht mit einer unnötigen Bürokratie abplagen müssen. Ihre Hinweise, Herr Wissing, auf all das, was in diesem Gesetzentwurf steht, sind von Ignoranz gekennzeichnet. Ich wäre für eine faire Bewertung dankbar.
Gleichzeitig wollen wir das Stiftungswesen in Deutschland stärken. Ich selbst empfinde es ebenfalls als einen Glücksfall, dass wir in Deutschland ziemlich genau seit der Reform des Stiftungsrechts unter der rot-grünen Koalition, seit 2002, einen wahren Boom bei den Stiftungsgründungen haben. Auch das darf Anerkennung finden.
Im Vergleich zu den 80er-Jahren hat sich 2006 die Zahl der jährlich neu gegründeten Stiftungen um rund 900 erhöht. Insgesamt gibt es in Deutschland inzwischen - ich glaube, Frau Scheel hat darauf hingewiesen -
14 400 Stiftungen des bürgerlichen Rechts plus die sehr zahlreichen, unselbstständigen Stiftungen, Stiftungsvereine und Stiftungsgesellschaften, die ich bei dieser Gelegenheit nicht ungewürdigt lassen möchte.
Wir haben es also zunehmend mit einer gewissen Stiftungskultur in Deutschland zu tun. Dies wird durch das, was wir hier tun, weiter unterstützt. Von mir aus mag das aus mancher Perspektive unzureichend sein; aber es wird unterstützt. Es mag erstrebenswert sein, einen Standard an Stiftungsaktivitäten wie im angloamerikanischen Bereich, insbesondere in den USA, zu erreichen. Die Situation bei uns hat sich jedenfalls deutlich verbessert.
Es ist kein Geheimnis - ich weiß das -: Zwischen den Fraktionen gibt es in einigen Punkten noch unterschiedliche Meinungen, auch über die wichtigen Initiativen im Rahmen dieses Gesetzentwurfs.
Ich nenne beispielhaft nur die sogenannte 300-Euro-Regelung, die wir auf das ehrenamtliche Engagement für ältere und behinderte Menschen begrenzen wollen. Es geht also um den Begriff der Mildtätigkeit im engeren Sinne; auch Sie haben das indirekt angesprochen. Der Grund für diese Begrenzung ist ganz einfach - das sage ich an Frau Scheel und andere gerichtet -: Eine Ausweitung ist schlicht und einfach nicht mehr bezahlbar.
Wenn wir eine solche Begrenzung nicht einführen, dann wird das Ganze absolut uferlos und man landet bei Milliardenbeträgen.
Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass eine solche Exklusion mancher - sie werden auf anderen Wegen doch mit gefördert, insbesondere im Bereich des Sports - nicht zu rechtfertigen ist, dann sollte man nach meinem Eindruck eher auf das ganze Vorhaben verzichten. Das wäre besser, als diese Regelung in unbestimmtem Maße auszuweiten, was von den Ländern und vom Bund in der Tat nicht mehr bezahlt werden könnte.
Ich will sagen: Ich habe Verständnis für entsprechende Änderungswünsche aus den Regierungsfraktionen, die im parlamentarischen Verfahren behandelt werden.
Mir selber ist an zwei Punkten gelegen - ich bitte um Verständnis -: Erstens. Die festgelegte Obergrenze von 440 Millionen Euro - diese Mittel werden von Bund und Ländern paritätisch aufgebracht - wird nicht überschritten. Zweitens. Dieser Gesetzentwurf wird ohne schuldhaftes Zögern noch vor der Sommerpause verabschiedet.
Dies wäre ein wichtiges Signal für die ehrenamtlich engagierten Menschen.
Es ist vielleicht etwas merkwürdig, dass das Bundesfinanzministerium eine solche Initiative startet. Dass mein Ministerium so vorgeht, hängt damit zusammen, dass ich gerne auch auf diesem Wege mein Verständnis einer gestaltenden Finanzpolitik unterstreichen möchte.
Der Finanzminister ist nicht nur für eine solide Haushaltspolitik verantwortlich - das ist er auch, gerade in diesen Zeiten mit wachsenden Begehrlichkeiten -, sondern auch dafür - das war immer mein Verständnis -, dass das Finanzministerium in der Lage ist, Impulse für Wachstum und Beschäftigung und darüber hinaus zur Förderung der Zivilgesellschaft, die eine erhebliche Bedeutung hat, zu geben.
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist eine sehr gute Verfassung. Auch unsere Landesverfassungen sind sehr gut. Aber die nicht geschriebene Verfassung dieses Landes, der Zustand dieser Gesellschaft, wird maßgeblich von Menschen geprägt, die sich ehrenamtlich engagieren.
Aus diesem Grunde wollen wir sie mit unserer Initiative stärken.
Unser Gesetzentwurf ist vielleicht nicht perfekt, aber er ist ein sehr wichtiger Schritt, der von allen Beteiligten begrüßt wird und der es ermöglicht, dieser Wertschätzung und diesem Dank konkrete Taten folgen zu lassen. Das ist der Kern dieses Gesetzentwurfes.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk von der FDP-Fraktion.
Sibylle Laurischk (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Steinbrück, Ihren Guten-Morgen-Gruß kann ich so nicht erwidern,
auch wenn Sie sich ausführlich mit der FDP-Fraktion befasst haben. Mittlerweile ist es nämlich Highnoon, und ich meine, es ist höchste Zeit für die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements.
Für die FDP ist die Stärkung der Zivilgesellschaft eine zentrale Aufgabe.
- Ich danke für Ihre Zustimmung. - Unser Ziel ist, Freiräume für Bürger zu schaffen, die ohne staatliche Bevormundung handeln und sich frei entfalten wollen. Staat, Markt und Zivilgesellschaft sollen als gleichrangige Akteure nebeneinander stehen. Die rund 1 Million Organisationen, in denen sich mehr als 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger freiwillig engagieren, brauchen klare Rahmenbedingungen. Es genügt nicht, nur neue Steuervorteile zu schaffen. Erforderlich ist eine grundlegende und systematische Bearbeitung des Gemeinnützigkeitsrechts.
Die FDP will weg vom gewährenden und hin zum ermöglichenden Staat.
Für die FDP ist die lebendige Zivilgesellschaft die Klammer unseres Gemeinwesens.
Die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements durch Finanz- oder Sachmittel ist im Handlungsradius von Ländern und Kommunen verankert und muss daher vor Ort diskutiert und festgelegt werden.
