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Die Deutschen leben immer länger. Was eigentlich eine gute Nachricht ist, wird jedoch für die gesetzliche Rentenversicherung zum Problem. Ohne Reformen wird das heutige System nicht mehr in der Lage sein, ein ausreichendes Einkommen im Alter zu sichern. Dabei spielt nicht nur die längere Lebenserwartung eine Rolle, sondern auch der Abbau sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze und die niedrige Geburtenrate. Experten und Politiker sind sich einig, dass schon jetzt gehandelt werden muss, auch wenn die Schwierigkeiten erst in einigen Jahren akut werden.
Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Eckpfeiler des deutschen Sozialstaats. Die Grundlagen wurden bereits vor mehr als 100 Jahren gelegt. Damals wurde auf Initiative von Reichskanzler Bismarck das erste kollektive Altersvorsorgesystem in Deutschland eingerichtet. Finanziert wurden die Renten schon damals durch Beiträge, von denen die Hälfte der Versicherte und die andere Hälfte der Arbeitgeber zahlt, sowie durch einen Zuschuss des Staates. Die Zahlungen für die Rentner waren allerdings sehr gering und konnten nur als Ergänzung zum Lebensunterhalt dienen.
Das ändert sich 1957. In einer weit reichenden Rentenreform wird das System grundlegend umgestellt: Kernstück ist die Einführung der „dynamischen Rente“. Seitdem folgen die Rentenanwartschaften und Rentenbezüge der Einkommensentwicklung. Dadurch soll nicht nur der während des Arbeitslebens erreichte Standard aufrechterhalten werden. Die Rentnerinnen und Rentner sollen auch an Produktivität, Fortschritt und an dem laufenden Einkommenszuwachs der aktiven Beschäftigten beteiligt werden. Die Rente erhält so die Funktion eines Lohnersatzes. Außerdem wird 1957 in einem „Generationenvertrag“ das Prinzip der Umlagefinanzierung eingeführt: Die aktiv Beschäftigten zahlen Beiträge, die fast umgehend an die Rentner wieder ausgezahlt werden. Zudem beteiligt sich der Staat mit Steuermitteln. Einen Kapitalstock gibt es nicht mehr.
Die persönliche Anwartschaft auf eine Rente erwirbt sich der Versicherte aber bis heute durch die Höhe und die Dauer seiner Beitragszahlung. Während seines Arbeitslebens sammelt er Entgeltpunkte. Dabei bedeutet ein Punkt, dass für ein Jahr Beiträge auf Basis des Durchschnittseinkommens gezahlt werden. Bei einem höheren oder einem niedrigeren Einkommen fällt der Wert höher beziehungsweise niedriger aus. Wenn der Versicherte in Rente geht, wird die Zahl der Entgeltpunkte mit dem dann aktuellen Rentenwert multipliziert. Derzeit beträgt dieser Rentenwert in den alten Ländern 26,13 Euro und 22,97 Euro in den neuen Ländern. Der beispielhafte „Eckrentner“, der 45 Jahre Beiträge auf ein Durchschnittseinkommen bezahlt hat, würde gegenwärtig im Westen eine Rente von 1.175,85 Euro erhalten.
Demografischer Wandel
Das Umlagesystem lebt davon, dass es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern gibt. Das war 1957 gegeben, weil damals etwa fünf Beitragszahler für einen Rentner aufkamen. Heute ist das Verhältnis auf rund drei zu eins gesunken. In etwa 50 Jahren wird ein Beitragszahler für einen Rentner aufkommen müssen. Ursache für diese Entwicklung ist unter anderem die steigende Lebenserwartung. Sie ist seit 1950 bei neugeborenen Jungen um rund elf Jahre auf aktuell 75,9 Jahre gestiegen, bei Mädchen um 13 Jahre auf 81,5 Jahre.
Eine 65-jährige Frau kann heute davon ausgehen, noch weitere 22,6 Jahre zu leben – das sind sechs Jahre mehr als noch vor 20 Jahren. Für die Rentenversicherung bedeutet das, dass sich die Dauer des Rentenbezugs stark verlängert hat, nämlich in den letzten 40 Jahren um sieben auf 17 Jahre. Und sie wird weiter wachsen. Denn nach Schätzungen steigt die Lebenserwartung bis zum Jahr 2030 bei 65-jährigen Männern und Frauen um weitere drei Jahre.
Abzulesen ist diese Entwicklung unter anderem am Beitragssatz. Während er zwischen 1957 und 1967 noch 14 Prozent betrug, kletterte er Ende der 90er Jahre auf über 20 Prozent. Die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP unter Kanzler Helmut Kohl versuchte, diese Entwicklung zu stoppen. Sie führte einen „demografischen Faktor“ ein, der das ungünstigere Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern berücksichtigte. Im Ergebnis sollten die Renten langsamer steigen als Löhne und Gehälter. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder setzt diese Stabilisierungsmaßnahme zunächst aus, führt später aber mit dem „Nachhaltigkeitsfaktor“ eine ähnliche Regelung ein. Zudem etabliert sie die „Riester-Rente“, eine staatlich geförderte, private Altersvorsorge.
