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Christine Steinhoff arbeitet für die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Sie übersetzt und erklärt die kompliziertesten Angelegenheiten. Mit ein paar Styroporhalbkugeln kann die Molekularbiologin veranschaulichen, wann und wieso das Vogelgrippevirus für den Menschen gefährlich wird. Zurzeit arbeitet sie an ihrer Habilitation am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Danach will sie zurück den Bundestagdienst, als Mittlerin zwischen Wissenschaft und Politik.
In Christine Steinhoffs schmalem Büro
liegen im unteren Regalfach bunt angemalte Styroporhalbkugeln. Das
sieht aus, als hätte die 33- jährige Bioinformatikerin
irgendwann ihrem Spieltrieb nicht mehr Einhalt gebieten können
und in einer Mittagspause angefangen zu basteln. Ein bisschen war
es auch so. Nicht ungewöhnlich für Wissenschaftler, die
einem aus buntem Bonbonpapier das menschliche Genom nachbauen oder
mit Mikadostäbchen einen Vektorraum erklären. Nur, damit
man es versteht.
Christine Steinhoff hat für eine „Lange Nacht der
Wissenschaften” dieses Modell für die Vogelgrippe
gebaut. Es nützt ja nichts, H5N1 auf kariertes Papier zu
schreiben und zu sagen: Das hier ist das Vogelgrippevirus. Besser
eine rote Styroporhalbkugel für den menschlichen Grippevirus
und eine blaue für den Vogelgrippevirus basteln, kleine
Glasröhrchen oben reinstecken, die Strukturen auf der
Virusoberfläche imitieren sollen, mit deren Hilfe sich das
Virus den Weg in die Zelle bahnt. So wird gezeigt, wie das
menschliche Grippevirus sich mit dem der Vögel verbindet und
etwas Neues, Gefährliches daraus entsteht. „Da kommen
also zwei unglückliche Umstände zusammen”,
schließt Christine Steinhoff ihre Erklärung ab und
lächelt. Wenn die schlanke, blonde Frau lächelt, mag man
nicht mehr glauben, dass irgendwelche unglücklichen
Umstände zusammenfinden könnten. Man stellt sich lieber
vor, wie die Wissenschaft jeden unglücklichen Umstand an ein
anderes Weltende verbannt, so dass verheerende Begegnungen
ausgeschlossen werden. Aber Wissenschaftler sind keine Zauberer.
Obwohl?
Gegenwärtig hat Christine Steinhoff ihr Büro im
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, um an
ihrer Habilitation zu schreiben. Dafür arbeitet sie auch mit
dem CASMPG Partner Institute for Computational Biology in Shanghai
zusammen. Sie ist also hin und wieder auf Reisen. Das
Max-Planck-Institut in Berlin ist nicht allzu weit entfernt vom
Bundestag, bei dem Christine Steinhoff angestellt ist. Sie ist
für drei Jahre von der Bundestagsverwaltung beurlaubt, wird
vom Institut bezahlt, und kehrt danach wieder in die
Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages
zurück.
Christine Steinhoff hat nie aufgehört zu forschen, kennt sich
in der Forschungslandschaft gut aus und ist in der Lage, die
kompliziertesten Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie in die
parlamentarische Arbeit einfließen und Grundlage für
kompetente politische Entscheidungen sein können. Das ist
wichtig und diese Fähigkeiten werden gebraucht. In einem
Institut und in einem Parlament.
Im Institut sucht die Wissenschaftlerin an ihrem
Computerbildschirm, auf dem ein Chromosom abgebildet ist,
gegenwärtig nach Genen, „die sich stark in ihrem
Ableseverhalten verändern”. Wenn es notwendig sein wird,
so etwas für eine wissenschaftliche Anhörung in einem
Ausschuss oder für die Formulierung eines parlamentarischen
Antrages nachvollziehbar zu erklären, dann wäre sie
diejenige, die das später einmal könnte und
täte.
Als sich Christine Steinhoff 2003 für die Arbeit im Deutschen
Bundestag bewarb, war der damals gerade 30-Jährigen schon
klar, dass dies eine Zäsur in ihrer beruflichen Laufbahn sein
würde. Wer für die Wissenschaftlichen Dienste arbeitet,
forscht nicht mehr, sondern ist Schnittstelle zwischen Wissenschaft
und Politik, Vermittler oder Vermittlerin nach beiden Seiten.
„Das ist erst einmal ein Abschied aus der Forschung, aber die
Kombination von Politik und Wissenschaft schien mir sehr reizvoll.
Und das ist es auch.”
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sind dafür da,
riesige Mengen an Informationen und Erkenntnissen für die
parlamentarische Arbeit zu systematisieren und handhabbar zu
machen. Für Beurteilungen und politische Entscheidungen ist
das unabdingbar. Kein Abgeordnetenbüro schafft das allein.