In den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen neben der Schaffung der steuerlichen Rahmenbedingungen vor allem die Durchführung von Projekten und Modellprogrammen sowie die Freiwilligendienste, die ein gutes Beispiel für ausbaufähiges, freiwilliges Engagement darstellen. Wenn sich die verschiedenen Ministerien einig wären, wer Freiwilligenprogramme auflegt und Freiwilligendienste entwickelt, dann wären wir auch unter systematischen Gesichtspunkten bereits ein gutes Stück weiter.
Ich erinnere nur an die Differenz zwischen dem Bundesfamilienministerium und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Unsere Aufgabe als Bundespolitiker ist es, die öffentliche Diskussion und damit das Ansehen der bürgerschaftlich Engagierten und ihrer wichtigen Arbeit zu erhöhen. Bürgerschaftliches Engagement fördert nicht nur das soziale Kapital unserer Gesellschaft, sondern es ist auch ein Weg zur Selbstverwirklichung und Mitgestaltung, allerdings nicht - wie im Antrag der Linken formuliert - als Lückenbüßer für den Sozialstaat, sondern als ein Bereich mit eigener Qualität.
Die Förderung des Bürgerengagements lässt sich besonders gut in den Niederlanden beobachten. Die Freiwilligenarbeit gehört dort zum Alltag. Auf ein Jahr hochgerechnet schaffen die, die in ihrer Freizeit für andere da sind, einen Wert in Höhe von 14 Milliarden Euro. Ohne die Erfahrung der wirtschaftlichen Krise in den 80er-Jahren wäre dieses Engagement in den Niederlanden, was sein Ausmaß und die professionalisierte Vermittlung angeht, kaum denkbar. Damals haben Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vereinbart, die Staatsausgaben zu verringern und das Eigenengagement zu stärken. Ich meine, das ist eine Entwicklung, die wir auch in Deutschland brauchen.
Die Niederlande halten am Ziel fest, Geld investiv und damit gesellschaftlich nutzbringend zur Stärkung der Zivilgesellschaft auszugeben.
Ein quantitativer und qualitativer Ausbau der Infrastruktur des bürgerschaftlichen Engagements in den Ländern und Kommunen ist auch in Deutschland nötig. Ich erinnere an ein Beispiel, das in meiner Heimatstadt Schule gemacht hat. Dort wurde die Seniorenarbeit auf kommunaler Ebene bürgerschaftlich organisiert und innerhalb der Stadt gestaltet. So könnte die Seniorenarbeit in ganz Deutschland organisiert werden. Das gilt auch für die Integrationsarbeit, ein Thema, das uns gegenwärtig an anderer Stelle intensiv beschäftigt.
Das grundlegend positive Vorhaben der Bundesregierung wird allerdings noch in vielen Detailfragen zu klären sein. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass die Bundesregierung Erkenntnisse, welche durch die Expertenanhörung erbracht werden, noch in das Gesetz einfließen lässt. Die FDP nimmt beispielsweise die Hinweise des Deutschen Kulturrates zum vorliegenden Entwurf sehr ernst. Als sehr problematisch erachtet der Kulturrat, Spitzenverband der Bundeskulturverbände, dass die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesrates folgen will, die gemeinnützigen Zwecke im Bereich Kunst und Kultur enger zu führen. Sollte die Definition des Bundesrats Gesetzeskraft erlangen, könnten gemeinwohl- und nicht gewinnorientierte Kulturvereine, die nicht unter diese Definition fallen, nicht mehr als gemeinnützig anerkannt werden.
Dies ist im weiteren Verfahren sehr genau zu hinterfragen, Herr Minister, und gegebenenfalls auch zu ändern.
Für sehr problematisch halte ich die neue abschließende Aufzählung der gemeinnützigen Zwecke. Die FDP fordert die Prüfung eines Bestandsschutzes für Vereine, die bei Verabschiedung des Gesetzes als gemeinnützig anerkannt sind.
Lassen Sie mich zum Schluss den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zitieren, der anschaulich beschreibt, warum es sich lohnt, das Steuer- und Spendenrecht zu überarbeiten:
Stiften und Spenden wirken wie eine freiwillige Selbstbesteuerung. Der Staat mobilisiert durch Steueranreize mehr privates Kapital für gemeinnützige Zwecke, als er selbst durch Steuern erheben könnte. Was dem Staat an Steuern entgeht, fließt nach unseren Berechnungen in drei- bis sechsfacher Höhe in den gemeinnützigen Sektor und kommt der Gesellschaft ohne Umwege zugute.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian von Stetten von der CDU/CSU-Fraktion.
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bei allen Sparmaßnahmen, die die Große Koalition aufgrund der notwendigen Haushaltssanierung in die Wege geleitet hat, haben wir immer betont, dass es neben den Familien eine Bevölkerungsgruppe gibt, die wir in Zukunft nicht nur weiter fördern wollen, sondern zu deren Unterstützung wir in Zukunft noch weiteres Geld in die Hand nehmen wollen. Das ist die große Gruppe der ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürger, der mildtätigen, sozialen und gemeinnützigen Vereine und Stiftungen.
Dass eine Anpassung der Freibeträge im Steuerrecht dringend notwendig ist, das merken Sie auch daran, dass bei den gemeinnützigen Vereinen die Buchführungspflichtgrenze in Höhe von 30 678 Euro letztmalig am 9. November 1989 angepasst worden ist.
Das ist, wie Sie wissen, aus einem anderen Grund ein bedeutsames Datum für unser Vaterland. Nach der Abstimmung zum Vereinsförderungsgesetz wurde die Plenarsitzung im Deutschen Bundestag in Bonn - damals im Wasserwerk - unterbrochen, weil sich in Berlin die Mauer öffnete. Sie sehen also, es ist höchste Zeit, dass wir uns mit dem Thema wieder beschäftigen.
Die kulturelle und die soziale Bedeutung der Vereine ist in den letzten Jahren noch einmal stark gestiegen. Wer sich in funktionierenden Vereinen aufhält, der spürt die Wärme, ja fast schon familiäre Atmosphäre, die in unseren Vereinen herrscht. Wir merken immer mehr: Die Vereine sind in vielen Fällen schon fast eine Art Familienersatz geworden und leisten einen enormen Beitrag insbesondere zur Integration ausländischer Jugendlicher.