Aufgrund der schlechten Konjunkturentwicklung nach 2001, die zu einer schwierigen Finanzsituation der Rentenkassen führte, wurden weitere kurzfristige Einschnitte umgesetzt. So mussten die Rentner 2004 und 2005 ohne Rentenerhöhung auskommen. Bei Hochschulabsolventen wurde die bisherige Anrechnung von Studienzeiten gestrichen. Zudem nahm die rot-grüne Bundesregierung die Praxis der Frühverrentung ins Visier: Ziel war es, den Abstand zwischen dem gesetzlichen Renteneintrittsalter von heute 65 Jahren und dem tatsächlichen Renteneintritt zu verkürzen. Dieser liegt bei der Altersrente bei Frauen und Männern im Schnitt bei fast 63 Jahren, bei Erwerbsminderungsrenten bei 50 Jahren – das durchschnittliche Renteneintrittsalter ist also zusammengenommen etwa 61 Jahre.
Frührente und Renteneintritt
Dazu wurde der frühste mögliche Zeitpunkt, an dem männliche Versicherte eine Altersrente bekommen können, von 60 auf 63 Jahre angehoben. Die Altersrente für Frauen ist noch ab 60 möglich, aber nur noch mit Abschlag. Allerdings hat das kaum nachhaltige Auswirkungen auf den Beitragssatz. Denn ein früherer Rentenbeginn ist stets mit einem Abschlag von 3,6 Prozent pro Jahr verbunden. Dieser Abschlag gleicht nach Ansicht von Experten die längere Bezugsdauer der Rente korrekt aus. Für die Rentenversicherung ist es daher finanziell weitgehend unerheblich, ob ein Versicherter mit 65 Jahren ohne Abschlag oder mit 64 Jahren mit Abschlag in Rente geht.
Von Bedeutung ist dagegen, wie hoch das gesetzliche Renteneintrittsalter ist. Eine Erhöhung sorgt dafür, dass die durchschnittliche Dauer des vollen Rentenbezugs wieder verkürzt wird. Das würde die Rentenkassen entlasten. Die Große Koalition aus Union und SPD will jetzt das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre anheben. Begonnen wird mit dem Jahrgang 1947. Wer in diesem Jahr geboren wurde, kann nicht mehr mit 65 Jahren in Rente gehen, sondern erst mit 65 Jahren und einem Monat. Der Jahrgang 1964 ist der erste, für den die Rente mit 67 gilt.
Kritiker sehen das als faktische Rentenkürzung. „Die Rente mit 67 läuft angesichts der schwierigen Arbeitsmarktsituation auf eine reine Rentenkürzung hinaus“, beklagt etwa der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer. Er argumentiert, wer als älterer Arbeitnehmer keinen Job mehr finde und beispielsweise mit 65 in Rente geht, müsse künftig hohe Abschläge hinnehmen. Allerdings: Wer 45 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll weiter mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können.
Kinderlose im Vorteil
Durch die Rente mit 67 wird allerdings ein zweites Problem für die Rentenversicherung nicht gelöst: In Deutschland werden zu wenig Kinder geboren – oder aus Sicht der Rentenversicherung zu wenig Beitragszahler. Die Geburtenrate hat sich seit den sechziger Jahren auf einen Wert von etwa 1,3 Geburten je Frau eingependelt, zum Erhalt der Bevölkerung ist aber eine Rate von 2,1 erforderlich. Nach Ansicht der „Rürup-Kommission“, die die rot-grüne Bundesregierung zu Fragen der nachhaltigen Finanzierung der Sozialsysteme beraten hatte, ist eine Steigerung der Geburtenrate sogar noch wichtiger als eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Langfristig sei ihr das „größere Gewicht“ beizumessen, heißt es in dem 2003 veröffentlichten Bericht.
Zwar hat die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Wachstumspaket eine Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten beschlossen und plant die Einführung eines einkommensabhängigen Elterngeldes. Wissenschaftler wie der Demografieexperte Herwig Birg halten das aber längst nicht für ausreichend. Sie fordern, auch in der Rentenversicherung deutlich zu machen, wie wichtig Kinder sind. Schon das Verfassungsgericht habe deutlich gemacht, dass es neben der reinen Beitragszahlung eine im Wert gleichberechtigte Leistung gebe, nämlich eine generative Leistung der Eltern, argumentiert der Wissenschaftler.
„Damit sind Kinderlose im heutigen Rentensystem deutlich im Vorteil“, kritisiert Birg. Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, hat deshalb schon vor einigen Jahren einen radikalen Vorschlag gemacht: Er plädiert dafür, nur noch Versicherten mit Kindern die volle Rente zu zahlen. Bei Kinderlosen sollte die Rente dagegen auf die Hälfte gekürzt werden.
Text: Timot Szent-Ivanyi
Erschienen am 10. April 2006
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