St. George - Hauptstadt des Inselstaates Grenada. Die den Touristen vorgeführte Idylle der weißen Sandstrände trügt. Über die Hälfte der Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Wer kann, emigriert in die USA, Kanada oder England. Sie gehen, weil sich für sie nicht erfüllt hat, was ihnen vor 22 Jahren versprochen wurde: Freiheit und Wohlstand. Am 25. Oktober 1983 waren 7.000 US-Soldaten auf der kleinen Insel einmarschiert, weil ihre 90.000 Bewohner angeblich die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohten. Über ein Jahr hielten US-Truppen Grenada besetzt und beendeten eine Revolution.
Für Jerry Romain, Journalist bei der privaten Radio- und Fernsehstation Voice of Grenada, war das Einschreiten der USA ein Segen: "Wir hatten vier Jahre Hölle hinter uns." Romain wurde von den Invasionstruppen aus dem Gefängnis befreit. Die Bevölkerung leistete gegen die US-Truppen nur geringen Widerstand. Sechs Tage vorher war der vom Volk verehrte Revolutionsführer Maurice Bishop ermordet worden. Von Mitgliedern der eigenen Partei, die ihn für einen "Kleinbürger" hielten und die Macht an sich reißen wollten.
"Als die US-Truppen wenige Tage später einmarschierten, passierte dasselbe, was vor kurzem im Irak passiert ist", meint Peter David, "Die Leute begrüßten die Invasion. Denn die Angreifer ließen jene Personen verhaften, von denen sie glaubten, dass sie Maurice ermordet hatten." Bis heute ist unklar, ob der amerikanische Geheimdienst CIA die Fäden gezogen hat, meint Rechtsanwalt David. Fest steht, dass die USA ein zweites Kuba verhindern wollten und dass die Invasion schon Tage von der Ermordung von Maurice Bishop in die Wege geleitet worden war.
Seit den 50er-Jahren hatte Eric Gairy die Insel beherrscht. Gegen ihn organisierte sich Anfang der 70er-Jahre die Befreiungsbewegung New Jewel Movement mit Maurice Bishop an der Spitze. Gairys korruptes Gewaltregime wurde zum Schandfleck der englischsprachigen Karibik. Er ließ Zeitungen verbieten und schaltete Widersacher mit Schlägertrupps aus. Im März 1979 überfielen bewaffnete Anhänger der New Jewel Movement die Kaserne und besetzten die Rundfunkstation. Die Diktatur war am Ende, es begann die "People´s Revolution", die Revolution des Volkes. Peter David, damals stellvertretender Informationsminister und Leiter von Radio Free Grenada sagt: "Die gesamte Partei wollte keine sozialistische Volkswirtschaft sondern eine gemischte Wirtschaft."
Doch innerhalb der Partei tobte ein Machtkampf. Der Gegenspieler von Bishof war Bernhard Coard, stellvertretener Premierminister. "Er hatte die Partei auf seiner Seite, Maurice das Volk", erklärt Peter David. Die Revolution geriet zunehmend unter Beschuss. Die US-Regierung fürchtete ein zweites Kuba in strategischer Lage. Grenada liegt vor der venezolanischen Küste, vor riesigen Ölfeldern. Washington sorgte dafür, dass der Inselstaat keine Kredite mehr aus dem Ausland erhielt, und auch im Land formierte sich allmählich Widerstand. Viele saßen ohne Anklage im Gefängnis. Die Verantwortung dafür wurde aber im Allgemeinen der Partei und nicht Maurice Bishop zugeschrieben, der bei den Leuten überaus beliebt war.
Im Oktober 1983 überstürzten sich die Ereignisse. Coard, der das Zentralkomitee kontrollierte, warf Bishop "Personenkult" vor und stellte ihn unter Hausarrest. Die Menschen waren empört und befreiten ihren Maurice aus dem Arrest. Schüsse aus Maschinenpistolen fielen in St. George und am Abend gab Radio Free Grenada bekannt, dass ein Militärrat mit Coard an der Spitze die Macht übernommen habe. Bishop und seine engsten Mitstreiter waren erschossen worden.
Die Exekution gab der US-Regierung eine Rechtfertigung, um militärisch einzuschreiten - das Leben der 600 auf der Insel lebenden US-Staatsbürger sei in Gefahr. Am 25. Oktober bombardierten US-Truppen St. George, drei Tage später marschierten sie mit Marine-infanteristen, Armyrangern und Fallschirmjägern ein. 88 Menschen wurden bei der Invasion getötet, mehr als 500 verletzt. US-Präsident Ronald Reagan erklärte: "Gerade noch rechtzeitig haben wir die kubanische Okkupation Grenadas verhindert."
Das Argument der "kubanischen Gefahr" musste die US-Regierung zwar bald fallen lassen. Auch die behaupteten Waffenlager tauchten nie auf, und die UNO verurteilte die Invasion als völkerrechtswidrig. Doch politisch hatten die USA gesiegt. Sie stellten sich der Bevölkerung als Ordnungsmacht dar und versprachen ihr Freiheit und Gerechtigkeit. Sie nahmen 3.000 Menschen fest und brachten sie in Verhörlager. Wochenlang durften weder Familienangehörige noch Anwälte oder Vertreter internationaler Organisationen sie dort besuchen. 17 Menschen wurden wegen des Mordes an Premierminister Bishop angeklagt. Der dann folgende Prozess entsprach nicht demokratischen Standards: So wurden "Geständnisse" unter Folter erzwungen und als "Beweismittel" anerkannt. Dokumente wurden dem Gericht vorenthalten oder verschwanden aus den Akten. Die US-Truppen hatten die Protokolle der Parteisitzungen und das Eingangsregister des Tatortes Fort Rupert beschlagnahmt und trotz der Aufforderung des Gerichts nicht herausgegeben. Dies alles kam später bei der Gerichtsverhandlung öffentlich zur Sprache, aber niemand regte sich besonders darüber auf. Das Thema Grenada gelangte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in die Schlagzeilen der Weltpresse.
Ein Sondergericht verurteilte die Angeklagten zum Tod durch den Strang. Die grenadinische Regierung wandelte das Urteil später in lebenslange Haft um, schriftlich wurde es jedoch nicht verfasst. Dennoch befinden sich die meisten Verurteilten bis heute in Haft. Im Januar 2000 setzte die Regierung eine so genannte Wahrheitskommission ein. Ihr Bericht liegt bis heute - über 20 Jahre nach den Geschehnissen - noch nicht vor.
Gaby Weber lebt seit 20 Jahren in Lateinamerika und arbeitet als
freie Journalistin für die ARD und andere deutschsprachige
Medien.