Die Übungsleiter in unseren Sportvereinen sind längst mehr als nur ?Vorturner“. Sie kümmern sich immer mehr auch um die persönlichen Probleme der ihnen anvertrauten Jugendlichen. Viele Kinder erfahren im Verein erstmalig, wie wichtig Pünktlichkeit, Fairness und Kameradschaft sind. Deshalb werden wir, wie angekündigt, die Übungsleiterpauschale anheben. Wir werden auch schauen, inwieweit wir andere Personenkreise einbeziehen können. Zusätzlich erhalten die Vereine bessere Rahmenbedingungen.
So haben wir es übrigens auch bei den Stiftungen vor. Wir brauchen in Deutschland eine neue Stifterkultur. Sie ist vorhin schon für die USA und andere angelsächsische Länder angesprochen worden. Wir unterstützen Unternehmen und Privatpersonen, wenn sie mit gemeinnützigen Stiftungen unser soziales und kulturelles Leben bereichern wollen.
Das ist übrigens der Unterschied, Frau Dr. Höll, zur Linksfraktion. Wer Ihre Rede genau verfolgt hat und wer vor allem Ihren Antrag genau gelesen hat, in dem Sie sich zu den Stiftungen äußern, der merkt: Das Gesellschaftsbild der Linken ist völlig verklärt. Sie verweigern sich ja nicht nur einer Besserstellung der Stiftungen heute, sondern Sie kritisieren in Ihrem Antrag - Sie gucken so ungläubig; lesen Sie Ihren Antrag! - sogar das heute gängige Verfahren der Unterstützung kultureller und sozialer Stifter in unserem Land. Sie haben ein Gesellschaftsbild, gemäß dem der Staat seinen Bürgern so viele Steuern wie möglich abnimmt und dann selbst entscheidet, was gut ist und was mit dem Geld gemacht wird.
Wir dagegen wollen, dass nur die Rahmenbedingungen für die Stiftungen definiert werden, also nur festgelegt wird, was grundsätzlich förderungswürdig ist. Damit haben die Bürger die Freiheit, selber zu entscheiden, für welche Projekte sie ihr Vermögen einsetzen wollen. Das ist der Unterschied zwischen Ihrem und unserem Modell.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege von Stetten, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Barbara Höll?
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Das mache ich gerne, auch wenn die Linksfraktion gleich als nächste das Wort hat. Bitte schön.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Kollege, ich freue mich natürlich, dass Sie unseren Antrag sehr gründlich gelesen haben. Wir haben ihn ja geschrieben, um ihn in die Debatte einzubringen. Ich glaube aber, Sie haben ihn nicht ganz richtig gelesen. Wir kritisieren nicht die Stiftungen an sich, sondern wir machen auf das verteilungspolitische Problem aufmerksam, dass durch die steuerliche Begünstigung von Stiftungen dem Gemeinwesen Steuergeld verloren geht. Das heißt, es findet auf dieser Seite eine Schwächung statt. Andererseits wird die Position des Stifters gestärkt, der als Individuum entscheiden kann, was er finanziert.
Ich glaube, wir dürfen keine Schieflage zulassen. Wir müssen für ein ausgewogenes Verhältnis sorgen.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, noch einmal richtig nachzulesen. Wir sind nicht gegen Stiftungen und Stifter. Wir sind dafür - -
- Können Sie die Auffassung teilen - eine Frage -, dass mit den Stiftungen sowohl der Zweck verfolgt wird, Steuern zu sparen, als auch der Zweck verfolgt wird, Gutes zu tun -
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Höll, Sie sollen eine kurze Frage stellen.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
- das ist mein letzter Satz -, und der Zweck verfolgt wird, auf Kosten der Steuerzahler das Auskommen von Nachkommen sicherzustellen?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die Gelegenheit kann ich nutzen, um auf die Geschäftsordnung hinzuweisen: Die Fragen sollen kurz und präzise sein, die Antworten ebenfalls.
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Herr Präsident, ich habe zwar die Frage nicht ganz verstanden,
aber damit alle wissen, was in Ihrem Antrag steht, möchte ich nur zwei Sätze vorlesen. Nachdem Sie im Vorspann erklären, dass Stiftungen besonders unterstützt werden und auch in der Vergangenheit schon unterstützt wurden, schreiben Sie weiter:
gerade vor dem Hintergrund ... öffentlicher Mittel - Verteilungsrisiken - -
- Sie erzählen uns, dass öffentliche Mittel gekürzt werden, weil wir Stiftungen fördern.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Hier kann kein Zwiegespräch stattfinden.
Sie haben eine Frage gestellt.
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Herr Präsident, nur ein Satz:
Diese liegen vor allem darin, - -
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr von Stetten, ich leite hier die Versammlung. Richten Sie sich bitte danach.
Eine Frage ist gestellt worden. Ich bitte jetzt um eine kurze, präzise Antwort. Dann ist das Zwiegespräch beendet.
Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Gleichzeitig liegt die Verwendung der auf diese Weise bereitgestellten Mittel im Ermessen des Stifters bzw. der Stiftungsgemeinschaft. Damit sind diese Mittel einem demokratischen und parlamentarischen Entscheidungsprozess entzogen. Öffentliche Güter gelangen damit unter den Einfluss von Individualinteressen.
Das ist Ihre Bemerkung zu dem Thema, dass wir die Stifter in Zukunft besser fördern wollen. Daran wird der große gesellschaftliche Unterschied zwischen Ihrer Ideologie, gemäß der mehr Staat gefordert wird, und unserem Anliegen, die Stifter zu fördern, deutlich. - Ich bin mit meiner Beantwortung fertig, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, wir halten an unserer Forderung fest, bei der Kapitalausstattung der Stiftungen die steuerfreie Höchstgrenze von heute 307 000 Euro nicht nur, wie vom Bundesfinanzminister vorgesehen, auf 750 000 Euro, sondern auf 1 Million Euro heraufzusetzen. Dass dies im Einklang mit einer Forderung der Grünen steht, ist besonders erfreulich, weil wir so gemeinsam bei einer wichtigen Thematik an einem Strang ziehen. Gleichzeitig ist uns noch wichtig, den Zusatzhöchstbetrag von 20 450 Euro beizubehalten. Wir halten dies trotz der Kritik der Linken für eine sehr wichtige Maßnahme.
Wie Sie aus den Ausführungen meines Kollegen Oswald entnehmen konnten, haben wir zu verschiedenen anderen Punkten weiteren Änderungsbedarf beim Minister angemeldet. Für die nun anstehenden Beratungen in den Ausschüssen sollten wir uns ausreichend Zeit nehmen, um mit den Betroffenen über die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen diskutieren zu können. Denn wir wollen nicht nur steuerlich etwas verbessern, sondern bei dieser Gelegenheit auch gleich die Haftung der ehrenamtlich Tätigen ansprechen und beim Bürokratieabbau weiter vorankommen.
