Bericht der Wehrbeauftragten an Bundestagspräsident Thierse übergeben
"BUNDESWEHR BEFINDET SICH AN DEN GRENZEN IHRER BELASTBARKEIT"
Berlin: (hib/BOB-vt) An die "Grenzen ihrer personellen und materiellen Belastbarkeit" sieht die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Claire Marienfeld, die Bundeswehr gekommen.
In ihrem am Dienstagmorgen an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) übergebenen Jahresbericht 1999 ( 14/2900) erläutert Marienfeld, die Streitkräfte hätten im vergangenen Jahr "große und nicht ungefährliche Aufgaben" bewältigen müssen.
Sie verweist auf die Beteiligung der Streitkräfte an den Kampfeinsätzen im ehemaligen Jugoslawien, an Sicherungsaufgaben sowie an der Hilfe für Flüchtlinge.
Personal und Material würden dauerhaft hoch beansprucht, was die Truppe und die militärische Führung vor neue Herausforderungen stelle.
Marienfeld erklärt in diesem Zusammenhang, Materiallage und Ersatzteilversorgung in der Bundeswehr hätten sich in allen drei Teilstreitkräften weiter verschlechtert. Hierdurch werde die Ausbildung der Soldaten behindert.
Die in wenigen Wochen aus ihrem Amt scheidende Wehrbeauftragte macht in ihrem Bericht zudem auf Kritik von Soldaten an der Kurzfristigkeit und Unklarheit bei der Personalauswahl für einen Auslandseinsatz aufmerksam.
Insbesondere Soldaten in sogenannten Mangelverwendungen müssten damit rechnen, häufiger als ihre Kameraden abkommandiert zu werden.
Die Bundeswehr, so Marienfelds Schlussfolgerung, müsse deshalb sehr zügig ein ausreichendes Reservoir an Spezialisten aller Truppengattungen heranbilden, um für Soldaten und ihre Familien Planungssicherheit zu schaffen.
In diesem Zusammenhang stoße die Verlängerung der Einsatzdauer im Ausland von bisher vier auf zukünftig sechs Monate bei den Soldaten und ihren Angehörigen ganz überwiegend auf Ablehnung.
Nachvollziehbar seien allerdings die von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) als Grund dafür genannten Einsatzerfordernisse.
Insbesondere bei Soldaten in Mangelverwendungen sollte aber nach Ansicht der Wehrbeauftragten vermehrt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, den Auslandseinsatz zu "splitten".
Marienfeld zufolge ist die Zahl der in den Streitkräften registrierten rechtsextremistischen Vorgänge 1999 gegenüber dem Vorjahr von 200 auf 92 "akute Verdachtsfälle" zurück gegangen.
Bedenke man, dass in der Bundeswehr 320.000 Soldaten dienten, so handele es sich bei den festgestellten Vorkommnissen um Einzelfälle.
Marienfeld erinnert in diesem Zusammenhang an die politische Bildung in der Bundeswehr. Diese stehe in enger Wechselbeziehung zur Menschenführung und müsse deshalb Bestandteil jedes militärischen Dienstes sein.
Marienfeld geht in ihrem Bericht auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 11. Januar 2000 ein, in dem die Unvereinbarkeit derzeitiger gesetzlicher Regelungen zum Wehrdienst mit europäischem Recht festgestellt worden sei.
Marienfeld erklärt, ihr sei nicht bekannt geworden, dass Frauen in der Bundeswehr auf Grund ihres Geschlechts in ihrer Laufbahn besondere Vor- oder Nachteile erfahren hätten.
Allerdings sei sie mit Eingaben weiblicher Soldaten konfrontiert worden, welche auf Unsicherheiten und teilweise auch auf Fehlverhalten männlicher Soldaten im Umgang mit ihnen schließen lassen.
Dazu gehörten sowohl Formen der Belästigung als auch besonders nachsichtiges Verhalten. Forderungen weiblicher Soldaten nach Einführung von Teilzeitbeschäftigungen kann Marienfeld im Übrigen im Hinblick darauf, die Einsatzfähigkeit der Truppe zu erhalten, nicht unterstützen.