Mit der Verhaftungswelle gegen Oppositionelle im Frühjahr 2003 ist die Europäische Union aus ihrem politischen "Schneewittchenschlaf" bei der Beobachtung Kubas erwacht. Jetzt rückt erneut die Frage "Was kommt danach?" ins öffentliche Bewusstsein. Noch in den 90er-Jahren - im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion, die sich das Überleben eines kommunistischen Staates vor der Haustür der USA einiges hatte kosten lassen - hatten Gegner des Castro-Regimes auf einen Regimewechsel durch den Kollaps der kubanischen Wirtschaft gehofft. Doch mit den 1993 eingeleiteten Reformen und der Duldung des Dollar als einer Art Parallelwährung schaffte es Castro, Kuba über Wasser zu halten. Teils mehr schlecht als recht.
Die Zucker- und die Nickelindustrie sind zwei wesentliche Eckpfeiler der kubanischen Wirtschaft. Doch die Gewinne sind in den letzen Jahren erheblich zurückgegangen. Obwohl das Öl kostenlos aus Venezuela geliefert wird, ist die Energieversorgung auf der Insel prekär. Treibstoffmangel und Stromausfälle sind Alltag der Kubaner. Auf der anderen Seite wird der Tourismus als Devisenquelle mit Hochdruck gefördert und bildet heute die Lokomotive der kubanischen Wirtschaft. Zudem dürfen die "remesas" (Geldsendungen) der meist im US-Exil lebenden Angehörigen als Einnahmequelle Kubas nicht unterschätzt werden. 2004 ging der Banco Interamericano de Desarrollo (BID) von knapp 1,2 Milliarden Dollar aus, die auf diesem Wege auf die Antilleninsel gelangten.
Es wäre verfehlt, heute von einer gesunden Wirtschaft zu sprechen. Doch der Human Development Index (HDI), der jährlich vom United Nations Development Program (UNDP) veröffentlicht wird, sieht Kuba im weltweiten Vergleich für das Jahr 2005 auf Platz 52. Im lateinamerikanischen Kontext steht das Land sogar auf Platz fünf. Allerdings veröffentlicht Kuba kaum verlässliche Statistiken, sodass der HDI nur auf Schätzungen basiert.
"Wenn es heute Wahlen gäbe, wären die Leute vielleicht gegen das System. Doch Castro erhielte klar die Mehrheit", geben selbst Kritiker der Diktatur zu. Das ist an sich kein Wunder: Die Mehrzahl aller rund elf Millionen Kubaner kennt nichts anderes als Castro und die Propaganda der vom Regime gelenkten Medien. Zwar wehrt sich die Opposition gegen die Strategie, man müsse erst den Tod des Diktators abwarten. Doch die Person Fidel Castros ist als Bindeglied in einem zumindest teilweise fragilen Gebilde kaum verzichtbar. Was passiert ohne ihn?
Der Soziologe Max Weber identifizierte drei Elemente, um Herrschaft zu legitimieren: Legalität, Tradition und Charisma. Folgt man diesem Schema, wird die zukünftige Regierung nach Castro erhebliche Legitimitätsprobleme haben, da der kubanische Staat zu sehr auf die aktuelle Führungsperson zugeschnitten ist. Angesichts des massiven Exodus und der Wirtschaftsflüchtlinge, die wegen der Risiken einer Flucht über den Atlantik nach Florida nur die Spitze eines Eisberges sind, scheint klar zu sein: Nach Fidel kann sich nur halten, wer auch die wirtschaftlichen Hoffnungen der Kubaner zumindest teilweise erfüllt.
Für die Zukunft Kubas lassen sich vier potenzielle Hauptakteure identifizieren, die intern nicht homogen sind: Das aktuelle Regime, die in Kuba verwurzelte Opposition, die meist in Florida lebenden Exilkubaner und die Kubaner auf der Insel selbst, deren Verhalten kaum vorhersagbar ist.
Fidel Castro hat bereits seinen Nachfolger bestimmt: Raúl Castro, seinen fünf Jahre jüngeren Bruder und Ersten Vizepräsidenten des Staats- und Ministerrats. Er besitzt die Kontrolle über das Militär, das wiederum weite Teile der Wirtschaft kontrolliert. Politische Beobachter charakterisieren ihn als Pragmatiker, der zumindest im Wirtschaftsbereich eine erste Öffnung herbeiführen könnte. Angesichts seines Alters und seines mangelnden Charismas scheint er jedoch wenig mehr als ein Übergangskandidat zu sein.
Kandidat für eine Regierung schrittweiser Reformen, die jedoch die alten Machtstrukturen beibehält, könnte der 1951 geborene und daher noch sehr junge Carlos Lage Dávila sein. Er ist Vizepräsident des Staatsrates und Sekretär des Exekutivkomitees des Ministerrates - und wird häufig als "Nummer drei" in der Hierarchie Kubas gehandelt. Bei einer nationalen Versöhnung von regimetreuen und regimefeindlichen Kubanern könnte er eine Schlüsselposition einnehmen, da er nicht direkt für die Repressionen verantwortlich gemacht wird. Dennoch hat er Einfluss auf die gegenwärtige Politik, insbesondere die Wirtschaftspolitik. Er könnte die Riege der so genannten "talibanes" anführen, der jungen, von Fidel Castro geförderten Technokraten, die seit Jahren in die Führungskreise des Regimes einziehen.