Wichtig ist für die Betroffenen, dass das Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft treten soll. Da aber die Steuererklärungen für das Jahr 2007 in der Regel erst im Jahr 2008 erstellt werden, dürfte das kein Problem sein.
Hier sollte uns Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Wir wollen einen ausführlichen Dialog mit dem Personenkreis, der von diesem Gesetz betroffen ist, und dann hier im Bundestag endgültig ein vernünftiges Gesetz beschließen, das den Betroffenen hilft.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Reinke von der Fraktion Die Linke.
Elke Reinke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Bürgerschaftliches Engagement ist derzeit in aller Munde und hochgeschätzt. In der Tat: Es befördert, richtig verstanden, den Zusammenhalt des Gemeinwesens und dient der sozialen Integration. Die Menschen in unserem Land wollen das öffentliche Leben aktiv mitgestalten, sei es beim Bau von Kinderspielplätzen, bei der Betreuung von Kindern und Jugendlichen, in Erwerbsloseninitiativen oder durch die Unterstützung von Sportstrukturen.
Allerdings möchte ich auch auf eine gravierende Fehlentwicklung aufmerksam machen, durch die der eigentliche Sinn des bürgerschaftlichen Engagements verwässert zu werden droht: Das Engagement Freiwilliger ist heute immer stärker Ersatz öffentlicher Leistungen und dient somit der finanziellen Entlastung von Bund, Ländern und Gemeinden.
Weil sich Bund und Länder aus der Verantwortung stehlen, sind viele Kommunen kaum noch in der Lage, ihre laufenden Ausgaben aus den Einnahmen zu bestreiten. Das führt nun dazu, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend zu ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kommune angehalten werden. Viele tun dies grundsätzlich auch gern. Aber hierbei wird oftmals übersehen, dass sich bürgerschaftliches Engagement nach und nach zum Notbehelf im Zuge des Sozialstaatabbaus entwickelt. Der Staat zieht sich aus Kostengründen immer weiter zurück. Die Privatwirtschaft folgt unmittelbar. Immer mehr reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze fallen weg. Die Ehrenamtlichen sollen nun diese Lücke schließen. Hier fordert die Linke von der Regierung, in Richtung öffentlich geförderter Beschäftigung aktiv zu werden. Lassen Sie Ihren Worten endlich Taten folgen!
Bürgerschaftliches Engagement darf nicht ein Ersatz für Leistungen sein, die Kommunen, Länder und Staat nicht mehr erbringen können oder teilweise nicht erbringen wollen. Wir wollen kein dienendes und ersetzendes Engagement, sondern Partizipation und Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger in ihrem alltäglichen Lebensumfeld.
Unterdessen werden die durch Sozialabbau freigewordenen Stellen kostensparend mit freiwillig Engagierten besetzt. Dazu ein Beispiel aus meiner Region: In Jugendklubs wird sozialpädagogisches Fachpersonal durch Ehrenamtliche und 1-Euro-Beschäftigte ersetzt - oder die Klubs werden gleich ganz geschlossen.
Ehrenamtlichkeit ist gerade im sozialen Bereich unverzichtbar; das ist keine Frage. Wenn die momentane Entwicklung jedoch weiter so verläuft, werden immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte durch engagierte, aber unentgeltlich und nicht sozialversichert arbeitende, möglicherweise unzureichend qualifizierte Bürgerinnen und Bürger ersetzt. Ähnliches ist auch schon in der Altenpflege und Altenbetreuung zu beobachten.
Ich möchte noch kurz auf einen anderen Bereich eingehen: die Tafeln. Das Ziel der Tafeln ist es, qualitativ einwandfreie Nahrungsmittel, die sich nicht mehr verwenden lassen, an Bedürftige zu verteilen. Die Tafeln bemühen sich hier um sozialen Ausgleich. Vor allem seit der Einführung von Hartz IV ist die Zahl der Tafelneugründungen stark gestiegen. Das Projekt wird hauptsächlich von Ehrenamtlichen bewerkstelligt. Im Dezember 2006 war zu vernehmen, dass Familienministerin von der Leyen die Schirmherrschaft für ?Die Tafeln“ übernommen hat. Der Einsatz der mehr als 25 000 Helferinnen und Helfer ist wirklich bemerkenswert und nicht hoch genug zu loben. Aber stellt sich nicht gleichzeitig die Frage, wie es erst so weit kommen konnte, dass die Zahl der Tafeln so gewachsen ist?
Die unsoziale, armutsverschärfende Politik dieser Koalition hat ihren Anteil daran. Es ist zugleich auffällig, dass die Anerkennung für die Freiwilligen in erster Linie von denen kommt, die den Rückbau des Sozialstaates und die Zunahme von Armut politisch zu verantworten haben.
Es ist der Hohn, dass sich Frau von der Leyen auf der einen Seite als Schirmherrin der Tafeln zur Verfügung stellt und andererseits eine Politik mitverantwortet, die immer mehr Bedürftige schafft. Freiwillige Arbeit benötigt alles in allem umfangreiche materielle, finanzielle und soziale Infrastruktur, personelle Ressourcen sowie eine ausgeprägte Kultur der öffentlichen Anerkennung.
Doch weiteren Sozialabbau - nun auch unter dem Deckmantel des bürgerschaftlichen Engagements - wird es mit der Fraktion Die Linke nicht geben.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Britta Haßelmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Finanzminister! Lassen Sie mich bitte kurz drei Dinge vorwegschicken, wenn wir über bürgerschaftliches Engagement sprechen.
Wir sprechen über bürgerschaftliches Engagement selbstverständlich auch in Bezug auf die vielen Menschen, die sich im Sinne einer lebendigen Zivilgesellschaft engagieren, die etwas Emanzipatorisches, Lebendiges, Kreatives und Zusätzliches ist und selbstverständlich nicht professionelle Infrastrukturen ersetzt.
Vielmehr braucht man als unverzichtbares Element hauptamtliche Strukturen.
Das will ich einfach vorwegschicken, denn man kann mit einer Debatte, die hier über mehr als sechs Jahre geführt worden ist - ich selbst bin neu im Bundestag -, nicht immer wieder bei null anfangen.
Das ist ein kreativer, emanzipatorischer Ansatz. Dafür brauchen wir hauptamtliche Strukturen. So definieren wir Grüne bürgerschaftliches Engagement.
