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Die Freiburger Politikwissenschaftlerin Ingeborg Villinger über die Zweisamkeit von Politik und Medien in Zeiten von Sabine Christiansen und gewandelter Freizeitgestaltung.
Glasklar: Frau Professorin Villinger, wenn Sie Ihren Studenten in drei Sätzen den Zusammenhang zwischen Medien und Politik nennen sollten, was würden Sie sagen?
Ingeborg Villinger: Ich würde sagen, dass von heute aus betrachtet das Verhältnis von Medien und Politik ein symbiotisches ist: Lange Zeit ist die Politikwissenschaft davon ausgegangen, dass die Politik von den Medien abhängig sei oder umgekehrt. Inzwischen weiß man, dass Medien und Politik aufeinander angewiesen sind.
Glasklar: Häufig spricht man von „Mediatisierung“ der Politik. Was bedeutet das?
Villinger: Damit benennen wir quasi das Produkt dieses symbiotischen Verhältnisses. Wir erfahren Politik heute nicht mehr unmittelbar, als Parteimitglied, engagierter Bürger oder Abgeordnete, sondern nur noch über die Medien vermittelt, also mediatisiert.
Glasklar: Früher war das anders?
Villinger: Früher gehörte es zur Freizeitgestaltung – da lachen meine Studenten heute – in einer politischen Partei engagiert zu sein, Programme und Wahlkämpfe mitzugestalten, Partei- oder Kreistage zu organisieren. Heute fehlt uns häufi g diese eigene Erfahrung, um zu verstehen, wie Politik funktioniert.
Glasklar: Muss ich denn in einer Partei sein, um das zu verstehen? Es gibt ja auch heute viele Menschen, die sich politisch engagieren.
Villinger: Viele engagieren sich in Bürgerinitiativen und erfahren dabei natürlich auch, wie Politik zumindest in diesem Falle funktioniert. Aber in den Parteien erleben sie ein sehr viel breiteres Spektrum von Politik, und erst dabei kann man auch die politischen Zusammenhänge verstehen lernen.
Glasklar: Liefern die Medien uns ein falsches Bild von Politik?
Villinger: Bei Formaten wie Nachrichten und Dokumentationen sind wir relativ dicht am tatsächlichen Geschehen. Aber überall da, wo es um die Deutung des Geschehens geht, machen Medien auch Meinung. Das fängt schon bei der Frage an, wo und wie sie Artikel platzieren, welche Überschriften sie wählen oder in welcher Reihenfolge sie die Nachrichten bringen. Zudem werden Sie feststellen, dass jedes Medium seine Leser, Zuschauer oder Zuhörer auf eine andere Art und Weise anspricht. Es gibt also nicht die Wirklichkeit, sondern es gibt Perspektiven der Wirklichkeit.
Glasklar: Aber Politiker nutzen die Medien auch als Sprachrohr. Mir kommt das zumindest so vor, wenn ich sonntagabends Sabine Christiansen sehe.
Villinger: Das Problematische aus der Sicht der Politikwissenschaft ist dabei, dass diese Talkshows inzwischen versuchen, den demokratischen Institutionen wie dem Parlament Konkurrenz zu machen – und dabei spielen alle mit, Politiker wie Journalisten. Frau Christiansen hat mehr als einmal gesagt, dass man bei Diskussionen im Parlament nicht hinter den in ihrer Show erreichten Stand zurückfallen könne. Sie merken also, wie diese Talkshows sich als eigenständige Größe zu etablieren versuchen.
Glasklar: Wie wichtig ist es für einen Politiker, telegen zu sein?
Villinger: Unendlich wichtig! Aber Telegenität hat nichts mit gutem Aussehen allein zu tun, wichtig ist, dass der Politiker Vertrauen und Kompetenz ausstrahlt. Wie man weiß, hatte Helmut Kohl eine große Ausstrahlung auf Frauen ab vierzig – und er war gewiss kein Modeltyp.
Glasklar: Kann man Politikern vorwerfen, dass sie sich in den Medien inszenieren?
Villinger: Nein, denn es liegt in der Natur der Sache, dass der Politiker Zustimmung zu seinen Positionen haben will, spätestens bei der nächsten Wahl. Und über die Medien kann er mehr Menschen erreichen als über persönliche Gespräche.
Glasklar: Die Politik – Fraktionen, Parteien, Regierungen – muss sich demokratisch organisieren und legitimieren. Wie legitimieren sich die Medien?
Villinger: Medien sind Unternehmen, die in keiner Weise demokratisch legitimiert sind. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben einen Verfassungsauftrag, aber auch sie sind intern nicht demokratisch organisiert – sie werden jedoch von Gremien kontrolliert, die die Ausgewogenheit des Programms sicherstellen.
Glasklar: Was unternimmt eine Gruppe, die hierzulande keine Stimme in den Medien bekommt – kann sie sich über das Internet eine verschaffen?
Villinger: Am einfachsten ist es, Versammlungen abzuhalten und über verschiedene Aktionen Öffentlichkeit herzustellen. Eventuell berichten lokale Medien darüber. Die Gruppe kann zwar über das Internet ihre Meinung verbreiten, jedoch wird die Internetöffentlichkeit, die sie dadurch erreicht, immer eine Teilöffentlichkeit sein. Der Mann auf der Straße kennt diesen Internetauftritt vermutlich nicht. Das ist bei der Öffentlichkeit, die das Medium Fernsehen herstellt, anders.
Glasklar: In Italien hat Silvio Berlusconi als Ministerpräsident große Teile der Medien kontrolliert. Könnte so etwas in Deutschland auch passieren?
Villinger: Nein, denn wir haben ein anderes Kartellrecht. Berlusconi hat seine Position als Politiker genutzt, um die Gesetze für seine Mediengeschäfte in die richtige Richtung zu biegen. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind unter ihm vollkommen marginalisiert worden. Trotzdem hat die Menschen das, was ihnen in den Medien Berlusconis so überzogen gepredigt wurde, nicht wirklich überzeugt – ihre eigene Lebenserfahrung hat diesem Medienbild widersprochen.
Glasklar: Medien brauchen jeden Tag neue Nachrichten und wollen, dass es Ergebnisse gibt. Hätte die Politik nicht auch mal das Recht zu sagen: Es gibt noch keine Ergebnisse, wir brauchen Zeit?
Villinger: Die Frage ist berechtigt. In der Politikwissenschaft sagen wir, es gibt eine Differenz zwischen Darstellung und Herstellung von Politik. Zur Herstellung gehören manchmal zähe Verhandlungen. Häufig verlieren die Menschen dann die Geduld. Dennoch hat die Politik immer noch die Möglichkeit, sich in nicht einsehbare Räume zurückzuziehen – das kann man etwa an der Arbeit in den Ausschüssen des Bundestages sehen, die ja nur zum Teil den Medien zugänglich sind. Oder auch am Auswärtigen Amt, gerade im Kontext von Entführungsgeschichten. Da akzeptieren sowohl die Medien als auch die Bürger, dass Politik hinter geschlossenen Türen gemacht wird, um das Ergebnis nicht zu gefährden.
Prof. Dr. Ingeborg Villinger ist Politikwissenschaftlerin an der Albert- Ludwigs-Universität Freiburg. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem politische Kulturforschung, symbolische Politik sowie Medien und Öffentlichkeit. Villinger entwickelt derzeit multimediale Lehrmaterialien zum Thema "Medien und Politik" und ist an der Universität Freiburg Frauenbeauftragte.