Die Opposition innerhalb Kubas präsentiert sich ausgesprochen vielschichtig. Forscher gehen von circa 350 Oppositionsgruppen aus, die zwar teilweise kooperieren, jedoch nicht wirklich geschlossen auftreten. Dies ist auch ein Erfolg der kubanischen Staatssicherheit, die durch Infiltrierung oder Publikationen wie die Bücher "Los Disidentes" oder "El Camaján" gezielt das gegenseitige Misstrauen schürt. Dies wurde besonders deutlich bei der "Asamblea para promover la Sociedad Civil", die am 20. Mai 2005 auf Initiative und unter Führung von Martha Beatriz Roque in Havanna zusammenkam. An der Versammlung nahmen über 150 Demokraten, Gewerkschafter und Journalisten teil - 15 Oppositionsgruppen, darunter auch die Christliche Befreiungsbewegung (Movimiento Cristiano Liberación, MCL) Oswaldo Payás, blieben der Veranstaltung fern. Als Grund dafür gaben sie an, die Veranstaltung sei ein Betrug an der Opposition.
Oswaldo Payá Sardiñas, Initiator der zurzeit sicherlich mitgliederstärksten Oppositionsinitiative, dem Varela-Projekt, sowie Sacharow-Preisträger 2002, ist einer der wichtigsten Pfeiler der Oppositionsbewegung. Zu seinen Initiativen zählt der "Diálogo Nacional", ein rund 80 Seiten umfassendes Papier, das konkrete Modalitäten für einen Übergang zur Demokratie vorschlägt.
Eine Unbekannte im Rätselraten über die Zukunft Kubas ist das Verhalten der USA und der dort ansässigen Exilkubaner. Wie die Bootsflüchtlinge zeigen, sind die USA auf Kuba nicht so diskreditiert, wie es das Regime gerne hätte. Auf der anderen Seite steht die Hypothek des Helms-Burton-Gesetzes von 1996, das die rechtliche Grundlage zur Rückforderung unter Castro enteigneten US-Besitzes ist.
Das Gesetz bietet eine rechtliche Grundlage, um ausländische Firmen zu verklagen, die mit kubanischen Unternehmen Handel treiben, wenn diese Unternehmen sich auf Besitz stützen, das vor 1959 - also vor der Revolution - US-Bürgern gehörte. Das Gesetz beschränkt sich aber nicht nur auf Eigentum der danach enteigneten US-Bürger, sondern schließt auch kubanische Staatsbürger ein, die ebenfalls nach der Revolution von der kubanischen Regierung enteignet wurden, später dann in die USA emigrierten und eingebürgert wurden und somit zum jetzigen Zeitpunkt US-amerikanische Staatsbürger sind. Wenn die US-Regierung mit diesem Gesetz die genannten Personen weiterhin als Eigentümer betrachtet, stellt sich die Frage, was nach einer Öffnung Kubas mit dem Eigentum passiert. Die Probleme, die aus einer solchen Lage entstehen können, hat die deutsche Vereinigung vor Augen geführt. Eine "Invasion" von Rückkehrwilligen Exilkubanern ist jedoch nicht zu erwarten. Umfragen zufolge will allenfalls ein Viertel der rund zwei Millionen Exilanten zurück auf die Insel.
Als wahrscheinlichste Variante in der ersten Nach-Castro-Phase muss gegenwärtig wohl der Versuch einer teil-autoritären Konsolidierung gesehen werden, in der Raúl Castro als Nachfolger seines Bruders dessen Führungsstil nicht fortsetzen kann. Vielmehr wird er auf Koalitionen mit diversen Strömungen innerhalb des Machtapparates angewiesen sein.
Die neue Regierung wird schnell wirtschaftliche Erfolge vorweisen müssen. Das könnte zu einer wirtschaftlichen Öffnung nach dem Modell Chinas führen. Sollte aber keine schrittweise Öffnung auch zur demokratischen Opposition erfolgen, werden weitere innere Legitimationsprobleme auftreten. Eine wirtschaftliche Erholung unter einem autoritären Regime würde sicherlich auf massiven Widerstand seitens der USA stoßen. Sollte die US-amerikanische Regierung alle wirtschaftlichen Hebel einsetzen - der Handel zwischen Kuba und den USA hat gegenwärtig ein Volumen von etwa einer Milliarde US-Dollar jährlich -, hätte das neue Regime kaum dauerhafte Chancen, sich zu etablieren.
Stefan Hofmann ist Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung
(KAS) in Guatemala, bis April war er Mitarbeiter der KAS in Mexiko.
Kerstin von Bremen ist Mitarbeiterin der KAS in Mexiko. Der
Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Beobachtung der Entwicklung
in Kuba.