Punkt zwei. Bürgerschaftliches Engagement - das sage ich auch in Abgrenzung zur FDP - bedeutet gerade nicht den Rückzug des Staates aus der Verantwortung. Es bedeutet eine Neudefinition des Verhältnisses von staatlicher Verantwortung, Markt und lebendiger Zivilgesellschaft, aber gerade nicht den Rückzug des Staates aus der Verantwortung.
Drittens. Es wurde hier eben beklagt, dass die Chancen und Möglichkeiten für Engagement immer geringer werden. Das ist nicht so!
Alle Berichte, Erhebungen, Statistiken und Umfragen, die uns vorliegen, zeigen deutlich, dass es eine massiv erhöhte Bereitschaft zum Engagement und auch verstärktes Engagement, und zwar bei vielen Menschen, gibt.
Das gilt sowohl für junge als auch für alte Menschen. Es gilt auch für Migrantinnen und Migranten, um die wir uns auch zu kümmern haben, indem wir fragen, welche Bedingungen wir dafür zugrunde legen, dass Menschen sich engagieren können, die Deutschland vielleicht nicht als Herkunftsland haben. Schließlich gilt es auch für Menschen, die arbeitslos sind und Interesse haben, sich auf diese Art und Weise zu engagieren und ihre Kreativität einzubringen. Das sollten wir, wenn wir darüber diskutieren, auch einmal zur Kenntnis nehmen.
Nun zum Gesetzentwurf: Herr Finanzminister, ich freue mich sehr, dass Sie zu Weihnachten doch noch die Kurve gekriegt haben.
Ich hatte am Anfang den Eindruck, dass der Wissenschaftliche Beirat und die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats auch - um das einmal so deutlich zu sagen - im Finanzministerium auf offene Ohren stoßen. Ich war irritiert über auf die eine oder andere Stellungnahme. Sowohl meine Kollegen und Kolleginnen aus der SPD als auch die aus der CDU/CSU und anderen Fraktionen wissen, über welche Stellungnahmen ich rede.
Daher bin ich umso positiver überrascht, dass diese Beiratsempfehlungen im Zeitpunkt der Gesetzeseinbringung vom Tisch sind.
Denn es war dringend notwendig, mit dem Tenor aufzuräumen, lebendige Zivilgesellschaft, Vereinsengagement und Initiativenarbeit bedeuteten Wettbewerbsverzerrungen und Missbrauch. Ich glaube, da waren wir uns in Bezug auf die Arbeit im bürgerschaftlichen Engagement sehr einig.
Meine Kollegin Christine Scheel ist auf viele der einzelnen Punkte aus den zehn Vorschlägen aus grüner Sicht eingegangen. Ich glaube, dass es in der Anhörung und in den Fachausschüssen noch eine sehr intensive Diskussion geben wird. Denn die eine oder andere Einlassung des Finanzministeriums, Herr Minister, hat nicht gerade für Klarheit gesorgt. Ich denke zum Beispiel an die Äußerung, man müsse durch die Neuregelung vielleicht bestimmten Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkennen. Wenn ich an solche Bespiele denke, glaube ich, dass wir da noch über einige Fragen ganz intensiv diskutieren müssen.
Meine Kollegin Christine Scheel hat vorhin, wie gesagt, die Punkte schon angesprochen, die aus grüner Sicht notwendig sind. Ich will an dieser Stelle betonen, dass wir zwar jetzt über den Gesetzentwurf zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und über die Fragen im Zusammenhang mit der Gemeinnützigkeit und der steuerrechtlichen Förderung diskutieren. Im Grunde genommen muss aber das gesamte Thema der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements überall und nicht nur in dieser parlamentarischen Debatte behandelt werden.
Die Fragen sind: Was tun wir eigentlich, um eine lebendige Zivilgesellschaft zu fördern? Welche Bedingungen können wir schaffen, damit sich noch mehr Menschen engagieren? Es gibt im Moment fast 23 Millionen Menschen, die sich in irgendeiner Weise bürgerschaftlich engagieren, und zwar nicht nur in großen Verbänden, sondern auch in sehr vielen kleinen Initiativen vor Ort. Was tun wir eigentlich, um dieses Thema als Querschnittsaufgabe zu behandeln und entsprechende Unterstützung in allen Politikfeldern und in allen Ressorts zu leisten?
Wir dürfen nicht die Tatsache überbewerten, dass wir uns nun mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen. Dass wir jetzt etwas tun, sollte uns nicht dazu veranlassen, uns gegenseitig auf die Schulter zu klopfen. Es gibt noch jede Menge konkreten Handlungsbedarf. Ich wünsche mir eine viel stärkere Debatte in allen Politikfeldern. Warum sollten nicht auch der Verbraucherschutzminister, der Umweltminister und die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend viel mehr über die Bedeutung des bürgerschaftliche Engagements in dieser Gesellschaft reden und Initiativen begleiten?
Hier besteht noch Handlungsbedarf. Wir müssen stärker dafür eintreten, Bedingungen zu schaffen, mit denen das bürgerschaftliche Engagement wirklich gefördert wird.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Klaus Riegert von der CDU/CSU-Fraktion.
Klaus Riegert (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die seit Mitte der 90er-Jahre geführte Diskussion über Wert und Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements scheint sich nun endlich auszuzahlen. Zumindest ist ein Wandel in der Wahrnehmung des Engagements und seiner Bedeutung für unser Gemeinwesen festzustellen. Die CDU/CSU begrüßt den vom zuständigen Bundesfinanzminister vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements als ersten großen Schritt in die richtige Richtung.
Dies gilt umso mehr, als der Gesetzentwurf im Wesentlichen auf Vorschlägen basiert, die auf die Enquete-Kommission und auf Handlungsempfehlungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurückgehen.
Zur Erinnerung: Die CDU/CSU hat durch eine Große Anfrage im Jahr 1996 dafür gesorgt, dass wir am 5. Dezember 1997 zum ersten Mal überhaupt eine Debatte über bürgerschaftliches Engagement im Deutschen Bundestag hatten.
Dies führte zur Einsetzung der Enquete-Kommission im Jahre 1999. Das Ziel war es, politische Strategien und Maßnahmen zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zu erarbeiten. Ich empfehle jedem, unseren vorliegenden Abschlussbericht, der sehr aktuell ist, zu lesen.
Lassen Sie mich nun konkret auf einige Punkte eingehen.