Alle Parlamentarier müssen sich auf die politisch neutrale und
in der Sache immer kompetente Hilfe der Wissenschaftlichen Dienste
verlassen und tun dies auch. Christine Steinhoff gefällt diese
Arbeit, mit der Grundlagen und Voraussetzungen für
Entscheidungen geschaffen werden. Ihr gefallen die Themen, bei
denen ihr Wissen und ihre Kompetenz gefragt sind:
Stammzellenforschung, Vogelgrippe, grüne Gentechnik,
Entwicklung der Forschungslandschaft.
Angefangen hat die gebürtige Rheinländerin mit einem
Diplomstudium der Mathematik in Düsseldorf. Als Nebenfach
wählte Christine Steinhoff damals die Molekularbiologie. 1992
war das noch eine eher ungewöhnliche Kombination. Die
Studentin ging für ein Jahr nach Oxford und entschied sich,
ihr Nebenfach zum Hauptfach zu machen. „Molekularbiologie
versucht, biologische Phänomene zu erklären, indem sie
auf die Erbsubstanz zurückgeht”, beschreibt Christine
Steinhoff mit einfachen Worten. Ihre Diplomarbeit allerdings
befasste sich mit der „Klassifikation und Degeneration von
Lie-Algebren”. Da geht es um Vektorräume und die
Möglichkeit, einen Vektorraum in einen anderen zu
überführen. Für die Quantenphysik hat das große
Bedeutung. Für den Laien ist es — nun ja — eher
eine theoretische Frage.
1997 war Christine Steinhoff mit dem Studium fertig und wollte
„angewandter werden”, wie sie sagt. Das humane Genom
war noch nicht durchsequenziert, das wurde erst vier Jahre
später veröffentlicht. Aber Genetik war natürlich
schon lange ein spannendes und wichtiges Forschungsfeld.
Die Wissenschaftlerin ging in die Krebsforschung, um dort ihre
Doktorarbeit zu schreiben. Dafür machte sie sich auf die Suche
nach Lichtschaltern. Sagt sie. „Man möchte die
Lichtschalter finden, die in Krebszellen angeschaltet sind und in
gesunden Zellen nicht. Findet man die und findet man dazu ein
intaktes ‚Selbstmordgen’, verknüpft den Schalter
mit dem Gen, geht der Schalter an und die Krebszelle stirbt.”
Solche Schalter, die Promotoren genannt werden, hat Christine
Steinhoff gesucht. Aber so klingt es auch sehr einfach. „In
Krebszellen funktioniert dieses Selbstmordgen p53 nicht. Deshalb
habe ich in der Petrischale versucht, das Selbstmordgen in
Krebszellen zu bringen. In der Petrischale funktioniert das
wunderbar ...” Die Pause, die Christine Steinhoff macht,
spricht Bände. Die Petrischale, denkt man, ist ja nicht das
Leben. Und offensichtlich ist der Weg noch weit von einem zum
anderen.
2001 promovierte Christine Steinhoff, ihre Fachkombination war noch
immer eine eher ungewöhnliche und gefragte Profession.
Angebote kamen einige, aber am besten klang das vom
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Hier baute
Professor Martin Vingron gerade eine neue Abteilung auf, hier waren
die Bedingungen zum Forschen und Arbeiten hervorragend. Christine
Steinhoff nahm an. Die Zusammenarbeit klappte und jetzt hat Martin
Vingron der Wissenschaftlerin die Möglichkeit eröffnet,
wieder in seiner Abteilung zu forschen. Das sei, sagt Christine
Steinhoff, ein großes Entgegenkommen und mache sie stolz, weil
darin auch Wertschätzung läge.
Den Entschluss, an das Max-Planck-Institut zu gehen, hat sie also
zu keinem Zeitpunkt bereut. Die Arbeit machte Spaß, sie war
anspruchsvoll und interessant. Aber Wissenschaftler sollten, sagt
die Frau, immer wieder etwas Neues machen. Nur keine eingefahrenen
Gleise, Forschung braucht Vielfalt und unabhängige
Geister.
Der Neugier folgend fragt man am Ende des Gespräches noch nach
musikalischen Interessen. Christine Steinhoff spielt Geige und
bestätigt damit zwei positive Vorurteile. Das eine heißt:
Wissenschaftler sind meist verspielte Menschen. Das andere: Zur
mathematischen gesellt sich oft die musikalische Intelligenz.
Die Vogelgrippe wird wieder im Regal verstaut. Christine Steinhoff
wendet sich erneut dem Ableseverhalten von Genen zu und versucht,
wie sie scherzhaft sagt, herauszufinden, was die Zelle im Innersten
zusammenhält. Man hat nach diesem Gespräch das
Gefühl, es könnte ganz wichtig für das eigene Leben
sein. Das Ableseverhalten von Genen. Besser, man vergisst es
nicht.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 22. März 2007
Analysen und Gutachten der
Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages finden Sie im
Internet zum Download unter:
www.bundestag.de/bic/analysen