Erstens. Der Gesetzentwurf sieht eine Erhöhung der Besteuerungs- bzw. Zwecksbetriebsgrenze bei gemeinnützigen Körperschaften und sportlichen Veranstaltungen auf 35 000 Euro vor. Wir wie auch der Bundesrat sind der Meinung, dass wir die Besteuerungsgrenze auf 40 000 Euro anheben sollten. Wir möchten mit dieser Erhöhung eine Flexibilisierung auf drei Jahre verbinden, um zum Beispiel den Vereinen eine größere Planungsfreiheit bei der Ausrichtung von Vereinsjubiläen oder besonderen Anlässen zu ermöglichen.
Zweitens. Der Gesetzentwurf sieht eine Anhebung der sogenannten Übungsleiterpauschale bei unverändertem Anwendungsbereich auf 2 100 Euro vor. Über die Anhebung des Übungsleiterfreibetrages hinaus halte ich eine Erweiterung des Bezugskreises auf Verantwortungsträger - zum Beispiel Vereinsvorsitzende, Schatzmeister und ehrenamtliche Geschäftsführer - für erforderlich.
Ferner sollten wir die 2 000 lizenzierten Organisationsleiter im Sport und die Helfer in der Gefahrenabwehr mit aufnehmen.
Im Übrigen profitieren die Feuerwehrleute von dieser Anhebung bisher nicht. Auch hier müssen wir eine entsprechende Anpassung vornehmen. Sie ist notwendig und sachgerecht. Dies sollte Ausdruck der Anerkennung für die gefährliche und wertvolle Arbeit der Feuerwehr sein.
Drittens. Wir unterstützen die Anhebung des Höchstbetrages für die Ausstattung von Stiftungen, sind aber wie der Bundesrat der Meinung, dass wir hier ein klares Zeichen setzen sollten, diesen auf 1 Million Euro anheben zu wollen. Das wäre für mich ein wichtiges Signal für die Gründung von Stiftungen. Dies würde den Bürgern die Möglichkeit geben, dauerhaft gemeinnützige Zwecke zu finanzieren.
Viertens. Im Entwurf ist die Einführung eines Abzugs von der Steuerschuld in Höhe von 300 Euro jährlich für ehrenamtliche Tätigkeiten im mildtätigen Bereich im Umfang von 20 Stunden vorgesehen. Wir sind wie der Finanzminister der Meinung, dass diese Begrenzung auf den mildtätigen Bereich ein Ranking innerhalb des ehrenamtlichen Engagements schafft und damit Unterschiede zeitigt. Darin sehen wir ein Problem. Das kann nicht unser Ziel sein.
Die Konsequenz kann nur sein, dass wir diese Abzugsfähigkeit sachgerecht auf den Naturschutz, die Hilfs- und Rettungsdienste, die Feuerwehr, kirchliches Engagement und Bereiche des Sports ausweiten. Falls dies nicht zu finanzieren ist, sollte dieser Punkt zur Disposition stehen. Eine Rangfolge des Ehrenamtes streben wir nicht an. Aus meiner Sicht sollten wir eher darüber nachdenken, ob wir nicht eine Freigrenze von 1 200 Euro für alle Ehrenamtlichen schaffen. Damit erzielen wir einen konkreten Bürokratieabbau, da die Einzelnen nicht mehr die Kosten für Porto, Telefon und gefahrene Kilometer sowie andere Aufwendungen detailliert nachweisen müssen, sondern dies pauschal über eine Freigrenze abgedeckt ist.
Fünftens. Die Beiträge für Kultur sind in Zukunft von der Steuer absetzbar. Aber was, Herr Finanzminister, geschieht mit Mitgliedsbeiträgen an Sportvereine? Ihr Ministerium hat einen entsprechenden Vorschlag lapidar mit der Formulierung abgelehnt - ich zitiere -: Die Mitglieder von Sportvereinen fördern mit ihren Beiträgen in erster Linie die eigene Freizeitgestaltung. - Lieber Herr Steinbrück, Sie haben mich zwar gelobt. Aber an dieser Stelle muss ich Sie natürlich fragen: Was ist mit den Begriffen der Sozialisation, der Integration, der Gesundheitsförderung und der Lebensschule für Kinder? Dies alles sind Leistungen der Sportvereine. In Ihren Reden zu entsprechenden Anlässen findet sich das alles. Ist es jetzt vergessen?
Lassen Sie uns deshalb gemeinsam darüber nachdenken, ob wir die Mitgliedsbeiträge für Kinder und Jugendliche an Sportvereine als Zuwendungen zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke anerkennen können.
Dies wäre ein erheblicher Beitrag, Eltern zu motivieren, ihre Kinder regelmäßig zum Sport anzuhalten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Gesetzgebungsverfahren die im Gesetzentwurf vorhandenen Unebenheiten und Ungleichheiten zum Wohle aller ehrenamtlich Tätigen beseitigen. Wir stehen weiter an der Seite des Ehrenamtes.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf von der SPD-Fraktion.
Ute Kumpf (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist richtig, Frau Dr. Höll: Viele tun es. Der Brite macht es; der Franzose macht es. Auch der Pole, der Ire, der Belgier und der Deutsche tun es. Ganz viele sind in Europa bürgerschaftlich, freiwillig, unentgeltlich, eigensinnig unterwegs. Sie sind das soziale Kapital, über das unsere Gesellschaft verfügt. Sie sind ein Kapital, das sich, wenn man es benutzt, sogar vermehrt. Dies ist auch gut so.
Wir haben also im europäischen Umfeld vieles; einiges haben Sie zitiert. Wir haben aber etwas, was andere nicht haben: Die 23 Millionen Menschen in Deutschland, die sich bürgerschaftlich engagieren, und die 14 000 Stiftungen haben in Peer Steinbrück einen Finanzminister, der genau dieses Engagement wertschätzt, der mit seinem Gesetz hier unterlegt, dass Ehrenamt kein Ausfallbürge für den Sozialstaat sein soll,
der den Ehrenamtlichen nicht als potenziellen Steuerhinterzieher betrachtet,
sondern davon ausgeht, dass der Ehrenamtliche, wenn er unterwegs ist, nicht nur an sich denkt, sondern auch an die Gesellschaft und Gemeinschaft. Alle in diesem Hause sprechen hier oder in ihrem Wahlkreis zum Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember immer von der Seele der Demokratie und vom Wärmestrom der Gesellschaft, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Vielleicht wäre es für die Kollegen und Kolleginnen von der Opposition einmal ganz hilfreich, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen - Kollege Riegert hat es schon gesagt -: In der rot-grünen Koalition haben wir die Enquete-Kommission und den Ausschuss ins Leben gerufen. Wir haben seit 2002 eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Wir haben die finanzielle Förderung der Freiwilligendienste, Unfallschutz und Haftungsfragen geregelt. Wir haben die Hospizbewegung und die Selbsthilfe unterstützt.
Wir haben über alle Elemente aus der Enquete-Kommission in diesem Hohen Hause beraten.
Heute sprechen wir über das Finanzielle; das ist auch gut so. Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates haben viele gefragt: Oh Gott, was werden wir aus dem Finanzministerium womöglich hören? Mit dem Gesetzesentwurf mit der Überschrift ?Hilfen für Helfer“ - da war die grüne Seite vielleicht nicht mehr so ganz auf der Höhe der Zeit - hat sich der Finanzminister nicht auf die Seite des Beirates gestellt, sondern auf die Seite der Engagierten.
- Es hat nicht gedauert.
Vielleicht sind Sie auch da nicht auf der Höhe der Zeit. Schon lange vorher - auch das ist eine Neuheit - wurde aus dem Finanzministerium der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zu den Verbänden gesucht, um das Gesetzeswerk tatsächlich Stück für Stück zu entwickeln und gemeinsam auf den Weg zu bringen.
Deswegen ist das Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements ein Zeichen der Anerkennung und der Unterstützung bürgerschaftlich Engagierter. Das Gesetz soll mehr Menschen motivieren, sich zu engagieren. Für uns als Sozialdemokraten ist beides wichtig - das sage ich vor allem an die Adresse der Linken -: Sowohl die Zivilgesellschaft als auch der Sozialstaat müssen gestärkt werden.
Nur wenn beides gestärkt wird, kann es funktionieren.
Herr Kollege Riegert und andere haben es schon angeführt: Mit dem Gesetz ?Hilfen für Helfer“ werden unsere Forderungen - es sind nicht nur Forderungen der CDU/CSU; da muss man etwas genauer sein -, die Forderungen der Enquete-Kommission - Kollege Riegert und Kollege Bürsch waren dabei; auch ich durfte mitarbeiten - jetzt aufgegriffen und gesetzgeberisch umgesetzt.
Nach der Schrecksekunde, die im Sommer durch den Wissenschaftlichen Beirat ausgelöst wurde, war der Jubel groß, nachdem die Eckpunkte kurz vor dem Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember vorgelegt worden sind. Jetzt seien Sie doch alle einmal ehrlich - das sage ich vor allem an die Seite der Linken gerichtet; ich glaube, in diesen Kreisen bewegen Sie sich nicht -: Es gab viel Wertschätzung und viele positive Reaktionen aus den Verbänden, weil sie dem Finanzminister dies nicht zugetraut hatten. Es gab ja früher immer die Debatte, dass es Milliarden kostet, wenn man Steuervergünstigungen für die jeweiligen Verbände gewährt.
Das Finanzministerium hat mit diesem Gesetzentwurf richtig gehandelt. Lob und Anerkennung können nicht nur die Verbände, sondern auch wir an das Ministerium richten. Ich will hier einmal die Kulturseite zitieren, die gesagt hat: Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Das hört man selten über ein Vorhaben des Finanzministeriums; das überrascht. In diesem Fall kommt das, was mobilisiert werden kann, der Kultur zugute.
Diese Neuregelungen, die jetzt auf den Weg gebracht werden sollen, stehen für Bürokratieabbau und für mehr Anreize zum Stiften von Zeit und von Geld. Wir sind gut beraten, wenn wir die engagierten Bürgerinnen und Bürger nicht benutzen. Wir alle wissen: Bürgerschaftliches Engagement lässt sich nicht verordnen. Es muss eigensinnig, freiwillig und unentgeltlich sein. Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, innovativ zu sein.
Ich finde es gut und schön, dass dieser Gesetzentwurf nicht hinter der Wirklichkeit zurückbleibt, sondern mitten im Leben steht. Uns ist besonders wichtig, dass die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in den Katalog der gemeinnützigen Zwecke des § 52 der Abgabenordnung - dieser Passus ist auf den ersten Blick unscheinbar - aufgenommen wurde. Das geschah zu Recht, das finden wir gut, und daran wollen wir festhalten.
Ich finde es immer wieder putzig, wenn die FDP dazu auffordert, zu stiften und auf andere Weise fürs Gemeinwohl tätig zu werden. Ich frage mich nur, warum Sie sich dafür nicht in der Zeit eingesetzt haben, als Sie an der Regierung waren. Wir sind seit 1998 an der Regierung, und seitdem ist die Stiftungskultur bei uns am Werden und am Wachsen.
Ich glaube, viele Kolleginnen und Kollegen aus unserer Runde waren bei vielen Bürgerstiftungen dabei. Auch ich habe meinen Beitrag geleistet. Wir werden auch in Zukunft für Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Stiftungen sorgen. Wir werden wahrscheinlich auch den Stiftungsrahmen anheben. Wir haben schon viel getan, und wir werden auch in Zukunft noch viel tun.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Kumpf, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ute Kumpf (SPD):
Lieber Kollege Tauss, ich würde jetzt gern bei diesem Thema bleiben, weil es mir wichtig ist. Es ist ein heiß umkämpftes Thema und ein Lieblingskind von mir. Die einen stiften Geld, und die andern stiften Zeit. Ich glaube, auch diejenigen, die Zeit spenden, die ehrenamtlich und unentgeltlich für ältere und behinderte Menschen tätig sind, werden dadurch ermutigt, dass sie 300 Euro von ihrer Steuerschuld abziehen können. Wir tun gut daran, dieses Engagement zu unterstützen. Ich weiß, dass das sehr umstritten ist. Ich denke, dass wir hiermit einen Paradigmenwechsel vornehmen. Wir entsprechen damit auch einer Forderung der Enquete-Kommission.
Es wird immer wieder behauptet, dass für die Übungsleiter nichts getan wurde. In dem Gesetzeswerk steckt auch eine Erhöhung der Übungsleiterpauschale. Mit dieser Erhöhung befindet sich Peer Steinbrück in guter Gesellschaft: In Zeiten von Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wurde die Übungsleiterpauschale erhöht. Von dieser Übungsleiterpauschale profitieren im Übrigen nicht nur Kolleginnen und Kollegen, die sich im Bereich des Sports um die Jugend kümmern, sondern auch diejenigen, die sich im Bereich der Kultur und in anderen Bereichen für die Jugend engagieren.
Ich sehe, dass die Lampe leuchtet. Der Präsident sagt gleich etwas.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin, sind Sie so weit?
Ute Kumpf (SPD):
Ich komme gleich zum Schluss.
Ich habe noch ein Anliegen.
- Ich habe zwar mehrere, ich konzentriere mich jetzt aber auf eines, Kollege Fischer. - Ich hoffe, dass die CDU/CSU, was den Terminplan anbelangt, ein wenig schwächelt. Ich finde, dass diejenigen, die sich bürgerschaftlich engagieren, es verdient haben, dass bis zur Sommerpause Klarheit über das steuerrechtliche Verfahren herrscht.
Nachdem wir alle steuerrechtlichen Fragen abgehandelt haben, wird noch genügend Zeit bleiben, um andere Fragen zu klären, zum Beispiel Haftungsfragen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Kumpf, Sie bringen jetzt unseren Terminplan durcheinander.
Ute Kumpf (SPD):
Deswegen bitte ich, dass wir unsere Beratungen zügig fortsetzen,
damit wir die Menschen Mitte des Sommers auf unserer ?Ehrenamtstour“ in ihrem Wirken bestärken können.
Danke.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion.
Otto Bernhardt (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns sicher alle darin einig, dass gesellschaftliches Leben ohne die Bereitschaft von Millionen von Menschen in Deutschland, sich neben Familie und Beruf ehrenamtlich zu betätigen, in vielen Bereichen überhaupt nicht möglich wäre.
Insofern muss man im Rahmen dieser Debatte all denen, die - oftmals ganz im Verborgenen - aktiv arbeiten, von dieser Stelle ein herzliches Dankeschön sagen.
Es ist schon erstaunlich, dass, wie neueste Untersuchungen zeigen, jeder dritte Deutsche ehrenamtlich tätig ist. Was mich besonders erfreut, ist, dass sich diese Zahl in den letzten Jahren erhöht hat. Das Ehrenamt ist ein Thema - das hat die Debatte gezeigt -, das für alle Parteien bzw. Fraktionen von großer Bedeutung ist. Für uns geht es hierbei nicht nur um materielle Fragen. Für uns gehört eine Stärkung des ehrenamtlichen Engagements zu den Grundsätzen der Politik: Solidarität, Subsidiarität.
Vor diesem Hintergrund haben wir mit dafür gesorgt, dass bereits im Koalitionsvertrag das Ziel der Verbesserung der Rahmenbedingungen festgehalten wurde. Heute nun diskutieren wir in erster Lesung über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements zum Ziel hat. Ich kann nur sagen: Herr Minister, Sie haben einen guten Entwurf vorgelegt.
Wir stimmen dem Inhalt mit Ausnahme eines Punktes uneingeschränkt zu. Bei diesem einen Punkt wollen Sie, um das klar zu sagen, etwas Gutes. Es geht dabei um die Möglichkeit, bis zu 300 Euro pro Jahr, also 25 Euro pro Monat, von der Steuerschuld abzuziehen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. So mancher Ehrenamtler fühlt sich da fast in seiner Ehre gekränkt. Viel problematischer ist für uns jedoch die in diesem Zusammenhang entstehende Bürokratie. Es heißt, man kann diese 25 Euro abziehen, wenn man im Monat mehr als 20 Stunden ehrenamtlich arbeitet. Dies muss dann natürlich irgendwo dokumentiert werden. Dabei leiden die armen Vereinsvorsitzenden schon heute unter zu viel Bürokratie.
Ein weiterer Punkt ist, dass Sie diese Steuerermäßigung laut Ihrem Entwurf auf diejenigen begrenzen wollen, die mit Älteren, Behinderten und Kranken arbeiten. Das sind ganz wichtige Bereiche. In der bei mir eingehenden Post wird allerdings - mehrere Redner haben es angesprochen - von vielen, die in anderen Bereichen tätig sind, gefragt: Sind wir weniger wichtig? Diese - jede! - Abgrenzung ist problematisch.
Ihr Vorschlag werde, so sagen Sie, zu Steuerausfällen von 400 Millionen Euro im Jahr führen. Das ist ein großer Schluck aus der Pulle für den ehrenamtlichen Bereich, den wir mittragen. Wir stimmen Ihnen darüber hinaus zu, dass diese 400 Millionen Euro die Grenze sein müssen. Im Grunde geht es jetzt darum, ob man den Kreis der Begünstigten erweitern sollte. Die Kollegin Scheel hat eine Reihe von Punkten genannt; dem könnte ich zustimmen. Doch ich habe mir sagen lassen, dass wir, wenn wir das umfassend gestalten, bei 1 Milliarde Euro landen. Deshalb sage ich ganz deutlich: Ich schließe nicht aus, dass wir im Rahmen der Beratungen zu dem Ergebnis kommen, dass wir uns diesen Punkt einfach nicht leisten können. Wir haben für die dann frei werdenden Mittel eine ganze Reihe guter Vorschläge; hier ist vieles gesagt worden. Von Bayern sind gute Vorschläge gekommen, ja ich kann generell sagen: vom Bundesrat. Auch wir haben einzelne Vorschläge gemacht. Hier kann man sicher noch etwas verbessern.
Die heutige Debatte hat gezeigt, dass alle Fraktionen bestrebt sind - wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten -, das Ehrenamt in Deutschland zu stärken. Das ist die richtige Botschaft an die Ehrenamtlichen in Deutschland: Der Bundestag steht geschlossen hinter ihrer Arbeit
und ist bereit, die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern. Ich stimme dem Ausschussvorsitzenden zu, der gesagt hat: Wir sollten versuchen, für diesen Gesetzentwurf eine möglichst breite Zustimmung zu bekommen.
Ich glaube, die FDP holen wir noch rein.
Bei den Grünen sehe ich auch noch gewisse Chancen. Die Vermögensteuer will ich nicht hereinbringen, aber ich kann mir vorstellen, dass wir eine sehr breite Zustimmung bekommen. Das wäre ein weiteres gutes Signal für die Ehrenamtlichen.
Deshalb kann ich abschließend nur sagen: Dieser Gesetzentwurf ist ein Kompliment für das Ehrenamt. Wir alle stehen zu dem Ehrenamt. Dies ist eine gute Stunde für das ehrenamtliche Engagement in Deutschland.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich schließe die Aussprache.
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/5200 und 16/5245 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 97. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 11. Mai 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]